Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2022Humor gegen Weltschmerz
Stine Pilgaards Roman "Meine Mutter sagt"
Die Autorin war noch jung, als sie dieses Buch schrieb. Es ist nämlich das erste der 1984 bei Aarhus geborenen Stine Pilgaard und erschien auf Dänisch vor zehn Jahren. Aber in Stil und Rhythmus, in Dialogführung und Konstruktion ist es ein ausgeklügeltes, fast erfahren wirkendes Debüt, unbekümmert und reif zugleich. Auch ein ausgesprochen amüsantes Debüt, weil alles so absurd und exakt beobachtet (und belauscht) und so ungerührt und knapp geschildert ist. Es wird von einem wortkargen, trockenen Humor getragen, wie wir ihn von unseren norddeutschen oder westfälischen Landsleuten kennen, und von einer nachsichtigen Ironie.
Pilgaard kann sarkastisch sein, aber nie zynisch. Sie hat lauter Figuren erschaffen, die nahe an der Karikatur sind. Alle haben ihre Macken, trotzdem mag die Autorin sie, keine ist oberflächlich geschildert oder lieblos hingehuscht: die nervige, aber auch gutgläubige Mutter, eine Immobilienmaklerin; der verständnisvolle, ein wenig energielose Vater, ein Pfarrer; der scheinbar teilnahmslose, streng wissenschaftliche Arzt, dem die bürgerlich gebildete Heldin mit so was wie Trauertrotz begegnet; oder die etwas hibbelige, aber zupackende Freundin, die sogenannte "Spindoktorin" mit dem ulkigen Spitznamen Mulle, die sich "nicht lange damit aufhält, über Gefühle zu reden, stattdessen kauft sie mir Zuckerwatte". Die Ich-Erzählerin ist eine Studentin, die mit ihrer Masterarbeit nicht nur nicht zurande kommt, nein, sie hat noch gar nicht angefangen. Sie gehört zu dieser Generation junger Leute, die heute, da wir die Übersetzung lesen, zwar ständig Wörter wie "Challenge" und "performen" im Munde führen, aber teils aus Bequemlichkeit, teils aus Überzeugung mit Leistung nichts zu schaffen haben wollen. Allerdings leiden sie auch darunter: Ihr emsiges Nichtstun ist mit dem glücklichen Dolcefarniente nicht zu verwechseln.
Noch mehr leidet unsere namenlose Studentin darunter, dass ihre Partnerin mit ihr Schluss gemacht hat. Eigentlich kennt sie das von ihren Eltern, die geschieden sind und sich neu gebunden haben. Aber Pilgaards Humor bewirkt, dass sich aus der ernsten Verzweiflung der Heldin komische Situationen und skurrile Zwiegespräche en masse ergeben; manche ihrer kleinen Bemerkungen könnten von Saga Norén aus der Thrillerserie "Die Brücke" stammen. Die Figuren sind Meister im Aneinandervorbeireden.
Die verlassene Heldin sucht Zuflucht beim Vater, der ein ewiger Fan von Pink Floyd ist. Nicht schlecht, mit "Wish You Were Here" könnte sie jedenfalls wunderbar ihrer Sehnsucht nach der Verflossenen frönen. Dann besucht sie ihre Mutter in Amtoft am Limfjord, das man mit öffentlichen Verkehrsmitteln erst nach Tagen erreicht und wo die Taschenkrebse "als die aggressivsten von ganz Dänemark bekannt sind. Meine Mutter nennt mich Schätzchen und findet, ich soll nicht so negativ sein." Ahnungslos freut sie sich über die Fortschritte ihrer Tochter bei der Masterarbeit über den Barockdichter Thomas Kingo: "Ade, arge Welt!"
Stine Pilegaard schildert das Hamsterrad des Lebens, ihre Figuren laufen im Kreis und starren nur noch auf den Zirkus in ihnen selbst. So klingt dänischer Weltschmerz. Womöglich aber würde die Verzweiflung über den Verlust der Freundin, die eigene Arbeitsunfähigkeit und die sich verlässlich anschleichende Depression im allgegenwärtigen Witz ertrinken, wenn nicht die zwölf eingestreuten "Seepferdchenmonologe" wären. Nirgendwo im Buch ist die Gegenwart der Vergangenheit handgreiflicher als hier. Da ist der Satz länger, die Sprache gehobener, da erinnert sich der "Hippocampus" im Gehirn, eben das "Seepferdchen", an alles, was die Heldin im Innern bewegt. Im Herzen steht ein Museum erloschener Beziehungen, im Solarplexus wimmeln die "lachenden Dämonen", Niederlagen, Schuldgefühle, in der Nase ist ein Mausoleum verwehter Düfte, in den Handflächen leben die Phantasien über Helden und Beschützer - die letztendlich und eigentlich doch all die mackenbehafteten Typen sind, die sie umgeben und zu denen auch die Mutter gehört, die immer recht hat und, räusper, ein wunderbares Beispiel toxischer Weiblichkeit sein kann. Ohne sie alle sähe es für unsere Heldin noch viel, viel schlimmer aus. PETER URBAN-HALLE
Stine Pilgaard:
"Meine Mutter sagt". Roman.
