"sist zappenduster im gedicht, welche sprache es wohl spricht?" - so dringt, aus dem Inneren einer nicht deklarierten Verpackung, die Stimme des Sternmulls, der wie viele Gedichte in Uljana Wolfs neuem Band Fragen nach der wechselseitigen Abhängigkeit von ästhetischer Produktion und herrschender Sprachpolitik aufwirft. Ob mit Grimms vertauschtem Goldesel, "Gerüstniks" oder Germaricans als Dolmetschern, kolonisierenden Seefahrern, übersetzenden Hysterikerinnen oder festgesetzten Asylbewerber_innen im deutschen Wald - es werden Grenzfälle besichtigt, "verholzene komplotts", und Konzepte wie Einwanderung oder die Schaffung nationaler Sprachidentitäten hinterfragt. So graben diese Gedichte an den Schnittstellen von Markt, Macht, Märchen und Mehrsprachigkeit und bringen Transfervorgänge ins Ruckeln - oder ruckelten die nicht immer schon, eher Fiktion als Fundament? "diese sprache war mal firn, dann feriendings, die leuchtet jeden heim. und wo soll das sein: 'schnurz'." Uljana Wolf lotet die politischen Dimensionen des Sprechens so schelmisch elegant und funkelnd abwegig aus, so klangvoll und ohne jede Belehrung, dass wir sie gerne auch im Wahlkampfjahr empfehlen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.01.2014Eselszeilen
Heiter: Uljana Wolfs Gedichtband
„meine schönste lengevitch“
Zur Generation junger Lyrikerinnen und Lyriker, die heute für eine Blütezeit der deutschsprachigen Lyrik sorgen, gehört Uljana Wolf. Der neue Gedichtband der 1979 in Berlin geborenen Autorin huldigt dem deutsch-amerikanischen Lyriker Kurt M. Stein, dessen zwischensprachliches Poem „Die schönste Lengevitch“ im Jahr 1925 erschien.
Mit Uljana Wolf erobert der ästhetische Humor die von Frauen geschriebene deutschsprachige Lyrik. Der vierte Zyklus des Bandes, „Spitzen“, bildet die Wunderblock-Struktur des unwillkürlichen Gedächtnisses nach, Schrift und ihre Überschreibung. Zu sehen ist ein spätbürgerliches Tableau mit Frauen, die plaudernd mit ihrer Schiffchenarbeit unter der Lampe sitzen und von den Männern als „schnatternde Gänse“ abgetan werden.
Davor schiebt sich eine spöttische Stimme, die Seemannsknoten knüpfende Männer neben die Stickerinnen rückt und das Patriarchat in Gestalt der Begründer der Psychoanalyse verlacht, deren phallozentrischer Blick auf Frauen eine zutreffende Diagnose weiblicher Neurosen verhinderte. Das weibliche Bewusstsein vertauscht die Tonlage seiner feministischen Kämpfe mit der souveränen Sprache verdoppelter und vervielfachter Reflexion, der des Komischen. Der Unernst tritt in seiner geschichtlichen Qualität zutage.
Die Zweistimmigkeit des Textes verdankt sich einer porösen Schreibweise. Laut- und Letternspiele, eine assoziationsreiche saloppe Sprechsprache pflanzen dem Text eine Selbstläufigkeit ein, die den Eindruck vermittelt, die Wörter riefen sich wie bei einem Kinderspiel wechselseitig auf. Allerdings haben die Lockerung des poetischen Fadens und Entsublimierung der Sprache ihren Preis. Unübersehbar lauert die Gefahr des Umschlags in ästhetische Spannungslosigkeit, etwa wenn die Autorin Reden der deutschen Kanzlerin aufs Korn nimmt. Deren Belanglosigkeit infiziert die Verse.
Das Programm einer weltoffen babylonischen Poesie entwickeln die mittleren der insgesamt sechs Zyklen. Neben die konkreten Gedichte des ersten rücken nun strophisch gebundene Verse, die das Natur-, Heimat- und Jahreszeitengedicht noch einmal aufrufen und verabschieden. Besungen wird die moderne kopernikanische Welt, deren Mitte verwaist ist. Ein Zuhause, Unterkunft existiert allenfalls noch als Spuk aus alter Zeit. „öffne den vorhang“ lautet die innengerichtete Botschaft, zieh in die Welt und vergegenwärtige das Abwesende, Fremde, Andere.
Auf- und Abgesang stellen die Genese und Formwerdung des Gedichts dar, in verschiedenen Ansichten. Auf den magischen Ursprung der Kunst verweist der Esel aus dem „Tischlein deck’ dich“-Märchen. Er eröffnet den Zyklus und beendet ihn, inzwischen „naturmagisch“ beatmet, mit einem Satz, der über den Rand der Schlusszeile hinausgeht. Der Geburt des Gedichts gehen Spaltungs- und explosive Zündungsvorgänge voraus. Unüberhörbar sind an dieser Stelle die Anklänge an Goethes Dornburger Morgengedicht, dessen Motive aber vom eigenen Schreiben aufgesogen werden. Ein Gedichtband voller Leben und Ideen, Witz und Spielgeist, weiträumig, vielsprachig, unterhaltsam.
