Endlich. Endlich haben wir hier jene Auswahl aus Alois Brandstetters Büchern mit kürzeren Texten, zu der der Autor sagt: Das sind meine besten Geschichten. Tatsächlich hat er ja schon eine ganze Menge geschrieben, und natürlich ist alles gut. Aber einiges ist eben doch das Beste, und das findet man in diesem Buch. Es gibt zugleich einen Querschnitt und Überblick über die vielfältigen erzählerischen Möglichkeiten dieses Autors von seiner ersten Buchpublikation vor bald drei Jahrzehnten an. Es ist dadurch auch ein idealer Einstieg für alle jene, die immer noch nichts von Alois Brandstetter gelesen haben - falls es so jemanden überhaupt gibt. Es wird versprochen, dass es immer ein Vergnügen ist, diesen Autor zu lesen, auch wenn er uns - was ja gelegentlich vorkommt - einmal nicht zum Lachen, sondern zum Nachdenken bringen will.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.1999Aus den hinteren Reihen
Der Kurzprosaleisten: Alois Brandstetter in seinen "Geschichten"
Wenn auf dem Glatteis des Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs die jungen Talente ihre Kür vorführen, Pirouetten drehen und Sprünge und Stürze riskieren, dann betrachtet gewiß einer das Buhlen um die Gunst der Juroren aus skeptischer Distanz: der Schriftsteller Alois Brandstetter, Professor für Deutsche Philologie an der Universität Klagenfurt. Als junger Autor hätte er am Schaulaufen des Nachwuchses vor den Fernsehkameras kaum teilgenommen, und bestimmt hätte er nie und nimmer den Wettkampf bis aufs Blut geführt wie im Sommer 1957 der rasierklingenbewaffnete Rainald Goetz. Denn Alois Brandstetter, Sohn eines Mühlenbesitzers im oberösterreichischen Aichmühl und konservativ erzogen, ist zeitlebens bemüht gewesen, seine geistige Contenance zu bewahren.
Daß aber die Literaturshow schon älteren Datums ist, daran erinnert einer der Texte im Auswahlband "Meine besten Geschichten", den der sechzigjährige Brandstetter jetzt herausgegeben hat. Da berichtet er von einer sensationellen Lesung des Dichters seiner Kindheit und frühen Jugend, Karl Heinrich Waggerl, in der Wiener Stadthalle, die er 1957 als Student besuchte. "Tausende drängten sich an den Kassen", bis kurz vor Mitternacht mußte Waggerl signieren. Der Volksdichter ein Magnet der Massen wie die Popsänger!
Stellt Brandstetter den gefeierten Heimatdichter Waggerl voll ins Rampenlicht, so postiert er sich selbst auf den hinteren Brettern der Literaturbühne. Solche Uneitelkeit ist erfrischend. Bei seinen eigenen Lesungen in Südtirol gelingt es ihm einfach nicht, aus dem Ruhmesschatten des Bergsteigers Reinhold Messner herauszutreten. Bei seiner Lesung in Meran ist Messner gerade von einem Achttausender des Himalaja zurückgekehrt; Jahre später, als Brandstetter zur Lesung nach Kastelruth führt, rüstet sich das Land an Etsch und Eisack erneut zu einem Empfang des Berghelden. Messners neuer Höhenrekord beschert ihm einen Minusrekord: ganze fünf Zuhörer haben sich eingefunden - drei davon sind auch noch Urlauber aus Neuwied am Rhein.
Brandstetter ist spätestens seit seinem zweiten Roman, "Die Abtei" (1977), als Romanautor bekannt. Ihm gewährt, wie er sagt, das "Kurzprosaschreiben . . . so etwas wie ein Ausrasten" nach den Mühen der Arbeit an umfangreicheren Büchern. Aber nicht von ungefähr kommt sein Lob einer Kurzprosa, in der die Wörter "ihre ganze semantische Kraft und ihren Beziehungsreichtum" zu entfalten haben. Man muß nicht unbedingt jener Kritikermeinung applaudieren, die Brandstetter zitiert: "Schuster, bleib bei deinem Kurzprosaleisten". Doch verführt die Kurzprosa nicht wie der Roman zu großen erzählerischen Umwegen, und so findet Brandstetters Fähigkeit zu pointierender Darstellung hier ihr eigentliches Feld.
