»Der Profi-Nörgler Hamburg-Heiner erscheint als eine Art Hans Moser des Internetzeitalters!« Süddeutsche Zeitung.
Sven Regener hat über Jahre die dialogreichsten und witzigsten Internet-Logbücher verfasst, die je bei Fahrten durch die stürmischen Meere des Lebens entstanden sind. Denn was einmal in die Regener'sche Durchdenkmaschine hineingeraten ist, kommt nicht ungeschoren wieder heraus, und so sind wir dabei, wenn er auf der Suche nach einer »Arno-Schmidt-Gesellschaft« über die Buchmesse stolpert, auf Element of Crime-Tournee in einen Paranoia-Rausch gerät, in Nashville, Tennessee, das Batman Building von der falschen Seite fotografiert oder Österreich und Deutschland miteinander versöhnt. Dabei entsteht etwas ganz Eigenes: ein Seemannsgarn in der Tradition der großen Fabulierer und Schwadronierer, der Quatschköppe und Knalltüten, oder wie Regeners Freund, Feind und Einpeitscher Hamburg-Heiner sagen würde: »Wenn schon Jahrhundert, dann ja wohl das 18.!«
Sven Regener hat über Jahre die dialogreichsten und witzigsten Internet-Logbücher verfasst, die je bei Fahrten durch die stürmischen Meere des Lebens entstanden sind. Denn was einmal in die Regener'sche Durchdenkmaschine hineingeraten ist, kommt nicht ungeschoren wieder heraus, und so sind wir dabei, wenn er auf der Suche nach einer »Arno-Schmidt-Gesellschaft« über die Buchmesse stolpert, auf Element of Crime-Tournee in einen Paranoia-Rausch gerät, in Nashville, Tennessee, das Batman Building von der falschen Seite fotografiert oder Österreich und Deutschland miteinander versöhnt. Dabei entsteht etwas ganz Eigenes: ein Seemannsgarn in der Tradition der großen Fabulierer und Schwadronierer, der Quatschköppe und Knalltüten, oder wie Regeners Freund, Feind und Einpeitscher Hamburg-Heiner sagen würde: »Wenn schon Jahrhundert, dann ja wohl das 18.!«
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2011Im Netz eines Hans-Moser-Wiedergängers
Es kann nicht schaden, bei Blogbüchern das B wegzulassen: „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher“ von Sven Regener
Typen wie Hamburg-Heiner gibt es wirklich, nicht nur in Hamburg: Herzliche Nervensägen, die ihre umfassende Bildung nirgends anbringen können, außer beim Verbessern ihrer Freunde. Sie wissen, wie der dritte Bassist von Uriah Heep hieß, dass Rind und Wal Verwandte sind, wie schnell sich ein Elektron dreht und was einst in Königgrätz geschah. Ihr Stil ist die mies gelaunte Fresse des Rechthabers, die sich nur dann entspannt, wenn sie im alten Männerstreit um mehr und bessere Informationen auf jemand trifft, der noch mehr weiß – oder handzahme Opfer findet, die sich gerne belehren lassen. Erstaunlicherweise hat die schnelle Überprüfbarkeit durch Wikipedia diesem Besserwisser so wenig den Garaus gemacht wie einst die Fotografie der Malerei. Vielmehr bedienen sich die Hamburg-Heiners dieser Welt jetzt süchtig der Netzrecherche, um noch frecher zu intervenieren.
Hamburg-Heiner selbst aber gibt es vermutlich gar nicht. Er ist eine Erfindung von Sven Regener, um seinem Dasein als Blogger einen Widerspruchsgeist zum Wohle der Pointe zu erschaffen. Denn seit 2005 verfolgt der Sänger von Element of Crime und Autor von „Herr Lehmann“ und anderen Bestsellern eine Drittkarriere als öffentlicher Privatmensch. Für Spiegel, taz oder den österreichischen Standard, aber auch für die bandeigene Website hat Regener Tourblogs über Konzert- oder Interviewreisen geschrieben oder Essen, Trinken und andere Erschöpfungen auf der Frankfurter Buchmesse protokolliert. Und dass diese „Logbücher“ jetzt unter dem Titel „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“ gesammelt im alten Papier-Medium erscheinen, macht deswegen Sinn, weil der Profi-Nörgler HH als Figur alle Blogs über fünf Jahre begleitet hat – und in dieser Form des modernen Tagebuch-Romans als eine Art Hans Moser des Internetzeitalters erscheint.