SIBYLLE CRAMER
Uljana Wolf: meine schönste lengevitch. Gedichte. Kookbooks Verlag, Berlin 2013.
88 Seiten, 19,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Heiter: Uljana Wolfs Gedichtband
„meine schönste lengevitch“
Zur Generation junger Lyrikerinnen und Lyriker, die heute für eine Blütezeit der deutschsprachigen Lyrik sorgen, gehört Uljana Wolf. Der neue Gedichtband der 1979 in Berlin geborenen Autorin huldigt dem deutsch-amerikanischen Lyriker Kurt M. Stein, dessen zwischensprachliches Poem „Die schönste Lengevitch“ im Jahr 1925 erschien.
Mit Uljana Wolf erobert der ästhetische Humor die von Frauen geschriebene deutschsprachige Lyrik. Der vierte Zyklus des Bandes, „Spitzen“, bildet die Wunderblock-Struktur des unwillkürlichen Gedächtnisses nach, Schrift und ihre Überschreibung. Zu sehen ist ein spätbürgerliches Tableau mit Frauen, die plaudernd mit ihrer Schiffchenarbeit unter der Lampe sitzen und von den Männern als „schnatternde Gänse“ abgetan werden.
Davor schiebt sich eine spöttische Stimme, die Seemannsknoten knüpfende Männer neben die Stickerinnen rückt und das Patriarchat in Gestalt der Begründer der Psychoanalyse verlacht, deren phallozentrischer Blick auf Frauen eine zutreffende Diagnose weiblicher Neurosen verhinderte. Das weibliche Bewusstsein vertauscht die Tonlage seiner feministischen Kämpfe mit der souveränen Sprache verdoppelter und vervielfachter Reflexion, der des Komischen. Der Unernst tritt in seiner geschichtlichen Qualität zutage.
Die Zweistimmigkeit des Textes verdankt sich einer porösen Schreibweise. Laut- und Letternspiele, eine assoziationsreiche saloppe Sprechsprache pflanzen dem Text eine Selbstläufigkeit ein, die den Eindruck vermittelt, die Wörter riefen sich wie bei einem Kinderspiel wechselseitig auf. Allerdings haben die Lockerung des poetischen Fadens und Entsublimierung der Sprache ihren Preis. Unübersehbar lauert die Gefahr des Umschlags in ästhetische Spannungslosigkeit, etwa wenn die Autorin Reden der deutschen Kanzlerin aufs Korn nimmt. Deren Belanglosigkeit infiziert die Verse.
Das Programm einer weltoffen babylonischen Poesie entwickeln die mittleren der insgesamt sechs Zyklen. Neben die konkreten Gedichte des ersten rücken nun strophisch gebundene Verse, die das Natur-, Heimat- und Jahreszeitengedicht noch einmal aufrufen und verabschieden. Besungen wird die moderne kopernikanische Welt, deren Mitte verwaist ist. Ein Zuhause, Unterkunft existiert allenfalls noch als Spuk aus alter Zeit. „öffne den vorhang“ lautet die innengerichtete Botschaft, zieh in die Welt und vergegenwärtige das Abwesende, Fremde, Andere.
Auf- und Abgesang stellen die Genese und Formwerdung des Gedichts dar, in verschiedenen Ansichten. Auf den magischen Ursprung der Kunst verweist der Esel aus dem „Tischlein deck’ dich“-Märchen. Er eröffnet den Zyklus und beendet ihn, inzwischen „naturmagisch“ beatmet, mit einem Satz, der über den Rand der Schlusszeile hinausgeht. Der Geburt des Gedichts gehen Spaltungs- und explosive Zündungsvorgänge voraus. Unüberhörbar sind an dieser Stelle die Anklänge an Goethes Dornburger Morgengedicht, dessen Motive aber vom eigenen Schreiben aufgesogen werden. Ein Gedichtband voller Leben und Ideen, Witz und Spielgeist, weiträumig, vielsprachig, unterhaltsam.
SIBYLLE CRAMER
Uljana Wolf: meine schönste lengevitch. Gedichte. Kookbooks Verlag, Berlin 2013.
88 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sibylle Cramer hat sich anstecken lassen von der ideenreichen, witzigen, vielsprachigen Kunst der Lyrikerin Uljana Wolf. Daran, dass Wolf zur Riege junger deutschsprachiger Poesiebestäuberinnen gehört, hat Cramer spätestens nach diesem Band keinen Zweifel mehr. Das Gedicht blüht!, findet sie. Auch wenn inmitten der verspielten, Cramer an Wunderblock-Strukturen erinnernden Zyklen hin und wieder auch ästhetische Spannungslosigkeit lauert, etwa wenn Wolf Merkel-Reden aufs Korn nimmt, bietet der Band der Rezensentin insgesamt eine assoziationsreiche Sprache, vielfältige Bezüge (etwa zu Kurt M. Stein, Goethe oder Märchen) und Unterhaltung auf hohem Niveau.
© Perlentaucher Medien GmbH
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