Im Leben des jugendlichen Ich-Erzählers läuft streng genommen wenig rund: Die Mutter ist mit einem dreizehn Jahre jüngeren Tankwart durchgebrannt, für den stark dem Alkohol zusprechenden Vater, von ihm nur »Chef« genannt, gehören Prügel zu den gängigen Erziehungsmethoden. Seine ältere Schwester - die »Mönchsrobbe« - hat sich in eine fiebrige Frömmigkeit geflüchtet. Unser Held ist einer, der eine große Klappe hat und nie weint; der seine Träume und Verletzlichkeiten hinter seiner unerschütterlichen Arroganz versteckt, obwohl er jeden Tag Niederlagen einstecken muss und sogar von der schönen, unnahbaren Chiara, in die er sich verliebt, Prügel bezieht. Mit seiner Großspurigkeit geht er seiner Umgebung schwer auf die Nerven. Aber dann zeigt ihm ein Schicksalsschlag, der die Familie trifft, dass er dem Vater und der »Mönchsrobbe« näher steht als gedacht. Und vielleicht ist er sogar Chiara nicht ganz so gleichgültig, wie es zunächst erscheint...Die Geschichte eines Einzelgängers und Maulhelden, liebevoll, charmant und großartig humorvoll erzählt. Eine Figur, die in ihrer Tragikomik zu Herzen geht und die sich im Laufe des Textes immer mehr den Respekt des Lesers erwirbt: als jemand, der mit unerschütterlicher Naivität und großem Herzen niemals aufgibt.Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2013
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Maike Albath entdeckt in diesem Adoleszenz-Roman des Debütanten Christian Frascella nichts Neues. Was der Autor und sein Held darstellen, hat Albath schon vor gut zehn Jahren in den Texten der "Gioventu cannibale", jener jungen italienischen Autorenschule, die mit schnellen Schnitten, Dialogen und schrägen Figuren den Entwicklungsroman a la Salinger zu erneuern versuchten, gelesen. Frascella, meint sie enttäuscht, vermag dem nichts hinzuzufügen. Die Macho-Posen seines Vorort-Helden mit der dicken Hose gehen ihr ganz schön auf die Nerven. Annette Kopetzkis in italienischem Jugendslang bewanderte Übersetzung kann daran auch nichts ändern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2012Einsam wie ein Gott
Christian Frascella singt witzig das Lob des Machos
Regelmäßig kehrt er wieder, der Vorwurf mangelnder Wirklichkeitssättigung der Literatur. Dass von Deckungsgleichheit der beiden Sphären tatsächlich keine Rede sein kann, zeigt sich besonders prägnant am gemeinen Großmaul. Wie oft begegnet uns diese Spezies in der nackten, kalten Wirklichkeit - und wie selten in der Literatur! Das hat gute Gründe, denn für enervierende Verlierer-Charaktere, wohlgemerkt: keine subversiven Pikaros, lassen sich Sympathien nur schwer wecken. Perfiderweise ist die Lernresistenz in diesem Fall systemisch: Jede Blamage bestärkt das gemeine Großmaul lediglich in der Verachtung für die Umwelt. Die eigene Überlegenheit, so belügt und isoliert es sich immer weiter selbst, sei für andere eben unerträglich.
Christian Frascella hat es nun aber doch gewagt, einen solchen Maulhelden in die Literatur einzuführen. Wir lernen den siebzehnjährigen Ich-Erzähler bei einer Schulhofschlägerei kennen. Seinen Kampfstil weiß er nicht ausgiebig genug zu loben ("mein rechter Haken konnte verteufelt schmerzhaft sein"), bevor er einräumen muss, ziemlich kläglich zu Boden gegangen zu sein, während der Mitschüler keinen Kratzer davontrug. Am nächsten Tag freilich erfährt er, dass der Gegner Stunden später mit Schädelbruch in die Notaufnahme eingeliefert worden sei, was sein Weltbild wieder gerade rückt: "Wie hatte ich bloß daran zweifeln können?" Jetzt fällt ihm ein, wie es eigentlich gewesen ist: "Wenn ich mich recht erinnerte, war es mein eigener Entschluss gewesen, mich einen Augenblick hinzulegen, wahrscheinlich schon im Wissen um den Schädelbruch. Ich hatte ihm erlaubt, mir noch zwei, drei kleine Tritte zu verpassen, weil er mir leidtat." Mit geschwollener Brust stolziert er durch die Schule: "Absichtlich rempelte ich so viele Leute an wie möglich." Natürlich hat man ihn mit der Schädelbruch-Geschichte bloß hereingelegt. Ihm bringt die Angelegenheit eine Strafsuspendierung ein, die er zum Anlass nimmt, die Schule ganz zu schmeißen: "Ich war allein wie ein Gott, ein zweifelhafter, gefährlicher Gott."
Fortan geht er seiner Familie gehörig auf die Nerven, dem hartherzigen, aber frisch verliebten Vater, seiner Schwiegermutter in spe sowie der gutmütigen, frömmelnden - daher "Mönchsrobbe" genannten - und neuerdings ebenfalls verliebten Schwester: "Meine Mitbewohner waren in Herzensangelegenheiten verwickelt. Sie flirteten! Das passte mir nicht. Es passte mir ganz und gar nicht. Ich zog an der Zigarette wie Humphrey Bogart." Dass es ihn selbst, verlacht von der Dorfjugend, zu der schönen Chiara hinzieht, die zudem seine Machonummer zu durchschauen scheint, überspielt der Held mit besonders viel Sarkasmus. Immer wieder legt er sich mit Stärkeren an, bezieht Prügel, blamiert sich. Ebenso oft aber definiert er die Geschehnisse für sich zum Sieg um. Das immerhin muss man ihm zugestehen: Er ist einer, der nicht aufgibt. Und immer deutlicher erblickt auch der Leser hinter dem Panzer aus Arroganz eine sensible, verletzliche Seele.
