Kaum ein anderer Diplomat stand dem russischen Zar Nikolas II. so nahe wie der Brite George William Buchanan, der dem Untergang der russischen Aristokratie nicht nur beiwohnte, sondern ihn hatte kommen sehen und am Ende gerade so mit dem Leben davonkam. Buchanan war bereits als Botschafter in Berlin, den Niederlanden und Japan gewesen, bevor er im Auftrag seiner Majestät 1910 nach Russland entsandt
wurde. Als Attaché knüpfte er dort bald engen Kontakt sowohl zum Hof des Zaren als auch zu den liberalen Reformern und Querdenkern Russlands. Er war beteiligt an den Bemühungen der britischen Regierung, den ersten Weltkrieg mit diplomatischen Mitteln zu verhindern. Buchanan blieb während des Ersten Weltkrieges in Russland. Am zwölften Januar 1917 trat er in einer letzten Audienz vor den Zaren, um diesen in deutlichen Worten, vor dem geplanten Umsturz zu warnen und zu Reform seines autokratischen Systems zu bewegen: "Wenn ich einen Freund durch einen Wald irren sähe, in einer düsteren Nacht auf einem Pfad, von dem ich weiß, dass er zu einem Abgrund führt, wäre es dann nicht meine Aufgabe, Herr, ihn vor dieser Gefahr zu warnen? Und wäre es nicht gleichermaßen meine Aufgabe Eure Majestät vor diesem Höllenschlund zu warnen, der vor Euch liegt? Herr, gelangt Ihr bald dorthin, wo der Weg sich teilt, so müsst Ihr Euch für einen der beiden Pfade entscheiden. Einer wird Euch zu Sieg und glorreichem Frieden führen - der andere in Revolution und Desaster. Lasst mich Eure Majestät anflehen, ersteren zu gehen."
wurde. Als Attaché knüpfte er dort bald engen Kontakt sowohl zum Hof des Zaren als auch zu den liberalen Reformern und Querdenkern Russlands. Er war beteiligt an den Bemühungen der britischen Regierung, den ersten Weltkrieg mit diplomatischen Mitteln zu verhindern. Buchanan blieb während des Ersten Weltkrieges in Russland. Am zwölften Januar 1917 trat er in einer letzten Audienz vor den Zaren, um diesen in deutlichen Worten, vor dem geplanten Umsturz zu warnen und zu Reform seines autokratischen Systems zu bewegen: "Wenn ich einen Freund durch einen Wald irren sähe, in einer düsteren Nacht auf einem Pfad, von dem ich weiß, dass er zu einem Abgrund führt, wäre es dann nicht meine Aufgabe, Herr, ihn vor dieser Gefahr zu warnen? Und wäre es nicht gleichermaßen meine Aufgabe Eure Majestät vor diesem Höllenschlund zu warnen, der vor Euch liegt? Herr, gelangt Ihr bald dorthin, wo der Weg sich teilt, so müsst Ihr Euch für einen der beiden Pfade entscheiden. Einer wird Euch zu Sieg und glorreichem Frieden führen - der andere in Revolution und Desaster. Lasst mich Eure Majestät anflehen, ersteren zu gehen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.2018Russland von innen
Wer in die Diplomatiegeschichte vor und während des Ersten Weltkriegs eintaucht, der stößt unweigerlich auf die Erinnerungen des britischen Botschafters am Zarenhof George William Buchanan. 1923 erschienen sie erstmals in London, 1926 in deutscher Übersetzung, Letztere nun in einer lediglich orthographisch auf Stand gebrachten Neuausgabe.
