Deutschland Anfang der Achtzigerjahre: Plötzlich sitzen die Grünen im Bundestag. Noch kennt niemand Joschka Fischer. Aber der Sponti schlägt ein wie eine Bombe. Eine ganze Bewegung projiziert ihren Traum von einer besseren Welt auf ihn. Der hessische Turnschuhminister wird als Ikone der Protestbewegung geliebt und gehasst. Von Anfang an dabei ist auch der junge Reporter Jürgen Schreiber. Er ist der Story seiner eigenen Generation auf der Spur. Jürgen Schreiber erlebt Joschka, wie ihn keiner kennt. Er steht neben Fischer, als dieser sich seine berühmten Turnschuhe kauft, hört sich seinen größten Liebeskummer an, geht mit dem Polit-Star auf die Laufstrecke. Während der Straßenkämpfer Fischer seine sagenhafte Karriere mit dem Amt des Außenministers krönt, verliert er den Vizekanzler nie aus dem Blick. Er porträtiert Joschkas Freunde und er porträtiert Joschkas Feinde. In der Summe entsteht das Psychogramm der Generation Grün, die viel versprach und wenig hielt - eine Chronik der Leidenschaft und Selbsttäuschung. Sie erzählt nicht nur Fischers Geschichte, sie erzählt unsere Geschichte. Und sentimental ist sie auch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.2007Meine Jahre mit Joschka
Ein Hexer namens Fischer: Jürgen Schreibers Autopsiebericht als Vorabdruck
"Freunde waren wir nie." Mit diesem Satz beginnt und endet das neue Buch von Jürgen Schreiber, das wir von heute an auszugsweise in Fortsetzungen abdrucken. Es heißt "Meine Jahre mit Joschka". Die doppelte Versicherung signalisiert zweierlei: Dies ist keine Biographie von Joschka Fischer, denn eine biographische Studie erfordert Objektivität. Und noch wichtiger: Dies ist keine Apologie auf jenen Mann, der fast während seiner ganzen Amtszeit als Außenminister, also von 1998 bis 2005, den Spitzenplatz in der Rangliste der beliebtesten deutschen Politiker einnahm. Schreiber lässt denn auch kaum ein gutes Haar an Fischer. Das ist überraschend, denn beide, der Politiker und der Journalist, waren für lange Zeit Weggefährten. Sie spielten Fußball zusammen, und Fischer lud Schreiber ein, im Dienstwagen mitzufahren. "Wir hatten einen Draht zueinander. Über die Kluft unterschiedlicher Sozialisation hinweg stimmte die Grundmelodie."
Die Rede in musikalischen Metaphern ist bezeichnend für das Buch. Immer wieder zieht Schreiber bekannte Liedtexte zur Charakterisierung einer Situation heran. Mit diesen Fragmenten, die einen aus dem Text anwehen wie die Klänge im Straßenverkehr einer Großstadt, werden Stimmungen und Zeitläufte verdeutlicht, ohne dass man viele weitere Worte darum machen müsste; vor allem aber sind sie eine weitere ins höchst Subjektive gesteigerte Selbstvergewisserung eines Autors, der sein Buch konsequent in der Ich-Form erzählt. Je mehr er von Fischer erzählt, desto deutlicher wird "Meine Jahre mit Joschka" auch zur Abrechnung mit sich selbst. Sehr spät im Buch erst wird Schreiber diesbezüglich konkret: "Fischer hasste Autoritäten, hasste Mächtige, witterte den Gegner überall, auch da, wo keiner war. Das entsprach mehr, als mir heute lieb ist, auch meinem Denken."
Doch das Buch ist auch keine Autobiographie. Wenn es überhaupt einen Begriff gäbe, der Schreibers literarisches Vorgehen treffen soll, dann müsste man von einer Autopsie sprechen. Ihr Gegenstand ist allerdings nicht Fischer, sondern es sind die Grünen als Partei, von der man sich eine Alternative zum etablierten politischen System versprochen hatte. Diese Partei, das will Schreiber zeigen, ist von Fischer verdorben worden und mit ihr die Hoffnung einer ganzen Generation, der Schreiber als Jahrgang 1946 ebenso angehört wie der zwei Jahre jüngere Politiker.
Fischer hat ihn erst bezaubert, dann verhext, und so ist Schreiber zuletzt nur noch der Exorzismus geblieben. Er begann damit bereits im Jahr 2000, als dem Autor, damals Redakteur beim Berliner "Tagesspiegel", jenes Foto übergeben wurde, das den jungen Joschka Fischer beim Angriff auf einen Polizisten zeigt. Die dadurch ausgelösten Recherchen Schreibers erschütterten für einige Monate die rot-grüne Koalition und brachten ihm Ruhm und Ehrungen ein, aber der Außenminister überstand diese Enthüllung.
