Allein und mit Neugier im Gepäck erkundet Nadine Pungs die Arabische Halbinsel: von Jordanien über Kuwait, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Oman bis an die Grenze des Jemen. Sie reitet mit Beduinen durch die Wüste, übernachtet in Zelten und Wolkenkratzern, spricht mit Gastarbeitern und Geflüchteten. Sie trifft einen Scheich und hat sogar eine Audienz bei einer waschechten Prinzessin. Pungs sammelt Geschichten aus dem Orient und fügt aus ihren Begegnungen und Beobachtungen ein schillerndes Mosaik des heutigen Arabien zusammen. Dabei erlebt sie Herzensgüte, aber auch ausweglos erscheinende Situationen. Und irgendwann muss sie sich entscheiden: aufgeben oder solange weiterreisen, bis die Wüste das Meer küsst.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020Der Blick
der Frauen
Nadine Pungs reist auf die Arabische Halbinsel
und sieht im Alltäglichen das Politische
VON MONIKA MAIER-ALBANG
Auch so verliert man Freunde: Nadine Pungs erzählt, während sie ihre Reise in den Nahen Osten und auf die Arabische Halbinsel plant, einer Bekannten aus Düsseldorf, dass sie in Jordanien unbedingt Petra besuchen müsse. Die sagt daraufhin: „Wer ist Petra und was macht die so?“ Sie habe, schreibt Pungs, diese Reaktion „hinreißend düsseldoof“ gefunden, was ein netter Wortwitz ist und, klar, „nicht jeder Mensch kennt Petra“. Nur, wenn die Bekannte das jetzt liest, wird sie sich zurecht vorgeführt fühlen. Oder beschämt sein. Aber auf solche Freundschaften, das räumt auch Pungs gleich ein, legt man ohnehin nicht allzu viel Wert.
Also: Petra, die alte Königstadt der Nabatäer, ist ein Muss für alle Jordanien-Urlauber. Und Nadine Pungs ist nicht einfach nur eine Urlauberin, sie ist eine Reisende im besten Sinn. Drei Monate, so hat sie sich vorgenommen, will sie die Region erkunden – von Jordanien über Kuwait und Bahrain, in die Vereinigten Arabischen Emirate bis nach Katar und Oman. Sie ist allein unterwegs und mit begrenzten finanziellen Mitteln. Was zur Folge hat, dass sie im Hotel schon mal Bekanntschaft mit Bettwanzen macht, aber auch privat bei frisch gefundenen neuen Bekannten übernachtet. Das ist ein großes Glück. Für sie wie für die Leser. Denn Pungs ist nah am echten Leben dran.
Oft ist dieses gespiegelte Leben das Leben der arabischen Frauen. Pungs, Jahrgang 1981, findet Zugang zu ihnen, obwohl sie nur ein paar Brocken ihrer Sprache beherrscht und sich oft mit kruder „Google-Lyrik“ durchschlagen muss. Aber mit „salam aleikum“ zu grüßen, sich mit „šukran“ zu bedanken und auch einer tief verschleierten Frau mit der gebotenen Höflichkeit und einem Lächeln zu begegnen, das hat Wert in dieser von Gastlichkeit tatsächlich durchdrungenen Region.
Die Autorin findet schnell Anschluss, geht in Amman shoppen mit Nihal, die sich eine Abaya kaufen möchte und sie mitnimmt, um, wie Pungs vermutet, „ein wenig Frohsinn in mein unbemanntes Leben zu bringen“. Sie kifft mit Sara über den Dächern von Manama, erfährt den Grund, warum Leylas Mann Haidar eine tiefe Traurigkeit in seinem Herzen trägt und lässt sich von Nura, der einzigen weiblichen Touristenführerin im Gouvernement Dhofar in Oman, verbotenerweise bis an die Grenze zum Jemen fahren.
Ganz nebenbei, an den Begegnungen entlang erzählt, erfährt man viel über die Sozialstruktur der Länder – zum Beispiel, dass 30 Prozent der jordanischen Jugendlichen erwerbslos sind. Wie man das viel benutzte Wort „inshalla“ richtig verwendet: Folgt ein Lächeln auf die Frage „Sehen wir uns wieder?“, dürfe man auf ein Date hoffen, so Pungs. Ein gepresstes „inshalla“ samt Augenrollen bedeute indes: „Klar, sobald die Hölle zugefroren ist, du Vollpfosten.“ Man lernt, was einen Niqab von der Burka unterscheidet. Und vieles mehr, was im aufgewühlten Diskurs in Deutschland zu kurz kommt oder den Vorurteilen zum Opfer fällt.
