Produktdetails
- Verlag: Das Neue Berlin / Eulenspiegel
- Seitenzahl: 271
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 450g
- ISBN-13: 9783360009517
- ISBN-10: 3360009517
- Artikelnr.: 24586331
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2002Geordneter Rückzug
Der frühere SED-Oberbürgermeister Berghofer erinnert sich an seine Dresdner Jahre
Wolfgang Berghofer: Meine Dresdner Jahre. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001. 217 Seiten, 17,50 Euro.
Etliche Monate galt Wolfgang Berghofer als Kandidat für das Oberbürgermeisteramt in Dresden, wo er von 1986 bis 1990 namens der Staatspartei SED "regiert" hatte. Bis in die schütter gewordenen bürgerlichen Kreise der Stadt hinein genoß er erhebliche Popularität. Vom Typus her dem Bild des "Machers" nicht unähnlich, stach er ab von dem oftmals als zaghaft erscheinenden Auftritt des Oberbürgermeisters Herbert Wagner (CDU), der von der Bürgerbewegung in die Politik geraten war. Die Mehrheit der wählenden Dresdner Bevölkerung entschied sich für den Kandidaten Rossberg, der als FDP-Mann präsentiert wurde von einem überaus bunten Bündnis, das von Teilen der FDP bis zur PDS reichte und das über nichts anderes einig zu sein schien als darüber, daß Wagner abgewählt werden solle.
Berghofer entschloß sich zur Kandidatur - spät, wahrscheinlich zu spät: in der Zweiwochenfrist zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang. Seine Chancen beruhten auf einer in der Dresdner Bevölkerung wachen Erinnerung daran, daß er in der zu Ende gehenden Zeit der SED eine eigenständige Stadtpolitik betrieben hatte, sich mehr für Dresden als für den "Aufbau des Sozialismus" eingesetzt hatte. Sogar den Führungsprinzipien der SED hatte er sich als Oberbürgermeister widersetzt, indem er gebündelte Eingaben nicht der Nichtbeachtung anheimgab, sondern maßvoll auf sie einging. So erscheint er bis heute in den Augen traditionsbewußter Dresdner als einer, der wenigstens einen Rest des Alten, soweit es nicht den alliierten Bomben und dann der Planierwut der SED zum Opfer gefallen war, zu bewahren geholfen hat.
Doch sein Wechsel zwischen "vielleicht, möglicherweise doch, wahrscheinlich nicht" bei der Kandidatur 2001 bekam schließlich groteske Züge. Das zeigt sich darin, daß die absurde Absicht aufkam, eine Kandidatur Berghofers werde von der CDU angezettelt, um Rossberg die Chance des Erfolges zu nehmen. Berghofers Buch, lange angekündigt, geriet in den Wirbel um seine Kandidatur, und es war unklar, ob es als Teil einer Wahlkampagne gelten sollte, wofür etwas angeklebt wirkende Passagen sprechen, die eine Art Programm für Dresden enthalten, "für ein Dresden, das seinen Platz in Europa glanzvoll neu besetzt".
In der DDR wurde man nicht von den Stadtverordneten oder gar den Bürgern zum Oberbürgermeister gewählt. Das Zentralkomitee der SED entschloß sich, den Funktionär Berghofer, der in der Jugendorganisation FDJ einen höheren Rang bekleidet hatte, dort aber als gestandener Mann nicht mehr recht am Platze zu sein schien, "nach Dresden zu schicken". Berghofer, geboren 1943 in Bautzen, hatte die sorgsam kanalisierten Bildungschancen in der DDR genutzt, bis zu einem Fernstudium der Geschichte. Als hauptamtlicher Funktionär hatte er die Listen kennengelernt, mit denen man sich auch in einer scheinbar monolithischen Partei wie der SED seinen Weg bahnen konnte.
Berghofer zeichnet ein Bild von sich selbst als das eines Mannes, der unter Mühen erkannt habe, daß die ritualisierte Herrschaft der Funktionäre nicht mehr zu halten sei. Er bekennt, bis in die Zeit der Wende hinein an einen besseren Sozialismus geglaubt, eine reformierte DDR gewollt zu haben.
Eine Reihe von Personen führt Berghofer an, auch solche in einflußreichen Positionen der "volkseigenen" Industrie, mit denen er das geknüpft hatte, was im "Westen" ein Netzwerk genannt würde. In diesem Zusammenhang kommen die "Blockparteien" nicht vor, mit Ausnahme des Stadtrats Vieweger von der LDPD, des später letzten Bauministers der DDR. In der SED hatte Berghofer offenbar nur wenige Verbündete, in dem SED-Stadtchef Rainer Michel einen Gegner.
