Das Debattenbuch zur KlimakriseHeute an die Zukunft denken, bedeutet, an den Klimawandel zu denken, der als Klimakatastrophe, gar als Klimaapokalypse daherkommt. Die Angstmächtigkeit des Klimawandels ist absolut nachvollziehbar, die prophezeiten Verheerungen beispiellos. Doch die Menschheit war schon häufig mit apokalyptischen Bedrohungen konfrontiert, allein in den letzten vierzig Jahren mit dem atomaren Wettrüsten, AIDS, dem Ozonloch, BSE und nicht zuletzt Corona. Was haben die Menschen befürchtet? Was ist tatsächlich eingetreten? Worin unterscheidet sich der Klimawandel von vorigen apokalyptischen Szenarien? Thomas Brussig plädiert in diesem klugen Debattenbuch für Augenmaß und Nüchternheit. Wenn wir das Unvermeidbare hinnehmen und unsere Anstrengungen und Ideen auf das Vermeidbare konzentrieren, lässt die Klimakrise noch Raum für Hoffnung und Zuversicht. »Wir balancieren zwar am Abgrund, aber darin sind wir, wie es scheint, ziemlich gut. Und vielleicht sollte genau dies auch unser Erfolgsgeheimnis als Menschheit bleiben: Fürchte jede Gefahr so, als könnte sie dich umbringen, dann wird schon alles gutgehen.«
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensent Ulrike Köppchen findet Thomas Brussigs Buch über den Umgang mit Katastrophen stellenweise gar nicht so schlecht. Immerhin gelingt es dem Autor, die ein oder andere Facette der "German Angst", angereichert mit spezifischen Erfahrungen aus der DDR, treffend und unterhaltsam darzustellen. AIDS, Millenium Bug und schließlich die Klimakatastrophe - alles gar nicht so schlimm? Spätestens bei letzterem Thema verhebt sich der Autor allerdings laut Köppchen, wenn er dem Klimawandel mit "rumpeliger Apodiktik" begegnet und "naseweis" beziehungsweise größenwahnsinnig Patentlösungen präsentiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2023Habt
keine Angst
Der Schriftsteller Thomas Brussig hat ein
Debattenbuch zur Klimakrise geschrieben.
Ein Besuch in Berlin
VON RENATE MEINHOF
Nein, nach Weltuntergang sieht der Tiergarten nicht aus, durch den man radelt an diesem Morgen, um Thomas Brussig zu besuchen, der in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs wohnt. Tiefgrün die Wiesen, üppig belaubt noch Bäume und Büsche, so viel hat es geregnet die letzten Wochen. Geschüttet hat es, könnte man sagen. Sintflutartig stürzte an manchen Tagen das Wasser vom Himmel, und wenn man über die Sintflut, diesen Urmythos göttlichen Vernichtungswillens, aber eben auch göttlicher Einsicht, Umkehr und Gnade nachdenkt, steht man fast schon vor Thomas Brussigs Haus – und ist fast schon beim Thema seines neuen Buches.
„Meine Apokalypsen. Warum wir hoffen dürfen“, heißt es, kein Roman, nein, ein „Debattenbuch“ hat er geschrieben, so steht es auf dem Einband. Fein, klug, manchmal witzig sind diese 181 Seiten geraten, die sich mit spielerischer Beweglichkeit der Gedanken gegen Verzweiflung und Aussichtslosigkeit stellen wollen, die uns angesichts der Klimakrise, der „Klimaapokalypse“ zu erwürgen drohen.
Bei Wallstein ist das Buch erschienen. Vor gut einem Jahr nämlich hat Thomas Brussig unter einigem öffentlichem Aufruhr den S. Fischer-Verlag verlassen, aber „alles andere als eine Schlammschlacht“ sei das aber gewesen, sagt er heute, ohne seine Enttäuschung von damals zu unterdrücken. Es ging in dem Streit um Brussigs Erfahrung in der Nationalen Volksarmee der DDR, um – wie er sagt – „eine Art biografische Hassfigur“ aus seinem Roman „Das gibts in keinem Russenfilm“ von 2015.
