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Bis zum letzten Wort hat Eve die Odyssee ihres Sterbens schon in die drei Hefte diktiert, aus denen H. dieses Epos hier abschreibt. Unverhoffte Hilfe findet sie dabei in Eves eigenen Heften aus ihrer Ausbildungszeit als Hebamme: Geburt ohne Schmerzen.Eve macht H. zur Mutter des 103 Jahre alten Kindes, das sie geworden ist. Nach dem entscheidenden Angriff der Armeen des Todes am 13. Januar ist medizinisch zum Leben nichts mehr da. Aber Eve ist das Leben selbst. Mit Hilfe der Hefte tastet sich das Buch durchs eisige Dunkel der geweiteten Zeit Zuspät, durch das blinde Jenseits der überzähligen…mehr

Produktbeschreibung
Bis zum letzten Wort hat Eve die Odyssee ihres Sterbens schon in die drei Hefte diktiert, aus denen H. dieses Epos hier abschreibt. Unverhoffte Hilfe findet sie dabei in Eves eigenen Heften aus ihrer Ausbildungszeit als Hebamme: Geburt ohne Schmerzen.Eve macht H. zur Mutter des 103 Jahre alten Kindes, das sie geworden ist. Nach dem entscheidenden Angriff der Armeen des Todes am 13. Januar ist medizinisch zum Leben nichts mehr da. Aber Eve ist das Leben selbst. Mit Hilfe der Hefte tastet sich das Buch durchs eisige Dunkel der geweiteten Zeit Zuspät, durch das blinde Jenseits der überzähligen Wochen, lange nachdem die letzte Stunde eigentlich geschlagen hat. Eve auf dem Rücken, in ihrer Barke für immer, erfindet für H. ein Sterben, das ein Bleiben ist. H. auf den Knien, bald auf der einen, bald auf der anderen Seite des Pflegebetts, treidelt im Schlamm der Zeit ohne Datum. Jeden der zahllosen Tode hebt sie auf, jedes Gesicht und jeden der letzten Momente, den letzten Schluck Wasser, das letzte Wort, den letzten Kuss. Wie hätte sie heute zu sprechen vermocht, hätte sie nicht die Spalte von Mamans noch lauen Lippen mit ihren Lippen versiegelt, hätte sie nicht ihren Mund auf Eves Mund gelegt um leidenschaftlich seine neue Kälte zu kosten?
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Autorenporträt
Hélène Cixous, geboren 1937 in Algerien, lebt als Schriftstellerin und Professorin in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2019

Die Odyssee zum Tod
Bewegend meisterlich: Hélène Cixous erzählt in "Meine Homère ist tot . . ." vom Sterben ihrer Mutter

Wenn die Mutter stirbt, was bleibt der Tochter? Wenn die Beziehung symbiotisch war, stirbt nur die eine oder die andere auch? In Teilen? Und was muss geschehen, damit es nicht so ausgeht? Was verschwindet mit der Mutter bei ihrem Tod, und was bleibt? Bleibt etwas?

Für manche Töchter ist der Tod der Mutter die existentielle Katastrophe, für viele mindestens das existentielle Ereignis schlechthin. Auch für Hélène Cixous, die große französische Dekonstruktivistin, die in Deutschland weniger als Prosaautorin denn als Theoretikerin des Poststrukturalismus und als scharfsinnige Feministin und Weggefährtin von Jacques Derrida bekannt ist. Ihre Beziehung zu ihrer Mutter Eve, die im Januar 2013 mit dem Sterben begann und am 1. Juli jenes Jahres im Alter von 103 Jahren ihren letzten Atemzug tat, war symbiotisch in absoluter Weise. Denn sie umfasste nicht nur die Seelen, das Bewusstsein, selbst die Körper der beiden Frauen, sondern auch ihre Sprache - was bedeutet, dass diese Beziehung in Sprache nicht nur ihren Ausdruck fand, sondern durch Sprache geformt war, als wären es die Wörter, die das existentielle Gewebe spinnen, in dem Mutter und Tochter vereint sind.

Jedenfalls scheint es in dem Sterbetagebuch und Trauerbuch so, das Hélène Cixous geschrieben hat. Beziehungsweise das ihre Mutter durch ihr Sterben, bei dem die Tochter sie begleitete, vorgab: "Dieses Buch ist bis zur letzten Zeile von meiner Mutter schon geschrieben." Das betont Hélène Cixous bereits zu Beginn. Und eine Seite weiter: "Dies ist nicht das Buch, das ich habe schreiben wollen. Ich schreibe es nicht. Es ist meine Mutter, die dieses letzte Jahr (2013) diktiert hat, ohne es zu wollen." Der Körper der Mutter, sein Verfall und ihr Bewusstsein davon und die Wörter, mit denen sie diesen Verfall begleitete, und die Laute, die aus den Wörtern wurden, das Wimmern, das Schweigen schließlich - das ist das Material, aus dem dieses Buch besteht.