Als ein unzuverlässiger "Reform"-Bundesgenosse erscheint der Bezirksparteichef Modrow, der 1990 für kurze Zeit Ministerpräsident der DDR sein sollte. Modrow sei im tiefsten Inneren wohl für Veränderungen gewesen, aber seine Vorsicht hatte ihn gehindert, auch nur einen Schritt vor die sich offenkundig durchsetzende Entwicklung zu wagen. So erscheint es als folgerichtig, daß Modrow in der PDS, deren Ehrenvorsitzender er heute ist, als der "ehrliche Hans" Achtung genießt, aber keine maßgebliche Rolle spielt. Berghofer: "Er ließ viele seiner ihm Unterstellten allein. Auch mich."
Die Abkehr Berghofers von der Idee eines reformierten Sozialismus wird deutlich in seiner Kritik an der DDR. Die vielgerühmte Alltagssolidarität habe in "Zweckbündnissen zur Verteilung der Mangelware im eigenen Bekanntenkreis" bestanden. Die angestrebte "Gleichheitsgesellschaft" habe nicht funktionieren können, weil sie den Faulen mit dem Fleißigen über einen Kamm geschoren habe. Einige anschauliche Beispiele liefert Berghofer für die in der DDR herrschende "Cliquenwirtschaft", deren ungeachtet bis heute behauptet wird, in der DDR seien preußische Tugenden hochgehalten worden.
Die Erfahrungen als Oberbürgermeister haben Berghofer gelehrt, daß Eigentum an Grund und Boden - womit sich die mehr oder minder gewendeten kommunistischen Parteien besonders schwertun - unerläßlich sei. Und "Volkseigentum" heiße nichts anderes, als daß "alles niemandem" gehöre. In der Umbenennung der SED in PDS sieht Berghofer einen "faulen Kompromiß". Mithin erscheint es als folgerichtig, daß er bald nach dem Parteitag, auf dem sich die SED umbenannte und Berghofer mit großer Mehrheit zum Stellvertreter des damaligen Vorsitzenden Gysi wählte, aus der SED/PDS austrat. Damit hat er die offene Bühne der Politik verlassen und sie konsequent gemieden, abgesehen von dem kuriosen Kandidaten-Verwirrspiel im Spätfrühjahr 2001. Es scheint so, als habe es Berghofer mit der Scheu vor dem Anschein der Rückkehr eines "alten SED-Mannes" zu tun gehabt.
Berghofer erkennt die eigenen Fehler, hält nichts von Entschuldigungsorgien, wie sie heute verlangt werden. Kaum je blickt er zurück im Zorn - allenfalls, wenn ihm seine Tätigkeit als IM des Staatssicherheitsdienstes vorgehalten wird. Die habe von 1971 bis 1981 gedauert, sei für die Stasi unergiebig geblieben und lange vor der Berufung nach Dresden zu Ende gekommen. Berghofer sieht einen verbreiteten Fehler bei der Betrachtung der DDR darin, daß die entscheidende Rolle der SED in den Hintergrund gerückt werde gegenüber einem dämonisierten Staatssicherheitsdienst. Bitterkeit klingt an bei der - knappen - Schilderung des Strafverfahrens wegen Wahlfälschung, bezogen auf die Kommunalwahlen von 1989, das gegen ihn eingeleitet wurde. In der Tat: Überall in der DDR wurden die Wahlen gefälscht, Strafverfahren gab es nur wenige.
Im Prozeß vor dem damals noch so genannten Dresdner Bezirksgericht lag die Politik schon weit hinter Berghofer. Er trat zunächst in eine Stuttgarter Immobilienfirma ein, die sich sicherlich neben dem Organisationstalent Berghofers auch seiner Dresdner Ortskenntnisse bedienen wollte, machte sich später als Unternehmensberater selbständig. Vom Gericht in Dresden nach seinen Einkommensverhältnissen gefragt, antwortete er nicht ohne Selbstbewußtsein und wohl wahrheitsgemäß: "Geordnet." Man mag es bedauern, daß sein Lebensweg an der Stadt Dresden, die er kennt und liebt, schließlich vorbeigeführt hat.
FRIEDRICH KARL FROMME
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der frühere SED-Oberbürgermeister Berghofer erinnert sich an seine Dresdner Jahre
Wolfgang Berghofer: Meine Dresdner Jahre. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001. 217 Seiten, 17,50 Euro.