In "Meine Jahre mit Joschka" wird nun nicht nachgelegt, sondern neugedeutet: Schreiber sieht Fischer als Projektionsfläche ihrer beider Generation, die noch zwanzig Jahre lang alle wichtigen Funktionen in Deutschland innehaben wird. Diese Projektionsfläche will Schreiber als Zerrspiegel entlarven. Dazu holt er weitere Akteure auf die Bühne: den Grünen-Politiker Rezzo Schlauch etwa oder den Terroristen Jochen Klein. Sie vertreten exemplarisch die unterdrückten Aspekte von Fischers Persönlichkeit und das Dilemma jener Generation, die sich entscheiden musste zwischen Überzeugung und Aufstieg. Die Reaktionen auf das Buch werden einen Vorgeschmack darauf bieten, wie die unvermeidlichen Debatten dazu innerhalb und mit dieser Generation ausfallen können.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Hexer namens Fischer: Jürgen Schreibers Autopsiebericht als Vorabdruck
"Freunde waren wir nie." Mit diesem Satz beginnt und endet das neue Buch von Jürgen Schreiber, das wir von heute an auszugsweise in Fortsetzungen abdrucken. Es heißt "Meine Jahre mit Joschka". Die doppelte Versicherung signalisiert zweierlei: Dies ist keine Biographie von Joschka Fischer, denn eine biographische Studie erfordert Objektivität. Und noch wichtiger: Dies ist keine Apologie auf jenen Mann, der fast während seiner ganzen Amtszeit als Außenminister, also von 1998 bis 2005, den Spitzenplatz in der Rangliste der beliebtesten deutschen Politiker einnahm. Schreiber lässt denn auch kaum ein gutes Haar an Fischer. Das ist überraschend, denn beide, der Politiker und der Journalist, waren für lange Zeit Weggefährten. Sie spielten Fußball zusammen, und Fischer lud Schreiber ein, im Dienstwagen mitzufahren. "Wir hatten einen Draht zueinander. Über die Kluft unterschiedlicher Sozialisation hinweg stimmte die Grundmelodie."
Die Rede in musikalischen Metaphern ist bezeichnend für das Buch. Immer wieder zieht Schreiber bekannte Liedtexte zur Charakterisierung einer Situation heran. Mit diesen Fragmenten, die einen aus dem Text anwehen wie die Klänge im Straßenverkehr einer Großstadt, werden Stimmungen und Zeitläufte verdeutlicht, ohne dass man viele weitere Worte darum machen müsste; vor allem aber sind sie eine weitere ins höchst Subjektive gesteigerte Selbstvergewisserung eines Autors, der sein Buch konsequent in der Ich-Form erzählt. Je mehr er von Fischer erzählt, desto deutlicher wird "Meine Jahre mit Joschka" auch zur Abrechnung mit sich selbst. Sehr spät im Buch erst wird Schreiber diesbezüglich konkret: "Fischer hasste Autoritäten, hasste Mächtige, witterte den Gegner überall, auch da, wo keiner war. Das entsprach mehr, als mir heute lieb ist, auch meinem Denken."
Doch das Buch ist auch keine Autobiographie. Wenn es überhaupt einen Begriff gäbe, der Schreibers literarisches Vorgehen treffen soll, dann müsste man von einer Autopsie sprechen. Ihr Gegenstand ist allerdings nicht Fischer, sondern es sind die Grünen als Partei, von der man sich eine Alternative zum etablierten politischen System versprochen hatte. Diese Partei, das will Schreiber zeigen, ist von Fischer verdorben worden und mit ihr die Hoffnung einer ganzen Generation, der Schreiber als Jahrgang 1946 ebenso angehört wie der zwei Jahre jüngere Politiker.
Fischer hat ihn erst bezaubert, dann verhext, und so ist Schreiber zuletzt nur noch der Exorzismus geblieben. Er begann damit bereits im Jahr 2000, als dem Autor, damals Redakteur beim Berliner "Tagesspiegel", jenes Foto übergeben wurde, das den jungen Joschka Fischer beim Angriff auf einen Polizisten zeigt. Die dadurch ausgelösten Recherchen Schreibers erschütterten für einige Monate die rot-grüne Koalition und brachten ihm Ruhm und Ehrungen ein, aber der Außenminister überstand diese Enthüllung.
In "Meine Jahre mit Joschka" wird nun nicht nachgelegt, sondern neugedeutet: Schreiber sieht Fischer als Projektionsfläche ihrer beider Generation, die noch zwanzig Jahre lang alle wichtigen Funktionen in Deutschland innehaben wird. Diese Projektionsfläche will Schreiber als Zerrspiegel entlarven. Dazu holt er weitere Akteure auf die Bühne: den Grünen-Politiker Rezzo Schlauch etwa oder den Terroristen Jochen Klein. Sie vertreten exemplarisch die unterdrückten Aspekte von Fischers Persönlichkeit und das Dilemma jener Generation, die sich entscheiden musste zwischen Überzeugung und Aufstieg. Die Reaktionen auf das Buch werden einen Vorgeschmack darauf bieten, wie die unvermeidlichen Debatten dazu innerhalb und mit dieser Generation ausfallen können.
