"In seinem Roman schildert Bove einen Abschnitt aus dem Leben des Victor Baton, eines Kriegsinvaliden, der mit seiner niedrigen Rente im Paris der zwanziger Jahre lebt und sich nichts sehnsüchtiger wünscht, als einen Freund zu haben, um seiner Einsamkeit zu entrinnen. Die Versuche, die Baton in dieser Richtung; unternimmt, scheitern jedoch alle: am Ende lebt er, nachdem ihm sein Dachzimmer gekündigt wurde, in einem heruntergekommenen Hotel."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.19951924
Emmanuel Bove "Meine Freunde"
Auf dem Bahnhof: Man spürt, sagt Emmanuel Boves Held (aber das Wort Held ist sicher das falsche Wort), "man spürt, daß jene Reisenden ungern an der Stelle dessen wären, der sie, wie ich, abreisen sieht" - wer so die Welt ansieht, hat es in ihr zu nichts gebracht und bringt es in ihr zu nichts. Ein unvermutet schöner Sonnentag, eine Wolke kommt: "Gerade noch war ich ins Unbekannte aufgebrochen, in der Einbildung, ein Landstreicher zu sein, frei und glücklich. Jetzt, wegen einer Wolke, war alles aus." Jeder kennt dieses Gefühl, aber wer es so ganz genau ausspricht, der hält natürlich ewig kein Glück fest. Bove, er selbst oder sein Held, beobachtet, und der Autor Bove (wenn es sein muß, auch hinter dem Rücken seines Helden) schreibt das Beobachtete auf mit der verwirrenden Unbetroffenheit dessen, der keine Illusionen gebrauchen will, und man weiß dann nicht mehr, ob die Welt nun eher komisch oder eher ein Trauerspiel ist. Wahrscheinlich, sagt man sich dann, spielt dieser Unterschied gar keine Rolle. Es wird schwer sein, sich daran zu gewöhnen, sagt man sich, auch erhebt ja die Wahrheit, solche Wahrheit, die Seele kaum, was man so Seele nennt; es ist aber nicht leicht, von ihr loszukommen, wenn man einmal erlebt hat, wie haltlos, wenn auch noch so siegessicher die andern leben, die das Leben beherrschen und das Glück haben und Frauen und Geld und alles. Emmanuel Bove, 1898 in Paris geboren, 1945 dort gestorben, war, obwohl lebend berühmt, nach seinem Tode fast dreißig Jahre lang so gut wie vergessen. Und ein bißchen zitternd, ratlos, wie einer seiner Helden, fragt man sich, was nun eigentlich wäre, wenn Bove nicht mehr entdeckt worden wäre und vergessen geblieben? Aber so war es nicht. (Emmanuel Bove: "Meine Freunde". Aus dem Französischen übersetzt von Peter Handke. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981. 208 S., geb., 22,80 DM.) R.V.
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Emmanuel Bove "Meine Freunde"
Auf dem Bahnhof: Man spürt, sagt Emmanuel Boves Held (aber das Wort Held ist sicher das falsche Wort), "man spürt, daß jene Reisenden ungern an der Stelle dessen wären, der sie, wie ich, abreisen sieht" - wer so die Welt ansieht, hat es in ihr zu nichts gebracht und bringt es in ihr zu nichts. Ein unvermutet schöner Sonnentag, eine Wolke kommt: "Gerade noch war ich ins Unbekannte aufgebrochen, in der Einbildung, ein Landstreicher zu sein, frei und glücklich. Jetzt, wegen einer Wolke, war alles aus." Jeder kennt dieses Gefühl, aber wer es so ganz genau ausspricht, der hält natürlich ewig kein Glück fest. Bove, er selbst oder sein Held, beobachtet, und der Autor Bove (wenn es sein muß, auch hinter dem Rücken seines Helden) schreibt das Beobachtete auf mit der verwirrenden Unbetroffenheit dessen, der keine Illusionen gebrauchen will, und man weiß dann nicht mehr, ob die Welt nun eher komisch oder eher ein Trauerspiel ist. Wahrscheinlich, sagt man sich dann, spielt dieser Unterschied gar keine Rolle. Es wird schwer sein, sich daran zu gewöhnen, sagt man sich, auch erhebt ja die Wahrheit, solche Wahrheit, die Seele kaum, was man so Seele nennt; es ist aber nicht leicht, von ihr loszukommen, wenn man einmal erlebt hat, wie haltlos, wenn auch noch so siegessicher die andern leben, die das Leben beherrschen und das Glück haben und Frauen und Geld und alles. Emmanuel Bove, 1898 in Paris geboren, 1945 dort gestorben, war, obwohl lebend berühmt, nach seinem Tode fast dreißig Jahre lang so gut wie vergessen. Und ein bißchen zitternd, ratlos, wie einer seiner Helden, fragt man sich, was nun eigentlich wäre, wenn Bove nicht mehr entdeckt worden wäre und vergessen geblieben? Aber so war es nicht. (Emmanuel Bove: "Meine Freunde". Aus dem Französischen übersetzt von Peter Handke. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1981. 208 S., geb., 22,80 DM.) R.V.
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