Nadine Pungs entpuppt sich als eine ebenso klarsichtige wie analytische Autorin. Ihre anfängliche Einlassung, sie wolle mit dem Buch keine Analyse des Nahostkonflikts liefern, sei keine Nahostexpertin und keine Islamwissenschaftlerin, mag formal stimmen – sie ist dennoch ein Understatement. Was Pungs offeriert, ist durchdrungen von politischer Einordnung. Auch wenn selten Staatsoberhäupter namentlich genannt werden. Es ist eben die ungeschönte Schilderung des Alltags, die das Buch politisch macht.
Da sind zum Beispiel die, wie Pungs sie nennt, „Wisch-und-weg-Männer“. Arbeiter aus Bangladesch oder anderen armen Ländern, die sich in den reichen Golfstaaten verdingen. Oft haben sie ihre Familie daheim, schicken ihren Lohn dorthin. „Im Wischmopp steckt die Wut“, beobachtet Pungs. „Niemand interessiert sich für sie, niemand grüßt sie oder zollt ihnen Anerkennung.“ Sie bemitleidet diese Männer und fühlt sich zugleich manchmal unwohl unter ihren begehrlichen Blicken. Die eigenen Frauen, wie gesagt, sind weit weg.
Womit man wieder bei Bahrain ist. Hier sind es die Saudis, die jedes Wochenende über den King Fahd Causeway in den kleinen Nachbarstaat einfallen. Die Frauen kommen zum Shoppen. Die Männer oft, um sich Prostituierte zu suchen. Natürlich ist das illegal. Aber überall in Manama gibt es Appartements, in denen Frauen aus den Philippinen oder Russinnen auf Freier warten. Dazu kann man in Bahrain Alkohol und Party haben, den „Nachtclub Saudi-Arabiens“ nennt Pungs den Inselstaat, in dem viele Expats leben, die zwar Arbeit haben in Saudi-Arabien, aber dort nicht wohnen möchten. Fährt man raus aus Manama, gibt es Wüste, Ölförderanlagen und eine künstliche Marina. Nichts, was Touristen anlocken muss.
Der Exkurs zu Saudi-Arabien muss ein trocken geschriebener sein, Pungs kann nicht einreisen. Bei der Visa-Vergabe ist das Land noch immer restriktiv, obwohl es mehrmals eine Tourismusoffensive verkündet hat und sie wohl auch tatsächlich anstrebt. Aber die Regierung ist janusköpfig. Verkündet Öffnung, erlaubt Frauen mehr Präsenz im öffentlichen Raum. Und lässt kritische Geister wie den Blogger Raif Badawi auspeitschen und wegsperren. Natürlich kommt Pungs auch auf die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi zu sprechen. „Viele Saudis“, schlussfolgert Pungs, seien „erschüttert und besorgt“ ob der Zustände im Land. „Niemand weiß mehr, was das Regime als Feindseligkeit versteht und was nicht. Und manch einer übersetze die Initialen des Kronprinzen Mohammed bin Salman, MbS, „jetzt mit Mister Bone Saw, Mister Knochensäge“.
Die Reise führt, ebenfalls als Exkurs, zu den Frauen des Kalifats, der Negativ-Folie für Feminismus. Und zu jenen alten Reise-Damen wie Gertrude Bell, Freya Stark und Lady Anne Blunt, die einst allen Widerständen und allem Paternalismus zum Trotz den Orient erkundeten.
Israel lässt Pungs aus. Warum, erfährt man nicht. Vielleicht ist das Land zu komplex, um es den 250 Seiten noch einzugliedern. Schade eigentlich. Aber Israel eignete sich natürlich auch für einen Fortsetzungs-Band. Hoffentlich kommt da nur nicht wieder jemand auf die Idee, der Fotostrecke im Buch ein ähnlich klischeehaftes Foto beizufügen: blonde Frau vor Skyline, aus der Abaya lugen lange Beine und ein Minirock hervor. Schon klar: Region der Widersprüche, aber, nun ja.
Pungs Beine machen ihr dann fast noch einen Strich durch die Rechnung. Bänderriss, großer Schmerz, viel Ärger. So humpelt die Autorin dem Ende ihrer Reise entgegen. Im Leeren Viertel, in Oman, kann sie trotzdem die Schönheit der Wüste genießen. „Ich schwamm in das goldgelbe Sandmeer hinaus, sitze nun auf einer Düne und betrachte die tausend Wellen bis zum Horizont.“ Ein Satz bleibt im Gedächtnis haften, den wohl nur Menschen verstehen, die die Begeisterung der Autorin fürs Reisen teilen: „Würde ich jetzt sterben, könnte ich damit leben.“
Nadine Pungs: Meine Reise ins Übermorgenland. Allein unterwegs von Jordanien bis Oman. Malik, München 2020. 256 Seiten, 18 Euro.