Seine "Geschichten" sind keine Kurzfassungen von Handlungsnovellen, in denen sich alles um das "unerhörte Ereignis" dreht. Es überwiegt ein unaufgeregtes Erzählen, und es ist von einiger Folgerichtigkeit, daß dieser österreichische Autor den norddeutschen Wilhelm-Raabe-Preis erhielt. Brandstetters Stärke zeigt sich in der Reflexionserzählung, wobei Reflexion nichts mit Langweiligkeit zu tun hat. Wie niemand sonst versteht er es, Etymologie unterhaltsam zu machen. Dem Schriftsteller kommt der Philologe zur Hilfe. Wer heute "Kummer abladen" sagt, denkt gewiß nicht daran, daß "kumber" im Mittelhochdeutschen soviel wie "Schutt, Belastung, Müll" und erst in zweiter Linie "Mühsal, Not, Gram" bedeutete. Semantisch verblaßt ist das konkret Dingliche, übriggeblieben das Psychische; wir sagen "Mülltonne", aber nicht "Kummertonne".
Solche Belehrung wird immer im Ton des Humoristen vorgetragen. Der auch die eigene Person belächelnde Humor herrscht vor allem in den autobiographischen Geschichten vor, die einen großen Teil des Sammelbandes ausmachen. Mit dem "Waldbauernbub" Roseggers teilt der "Müllerbub" so manche Kindheitserfahrung, bis sich die Türen des bischöflichen Internats in Urfahr hinter ihm schließen. Wenn Brandstetter den Bogen vom "Katzenpuffer", der das Bevölkerungswachstum der Haustiere eindämmt, zum "Sauschneider" und "Schlächter" schlägt und zu der Geschichte, in der er Hitler beim Besuch der Wiener Bordellgasse sagen läßt: "Ein Katzenpuffer muß her", dann streift der Humor das Groteske.
Als er noch Ministrant war, so erzählt Brandstetter, wollte er Papst werden. Die Sache zerschlug sich schon mit dem vorzeitigen Abgang vom bischöflichen Internat. "Ex cathedra" kann er nicht sprechen. Aufs Katheder ist er trotzdem gelangt. Linguistische Begriffe wie Konnotation und Denotation fädeln sich wie selbstverständlich in seinen Redefluß ein, ohne daß die Texte jemals den Eindruck einer Kathederprosa erwecken. Wohl aber läßt sich Brandstetter das Recht des Sprachkritikers nicht beschneiden. So etwa im Text "Von den Jagdunfällen", in dem Verbrämungen der Jägersprache aufgespießt werden, Wendungen wie die Ergebnismeldung "Achtzig Fasane, dreißig Hasen und ein Treiber", "Er hat einen Bock geschossen" oder "Freiwild". In solchen Texten wird Brandstetter selbst zum Jäger: Hinter dem Philologen lauert der Satiriker. WALTER HINCK
Alois Brandstetter: "Meine besten Geschichten". Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1999. 205 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Kurzprosaleisten: Alois Brandstetter in seinen "Geschichten"
Wenn auf dem Glatteis des Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs die jungen Talente ihre Kür vorführen, Pirouetten drehen und Sprünge und Stürze riskieren, dann betrachtet gewiß einer das Buhlen um die Gunst der Juroren aus skeptischer Distanz: der Schriftsteller Alois Brandstetter, Professor für Deutsche Philologie an der Universität Klagenfurt. Als junger Autor hätte er am Schaulaufen des Nachwuchses vor den Fernsehkameras kaum teilgenommen, und bestimmt hätte er nie und nimmer den Wettkampf bis aufs Blut geführt wie im Sommer 1957 der rasierklingenbewaffnete Rainald Goetz. Denn Alois Brandstetter, Sohn eines Mühlenbesitzers im oberösterreichischen Aichmühl und konservativ erzogen, ist zeitlebens bemüht gewesen, seine geistige Contenance zu bewahren.
Daß aber die Literaturshow schon älteren Datums ist, daran erinnert einer der Texte im Auswahlband "Meine besten Geschichten", den der sechzigjährige Brandstetter jetzt herausgegeben hat. Da berichtet er von einer sensationellen Lesung des Dichters seiner Kindheit und frühen Jugend, Karl Heinrich Waggerl, in der Wiener Stadthalle, die er 1957 als Student besuchte. "Tausende drängten sich an den Kassen", bis kurz vor Mitternacht mußte Waggerl signieren. Der Volksdichter ein Magnet der Massen wie die Popsänger!