In langen Telefongesprächen voll warmer Beschimpfungen erklärt HH dem Autor seine dämlichen Fehler aus dem jeweils letzten Blog, das Wesen der Blogkultur generell und was der eilige Leser am Bildschirm von Regener eigentlich wissen möchte – und was nicht. Dann gibt sich Regener wieder viel Mühe, richtig, witzig und kundig zu bloggen, um daraufhin sehnsüchtig auf die neuen Ohrfeigen aus dem Handy zu warten.
Diese SM-Beziehung des Netzhumors ist so clever und abwechslungsreich komponiert, dass trotz des renitenten Grundmusters der Charakter einer alten Jungs-Freundschaft in schillernder Satire entwickelt werden kann. Nach vierhundert locker betexteten Seiten muss dann jedes Kumpelwerk ohne solch einen vitalen Klugscheißer leer und grau erscheinen.
Im Gegensatz zum belebenden Gemecker seiner Kunstfigur versucht Regener sein eigenes Leben als Erfolgskünstler mit aller angebrachten Ironie in den zurückhaltendsten Farben darzustellen. Ob der Mix einer Platte in Nashville, der Touralltag zwischen Wien und Berlin oder die Termin-Safari auf der Buchmesse in Begleitung eines arte-Fernsehteams, von Glamour oder irgendwelchen beneidenswerten Vorkommnissen keine Spur. Weder sonnt sich Regener im Lob von Fans und Profis, noch lässt er sich dazu hinreißen, Konzerte in Sporthallen oder Star-Spotting auf Marketing-Festen zu beschreiben. Die ewige Forderung Hamburg-Heiners, doch mal konkret zu werden, dient Regener nur zum prompten Rückschlag mit selbstironischer Prominenz-Blasphemie.
Statt Einsichten ins Dasein als bekannter Mann zu liefern, fotografiert Regener lieber den sterilen Obstteller im Hotel, summiert die sympathische Party der Kleinverlage auf der Buchmesse in vier Sätzen oder beschreibt die Konkurrenz der Grünkohl-Metropolen Bremen und Oldenburg. Doch wer schon bei „Herr Lehmann“ (und folgende) überrascht war, wie der Kopf einer derartig gemütlichen Herrenband wie Element of Crime eine derartig kurzweilige und komische Prosa erfinden kann, dem gönnen diese Logbücher ein weiteres Aha-Erlebnis.
Regener zieht nimmermüde aus banalsten Anfängen absurdeste Schlüsse, wehrt die offenbare Langeweile einer alten Musiker-Vielehe mit der Lakonie des falschen Trübsinns ab, und schafft es tatsächlich, über die längste Strecke dieser Kurzeinträge einen kultivierten Spott mit dem Selbstbild seiner Branchen zu betreiben. Gemütlichkeit ist hier nur der Hohn des Bescheidenen für die Aufblaswichtel des Marketings. Natürlich ist diese Addition moderner Revolver-Literatur nicht frei von Stilblüten, Jargon und Wiederholungen. Kleine Peinlichkeiten sind die Tippfehler des schnellen Denkens und sollten in einer Zweitverwertung aus Gründen der Pseudoauthentizität nicht entfernt werden.
Und auch andere objektive Mängel dieser sardonischen Buchführung in Bezug auf die Neugier des gemeinen Lesers können nicht ungemeldet bleiben: so erfährt man absolut nichts Relevantes über die persönlichen Beziehungen des Autors zu seinen Begleitern in Musik, Literatur und Privatleben, und die durchgängig freundliche Ironie macht eine Einschätzung von Gut und Böse im Unterhaltungsbusiness auch bald unmöglich.
Da Regener nicht den Eindruck macht, nach 25 Jahren Glück im Kulturbetrieb jetzt kommerziellen Selbstmord begehen zu wollen, ist eine schonungslose Branchen-Satire von ihm auch nicht zu erwarten. Aber als leichte Komödie über deutsche Kreative und deutsche Nörgler ist dieser Schelmenroman im Kleid eines Tourtagebuchs eine sehr kurzweilige Zuglektüre. TILL BRIEGLEB
SVEN REGENER: Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher. Galiani Verlag, Berlin 2011. 420 Seiten, 19,95 Euro.
