Hans Frank, genannt "Der Schlächter von Polen", war Angeklagter im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, wo Tag für Tag die entsetzlichsten NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt wurden. Am 1. Oktober 1946 verurteilte das Gericht ihn zum Tod durch den Strang. Plötzlich waren die Franks herausgerissen aus Reichtum und Selbstherrlichkeit, in Armut und Verachtung gestürzt. Wie ging die Familie damit um? Und wie ging der daran Hauptschuldige Hans Frank damit um? Erstmals wird durch seinen Sohn Niklas die private Seite dieses Prozesses aufgezeigt, der die Weltgerichtsbarkeit auf eine neue Stufe stellte.Dieses Buch enthält den einzigartigen Briefverkehr zwischen der Gefängniszelle 15 in Nürnberg und den "Lieben daheim". Es zeigt der Welt, wie verlogen, sentimental, berechnend, kalt, grausig, aber auch liebevoll, verzweifelt, grotesk und auf schaurige Weise komisch Hans, Brigitte und ihre gemeinsamen fünf Kinder, dazu Omas, Opas und sonstige Verwandte mit den Folgen des Holocausts umgingen - und ihn verdrängten.Für Niklas Frank, das jüngste Kind, war der Tod seines Vaters am Galgen ein Lebenselixier: "Er konnte mir mein Hirn nicht mehr vergiften!"
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.12.2021Mit Gott
zum Galgen
Niklas Frank durchleuchtet
die Briefe des Vaters aus Nürnberg
Vielleicht sollte man die Geschichte dort beginnen, wo sie endet, in der Turnhalle des Nürnberger Zellengefängnisses. In den frühen Morgenstunden des 16. Oktober 1946 wurden dort die Todesurteile gegen die Hauptkriegsverbrecher vollstreckt. Einer von ihnen war Hans Frank, Hitlers Anwalt und Generalgouverneur im besetzen Polen. Während er vom Wawel in Krakau aus herrschte, wurden Millionen Menschen in den Vernichtungslagern vergast, in den Gettos erschossen, an Telegrafenmasten aufhängt. Jüdische Kinder wurden von Nazis an den Füßen gepackt und mit dem Kopf an die Wand gedroschen, bis sie sich nicht mehr rührten.
Als Hans Frank die Turnhalle betrat, in der drei Galgen aufgebaut waren, soll er gelächelt haben.
Jahrzehnte später, im fernen Jahr 1987, schreibt Franks jüngster Sohn, der damalige Stern-Journalist Niklas Frank, ein Buch über den Vater. Darin dieser Satz: „Das Knacken Deines Genicks ersparte mir ein verkorkstes Leben.“ Und danach eine wütende Abrechnung mit dem Vater und seinen Verbrechen – in einer Zeit, in der die Deutschen vor allem damit beschäftigt waren, über den Terror der Nationalsozialisten zu schweigen.
Letztlich hat Niklas Frank seine Abrechnung immer fortgeschrieben. In Büchern über seine Mutter, seinen Bruder oder die hassgetränkte Rhetorik der AfD, die ihn an die Reden seines Vaters erinnert. In diesem Jahr hat er jetzt die Briefe veröffentlicht, die Hans Frank und seine Familie sich während des Nürnberger Prozesses schickten. „Meine Familie und ihr Henker“ zeigt unverstellt, wie einer der zentralen Organisatoren des Holocausts mit der Frage nach Schuld und Verantwortung umgeht. Und wie in der Familie gleich nach dem Krieg schon einsetzt, was bald das ganze Land erfasst: die große Verdrängung.
Schon im Oktober 1945, die Verhandlung hatte noch gar nicht begonnen, ließ Hans Frank sich im Gefängnis taufen. Danach frömmelte er sich durch die Prozessmonate, las in der Bibel und gerne so, dass ihn jeder dabei sah. Ein paar Jahre davor, im Dezember 1940, hatte Hans Frank vor dem Ersten Wachbataillon in Krakau noch gesagt, er habe „freilich in einem Jahr weder sämtliche Läuse noch sämtliche Juden beseitigen können“, aber das werde sich „schon erreichen lassen“. In den Briefen an seine Kinder salbaderte er jetzt vom lieben Gott oder dichtete in seiner Zelle zu Allerheiligen, dass „die Trauerglocken düster klagen“.