Stellt Brandstetter den gefeierten Heimatdichter Waggerl voll ins Rampenlicht, so postiert er sich selbst auf den hinteren Brettern der Literaturbühne. Solche Uneitelkeit ist erfrischend. Bei seinen eigenen Lesungen in Südtirol gelingt es ihm einfach nicht, aus dem Ruhmesschatten des Bergsteigers Reinhold Messner herauszutreten. Bei seiner Lesung in Meran ist Messner gerade von einem Achttausender des Himalaja zurückgekehrt; Jahre später, als Brandstetter zur Lesung nach Kastelruth führt, rüstet sich das Land an Etsch und Eisack erneut zu einem Empfang des Berghelden. Messners neuer Höhenrekord beschert ihm einen Minusrekord: ganze fünf Zuhörer haben sich eingefunden - drei davon sind auch noch Urlauber aus Neuwied am Rhein.
Brandstetter ist spätestens seit seinem zweiten Roman, "Die Abtei" (1977), als Romanautor bekannt. Ihm gewährt, wie er sagt, das "Kurzprosaschreiben . . . so etwas wie ein Ausrasten" nach den Mühen der Arbeit an umfangreicheren Büchern. Aber nicht von ungefähr kommt sein Lob einer Kurzprosa, in der die Wörter "ihre ganze semantische Kraft und ihren Beziehungsreichtum" zu entfalten haben. Man muß nicht unbedingt jener Kritikermeinung applaudieren, die Brandstetter zitiert: "Schuster, bleib bei deinem Kurzprosaleisten". Doch verführt die Kurzprosa nicht wie der Roman zu großen erzählerischen Umwegen, und so findet Brandstetters Fähigkeit zu pointierender Darstellung hier ihr eigentliches Feld.
Seine "Geschichten" sind keine Kurzfassungen von Handlungsnovellen, in denen sich alles um das "unerhörte Ereignis" dreht. Es überwiegt ein unaufgeregtes Erzählen, und es ist von einiger Folgerichtigkeit, daß dieser österreichische Autor den norddeutschen Wilhelm-Raabe-Preis erhielt. Brandstetters Stärke zeigt sich in der Reflexionserzählung, wobei Reflexion nichts mit Langweiligkeit zu tun hat. Wie niemand sonst versteht er es, Etymologie unterhaltsam zu machen. Dem Schriftsteller kommt der Philologe zur Hilfe. Wer heute "Kummer abladen" sagt, denkt gewiß nicht daran, daß "kumber" im Mittelhochdeutschen soviel wie "Schutt, Belastung, Müll" und erst in zweiter Linie "Mühsal, Not, Gram" bedeutete. Semantisch verblaßt ist das konkret Dingliche, übriggeblieben das Psychische; wir sagen "Mülltonne", aber nicht "Kummertonne".
Solche Belehrung wird immer im Ton des Humoristen vorgetragen. Der auch die eigene Person belächelnde Humor herrscht vor allem in den autobiographischen Geschichten vor, die einen großen Teil des Sammelbandes ausmachen. Mit dem "Waldbauernbub" Roseggers teilt der "Müllerbub" so manche Kindheitserfahrung, bis sich die Türen des bischöflichen Internats in Urfahr hinter ihm schließen. Wenn Brandstetter den Bogen vom "Katzenpuffer", der das Bevölkerungswachstum der Haustiere eindämmt, zum "Sauschneider" und "Schlächter" schlägt und zu der Geschichte, in der er Hitler beim Besuch der Wiener Bordellgasse sagen läßt: "Ein Katzenpuffer muß her", dann streift der Humor das Groteske.
Als er noch Ministrant war, so erzählt Brandstetter, wollte er Papst werden. Die Sache zerschlug sich schon mit dem vorzeitigen Abgang vom bischöflichen Internat. "Ex cathedra" kann er nicht sprechen. Aufs Katheder ist er trotzdem gelangt. Linguistische Begriffe wie Konnotation und Denotation fädeln sich wie selbstverständlich in seinen Redefluß ein, ohne daß die Texte jemals den Eindruck einer Kathederprosa erwecken. Wohl aber läßt sich Brandstetter das Recht des Sprachkritikers nicht beschneiden. So etwa im Text "Von den Jagdunfällen", in dem Verbrämungen der Jägersprache aufgespießt werden, Wendungen wie die Ergebnismeldung "Achtzig Fasane, dreißig Hasen und ein Treiber", "Er hat einen Bock geschossen" oder "Freiwild". In solchen Texten wird Brandstetter selbst zum Jäger: Hinter dem Philologen lauert der Satiriker. WALTER HINCK
Alois Brandstetter: "Meine besten Geschichten". Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1999. 205 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main