Wie kann der Kopf einer derart
gemütlichen Herrenband
so kurzweilige Prosa erfinden?
„Bild vom Nashville-Blog, als er noch Spannkraft hatte.“ Foto: Galiani Verlag
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Es kann nicht schaden, bei Blogbüchern das B wegzulassen: „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher“ von Sven Regener
Typen wie Hamburg-Heiner gibt es wirklich, nicht nur in Hamburg: Herzliche Nervensägen, die ihre umfassende Bildung nirgends anbringen können, außer beim Verbessern ihrer Freunde. Sie wissen, wie der dritte Bassist von Uriah Heep hieß, dass Rind und Wal Verwandte sind, wie schnell sich ein Elektron dreht und was einst in Königgrätz geschah. Ihr Stil ist die mies gelaunte Fresse des Rechthabers, die sich nur dann entspannt, wenn sie im alten Männerstreit um mehr und bessere Informationen auf jemand trifft, der noch mehr weiß – oder handzahme Opfer findet, die sich gerne belehren lassen. Erstaunlicherweise hat die schnelle Überprüfbarkeit durch Wikipedia diesem Besserwisser so wenig den Garaus gemacht wie einst die Fotografie der Malerei. Vielmehr bedienen sich die Hamburg-Heiners dieser Welt jetzt süchtig der Netzrecherche, um noch frecher zu intervenieren.
Hamburg-Heiner selbst aber gibt es vermutlich gar nicht. Er ist eine Erfindung von Sven Regener, um seinem Dasein als Blogger einen Widerspruchsgeist zum Wohle der Pointe zu erschaffen. Denn seit 2005 verfolgt der Sänger von Element of Crime und Autor von „Herr Lehmann“ und anderen Bestsellern eine Drittkarriere als öffentlicher Privatmensch. Für Spiegel, taz oder den österreichischen Standard, aber auch für die bandeigene Website hat Regener Tourblogs über Konzert- oder Interviewreisen geschrieben oder Essen, Trinken und andere Erschöpfungen auf der Frankfurter Buchmesse protokolliert. Und dass diese „Logbücher“ jetzt unter dem Titel „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“ gesammelt im alten Papier-Medium erscheinen, macht deswegen Sinn, weil der Profi-Nörgler HH als Figur alle Blogs über fünf Jahre begleitet hat – und in dieser Form des modernen Tagebuch-Romans als eine Art Hans Moser des Internetzeitalters erscheint.
In langen Telefongesprächen voll warmer Beschimpfungen erklärt HH dem Autor seine dämlichen Fehler aus dem jeweils letzten Blog, das Wesen der Blogkultur generell und was der eilige Leser am Bildschirm von Regener eigentlich wissen möchte – und was nicht. Dann gibt sich Regener wieder viel Mühe, richtig, witzig und kundig zu bloggen, um daraufhin sehnsüchtig auf die neuen Ohrfeigen aus dem Handy zu warten.
Diese SM-Beziehung des Netzhumors ist so clever und abwechslungsreich komponiert, dass trotz des renitenten Grundmusters der Charakter einer alten Jungs-Freundschaft in schillernder Satire entwickelt werden kann. Nach vierhundert locker betexteten Seiten muss dann jedes Kumpelwerk ohne solch einen vitalen Klugscheißer leer und grau erscheinen.
Im Gegensatz zum belebenden Gemecker seiner Kunstfigur versucht Regener sein eigenes Leben als Erfolgskünstler mit aller angebrachten Ironie in den zurückhaltendsten Farben darzustellen. Ob der Mix einer Platte in Nashville, der Touralltag zwischen Wien und Berlin oder die Termin-Safari auf der Buchmesse in Begleitung eines arte-Fernsehteams, von Glamour oder irgendwelchen beneidenswerten Vorkommnissen keine Spur. Weder sonnt sich Regener im Lob von Fans und Profis, noch lässt er sich dazu hinreißen, Konzerte in Sporthallen oder Star-Spotting auf Marketing-Festen zu beschreiben. Die ewige Forderung Hamburg-Heiners, doch mal konkret zu werden, dient Regener nur zum prompten Rückschlag mit selbstironischer Prominenz-Blasphemie.