Brussig hatte seinen Kompaniechef Holger Bismark, ein „rotlackierter Faschist“, namentlich genannt, wogegen dieser beim Verlag protestierte. Nun waren die Justiziare dran. Nun ging es darum, ob der Name gestrichen werden müsse, könne, solle. Es ging um einen Eingriff in sein Buch. Brussig fühlte sich verraten. Letztlich ging es um einen Eingriff in sein Leben. Wenn man den Roman noch einmal aufschlägt und das Kapitel „Im Ozean von Scheiße“ liest, weiß man, warum Brussig auch heute noch sagt: „Da kannste nicht nachgeben.“ Man weiß, warum er emotional reagieren musste. Als diktaturverschonter Mensch weiß man das vielleicht nicht. Wenige Wochen nach dem Wechsel zu Wallstein jedenfalls gab es bei Fischer auch einen Wechsel. Siv Bublitz wurde als verlegerische Geschäftsführerin von Oliver Vogel abgelöst.
Also. Warum, will man wissen, schreibt ein erfolgreicher Romancier, dessen Aufstieg mit „Helden wie wir“ und „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ in den Neunzigerjahren begonnen hatte, warum schreibt ein gelernter Dramaturg und Drehbuchautor plötzlich ein Debattenbuch? Thomas Brussig erzählt, dass von „plötzlich“ gar nicht die Rede sein kann. Dass er an einem Roman gearbeitet habe, an einem Stoff, an dem er letztlich jedoch gescheitert sei. „An jeder Stelle kannst du ja scheitern“, sagt er, „aber du merkst es erst achtzig Seiten später.“
Um Apokalyptik sei es gegangen, um Weltuntergangsvorhersagen. Wie entstehen sie? Wie verschwinden sie? Was hinterlassen sie? Am Ende aber, sagt Thomas Brussig, „ist es mir nicht gelungen, diesen ideologischen Kosmos zu literarisieren“, eine Hauptfigur zu schaffen, „die man glaubt und die einem Spaß macht.“ Die Zähne habe er sich daran ausgebissen. Er nennt seinen Romantorso „das liegen gebliebene Buch“. Mit großer Offenheit spricht er über das Scheitern, über das, was nicht gelingt, über das Suchen und Tasten, das nie aufhört, ohne das Literatur nicht entstehen kann. In diesem Jahr übrigens, also 24 Jahre nach Erscheinen des Bestsellers „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“, ist das Buch auch in den USA auf den Markt gekommen, übersetzt von Jonathan Franzen, mit „unglaublicher Akribie“, wie Brussig sagt. Er fühle sich erkannt, verstanden. Die beiden sind befreundet, und zusammen haben sie im Frühjahr eine Lesereise gemacht. Chicago, Milwaukee, San Francisco.
Er sitzt im ersten Stock seines Hauses. Ein runder Tisch vor der Durchreiche zur Küche, zu Füßen Chicca, die Hündin der Tochter. Auf dem Tisch eine große, allem Anschein nach täglich benutzte Plaste(!)flasche mit selbstgemachtem Eistee. All das, was er sich an Gedanken zum Thema Apokalyptik gemacht hatte – das war ja da. Bei Recherchen für einen Roman werde man zum Experten, sagt er, das sei ja das Schöne, und so habe er sich entschieden, das Wissen, sein Nachdenken nicht einfach wegzuwerfen, sondern in eine „unliterarische Form“ zu gießen.
Thomas Brussig, 1964 in Ostberlin geboren, wählt als Ausgangspunkt seine eigenen Apokalypsen, die Bedrohungen und Ängste also, die ihn seit der Pubertät den Schlaf gekostet haben, angefangen vom atomaren Wettrüsten und dem drohenden Atomkrieg über AIDS, das Ozonloch, die Weltfinanzkrise 2008, Covid, um nur einige zu nennen. Diese selbst erlebten Weltuntergangsbedrohungen seziert er nun nacheinander, betreibt „apokalyptische Analyse“, an deren Ende immer die Frage steht: War die Angst berechtigt?