Niklas Frank, sein Sohn, hat die Briefe alle noch mal durchgearbeitet, zählte allein das Wort „Gott“ 550 Mal, und fragt sich heute „bei seinen poetischen Ergüssen: Ist das Lügenmaul da echt?“ Er ordnet die Briefe des Vaters und der Mutter, der vier Geschwister und auch seine eigenen immer wieder ein, kommentiert sie und versucht gar nicht erst, seine Wut zu verstecken. Etwa, wenn er beschreibt, wie den Angeklagten Filmaufnahmen aus den Konzentrationslagern vorgeführt wurden. Wie die Wache seinen Vater von dessen Sitzplatz holen musste, weil er weiter vor sich hinstarrte, Tränen in den Augen: „Wenn’s denn nicht eine ekelhafte Selbstinszenierung war.“
Als der Prozess begann, war Niklas Frank sechs Jahre alt, lebte mit der Mutter und den Geschwistern am Schliersee, später dann im Internat in Wyk auf Föhr. Ein stilles, beobachtendes Kind, das beste Voraussetzungen hatte, über der Schuld des Vaters verrückt zu werden. Zwischen dessen scheinheiligen Briefen, den mal verzweifelten, mal frostigen Antworten der Mutter und den kindlichen Zeilen seines Bruders Michel (der „rechtschreibmäßig die Zeit des 16. Jahrhunderts bevorzugt, in der die Rechtschreibregeln noch nicht das freie Deutsch geknechtet hatten“), zwischen all dem also leuchtet Niklas Frank immer wieder aus, was seine Familiengeschichte mit ihm gemacht hat.
Einmal erschoss er mit einem Luftgewehr den Igel des Nachbarjungen. Später zündete er mit seinem Bruder Ameisenhaufen an und lauschte „auf das leise Knacken, das Ameisen verursachen, wenn sie Feuer fangen“. Als Jugendlicher, der Vater war längst tot, saß er im Internat auf Föhr im Kunstunterricht und malte ruhig vor sich hin. Felder voller Galgen. Einen Gehenkten, der versucht, den Strick zu lösen. Alles mit viel Blut.
Niklas Frank zeigt, wie sich die Familie in ihren Briefen dem Urteil entgegen schreibt. Wie Hans Frank und seine Frau alle Schuld ausblenden, sich mal Mut machen, mal angiften, und doch haargenau wissen, dass auf den Vater nur der Tod wartet, so erdrückend sind die Beweise.
Am Ende steht die bittere Diagnose, die Niklas Frank seiner Familie und den Deutschen immer wieder stellt: dass sie die Verbrechen der Nazis nie aufrichtig anerkannt haben. Zwischen den Briefen blitzt dabei immer wieder auf, dass er wohl auch deshalb nicht verrückt geworden ist, weil der Junge sich vom Vater das Lachen nicht hat nehmen lassen.
JOSEF WIRNSHOFER
Niklas Frank:
Meine Familie und ihr Henker. Der Schlächter von Polen, sein Nürnberger Prozess und das Trauma der Verdrängung. J.H.W Dietz Nachf.
Verlag, Bonn 2021.
288 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
zum Galgen
Niklas Frank durchleuchtet
die Briefe des Vaters aus Nürnberg
Vielleicht sollte man die Geschichte dort beginnen, wo sie endet, in der Turnhalle des Nürnberger Zellengefängnisses. In den frühen Morgenstunden des 16. Oktober 1946 wurden dort die Todesurteile gegen die Hauptkriegsverbrecher vollstreckt. Einer von ihnen war Hans Frank, Hitlers Anwalt und Generalgouverneur im besetzen Polen. Während er vom Wawel in Krakau aus herrschte, wurden Millionen Menschen in den Vernichtungslagern vergast, in den Gettos erschossen, an Telegrafenmasten aufhängt. Jüdische Kinder wurden von Nazis an den Füßen gepackt und mit dem Kopf an die Wand gedroschen, bis sie sich nicht mehr rührten.
Als Hans Frank die Turnhalle betrat, in der drei Galgen aufgebaut waren, soll er gelächelt haben.
Jahrzehnte später, im fernen Jahr 1987, schreibt Franks jüngster Sohn, der damalige Stern-Journalist Niklas Frank, ein Buch über den Vater. Darin dieser Satz: „Das Knacken Deines Genicks ersparte mir ein verkorkstes Leben.“ Und danach eine wütende Abrechnung mit dem Vater und seinen Verbrechen – in einer Zeit, in der die Deutschen vor allem damit beschäftigt waren, über den Terror der Nationalsozialisten zu schweigen.
Letztlich hat Niklas Frank seine Abrechnung immer fortgeschrieben. In Büchern über seine Mutter, seinen Bruder oder die hassgetränkte Rhetorik der AfD, die ihn an die Reden seines Vaters erinnert. In diesem Jahr hat er jetzt die Briefe veröffentlicht, die Hans Frank und seine Familie sich während des Nürnberger Prozesses schickten. „Meine Familie und ihr Henker“ zeigt unverstellt, wie einer der zentralen Organisatoren des Holocausts mit der Frage nach Schuld und Verantwortung umgeht. Und wie in der Familie gleich nach dem Krieg schon einsetzt, was bald das ganze Land erfasst: die große Verdrängung.