Statt Einsichten ins Dasein als bekannter Mann zu liefern, fotografiert Regener lieber den sterilen Obstteller im Hotel, summiert die sympathische Party der Kleinverlage auf der Buchmesse in vier Sätzen oder beschreibt die Konkurrenz der Grünkohl-Metropolen Bremen und Oldenburg. Doch wer schon bei „Herr Lehmann“ (und folgende) überrascht war, wie der Kopf einer derartig gemütlichen Herrenband wie Element of Crime eine derartig kurzweilige und komische Prosa erfinden kann, dem gönnen diese Logbücher ein weiteres Aha-Erlebnis.
Regener zieht nimmermüde aus banalsten Anfängen absurdeste Schlüsse, wehrt die offenbare Langeweile einer alten Musiker-Vielehe mit der Lakonie des falschen Trübsinns ab, und schafft es tatsächlich, über die längste Strecke dieser Kurzeinträge einen kultivierten Spott mit dem Selbstbild seiner Branchen zu betreiben. Gemütlichkeit ist hier nur der Hohn des Bescheidenen für die Aufblaswichtel des Marketings. Natürlich ist diese Addition moderner Revolver-Literatur nicht frei von Stilblüten, Jargon und Wiederholungen. Kleine Peinlichkeiten sind die Tippfehler des schnellen Denkens und sollten in einer Zweitverwertung aus Gründen der Pseudoauthentizität nicht entfernt werden.
Und auch andere objektive Mängel dieser sardonischen Buchführung in Bezug auf die Neugier des gemeinen Lesers können nicht ungemeldet bleiben: so erfährt man absolut nichts Relevantes über die persönlichen Beziehungen des Autors zu seinen Begleitern in Musik, Literatur und Privatleben, und die durchgängig freundliche Ironie macht eine Einschätzung von Gut und Böse im Unterhaltungsbusiness auch bald unmöglich.
Da Regener nicht den Eindruck macht, nach 25 Jahren Glück im Kulturbetrieb jetzt kommerziellen Selbstmord begehen zu wollen, ist eine schonungslose Branchen-Satire von ihm auch nicht zu erwarten. Aber als leichte Komödie über deutsche Kreative und deutsche Nörgler ist dieser Schelmenroman im Kleid eines Tourtagebuchs eine sehr kurzweilige Zuglektüre. TILL BRIEGLEB
SVEN REGENER: Meine Jahre mit Hamburg-Heiner. Logbücher. Galiani Verlag, Berlin 2011. 420 Seiten, 19,95 Euro.
Wie kann der Kopf einer derart
gemütlichen Herrenband
so kurzweilige Prosa erfinden?
„Bild vom Nashville-Blog, als er noch Spannkraft hatte.“ Foto: Galiani Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Diesen Schelmenroman im Mantel des Tourtagebuchs hat Rezensent Till Briegleb gern gelesen. Nicht unbedingt mit großen Einsichten in Sven Regeners Privat- oder Musikerleben en Detail oder in stilistisches Raffinement, aber das macht nichts. Entschädigt wurde unser Rezensent durch Kurzweil und Komik und kultivierten Spott über eher banale Erlebnisse aus dem heutigen Kulturbetrieb. Und durch die Bekanntschaft mit Hamburg Heiner, jener von Regener erdachten, real existierenden nervtötenden Nörgler-Figur, die hier zu neuen Ehren kommt, wenn wir Briegleb anhören. Als nimmermüde Korrektoren-Instanz in Sachen gutes Blogging.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2011Kein Wort über Königgrätz
Sven Regener hat seine Blogs gesammelt. "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner" sind ein geniales Hybrid zwischen Roman und Tagebuch - und das lustigste Buch dieses Frühlings.
Von Sarah Elsing
Sven Regener, dem Autor der legendären Herr-Lehmann-Trilogie und Sänger der Band Element of Crime, ist nicht ganz klar, was das mit dem Bloggen überhaupt soll, als berlin.de im Sommer 2005 auf die Idee kommt, er solle die Erlebnisse der letzten zehn Tage vor dem Erscheinen der neuen Element of Crime-Platte in einem eigenen Blog festhalten. "Das ist Promo", erklärt Thorsten von Universal, der Regener ein halbes Jahr später auch noch einen Advents-Blog auf Zuender.zeit.de aufnötigt. Sven Regener erinnert sich an eine schreckliche Jubiläumssendung beim SFB, bei der er sich mit Otto Sander ordentlich die Kante gegeben habe. Alle zehn Minuten sei Sander aufgestanden und für die Kameras durch den Saal gelaufen. Damals habe er verstanden, was "Promo" sei.