Aus dem Dänischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Kanon Verlag, Berlin 2022. 192 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stine Pilgaards Roman "Meine Mutter sagt"
Die Autorin war noch jung, als sie dieses Buch schrieb. Es ist nämlich das erste der 1984 bei Aarhus geborenen Stine Pilgaard und erschien auf Dänisch vor zehn Jahren. Aber in Stil und Rhythmus, in Dialogführung und Konstruktion ist es ein ausgeklügeltes, fast erfahren wirkendes Debüt, unbekümmert und reif zugleich. Auch ein ausgesprochen amüsantes Debüt, weil alles so absurd und exakt beobachtet (und belauscht) und so ungerührt und knapp geschildert ist. Es wird von einem wortkargen, trockenen Humor getragen, wie wir ihn von unseren norddeutschen oder westfälischen Landsleuten kennen, und von einer nachsichtigen Ironie.
Pilgaard kann sarkastisch sein, aber nie zynisch. Sie hat lauter Figuren erschaffen, die nahe an der Karikatur sind. Alle haben ihre Macken, trotzdem mag die Autorin sie, keine ist oberflächlich geschildert oder lieblos hingehuscht: die nervige, aber auch gutgläubige Mutter, eine Immobilienmaklerin; der verständnisvolle, ein wenig energielose Vater, ein Pfarrer; der scheinbar teilnahmslose, streng wissenschaftliche Arzt, dem die bürgerlich gebildete Heldin mit so was wie Trauertrotz begegnet; oder die etwas hibbelige, aber zupackende Freundin, die sogenannte "Spindoktorin" mit dem ulkigen Spitznamen Mulle, die sich "nicht lange damit aufhält, über Gefühle zu reden, stattdessen kauft sie mir Zuckerwatte". Die Ich-Erzählerin ist eine Studentin, die mit ihrer Masterarbeit nicht nur nicht zurande kommt, nein, sie hat noch gar nicht angefangen. Sie gehört zu dieser Generation junger Leute, die heute, da wir die Übersetzung lesen, zwar ständig Wörter wie "Challenge" und "performen" im Munde führen, aber teils aus Bequemlichkeit, teils aus Überzeugung mit Leistung nichts zu schaffen haben wollen. Allerdings leiden sie auch darunter: Ihr emsiges Nichtstun ist mit dem glücklichen Dolcefarniente nicht zu verwechseln.
Noch mehr leidet unsere namenlose Studentin darunter, dass ihre Partnerin mit ihr Schluss gemacht hat. Eigentlich kennt sie das von ihren Eltern, die geschieden sind und sich neu gebunden haben. Aber Pilgaards Humor bewirkt, dass sich aus der ernsten Verzweiflung der Heldin komische Situationen und skurrile Zwiegespräche en masse ergeben; manche ihrer kleinen Bemerkungen könnten von Saga Norén aus der Thrillerserie "Die Brücke" stammen. Die Figuren sind Meister im Aneinandervorbeireden.
Die verlassene Heldin sucht Zuflucht beim Vater, der ein ewiger Fan von Pink Floyd ist. Nicht schlecht, mit "Wish You Were Here" könnte sie jedenfalls wunderbar ihrer Sehnsucht nach der Verflossenen frönen. Dann besucht sie ihre Mutter in Amtoft am Limfjord, das man mit öffentlichen Verkehrsmitteln erst nach Tagen erreicht und wo die Taschenkrebse "als die aggressivsten von ganz Dänemark bekannt sind. Meine Mutter nennt mich Schätzchen und findet, ich soll nicht so negativ sein." Ahnungslos freut sie sich über die Fortschritte ihrer Tochter bei der Masterarbeit über den Barockdichter Thomas Kingo: "Ade, arge Welt!"
Stine Pilegaard schildert das Hamsterrad des Lebens, ihre Figuren laufen im Kreis und starren nur noch auf den Zirkus in ihnen selbst. So klingt dänischer Weltschmerz. Womöglich aber würde die Verzweiflung über den Verlust der Freundin, die eigene Arbeitsunfähigkeit und die sich verlässlich anschleichende Depression im allgegenwärtigen Witz ertrinken, wenn nicht die zwölf eingestreuten "Seepferdchenmonologe" wären. Nirgendwo im Buch ist die Gegenwart der Vergangenheit handgreiflicher als hier. Da ist der Satz länger, die Sprache gehobener, da erinnert sich der "Hippocampus" im Gehirn, eben das "Seepferdchen", an alles, was die Heldin im Innern bewegt. Im Herzen steht ein Museum erloschener Beziehungen, im Solarplexus wimmeln die "lachenden Dämonen", Niederlagen, Schuldgefühle, in der Nase ist ein Mausoleum verwehter Düfte, in den Handflächen leben die Phantasien über Helden und Beschützer - die letztendlich und eigentlich doch all die mackenbehafteten Typen sind, die sie umgeben und zu denen auch die Mutter gehört, die immer recht hat und, räusper, ein wunderbares Beispiel toxischer Weiblichkeit sein kann. Ohne sie alle sähe es für unsere Heldin noch viel, viel schlimmer aus. PETER URBAN-HALLE
Stine Pilgaard:
"Meine Mutter sagt". Roman.
Aus dem Dänischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Kanon Verlag, Berlin 2022. 192 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Peter Urban-Halle empfiehlt wärmstens das Debüt von Stine Pilgaard. Pilgaards Ich-Erzählerin ist für den Rezensenten ein treffendes Exemplar einer Generation, die halb aus Bequemlichkeit, halb aus Überzeugung nichts zustande bringt. Wie die Autorin diese prokrastinierende Studentin in einen Figurenreigen einbettet und ihre Verzweiflung schildert, amüsant, doch liebevoll, knapp, doch exakt, findet er bemerkenswert reif. "So klingt dänischer Weltschmerz", meint Urban-Halle.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Stine Pilgaards Debüt sprüht vor Eleganz und Energie.« Politiken