ANDREAS PLATTHAUS
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"Schreiber ist ... einer der besten investigativen Journalisten dieses Landes. Er weiß seine Beobachtungen so packend zu schildern, so kunstvoll zu verweben, als schriebe hier ein Tom Wolfe." Berliner Zeitung "Endlich, endlich ist Alt-Außenminister Joschka Fischer zu Potte gekommen mit seinen Memoiren. Mit mehreren Wochen Verspätung geht er demnächst auf Leser-Werbereise durch die Republik. Vertraut man dem Urteil jener, die schon die Fahnenabzüge des Werks lesen durften, so hält sich er Enthüllungswert des Buchs in engen Grenzen. Nichts neues, seufzen die Lektoren. Sogar die Erinnerungen seines rotgrünen Partners Gerhard Schröder sollen sich spannender und unterhaltsamer lesen. Daher erscheint es ratsam, zu den Fischer-Memoiren ein Fischer-Buch zu erwerben, das Anfang September im Econ-Verlag mit dem saftigen Titel erscheint 'Meine Jahre mit Joschka. Nachrichten aus fetten und mageren Zeiten.' Geschrieben hat es Jürgen Schreiber, mehrfach für investigativen Journalismus ausgezeichneter Autor, der Fischer über 30 Jahre hinweg begleitet und beobachtet hat. Schreiber stellt die Fragen, denen Fischer ausweicht." stern.de / 29.08.07 / Hans Peter Schütz "Sätze wie mit der Rasierklinge geschrieben. Von einem, der Fischer drei Jahrzehnte beobachtet, begleitet, bewundert hat, ja, das auch, trotz der unzähligen Widersprüche und Ungereimtheiten, die Joschka ihm vorlebte und auszuhalten aufgab. Meine Jahre mit Joschka, heißt Schreibers Buch (Econ-Verlag), das die Frankfurter Allgemeine mit einem Vorabdruck aus der grauen Masse der 30 000 Neuerscheinungen dieses Bücher-Herbstes hervorgehoben hat... Eine literarische Reportage nennt Autor Schreiber, vielfach ausgezeichneter Journalist, seine Arbeit, die nichts weniger sein will als eine Fischer-Biografie. Und die doch mehr über den Straßenkämpfer, den Politiker, den Nein-Sager, den Ja-Sager, den Menschen Fischer in all seinen radikalen Widersprüchen erzählt als es Fischers eigene Memoiren jemals tun werden, die in diesen Tagen ebenfalls auf den Büchertischen liegen werden. Insofern ist das Buch ein Glücksfall, zumal in einer Zeit, in der abgetretene Politiker ihre Geschichte und zeitgeschichtliche Bedeutung selbst glorifizieren... Natürlich wird Fischer das Buch nicht mögen, allein schon deshalb, weil er sich auf eine Selbstbefragung nie eingelassen hat. Schreiber ist es, ohne plumpe Häme und ohne Bitternis, gelungen, die stetig wechselnden Hüllen und Körperumfänge aufzubrechen, in der sich Fischer stets versteckt hielt. Und doch ist es kein bitteres Buch, geschrieben zuweilen in der Ich-Form, was die leise Wehmut über den Niedergang seines Sujets bewusst macht. Schon allein aus diesem Grund müsste Fischer glücklich sein, ein solches Buch zu bekommen." stern.de /Hans Peter Schütz/ 22. September 2007 "Seine genauen Beobachtungen und pointierten Formulierungen, seine Erinnerungsbilder und Reflexionen, sein Witz, der mal melancholisch leise, mal sarkastisch schneidend klingt all das ist von keiner Fischer-Biografie erreicht worden." 10/07 Der Spiegel Spezial / Rainer Traub
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Keinen Zweifel lässt Ralf Altenhof an der Tatsache, dass es sich bei dem Buch von Jürgen Schreiber über den von 1998 bis 2005 als Außenminister amtierenden Joschka Fischer um eine aus persönlicher Enttäuschung geborene "Abrechnung" handelt. Immerhin, Schwarzweißmalerei wirft der Rezensent dem Journalisten und Publizisten dennoch nicht vor, stattdessen streicht er heraus, dass Schreiber neben offener Ablehnung auch "Bewunderung" für die Rhetorik, das Improvisationsvermögen und die schnelle Intelligenz Fischers an den Tag legt. Den losen Ton dieses Rückblicks findet Altenhof durchaus angemessen und er findet so manche abschätzige Bemerkung des Autors erstaunlich treffend. Wenn Schreiber über die große Beliebtheit des Grünenpolitikers sinniert, dass es sich bei dessen öffentlicher Figur im Grunde um einen imaginierten Charakter handele, stimmt ihm Altenhof zwar aus voller Kehle zu. Bei der Ergründung dieser These bleibt der Autor aber nicht zuletzt deshalb stecken, weil er nicht genügend "kritische Distanz" aufbringt, so der Rezensent unzufrieden. Und wenn Schreiber über Fischers mangelnden Geschmack oder dessen Umgangsformen lästert, dann stecken für Altenhof eindeutig "Neid und Missgunst" dahinter.
© Perlentaucher Medien GmbH
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