Als "Promo" könnte man gewissermaßen das ganze Buch bezeichnen, das Regener jetzt unter dem Titel "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner" herausgebracht hat, denn es besteht nur aus Blogs. Neben dem berlin.de- und dem Advents-Blog gibt es einen Blog über die "Element-of-Crime-Tour" 2007, einen Blog über einen Band-Ausflug nach Nashville und Blogs mit den irreführenden Titeln "Sex auf der Buchmesse", "VÖ heißt nicht Vorderes Österreich", "Die letzte U-Bahn geht später" und "Männer mit Spielplan". Alle hat Regener von 2005 bis 2010 seiner Plattenfirma zu Liebe geschrieben. Doch zum Glück entsteht, wenn man diese Blogs am Stück liest, kein schlaffes "Promo"-Flickwerk, sondern ein literarisch hochinteressantes Hybrid zwischen Tagebuch und Roman und ein echter Regener, der ja bereits mit "Herr Lehmann" (2001), "Neue Vahr Süd" (2004) und "Der kleine Bruder" Leser wie Rezensenten begeisterte.
Über was überhaupt schreiben, fragt sich der Autor zu Beginn. "Wenn man wenigstens eine anständige Verschwörungstheorie am Start hätte, irgend so einen total doofen Quark, den man jetzt unter die Leute bringen könnte, oder eine total bescheuerte, von keiner Ahnung getrübte Meinung." Dieses anfängliche Fremdeln mit dem Medium überwindet Regener mit der Erfindung des alten Kumpels "Hamburg-Heiner", kurz "HH", mit dessen Hilfe er ein Element einführt, das dem Wesen des Blogs eigentlich fremd ist, das der Autor aber beherrscht wie kein Zweiter: Dialoge, die wohl zu den absurdesten und witzigsten der deutschen Gegenwartsliteratur gehören.
Immer wenn das Blog an Schwung zu verlieren droht, wenn auch die nebensächlichsten Themen (Erdnüsse auf Bussitzen, Off-Tage, Psycho-Kämpfe mit FRK, dem "Frühstücksraum-Kellner") ironisch durchgenudelt sind und nicht einmal sinnlose Essens- oder Schuhfotografie mehr weiterhelfen, ruft plötzlich Hamburg-Heiner an. Mit ihm diskutiert Sven dann das Wahngebilde, das die Firma Windel dazu brachte, das schöne Lied "O Tannenbaum" in ihrem Gesangsheftchen "by windel for unicef" im 4/4- und nicht im Ÿ-Takt zu notieren. Hamburg-Heiner meint: "Wenn schon Jahrhundert, dann das 18." Firm ist Hamburg-Heiner auch in Konsumkritik ("Vielleicht ist der Flowery Golden Tippy Orange Pekoe First Flush von Starbucks auch ein Parteiprogramm.") und Stilkritik: "HH: Das ist mir aber jetzt schon aufgefallen, dass du neuerdings das ,sich' in deiner Prosa auf eine Weise hintanstellst, wie es nur adornobesessene Kulturwissenschaftler der früher 80er Jahre noch sich trauten, Freund! Sven: Man könnte tagelang damit sich vergnügen, es würde auf Dauer aber als prätentiös sich entlarven, fürchte ich. Deshalb mal was anderes: Wirst du heute Abend in der Altersdorfer Sporthalle sein?" Unter dem Titel "Ohne Roger ist alles Asche!" fragen sich die beiden im Buchmessen-Blog, wo die legendäre "Arno-Schmidt-Gesellschaft" ihren Stand hat, die eigentlich unter dem Kopfschmerz-Kürzel "ASS", "Arno-Schmidt-Stiftung", firmiert. Hamburg-Heiner glaubt, die ASS-Leute hätten nach der Lektüre des Regener-Blogs die Flucht ergriffen. Sven darauf: "So wirkmächtig, Kamerad, so wirkmächtig kann ein Blog nicht sein."