Den breitesten Raum der „selbsterlebten Apokalypsen“ nimmt die Angst vor dem „atomaren Armageddon“ ein, die Brussigs Leben bis 1989 prägte. Das Aufwachsen in der Verhärtung, im Blockdenken. Der Westen und der Osten, die sich feindlich gegenüberstehen. Doch dann kommt ein Michail Gorbatschow und bringt das Starre in Bewegung. 1989 fällt die Mauer. „Die Angst vor einem Weltkrieg hatte sich erledigt“, schreibt Thomas Brussig. Das völlig Unmögliche geschieht. Wer heute an die Zukunft denkt, habe Angst vor der „Klimaapokalypse“. Aber was heißt das eigentlich genau? Tragen wir Menschen längst eine „Apokalypsen-Brille“, die uns verdammt, zum Beispiel „jedes Wetterereignis in die apokalyptische Erzählung einzupassen?“, fragt er.
Brussig will nüchtern und ohne Polemik dem „Alarmismus“ auf die Spur kommen, ohne auch nur an einer Stelle zu verharmlosen. „Der Klimawandel sitzt bei uns auf dem Sofa“, sagt er, „er ist da.“ Er sei nicht kontrollierbar und nicht umkehrbar. Seine Folgen seien aber „deshalb nicht zwingend katastrophal.“ Und damit ist er bei der wichtigsten Frage, nämlich der, was der Mensch tun kann. „Ich will einen neuen Blick auf ein bekanntes Thema“, sagt Thomas Brussig, eine andere Zielrichtung in der Diskussion um den Klimawandel. Zum Beispiel? „Ein vernünftiges Klimaziel wäre: null Klimatote – und nicht null Emissionen.“
Ihm geht es um diese Fixierung auf die Null. Null Klimatote – das sei erreichbarer als null Emissionen. Im großen Weltendrama des Klimawandels könne mit einem erreichbaren Ziel vor Augen jedes Land, jede Stadt, jeder Landkreis individuell reagieren, das richtige Maß finden. „Wenn wir den Fokus ändern“, sagt er, „dann habe ich Hoffnung, dann macht mir der Klimawandel keine Angst mehr.“ Angst und Verzweiflung seien es, die vor allem junge Menschen zum Protest trieben. „Wenn ich jetzt jung wäre, dann wäre ich sicher auch bei den Klimaklebern dabei“, sagt Thomas Brussig.
Doch mit seiner Lebenserfahrung, dem „Aufwachsen in Zukunftsangst“, möchte er den jungen Menschen heute eine „Botschaft“ mitgeben: „Hey, es kann ja auch gut ausgehen! Vielleicht kriegen wir die Kurve. Meine Theorie ist, dass die heute Zwanzigjährigen einfach nur zu beneiden sind um das tolle Leben, das vor ihnen liegt.“ Ja, Thomas Brussig meint das genau so. Er wirkt nicht, als rede er sich Zuversicht ein. Er ist zuversichtlich. „Wir haben mehr Angst als wir müssten.“
Seine fundierte Apokalypsenanalyse hat ergeben, dass „die Diagnosen zwar meistens stimmen, die Prognosen aber nicht.“ Und wieder landet man in diesem Gespräch im Herbst 1989, als die DDR-Bürger die Mauer zu Fall brachten, den Kalten Krieg beendeten und mit ihm das atomare Wettrüsten, was ernsthaft kein Mensch zu prognostizieren gewagt hätte. Bei der Lesereise mit Jonathan Franzen in den USA sei ihm klar geworden, welche Zumutung „The short end of the Sonnenallee“ für die US-Amerikaner sein müsse, sagt Brussig. „Die haben ja janz schön reinjebuttert in den Kalten Krieg, und nun, vierunddreißig Jahre nach dessen Ende, müssen sie lesen, wie lustig das doch alles gewesen ist.“
Aber „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ erzähle ja nicht von der Wirklichkeit der DDR, sondern von der Wirklichkeit des Erinnerns. Franzen und er hätten das dem Publikum immer wieder deutlich machen müssen. „Der Mensch ist ein nostalgisches Wesen“, sagt Thomas Brussig, „und egal, wie die Vergangenheit war, in der Erinnerung wird sie schön.“ Auch das ein Satz, der sich gegen Weltuntergangsängste stemmt.