Sie bemitleidet die Männer.
Manchmal fühlt sie sich aber
auch unwohl unter ihren
begehrlichen Blicken – die
eigenen Frauen sind weit weg
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der Frauen
Nadine Pungs reist auf die Arabische Halbinsel
und sieht im Alltäglichen das Politische
VON MONIKA MAIER-ALBANG
Auch so verliert man Freunde: Nadine Pungs erzählt, während sie ihre Reise in den Nahen Osten und auf die Arabische Halbinsel plant, einer Bekannten aus Düsseldorf, dass sie in Jordanien unbedingt Petra besuchen müsse. Die sagt daraufhin: „Wer ist Petra und was macht die so?“ Sie habe, schreibt Pungs, diese Reaktion „hinreißend düsseldoof“ gefunden, was ein netter Wortwitz ist und, klar, „nicht jeder Mensch kennt Petra“. Nur, wenn die Bekannte das jetzt liest, wird sie sich zurecht vorgeführt fühlen. Oder beschämt sein. Aber auf solche Freundschaften, das räumt auch Pungs gleich ein, legt man ohnehin nicht allzu viel Wert.
Also: Petra, die alte Königstadt der Nabatäer, ist ein Muss für alle Jordanien-Urlauber. Und Nadine Pungs ist nicht einfach nur eine Urlauberin, sie ist eine Reisende im besten Sinn. Drei Monate, so hat sie sich vorgenommen, will sie die Region erkunden – von Jordanien über Kuwait und Bahrain, in die Vereinigten Arabischen Emirate bis nach Katar und Oman. Sie ist allein unterwegs und mit begrenzten finanziellen Mitteln. Was zur Folge hat, dass sie im Hotel schon mal Bekanntschaft mit Bettwanzen macht, aber auch privat bei frisch gefundenen neuen Bekannten übernachtet. Das ist ein großes Glück. Für sie wie für die Leser. Denn Pungs ist nah am echten Leben dran.
Oft ist dieses gespiegelte Leben das Leben der arabischen Frauen. Pungs, Jahrgang 1981, findet Zugang zu ihnen, obwohl sie nur ein paar Brocken ihrer Sprache beherrscht und sich oft mit kruder „Google-Lyrik“ durchschlagen muss. Aber mit „salam aleikum“ zu grüßen, sich mit „šukran“ zu bedanken und auch einer tief verschleierten Frau mit der gebotenen Höflichkeit und einem Lächeln zu begegnen, das hat Wert in dieser von Gastlichkeit tatsächlich durchdrungenen Region.
Die Autorin findet schnell Anschluss, geht in Amman shoppen mit Nihal, die sich eine Abaya kaufen möchte und sie mitnimmt, um, wie Pungs vermutet, „ein wenig Frohsinn in mein unbemanntes Leben zu bringen“. Sie kifft mit Sara über den Dächern von Manama, erfährt den Grund, warum Leylas Mann Haidar eine tiefe Traurigkeit in seinem Herzen trägt und lässt sich von Nura, der einzigen weiblichen Touristenführerin im Gouvernement Dhofar in Oman, verbotenerweise bis an die Grenze zum Jemen fahren.
Ganz nebenbei, an den Begegnungen entlang erzählt, erfährt man viel über die Sozialstruktur der Länder – zum Beispiel, dass 30 Prozent der jordanischen Jugendlichen erwerbslos sind. Wie man das viel benutzte Wort „inshalla“ richtig verwendet: Folgt ein Lächeln auf die Frage „Sehen wir uns wieder?“, dürfe man auf ein Date hoffen, so Pungs. Ein gepresstes „inshalla“ samt Augenrollen bedeute indes: „Klar, sobald die Hölle zugefroren ist, du Vollpfosten.“ Man lernt, was einen Niqab von der Burka unterscheidet. Und vieles mehr, was im aufgewühlten Diskurs in Deutschland zu kurz kommt oder den Vorurteilen zum Opfer fällt.
Nadine Pungs entpuppt sich als eine ebenso klarsichtige wie analytische Autorin. Ihre anfängliche Einlassung, sie wolle mit dem Buch keine Analyse des Nahostkonflikts liefern, sei keine Nahostexpertin und keine Islamwissenschaftlerin, mag formal stimmen – sie ist dennoch ein Understatement. Was Pungs offeriert, ist durchdrungen von politischer Einordnung. Auch wenn selten Staatsoberhäupter namentlich genannt werden. Es ist eben die ungeschönte Schilderung des Alltags, die das Buch politisch macht.