Und doch verfolgt Regener mit seinem "VÖ heißt nicht Vorderes Österreich"-Blog für standard.at das nicht unehrgeizige Ziel, erstens dem ß wieder zu mehr Geltung zu verhelfen und zweitens Österreich und Deutschland endlich miteinander auszusöhnen. Der Österreich-Blog ist Regeners witzigster, weil knackigster Blog von allen. Hier übertrumpft ein Kalauer den anderen, der Running Gag "Kein Wort über Königgrätz" wird bis an die Grenze des Wahnsinns ausgereizt, und auch Hamburg-Heiner läuft zur Höchstform auf. Von meisterlich lakonischer Komik sind auch die kleinen Stadtporträts, mit denen Regener den Österreichern Deutschland als Urlaubsland näherbringen will. Glanzlicht der Regenerschen Schwachsinnsfotografie - die er geschickt als Übertragung des "Eisensteinschen Montage-Prinzips" auf die Digitalfotografie tarnt - ist die verwackelte Fotostrecke "Samba-Karnevals-Straßenbahnfahrt" durch die Wintertristesse von Bremer Ausfallstraßen.
Was am Ende all dieser Blogs heraus kommt, ist eine äußerst amüsant und überdies natürlich klug zu lesende Aneinanderreihung von Nonsense, wie wir ihn bereits aus den Dialogen des Herrn Lehmann mit seinen Kreuzberger Bierphilosophen kennen. Oder, wie Regener es nennt: "The endless Streams of Laber". Deshalb greift Hamburg-Heiner immer wieder ordnend ein: "Sven! Schluss jetzt! Du hast einen Laberflash! Das will doch kein Mensch lesen!" Da müssen wir vehement widersprechen: Doch, wollen wir!
Sven Regener: "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner".
Logbücher.
Galiani Verlag, Berlin 2011. 432 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sven Regener hat seine Blogs gesammelt. "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner" sind ein geniales Hybrid zwischen Roman und Tagebuch - und das lustigste Buch dieses Frühlings.
Von Sarah Elsing
Sven Regener, dem Autor der legendären Herr-Lehmann-Trilogie und Sänger der Band Element of Crime, ist nicht ganz klar, was das mit dem Bloggen überhaupt soll, als berlin.de im Sommer 2005 auf die Idee kommt, er solle die Erlebnisse der letzten zehn Tage vor dem Erscheinen der neuen Element of Crime-Platte in einem eigenen Blog festhalten. "Das ist Promo", erklärt Thorsten von Universal, der Regener ein halbes Jahr später auch noch einen Advents-Blog auf Zuender.zeit.de aufnötigt. Sven Regener erinnert sich an eine schreckliche Jubiläumssendung beim SFB, bei der er sich mit Otto Sander ordentlich die Kante gegeben habe. Alle zehn Minuten sei Sander aufgestanden und für die Kameras durch den Saal gelaufen. Damals habe er verstanden, was "Promo" sei.
Als "Promo" könnte man gewissermaßen das ganze Buch bezeichnen, das Regener jetzt unter dem Titel "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner" herausgebracht hat, denn es besteht nur aus Blogs. Neben dem berlin.de- und dem Advents-Blog gibt es einen Blog über die "Element-of-Crime-Tour" 2007, einen Blog über einen Band-Ausflug nach Nashville und Blogs mit den irreführenden Titeln "Sex auf der Buchmesse", "VÖ heißt nicht Vorderes Österreich", "Die letzte U-Bahn geht später" und "Männer mit Spielplan". Alle hat Regener von 2005 bis 2010 seiner Plattenfirma zu Liebe geschrieben. Doch zum Glück entsteht, wenn man diese Blogs am Stück liest, kein schlaffes "Promo"-Flickwerk, sondern ein literarisch hochinteressantes Hybrid zwischen Tagebuch und Roman und ein echter Regener, der ja bereits mit "Herr Lehmann" (2001), "Neue Vahr Süd" (2004) und "Der kleine Bruder" Leser wie Rezensenten begeisterte.
Über was überhaupt schreiben, fragt sich der Autor zu Beginn. "Wenn man wenigstens eine anständige Verschwörungstheorie am Start hätte, irgend so einen total doofen Quark, den man jetzt unter die Leute bringen könnte, oder eine total bescheuerte, von keiner Ahnung getrübte Meinung." Dieses anfängliche Fremdeln mit dem Medium überwindet Regener mit der Erfindung des alten Kumpels "Hamburg-Heiner", kurz "HH", mit dessen Hilfe er ein Element einführt, das dem Wesen des Blogs eigentlich fremd ist, das der Autor aber beherrscht wie kein Zweiter: Dialoge, die wohl zu den absurdesten und witzigsten der deutschen Gegenwartsliteratur gehören.