Er will dem „Alarmismus“
auf die Spur kommen,
ohne zu verharmlosen
Thomas Brussig:
Meine Apokalypsen.
Warum wir hoffen dürfen. Wallstein Verlag,
Göttingen 2023.
181 Seiten, 18 Euro.
Der Walfänger Pequod aus Hermann Melvilles Roman „Moby Dick“, von der KI in etwa nach Paul Klee entworfen.
Foto: midjourney/Florian Gmach
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keine Angst
Der Schriftsteller Thomas Brussig hat ein
Debattenbuch zur Klimakrise geschrieben.
Ein Besuch in Berlin
VON RENATE MEINHOF
Nein, nach Weltuntergang sieht der Tiergarten nicht aus, durch den man radelt an diesem Morgen, um Thomas Brussig zu besuchen, der in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs wohnt. Tiefgrün die Wiesen, üppig belaubt noch Bäume und Büsche, so viel hat es geregnet die letzten Wochen. Geschüttet hat es, könnte man sagen. Sintflutartig stürzte an manchen Tagen das Wasser vom Himmel, und wenn man über die Sintflut, diesen Urmythos göttlichen Vernichtungswillens, aber eben auch göttlicher Einsicht, Umkehr und Gnade nachdenkt, steht man fast schon vor Thomas Brussigs Haus – und ist fast schon beim Thema seines neuen Buches.
„Meine Apokalypsen. Warum wir hoffen dürfen“, heißt es, kein Roman, nein, ein „Debattenbuch“ hat er geschrieben, so steht es auf dem Einband. Fein, klug, manchmal witzig sind diese 181 Seiten geraten, die sich mit spielerischer Beweglichkeit der Gedanken gegen Verzweiflung und Aussichtslosigkeit stellen wollen, die uns angesichts der Klimakrise, der „Klimaapokalypse“ zu erwürgen drohen.
Bei Wallstein ist das Buch erschienen. Vor gut einem Jahr nämlich hat Thomas Brussig unter einigem öffentlichem Aufruhr den S. Fischer-Verlag verlassen, aber „alles andere als eine Schlammschlacht“ sei das aber gewesen, sagt er heute, ohne seine Enttäuschung von damals zu unterdrücken. Es ging in dem Streit um Brussigs Erfahrung in der Nationalen Volksarmee der DDR, um – wie er sagt – „eine Art biografische Hassfigur“ aus seinem Roman „Das gibts in keinem Russenfilm“ von 2015.
Brussig hatte seinen Kompaniechef Holger Bismark, ein „rotlackierter Faschist“, namentlich genannt, wogegen dieser beim Verlag protestierte. Nun waren die Justiziare dran. Nun ging es darum, ob der Name gestrichen werden müsse, könne, solle. Es ging um einen Eingriff in sein Buch. Brussig fühlte sich verraten. Letztlich ging es um einen Eingriff in sein Leben. Wenn man den Roman noch einmal aufschlägt und das Kapitel „Im Ozean von Scheiße“ liest, weiß man, warum Brussig auch heute noch sagt: „Da kannste nicht nachgeben.“ Man weiß, warum er emotional reagieren musste. Als diktaturverschonter Mensch weiß man das vielleicht nicht. Wenige Wochen nach dem Wechsel zu Wallstein jedenfalls gab es bei Fischer auch einen Wechsel. Siv Bublitz wurde als verlegerische Geschäftsführerin von Oliver Vogel abgelöst.