Es ist ein einmaliges, ungeheuerliches Buch. Deshalb trägt es auch keine Genrebezeichnung. Es liegt quer zu allen Kategorien, ist Monument und Abgesang, Erkundung, Bericht, ein Versuch auch darüber, wo Sprache endet. Was teilweise auch lustig ist. Das heißt, dieses Buch sieht auch anders aus als andere Bücher. Aus Endungen werden Kringel. Miniaturzeichen durchsetzen manche Sätze. Es enthält Abbildungen aus den Notizbüchern von Eve, die Hebamme war und ihre Gedanken zur schmerzlosen Geburt während ihrer Ausbildung aufgezeichnet hatte.

Was ist das für eine Lektüre? Schmerzhaft, wie sonst sollte sie für eine Tochter sein. Aber auch: eine erleuchtende insofern, als es um alles geht, und Hélène Cixous, so scheint es, in all den Jahren ihres Schreibens (ihr erstes Buch erschien 1967, ihr berühmtestes, "Das Lachen der Medusa", 1975) darauf hingearbeitet hat, für dieses, ihr intimstes und gleichzeitig umfassendstes Buch bereit zu sein. Gewappnet. Innerlich, sprachlich.

Es ist aber auch eine Zumutung. Unverständlich in vielen Bezügen, die nur den beiden Menschen, die hier miteinander die Erfahrung eines Prozesses zum endgültigen, sprachlosen Nichts teilen, offenbar werden. Eine Zumutung auch in seinem oft gespreizten Ton von Bildung und Bedeutung, die sich nicht im Einzelnen erschließen. Aber dann auch wieder von einer solchen Wucht, dass es die Leserin in den Sessel drückt.

Die Anwesenheit des Todes schärft alle Sinne. Das klingt dann so: "Die wundgelegene Stelle, daran kann ich mich nicht gewöhnen, ist das Auge des geblendeten Zyklopen, dieses große rotviolette Loch, das schäumt und sagt: du bist gewarnt, ich werde dich töten. Die Ungeheuer kommen schnell. Die Geier sind uns voraus. Wir leben überflogen von diesen großen geduldigen dummen Putten."

Am Anfang ist die Mutter. Am Anfang des Erzählens ist Homer. So ist der Titel dieses Trauerbuchs zu verstehen. Er bezeichnet im Tod der Mutter den Tod von allem, was erzählbar ist. Und doch findet Hélène Cixous einen Weg zu schreiben, eine Art, in Worte zu fassen, was Sterben ist, was da vor sich geht, was die, die zurückbleibt, erfährt, erlebt, erduldet, erleidet. Körperlich. Aber auch in gewisser Weise theoretisch: "Weshalb* taucht im September auf und kommt von sehr weit her. Doppelgänger und Hälfte von Warum*. Ich suche es im etymologischen Wörterbuch. Ist nicht bei Wes*. Ich finde es bei Halb*. Ein ganz außergewöhnliches Wort. Ich empfange es wie ein Schmuckstück das Maman mir schnell zusteckt. Sie hat kein Geschmeide. Halb*, moitié, ist das zweite Glied, der andere Teil eines Teils das Andere. Maman ist, zur Hälfte, andernteils, anderswo. Der ANDERE TEIL. GEHT. Der andere Teil geht, sie bleibt. Oder dann: sie ist es die geht, sie ist die Andere. Es geht immer das Andere. Sie geht, stößt Schreckensschreie aus. Sommerschreie. Schreie der Vergangenheit. Da wir in Unzerteilbarkeit sind, zucke ich erschrocken zusammen wenn sie schreit."

Wie das zu übersetzen ist? Claudia Simma ist es, wie gerade zu lesen war, gelungen, diesen zeitlosen Raum, in dem das Sterben geschieht, auch in der deutschen Fassung zu erschaffen. Und sie hat dem Buch fünf Seiten Anmerkungen beigefügt, die außerordentlich nützlich sind und zum Beispiel erklären, was der Asterisk auch in obigem Zitat bedeutet: Dieses Wort ist im französischen Original deutsch. Allein die zahlreichen Stellen, an denen Cixous mit dem Namen der Mutter, Eve, Andeutungen verbindet, Anspielungen unternimmt ("événement") und mit Wörtern arbeitet, die den Namen enthalten, etwa "se lever", aufstehen, oder "relever", sich erheben, sind es wert, hervorgehoben und erklärt zu werden. Simma hat als erfahrene Cixous-Übersetzerin das Prinzip dekonstruktivistischen Schreibens vollkommen durchdrungen. Fast unglaublich, wozu das Deutsche in ihren Händen in der Lage ist.

Dieses Buch beschreibt eine Reise. Eine dreijährige Odyssee zum Tod. Und kurz darauf, weil es sofort geschrieben werden muss, wird die Reise zu einer Bewegung gegen das Vergessen. Für die Erinnerung des Körpers, jedes seiner Haare, jede seiner Qualen. Und daran, dass die Sterbende nie so frei war wie in jenem Jahr.

VERENA LUEKEN

Hélène Cixous: "Meine Homère ist tot . . .".

Aus dem Französischen von Claudia Simma. Passagen Verlag, Wien 2019. 203 S., br., 25,60 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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