Nur zweimal besuchte Rainer Maria Rilke das Land, das ihm zeitlebens Heimat und Sehnsuchtsort zugleich bleiben sollte: 1899 gemeinsam mit Lou Andreas-Salomé für zwei Monate und 1900 für knapp vier Monate. Doch diese Reisen stellen eine der wirkmächtigsten Auslandserfahrungen der deutschen Literaturgeschichte dar und lösten einen bedeutenden Kulturtransfer zwischen Ost und West aus.
Die intensive Beschäftigung mit den »russischen Dingen« hat zu einer Vielzahl von Spuren im Werk Rilkes geführt, in seiner Prosa und den Gedichten ebenso wie in seinen Essays, Briefen und Tagebüchern. Die hier vorgelegte Auswahl dokumentiert das Erweckungserlebnis, das Russland für Rilke in persönlicher, künstlerischer und spiritueller Hinsicht bedeutete, auf eindrucksvolle Weise.
Die intensive Beschäftigung mit den »russischen Dingen« hat zu einer Vielzahl von Spuren im Werk Rilkes geführt, in seiner Prosa und den Gedichten ebenso wie in seinen Essays, Briefen und Tagebüchern. Die hier vorgelegte Auswahl dokumentiert das Erweckungserlebnis, das Russland für Rilke in persönlicher, künstlerischer und spiritueller Hinsicht bedeutete, auf eindrucksvolle Weise.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.08.2020NEUE TASCHENBÜCHER
Wie Russland sich von Rilke in
die Tiefe seiner Seele schauen ließ
„Wäre denn alles ein Spiel, Wechsel des Gleichen, Verschiebung …“ Heißt es in der „Elegie für Marina“, die Rainer Maria Rilke im Juni 1926 schrieb, wenige Monate vor seinem Tod. Für die Dichterin Maria Zwetajewa, mit der ihn gegen Ende seines Lebens ein brieflicher amour fou verband – sie hoffte, dies Gedicht würde dann die „Duineser Elegien“ abschließen, eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.
Eine intensive Sehnsucht nach Russland brannte in Rilke sein Leben lang, Thomas Schmidt hat alles gesammelt, worin sie sich äußerte, Briefe, Gedichte, Aufsätze, von Rilke und den Menschen um ihn herum. Meine geheimnisvolle Heimat, mein Ostern, reihenweise purzeln die Metaphern in die Zeilen. Russland bedeutet Erneuerung, weg von der europäischen leeren Dekadenz. Wenn man mit psychoanalytischen Kategorien das liest, wird die Dialektik dieser Lehrjahre evident. Wie Rilke aus dem Russischen, Einfachen, Volkstümlichen eine ganz neue poetisch dichte Einfachheit sich formt.
Zweimal bereiste der junge Rilke Russland, 1899 und 1900, Moskau, Petersburg, die Wolga, mit der Freundin Lou Andreas-Salomé. Er besucht Museen und Kirchen, Maler und Schriftsteller, lernt die Sprache, schreibt Gedichte auf russisch, erklärt die Kunst der Ikonen, übersetzt. Nach Worpswede kam er mit roten Tatarenlederstiefeln. Durch seinen Mythos Russland begreift Rilke sich als Dichter. Und der Mythos ist reziprok: „Ich bin dem Land ja kein Fremder, es hat mir erlaubt, ihm in die Tiefe der Seele zu sehen.“ Boris Pasternak erklärt Rilke als „ganz russisch“, wie Gogol, wie Tolstoi. Den traf Rilke auf beiden Reisen. Beim ersten Mal grummelt er, weil Rilke und Lou die Osternacht im Kreml mitmachen wollen, das „abergläubische Volkstreiben“, beim zweiten Mal erklärt Rilke Tolstoi, er befasse sich mit Lyrik, worauf, schreibt Lou, „eine temperamentvolle Entwürdigung jeglicher Lyrik auf ihn niederprasselt“.
Wäre denn alles ein Spiel … Auch die Ferngeliebte und -liebende Marina ist absolut: „Hör, dass Du’s weißt: im Rainerland vertrete ich allein Russland.“ FRITZ GÖTTLER
Thomas Schmidt (Hg.): „Meine geheimnisvolle Heimat“. Rilke und Russland. Insel Taschenbuch 4593. Berlin 2020. 450 Seiten, 16 Euro.
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Wie Russland sich von Rilke in
die Tiefe seiner Seele schauen ließ
„Wäre denn alles ein Spiel, Wechsel des Gleichen, Verschiebung …“ Heißt es in der „Elegie für Marina“, die Rainer Maria Rilke im Juni 1926 schrieb, wenige Monate vor seinem Tod. Für die Dichterin Maria Zwetajewa, mit der ihn gegen Ende seines Lebens ein brieflicher amour fou verband – sie hoffte, dies Gedicht würde dann die „Duineser Elegien“ abschließen, eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte.
Eine intensive Sehnsucht nach Russland brannte in Rilke sein Leben lang, Thomas Schmidt hat alles gesammelt, worin sie sich äußerte, Briefe, Gedichte, Aufsätze, von Rilke und den Menschen um ihn herum. Meine geheimnisvolle Heimat, mein Ostern, reihenweise purzeln die Metaphern in die Zeilen. Russland bedeutet Erneuerung, weg von der europäischen leeren Dekadenz. Wenn man mit psychoanalytischen Kategorien das liest, wird die Dialektik dieser Lehrjahre evident. Wie Rilke aus dem Russischen, Einfachen, Volkstümlichen eine ganz neue poetisch dichte Einfachheit sich formt.
Zweimal bereiste der junge Rilke Russland, 1899 und 1900, Moskau, Petersburg, die Wolga, mit der Freundin Lou Andreas-Salomé. Er besucht Museen und Kirchen, Maler und Schriftsteller, lernt die Sprache, schreibt Gedichte auf russisch, erklärt die Kunst der Ikonen, übersetzt. Nach Worpswede kam er mit roten Tatarenlederstiefeln. Durch seinen Mythos Russland begreift Rilke sich als Dichter. Und der Mythos ist reziprok: „Ich bin dem Land ja kein Fremder, es hat mir erlaubt, ihm in die Tiefe der Seele zu sehen.“ Boris Pasternak erklärt Rilke als „ganz russisch“, wie Gogol, wie Tolstoi. Den traf Rilke auf beiden Reisen. Beim ersten Mal grummelt er, weil Rilke und Lou die Osternacht im Kreml mitmachen wollen, das „abergläubische Volkstreiben“, beim zweiten Mal erklärt Rilke Tolstoi, er befasse sich mit Lyrik, worauf, schreibt Lou, „eine temperamentvolle Entwürdigung jeglicher Lyrik auf ihn niederprasselt“.
Wäre denn alles ein Spiel … Auch die Ferngeliebte und -liebende Marina ist absolut: „Hör, dass Du’s weißt: im Rainerland vertrete ich allein Russland.“ FRITZ GÖTTLER
Thomas Schmidt (Hg.): „Meine geheimnisvolle Heimat“. Rilke und Russland. Insel Taschenbuch 4593. Berlin 2020. 450 Seiten, 16 Euro.
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»... eines der schönsten Dokumente einer heute kaum noch vorstellbaren Nähe, das man in der langen und zuweilen bitteren Beziehung zwischen Deutschland und Russland finden kann.« Johann Michael Möller karenina.de 20201215