Also. Warum, will man wissen, schreibt ein erfolgreicher Romancier, dessen Aufstieg mit „Helden wie wir“ und „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ in den Neunzigerjahren begonnen hatte, warum schreibt ein gelernter Dramaturg und Drehbuchautor plötzlich ein Debattenbuch? Thomas Brussig erzählt, dass von „plötzlich“ gar nicht die Rede sein kann. Dass er an einem Roman gearbeitet habe, an einem Stoff, an dem er letztlich jedoch gescheitert sei. „An jeder Stelle kannst du ja scheitern“, sagt er, „aber du merkst es erst achtzig Seiten später.“
Um Apokalyptik sei es gegangen, um Weltuntergangsvorhersagen. Wie entstehen sie? Wie verschwinden sie? Was hinterlassen sie? Am Ende aber, sagt Thomas Brussig, „ist es mir nicht gelungen, diesen ideologischen Kosmos zu literarisieren“, eine Hauptfigur zu schaffen, „die man glaubt und die einem Spaß macht.“ Die Zähne habe er sich daran ausgebissen. Er nennt seinen Romantorso „das liegen gebliebene Buch“. Mit großer Offenheit spricht er über das Scheitern, über das, was nicht gelingt, über das Suchen und Tasten, das nie aufhört, ohne das Literatur nicht entstehen kann. In diesem Jahr übrigens, also 24 Jahre nach Erscheinen des Bestsellers „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“, ist das Buch auch in den USA auf den Markt gekommen, übersetzt von Jonathan Franzen, mit „unglaublicher Akribie“, wie Brussig sagt. Er fühle sich erkannt, verstanden. Die beiden sind befreundet, und zusammen haben sie im Frühjahr eine Lesereise gemacht. Chicago, Milwaukee, San Francisco.
Er sitzt im ersten Stock seines Hauses. Ein runder Tisch vor der Durchreiche zur Küche, zu Füßen Chicca, die Hündin der Tochter. Auf dem Tisch eine große, allem Anschein nach täglich benutzte Plaste(!)flasche mit selbstgemachtem Eistee. All das, was er sich an Gedanken zum Thema Apokalyptik gemacht hatte – das war ja da. Bei Recherchen für einen Roman werde man zum Experten, sagt er, das sei ja das Schöne, und so habe er sich entschieden, das Wissen, sein Nachdenken nicht einfach wegzuwerfen, sondern in eine „unliterarische Form“ zu gießen.
Thomas Brussig, 1964 in Ostberlin geboren, wählt als Ausgangspunkt seine eigenen Apokalypsen, die Bedrohungen und Ängste also, die ihn seit der Pubertät den Schlaf gekostet haben, angefangen vom atomaren Wettrüsten und dem drohenden Atomkrieg über AIDS, das Ozonloch, die Weltfinanzkrise 2008, Covid, um nur einige zu nennen. Diese selbst erlebten Weltuntergangsbedrohungen seziert er nun nacheinander, betreibt „apokalyptische Analyse“, an deren Ende immer die Frage steht: War die Angst berechtigt?
Den breitesten Raum der „selbsterlebten Apokalypsen“ nimmt die Angst vor dem „atomaren Armageddon“ ein, die Brussigs Leben bis 1989 prägte. Das Aufwachsen in der Verhärtung, im Blockdenken. Der Westen und der Osten, die sich feindlich gegenüberstehen. Doch dann kommt ein Michail Gorbatschow und bringt das Starre in Bewegung. 1989 fällt die Mauer. „Die Angst vor einem Weltkrieg hatte sich erledigt“, schreibt Thomas Brussig. Das völlig Unmögliche geschieht. Wer heute an die Zukunft denkt, habe Angst vor der „Klimaapokalypse“. Aber was heißt das eigentlich genau? Tragen wir Menschen längst eine „Apokalypsen-Brille“, die uns verdammt, zum Beispiel „jedes Wetterereignis in die apokalyptische Erzählung einzupassen?“, fragt er.