Da sind zum Beispiel die, wie Pungs sie nennt, „Wisch-und-weg-Männer“. Arbeiter aus Bangladesch oder anderen armen Ländern, die sich in den reichen Golfstaaten verdingen. Oft haben sie ihre Familie daheim, schicken ihren Lohn dorthin. „Im Wischmopp steckt die Wut“, beobachtet Pungs. „Niemand interessiert sich für sie, niemand grüßt sie oder zollt ihnen Anerkennung.“ Sie bemitleidet diese Männer und fühlt sich zugleich manchmal unwohl unter ihren begehrlichen Blicken. Die eigenen Frauen, wie gesagt, sind weit weg.
Womit man wieder bei Bahrain ist. Hier sind es die Saudis, die jedes Wochenende über den King Fahd Causeway in den kleinen Nachbarstaat einfallen. Die Frauen kommen zum Shoppen. Die Männer oft, um sich Prostituierte zu suchen. Natürlich ist das illegal. Aber überall in Manama gibt es Appartements, in denen Frauen aus den Philippinen oder Russinnen auf Freier warten. Dazu kann man in Bahrain Alkohol und Party haben, den „Nachtclub Saudi-Arabiens“ nennt Pungs den Inselstaat, in dem viele Expats leben, die zwar Arbeit haben in Saudi-Arabien, aber dort nicht wohnen möchten. Fährt man raus aus Manama, gibt es Wüste, Ölförderanlagen und eine künstliche Marina. Nichts, was Touristen anlocken muss.
Der Exkurs zu Saudi-Arabien muss ein trocken geschriebener sein, Pungs kann nicht einreisen. Bei der Visa-Vergabe ist das Land noch immer restriktiv, obwohl es mehrmals eine Tourismusoffensive verkündet hat und sie wohl auch tatsächlich anstrebt. Aber die Regierung ist janusköpfig. Verkündet Öffnung, erlaubt Frauen mehr Präsenz im öffentlichen Raum. Und lässt kritische Geister wie den Blogger Raif Badawi auspeitschen und wegsperren. Natürlich kommt Pungs auch auf die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi zu sprechen. „Viele Saudis“, schlussfolgert Pungs, seien „erschüttert und besorgt“ ob der Zustände im Land. „Niemand weiß mehr, was das Regime als Feindseligkeit versteht und was nicht. Und manch einer übersetze die Initialen des Kronprinzen Mohammed bin Salman, MbS, „jetzt mit Mister Bone Saw, Mister Knochensäge“.
Die Reise führt, ebenfalls als Exkurs, zu den Frauen des Kalifats, der Negativ-Folie für Feminismus. Und zu jenen alten Reise-Damen wie Gertrude Bell, Freya Stark und Lady Anne Blunt, die einst allen Widerständen und allem Paternalismus zum Trotz den Orient erkundeten.
Israel lässt Pungs aus. Warum, erfährt man nicht. Vielleicht ist das Land zu komplex, um es den 250 Seiten noch einzugliedern. Schade eigentlich. Aber Israel eignete sich natürlich auch für einen Fortsetzungs-Band. Hoffentlich kommt da nur nicht wieder jemand auf die Idee, der Fotostrecke im Buch ein ähnlich klischeehaftes Foto beizufügen: blonde Frau vor Skyline, aus der Abaya lugen lange Beine und ein Minirock hervor. Schon klar: Region der Widersprüche, aber, nun ja.
Pungs Beine machen ihr dann fast noch einen Strich durch die Rechnung. Bänderriss, großer Schmerz, viel Ärger. So humpelt die Autorin dem Ende ihrer Reise entgegen. Im Leeren Viertel, in Oman, kann sie trotzdem die Schönheit der Wüste genießen. „Ich schwamm in das goldgelbe Sandmeer hinaus, sitze nun auf einer Düne und betrachte die tausend Wellen bis zum Horizont.“ Ein Satz bleibt im Gedächtnis haften, den wohl nur Menschen verstehen, die die Begeisterung der Autorin fürs Reisen teilen: „Würde ich jetzt sterben, könnte ich damit leben.“
Nadine Pungs: Meine Reise ins Übermorgenland. Allein unterwegs von Jordanien bis Oman. Malik, München 2020. 256 Seiten, 18 Euro.
Sie bemitleidet die Männer.
Manchmal fühlt sie sich aber
auch unwohl unter ihren
begehrlichen Blicken – die
eigenen Frauen sind weit weg
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»Es gibt da diesen Satz, an dem Nadine Pungs vom Wachstumsschmerz des Herzens schreibt. Das kann beim Lesen ihres Buchs auch passieren.« WDR "Westart" 20200530