Schon im Oktober 1945, die Verhandlung hatte noch gar nicht begonnen, ließ Hans Frank sich im Gefängnis taufen. Danach frömmelte er sich durch die Prozessmonate, las in der Bibel und gerne so, dass ihn jeder dabei sah. Ein paar Jahre davor, im Dezember 1940, hatte Hans Frank vor dem Ersten Wachbataillon in Krakau noch gesagt, er habe „freilich in einem Jahr weder sämtliche Läuse noch sämtliche Juden beseitigen können“, aber das werde sich „schon erreichen lassen“. In den Briefen an seine Kinder salbaderte er jetzt vom lieben Gott oder dichtete in seiner Zelle zu Allerheiligen, dass „die Trauerglocken düster klagen“.
Niklas Frank, sein Sohn, hat die Briefe alle noch mal durchgearbeitet, zählte allein das Wort „Gott“ 550 Mal, und fragt sich heute „bei seinen poetischen Ergüssen: Ist das Lügenmaul da echt?“ Er ordnet die Briefe des Vaters und der Mutter, der vier Geschwister und auch seine eigenen immer wieder ein, kommentiert sie und versucht gar nicht erst, seine Wut zu verstecken. Etwa, wenn er beschreibt, wie den Angeklagten Filmaufnahmen aus den Konzentrationslagern vorgeführt wurden. Wie die Wache seinen Vater von dessen Sitzplatz holen musste, weil er weiter vor sich hinstarrte, Tränen in den Augen: „Wenn’s denn nicht eine ekelhafte Selbstinszenierung war.“
Als der Prozess begann, war Niklas Frank sechs Jahre alt, lebte mit der Mutter und den Geschwistern am Schliersee, später dann im Internat in Wyk auf Föhr. Ein stilles, beobachtendes Kind, das beste Voraussetzungen hatte, über der Schuld des Vaters verrückt zu werden. Zwischen dessen scheinheiligen Briefen, den mal verzweifelten, mal frostigen Antworten der Mutter und den kindlichen Zeilen seines Bruders Michel (der „rechtschreibmäßig die Zeit des 16. Jahrhunderts bevorzugt, in der die Rechtschreibregeln noch nicht das freie Deutsch geknechtet hatten“), zwischen all dem also leuchtet Niklas Frank immer wieder aus, was seine Familiengeschichte mit ihm gemacht hat.
Einmal erschoss er mit einem Luftgewehr den Igel des Nachbarjungen. Später zündete er mit seinem Bruder Ameisenhaufen an und lauschte „auf das leise Knacken, das Ameisen verursachen, wenn sie Feuer fangen“. Als Jugendlicher, der Vater war längst tot, saß er im Internat auf Föhr im Kunstunterricht und malte ruhig vor sich hin. Felder voller Galgen. Einen Gehenkten, der versucht, den Strick zu lösen. Alles mit viel Blut.
Niklas Frank zeigt, wie sich die Familie in ihren Briefen dem Urteil entgegen schreibt. Wie Hans Frank und seine Frau alle Schuld ausblenden, sich mal Mut machen, mal angiften, und doch haargenau wissen, dass auf den Vater nur der Tod wartet, so erdrückend sind die Beweise.
Am Ende steht die bittere Diagnose, die Niklas Frank seiner Familie und den Deutschen immer wieder stellt: dass sie die Verbrechen der Nazis nie aufrichtig anerkannt haben. Zwischen den Briefen blitzt dabei immer wieder auf, dass er wohl auch deshalb nicht verrückt geworden ist, weil der Junge sich vom Vater das Lachen nicht hat nehmen lassen.
JOSEF WIRNSHOFER
Niklas Frank:
Meine Familie und ihr Henker. Der Schlächter von Polen, sein Nürnberger Prozess und das Trauma der Verdrängung. J.H.W Dietz Nachf.
Verlag, Bonn 2021.
288 Seiten, 24 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Josef Wirnshofer scheint gebannt von diesem Buch von Niklas Frank. Die Edition der Briefe zwischen dem Vater des Herausgebers, Hitlers Generalgouverneur in Polen, und seinen Angehörigen aus der Zeit der Nürnberger Prozesse findet Wirnshofer so mutig wie nötig. Die ganze Bigotterie des Hans Frank, der Umgang mit der Schuld und die Verdrängung innerhalb der Familie werden für den Rezensenten "unverstellt" sichtbar. Deutlich wird laut Wirnshofer auch die Wut des jüngsten Sohnes, der immer wieder einflicht, was die Taten seines Vaters und seine Familiengeschichte mit ihm machten. Die Diagnose am Ende des Buches überrascht Wirnshofer nicht: Die Schuld wurde von den Deutschen nie wirklich anerkannt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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