Buchanan hatte den Posten von 1910 bis Anfang 1918 inne. Zusammen mit den Memoiren seines französischen Kollegen Maurice Paléologue, der von 1914 bis 1917 Botschafter in Petrograd (St. Petersburg) war und seine Erinnerungen an diese Zeit ebenfalls später veröffentlichte (1929 in deutscher Übersetzung), gehört "Meine Mission in Russland" zu den scharfsinnigen zeitgenössischen Beschreibungen Russlands aus der Feder eines Ausländers in den Jahren von Krieg und Revolution. Buchanan, Sohn eines Diplomaten, hatte Zugang zur Zarenfamilie und pflegte Umgang mit wichtigen Persönlichkeiten des Russischen Reiches aus allen Bereichen. Er beobachtet die Vorgänge am Hofe genau und selbstverständlich auch die Politik der Mächte. Seine Aufzeichnungen bilden eine Konstante in den Jahren der großen politischen und sozialen Verwerfungen. Wer eine Innensicht auf die russischen und europäischen Verhältnisse dieser Periode wünscht, der findet in diesem Buch immer noch eine anregende Lektüre.
Mit der Ausreise Buchanans aus der russischen Hauptstadt endete vorläufig auch ein Kapitel Diplomatiegeschichte. Die Bolschewiki veröffentlichten die Geheimverträge der kriegführenden Mächte und versuchten auf diese Weise, ein System zu untergraben, dessen Vertreter Buchanan war. Während seiner beiden letzten Amtsjahre in Rom von 1919 bis 1921 lernte er die letzten Zuckungen des liberalen Italiens kennen. Die Anfänge des Faschismus sah er nicht. Es war für ihn in Italien "nicht dieselbe interessante Arbeit wie in Russland".
STEFAN PLAGGENBORG.
George William Buchanan: "Meine Mission in Russland".
Steidl Verlag, Göttingen 2018. 448 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer in die Diplomatiegeschichte vor und während des Ersten Weltkriegs eintaucht, der stößt unweigerlich auf die Erinnerungen des britischen Botschafters am Zarenhof George William Buchanan. 1923 erschienen sie erstmals in London, 1926 in deutscher Übersetzung, Letztere nun in einer lediglich orthographisch auf Stand gebrachten Neuausgabe.
Buchanan hatte den Posten von 1910 bis Anfang 1918 inne. Zusammen mit den Memoiren seines französischen Kollegen Maurice Paléologue, der von 1914 bis 1917 Botschafter in Petrograd (St. Petersburg) war und seine Erinnerungen an diese Zeit ebenfalls später veröffentlichte (1929 in deutscher Übersetzung), gehört "Meine Mission in Russland" zu den scharfsinnigen zeitgenössischen Beschreibungen Russlands aus der Feder eines Ausländers in den Jahren von Krieg und Revolution. Buchanan, Sohn eines Diplomaten, hatte Zugang zur Zarenfamilie und pflegte Umgang mit wichtigen Persönlichkeiten des Russischen Reiches aus allen Bereichen. Er beobachtet die Vorgänge am Hofe genau und selbstverständlich auch die Politik der Mächte. Seine Aufzeichnungen bilden eine Konstante in den Jahren der großen politischen und sozialen Verwerfungen. Wer eine Innensicht auf die russischen und europäischen Verhältnisse dieser Periode wünscht, der findet in diesem Buch immer noch eine anregende Lektüre.
Mit der Ausreise Buchanans aus der russischen Hauptstadt endete vorläufig auch ein Kapitel Diplomatiegeschichte. Die Bolschewiki veröffentlichten die Geheimverträge der kriegführenden Mächte und versuchten auf diese Weise, ein System zu untergraben, dessen Vertreter Buchanan war. Während seiner beiden letzten Amtsjahre in Rom von 1919 bis 1921 lernte er die letzten Zuckungen des liberalen Italiens kennen. Die Anfänge des Faschismus sah er nicht. Es war für ihn in Italien "nicht dieselbe interessante Arbeit wie in Russland".
STEFAN PLAGGENBORG.
George William Buchanan: "Meine Mission in Russland".
Steidl Verlag, Göttingen 2018. 448 S., geb., 24,- [Euro].
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