Etliche Monate galt Wolfgang Berghofer als Kandidat für das Oberbürgermeisteramt in Dresden, wo er von 1986 bis 1990 namens der Staatspartei SED "regiert" hatte. Bis in die schütter gewordenen bürgerlichen Kreise der Stadt hinein genoß er erhebliche Popularität. Vom Typus her dem Bild des "Machers" nicht unähnlich, stach er ab von dem oftmals als zaghaft erscheinenden Auftritt des Oberbürgermeisters Herbert Wagner (CDU), der von der Bürgerbewegung in die Politik geraten war. Die Mehrheit der wählenden Dresdner Bevölkerung entschied sich für den Kandidaten Rossberg, der als FDP-Mann präsentiert wurde von einem überaus bunten Bündnis, das von Teilen der FDP bis zur PDS reichte und das über nichts anderes einig zu sein schien als darüber, daß Wagner abgewählt werden solle.
Berghofer entschloß sich zur Kandidatur - spät, wahrscheinlich zu spät: in der Zweiwochenfrist zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang. Seine Chancen beruhten auf einer in der Dresdner Bevölkerung wachen Erinnerung daran, daß er in der zu Ende gehenden Zeit der SED eine eigenständige Stadtpolitik betrieben hatte, sich mehr für Dresden als für den "Aufbau des Sozialismus" eingesetzt hatte. Sogar den Führungsprinzipien der SED hatte er sich als Oberbürgermeister widersetzt, indem er gebündelte Eingaben nicht der Nichtbeachtung anheimgab, sondern maßvoll auf sie einging. So erscheint er bis heute in den Augen traditionsbewußter Dresdner als einer, der wenigstens einen Rest des Alten, soweit es nicht den alliierten Bomben und dann der Planierwut der SED zum Opfer gefallen war, zu bewahren geholfen hat.
Doch sein Wechsel zwischen "vielleicht, möglicherweise doch, wahrscheinlich nicht" bei der Kandidatur 2001 bekam schließlich groteske Züge. Das zeigt sich darin, daß die absurde Absicht aufkam, eine Kandidatur Berghofers werde von der CDU angezettelt, um Rossberg die Chance des Erfolges zu nehmen. Berghofers Buch, lange angekündigt, geriet in den Wirbel um seine Kandidatur, und es war unklar, ob es als Teil einer Wahlkampagne gelten sollte, wofür etwas angeklebt wirkende Passagen sprechen, die eine Art Programm für Dresden enthalten, "für ein Dresden, das seinen Platz in Europa glanzvoll neu besetzt".
In der DDR wurde man nicht von den Stadtverordneten oder gar den Bürgern zum Oberbürgermeister gewählt. Das Zentralkomitee der SED entschloß sich, den Funktionär Berghofer, der in der Jugendorganisation FDJ einen höheren Rang bekleidet hatte, dort aber als gestandener Mann nicht mehr recht am Platze zu sein schien, "nach Dresden zu schicken". Berghofer, geboren 1943 in Bautzen, hatte die sorgsam kanalisierten Bildungschancen in der DDR genutzt, bis zu einem Fernstudium der Geschichte. Als hauptamtlicher Funktionär hatte er die Listen kennengelernt, mit denen man sich auch in einer scheinbar monolithischen Partei wie der SED seinen Weg bahnen konnte.
Berghofer zeichnet ein Bild von sich selbst als das eines Mannes, der unter Mühen erkannt habe, daß die ritualisierte Herrschaft der Funktionäre nicht mehr zu halten sei. Er bekennt, bis in die Zeit der Wende hinein an einen besseren Sozialismus geglaubt, eine reformierte DDR gewollt zu haben.
Eine Reihe von Personen führt Berghofer an, auch solche in einflußreichen Positionen der "volkseigenen" Industrie, mit denen er das geknüpft hatte, was im "Westen" ein Netzwerk genannt würde. In diesem Zusammenhang kommen die "Blockparteien" nicht vor, mit Ausnahme des Stadtrats Vieweger von der LDPD, des später letzten Bauministers der DDR. In der SED hatte Berghofer offenbar nur wenige Verbündete, in dem SED-Stadtchef Rainer Michel einen Gegner.
Als ein unzuverlässiger "Reform"-Bundesgenosse erscheint der Bezirksparteichef Modrow, der 1990 für kurze Zeit Ministerpräsident der DDR sein sollte. Modrow sei im tiefsten Inneren wohl für Veränderungen gewesen, aber seine Vorsicht hatte ihn gehindert, auch nur einen Schritt vor die sich offenkundig durchsetzende Entwicklung zu wagen. So erscheint es als folgerichtig, daß Modrow in der PDS, deren Ehrenvorsitzender er heute ist, als der "ehrliche Hans" Achtung genießt, aber keine maßgebliche Rolle spielt. Berghofer: "Er ließ viele seiner ihm Unterstellten allein. Auch mich."