Immer wenn das Blog an Schwung zu verlieren droht, wenn auch die nebensächlichsten Themen (Erdnüsse auf Bussitzen, Off-Tage, Psycho-Kämpfe mit FRK, dem "Frühstücksraum-Kellner") ironisch durchgenudelt sind und nicht einmal sinnlose Essens- oder Schuhfotografie mehr weiterhelfen, ruft plötzlich Hamburg-Heiner an. Mit ihm diskutiert Sven dann das Wahngebilde, das die Firma Windel dazu brachte, das schöne Lied "O Tannenbaum" in ihrem Gesangsheftchen "by windel for unicef" im 4/4- und nicht im Ÿ-Takt zu notieren. Hamburg-Heiner meint: "Wenn schon Jahrhundert, dann das 18." Firm ist Hamburg-Heiner auch in Konsumkritik ("Vielleicht ist der Flowery Golden Tippy Orange Pekoe First Flush von Starbucks auch ein Parteiprogramm.") und Stilkritik: "HH: Das ist mir aber jetzt schon aufgefallen, dass du neuerdings das ,sich' in deiner Prosa auf eine Weise hintanstellst, wie es nur adornobesessene Kulturwissenschaftler der früher 80er Jahre noch sich trauten, Freund! Sven: Man könnte tagelang damit sich vergnügen, es würde auf Dauer aber als prätentiös sich entlarven, fürchte ich. Deshalb mal was anderes: Wirst du heute Abend in der Altersdorfer Sporthalle sein?" Unter dem Titel "Ohne Roger ist alles Asche!" fragen sich die beiden im Buchmessen-Blog, wo die legendäre "Arno-Schmidt-Gesellschaft" ihren Stand hat, die eigentlich unter dem Kopfschmerz-Kürzel "ASS", "Arno-Schmidt-Stiftung", firmiert. Hamburg-Heiner glaubt, die ASS-Leute hätten nach der Lektüre des Regener-Blogs die Flucht ergriffen. Sven darauf: "So wirkmächtig, Kamerad, so wirkmächtig kann ein Blog nicht sein."
Und doch verfolgt Regener mit seinem "VÖ heißt nicht Vorderes Österreich"-Blog für standard.at das nicht unehrgeizige Ziel, erstens dem ß wieder zu mehr Geltung zu verhelfen und zweitens Österreich und Deutschland endlich miteinander auszusöhnen. Der Österreich-Blog ist Regeners witzigster, weil knackigster Blog von allen. Hier übertrumpft ein Kalauer den anderen, der Running Gag "Kein Wort über Königgrätz" wird bis an die Grenze des Wahnsinns ausgereizt, und auch Hamburg-Heiner läuft zur Höchstform auf. Von meisterlich lakonischer Komik sind auch die kleinen Stadtporträts, mit denen Regener den Österreichern Deutschland als Urlaubsland näherbringen will. Glanzlicht der Regenerschen Schwachsinnsfotografie - die er geschickt als Übertragung des "Eisensteinschen Montage-Prinzips" auf die Digitalfotografie tarnt - ist die verwackelte Fotostrecke "Samba-Karnevals-Straßenbahnfahrt" durch die Wintertristesse von Bremer Ausfallstraßen.
Was am Ende all dieser Blogs heraus kommt, ist eine äußerst amüsant und überdies natürlich klug zu lesende Aneinanderreihung von Nonsense, wie wir ihn bereits aus den Dialogen des Herrn Lehmann mit seinen Kreuzberger Bierphilosophen kennen. Oder, wie Regener es nennt: "The endless Streams of Laber". Deshalb greift Hamburg-Heiner immer wieder ordnend ein: "Sven! Schluss jetzt! Du hast einen Laberflash! Das will doch kein Mensch lesen!" Da müssen wir vehement widersprechen: Doch, wollen wir!
Sven Regener: "Meine Jahre mit Hamburg-Heiner".
Logbücher.
Galiani Verlag, Berlin 2011. 432 S., geb., 19,95 [Euro].
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