Brussig will nüchtern und ohne Polemik dem „Alarmismus“ auf die Spur kommen, ohne auch nur an einer Stelle zu verharmlosen. „Der Klimawandel sitzt bei uns auf dem Sofa“, sagt er, „er ist da.“ Er sei nicht kontrollierbar und nicht umkehrbar. Seine Folgen seien aber „deshalb nicht zwingend katastrophal.“ Und damit ist er bei der wichtigsten Frage, nämlich der, was der Mensch tun kann. „Ich will einen neuen Blick auf ein bekanntes Thema“, sagt Thomas Brussig, eine andere Zielrichtung in der Diskussion um den Klimawandel. Zum Beispiel? „Ein vernünftiges Klimaziel wäre: null Klimatote – und nicht null Emissionen.“
Ihm geht es um diese Fixierung auf die Null. Null Klimatote – das sei erreichbarer als null Emissionen. Im großen Weltendrama des Klimawandels könne mit einem erreichbaren Ziel vor Augen jedes Land, jede Stadt, jeder Landkreis individuell reagieren, das richtige Maß finden. „Wenn wir den Fokus ändern“, sagt er, „dann habe ich Hoffnung, dann macht mir der Klimawandel keine Angst mehr.“ Angst und Verzweiflung seien es, die vor allem junge Menschen zum Protest trieben. „Wenn ich jetzt jung wäre, dann wäre ich sicher auch bei den Klimaklebern dabei“, sagt Thomas Brussig.
Doch mit seiner Lebenserfahrung, dem „Aufwachsen in Zukunftsangst“, möchte er den jungen Menschen heute eine „Botschaft“ mitgeben: „Hey, es kann ja auch gut ausgehen! Vielleicht kriegen wir die Kurve. Meine Theorie ist, dass die heute Zwanzigjährigen einfach nur zu beneiden sind um das tolle Leben, das vor ihnen liegt.“ Ja, Thomas Brussig meint das genau so. Er wirkt nicht, als rede er sich Zuversicht ein. Er ist zuversichtlich. „Wir haben mehr Angst als wir müssten.“
Seine fundierte Apokalypsenanalyse hat ergeben, dass „die Diagnosen zwar meistens stimmen, die Prognosen aber nicht.“ Und wieder landet man in diesem Gespräch im Herbst 1989, als die DDR-Bürger die Mauer zu Fall brachten, den Kalten Krieg beendeten und mit ihm das atomare Wettrüsten, was ernsthaft kein Mensch zu prognostizieren gewagt hätte. Bei der Lesereise mit Jonathan Franzen in den USA sei ihm klar geworden, welche Zumutung „The short end of the Sonnenallee“ für die US-Amerikaner sein müsse, sagt Brussig. „Die haben ja janz schön reinjebuttert in den Kalten Krieg, und nun, vierunddreißig Jahre nach dessen Ende, müssen sie lesen, wie lustig das doch alles gewesen ist.“
Aber „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ erzähle ja nicht von der Wirklichkeit der DDR, sondern von der Wirklichkeit des Erinnerns. Franzen und er hätten das dem Publikum immer wieder deutlich machen müssen. „Der Mensch ist ein nostalgisches Wesen“, sagt Thomas Brussig, „und egal, wie die Vergangenheit war, in der Erinnerung wird sie schön.“ Auch das ein Satz, der sich gegen Weltuntergangsängste stemmt.
Er will dem „Alarmismus“
auf die Spur kommen,
ohne zu verharmlosen
Thomas Brussig:
Meine Apokalypsen.
Warum wir hoffen dürfen. Wallstein Verlag,
Göttingen 2023.
181 Seiten, 18 Euro.
Der Walfänger Pequod aus Hermann Melvilles Roman „Moby Dick“, von der KI in etwa nach Paul Klee entworfen.
Foto: midjourney/Florian Gmach
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»Ein Plädoyer gegen die Panik, für eine kreative Zuversicht und den ökologischen Fortschritt.« (Andreas Pfeifer, ORF ZIB, 30.08.2023) »Fein, klug, manchmal witzig sind diese 181 Seiten geraten, die sich mit spielerischer Beweglichkeit der Gedanken gegen Verzweiflung und Aussichtslosigkeit stellen wollen (...). (E)ine fundierte Apokalypsenanalyse« (Renate Meinhof, Süddeutsche Zeitung, 14.10.2023) »ein origineller Zwischenruf in die aktuellen Debatten und eine Einladung zu Gelassenheit« (Cornelia Geißler, Berliner Zeitung, 13.12.2023) »Thomas Brussig warnt vor Hysterie und Panikmache, ohne die Krise zu banalisieren oder zu leugnen.« (Thomas Kopietz, HNA, 19.12.2023)