Die Abkehr Berghofers von der Idee eines reformierten Sozialismus wird deutlich in seiner Kritik an der DDR. Die vielgerühmte Alltagssolidarität habe in "Zweckbündnissen zur Verteilung der Mangelware im eigenen Bekanntenkreis" bestanden. Die angestrebte "Gleichheitsgesellschaft" habe nicht funktionieren können, weil sie den Faulen mit dem Fleißigen über einen Kamm geschoren habe. Einige anschauliche Beispiele liefert Berghofer für die in der DDR herrschende "Cliquenwirtschaft", deren ungeachtet bis heute behauptet wird, in der DDR seien preußische Tugenden hochgehalten worden.
Die Erfahrungen als Oberbürgermeister haben Berghofer gelehrt, daß Eigentum an Grund und Boden - womit sich die mehr oder minder gewendeten kommunistischen Parteien besonders schwertun - unerläßlich sei. Und "Volkseigentum" heiße nichts anderes, als daß "alles niemandem" gehöre. In der Umbenennung der SED in PDS sieht Berghofer einen "faulen Kompromiß". Mithin erscheint es als folgerichtig, daß er bald nach dem Parteitag, auf dem sich die SED umbenannte und Berghofer mit großer Mehrheit zum Stellvertreter des damaligen Vorsitzenden Gysi wählte, aus der SED/PDS austrat. Damit hat er die offene Bühne der Politik verlassen und sie konsequent gemieden, abgesehen von dem kuriosen Kandidaten-Verwirrspiel im Spätfrühjahr 2001. Es scheint so, als habe es Berghofer mit der Scheu vor dem Anschein der Rückkehr eines "alten SED-Mannes" zu tun gehabt.
Berghofer erkennt die eigenen Fehler, hält nichts von Entschuldigungsorgien, wie sie heute verlangt werden. Kaum je blickt er zurück im Zorn - allenfalls, wenn ihm seine Tätigkeit als IM des Staatssicherheitsdienstes vorgehalten wird. Die habe von 1971 bis 1981 gedauert, sei für die Stasi unergiebig geblieben und lange vor der Berufung nach Dresden zu Ende gekommen. Berghofer sieht einen verbreiteten Fehler bei der Betrachtung der DDR darin, daß die entscheidende Rolle der SED in den Hintergrund gerückt werde gegenüber einem dämonisierten Staatssicherheitsdienst. Bitterkeit klingt an bei der - knappen - Schilderung des Strafverfahrens wegen Wahlfälschung, bezogen auf die Kommunalwahlen von 1989, das gegen ihn eingeleitet wurde. In der Tat: Überall in der DDR wurden die Wahlen gefälscht, Strafverfahren gab es nur wenige.
Im Prozeß vor dem damals noch so genannten Dresdner Bezirksgericht lag die Politik schon weit hinter Berghofer. Er trat zunächst in eine Stuttgarter Immobilienfirma ein, die sich sicherlich neben dem Organisationstalent Berghofers auch seiner Dresdner Ortskenntnisse bedienen wollte, machte sich später als Unternehmensberater selbständig. Vom Gericht in Dresden nach seinen Einkommensverhältnissen gefragt, antwortete er nicht ohne Selbstbewußtsein und wohl wahrheitsgemäß: "Geordnet." Man mag es bedauern, daß sein Lebensweg an der Stadt Dresden, die er kennt und liebt, schließlich vorbeigeführt hat.
FRIEDRICH KARL FROMME
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Erinnerungen des Ehemaligen SED-Bürgermeisters von Dresden informieren über den Werdegang des Funktionärs der FDJ, seinen Glauben an einen besseren Sozialismus bis in die Wendezeit hinein, seine Erfahrungen in der SED und den Austritt nach der Umbenennung zur PDS, sowie über seine spätere kritische Haltung zur DDR, schreibt Rezensent Friedrich Karl Fromme. Der Autor erkenne die eigenen Fehler ohne in "Entschuldigungsorgien" zu verfallen, schreibt Fromme über den inzwischen als Unternehmensberater selbständigen Berghofer, der dem "Typus des Machers nicht unähnlich sei". Der Rezensent hält es für naheliegend, dass dieses Buch auch Teil der Wahlkampagne zur neuen aber erfolglosen Kandidatur im Jahre 2001 war, da einige "etwas angeklebt wirkende Passagen" eine Art Wahlprogramm für Dresden enthalten. Er bedauert es, dass Berghofer, der die Interessen der Stadt Dresden vor die der SED gestellt habe, nicht weiter für Dresden wirken konnte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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