Überhaupt sind im Hinblick auf den Realismus zwei Einschränkungen zu machen. Frascellas Protagonist ist rekordverdächtig schlagfertig, was den humoristischen Reiz des Buches erheblich steigert, und zudem macht er schließlich eine Wandlung durch: beides in der nackten, kalten Wirklichkeit nicht unbedingt die Regel. Psychologisch scheint der Fall wenig Rätsel aufzugeben: Geborgenheit und Liebe existieren für den Helden nicht mehr, seit die Mutter mit einem Tankwart durchbrannte und der bis zu seiner Neugeburt als Liebhaber allenfalls Gelegenheitsjobs ausübende, ansonsten in der Hängematte palettenweise Bier löschende Vater, genannt "Chef", seinen Sohn allein mittels Härte erziehen zu müssen glaubt.
Zwar betritt der Roman stilistisch nicht eben Neuland. Christian Frascella, Turiner des Jahrgangs 1973, erzählt seine Coming-of-Age-Geschichte schlicht und linear, aber schwungvoll und gut pointiert. In Italien, wo der Macho noch geehrt wird, avancierte der tragikomische und letztlich doch liebevolle Roman über die ADHS-Version von Salingers Holden Caulfield zum Bestseller.
OLIVER JUNGEN
Christian Frascella: "Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe". Roman.
Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2012. 319 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christian Frascella singt witzig das Lob des Machos
Regelmäßig kehrt er wieder, der Vorwurf mangelnder Wirklichkeitssättigung der Literatur. Dass von Deckungsgleichheit der beiden Sphären tatsächlich keine Rede sein kann, zeigt sich besonders prägnant am gemeinen Großmaul. Wie oft begegnet uns diese Spezies in der nackten, kalten Wirklichkeit - und wie selten in der Literatur! Das hat gute Gründe, denn für enervierende Verlierer-Charaktere, wohlgemerkt: keine subversiven Pikaros, lassen sich Sympathien nur schwer wecken. Perfiderweise ist die Lernresistenz in diesem Fall systemisch: Jede Blamage bestärkt das gemeine Großmaul lediglich in der Verachtung für die Umwelt. Die eigene Überlegenheit, so belügt und isoliert es sich immer weiter selbst, sei für andere eben unerträglich.
Christian Frascella hat es nun aber doch gewagt, einen solchen Maulhelden in die Literatur einzuführen. Wir lernen den siebzehnjährigen Ich-Erzähler bei einer Schulhofschlägerei kennen. Seinen Kampfstil weiß er nicht ausgiebig genug zu loben ("mein rechter Haken konnte verteufelt schmerzhaft sein"), bevor er einräumen muss, ziemlich kläglich zu Boden gegangen zu sein, während der Mitschüler keinen Kratzer davontrug. Am nächsten Tag freilich erfährt er, dass der Gegner Stunden später mit Schädelbruch in die Notaufnahme eingeliefert worden sei, was sein Weltbild wieder gerade rückt: "Wie hatte ich bloß daran zweifeln können?" Jetzt fällt ihm ein, wie es eigentlich gewesen ist: "Wenn ich mich recht erinnerte, war es mein eigener Entschluss gewesen, mich einen Augenblick hinzulegen, wahrscheinlich schon im Wissen um den Schädelbruch. Ich hatte ihm erlaubt, mir noch zwei, drei kleine Tritte zu verpassen, weil er mir leidtat." Mit geschwollener Brust stolziert er durch die Schule: "Absichtlich rempelte ich so viele Leute an wie möglich." Natürlich hat man ihn mit der Schädelbruch-Geschichte bloß hereingelegt. Ihm bringt die Angelegenheit eine Strafsuspendierung ein, die er zum Anlass nimmt, die Schule ganz zu schmeißen: "Ich war allein wie ein Gott, ein zweifelhafter, gefährlicher Gott."
Fortan geht er seiner Familie gehörig auf die Nerven, dem hartherzigen, aber frisch verliebten Vater, seiner Schwiegermutter in spe sowie der gutmütigen, frömmelnden - daher "Mönchsrobbe" genannten - und neuerdings ebenfalls verliebten Schwester: "Meine Mitbewohner waren in Herzensangelegenheiten verwickelt. Sie flirteten! Das passte mir nicht. Es passte mir ganz und gar nicht. Ich zog an der Zigarette wie Humphrey Bogart." Dass es ihn selbst, verlacht von der Dorfjugend, zu der schönen Chiara hinzieht, die zudem seine Machonummer zu durchschauen scheint, überspielt der Held mit besonders viel Sarkasmus. Immer wieder legt er sich mit Stärkeren an, bezieht Prügel, blamiert sich. Ebenso oft aber definiert er die Geschehnisse für sich zum Sieg um. Das immerhin muss man ihm zugestehen: Er ist einer, der nicht aufgibt. Und immer deutlicher erblickt auch der Leser hinter dem Panzer aus Arroganz eine sensible, verletzliche Seele.
Überhaupt sind im Hinblick auf den Realismus zwei Einschränkungen zu machen. Frascellas Protagonist ist rekordverdächtig schlagfertig, was den humoristischen Reiz des Buches erheblich steigert, und zudem macht er schließlich eine Wandlung durch: beides in der nackten, kalten Wirklichkeit nicht unbedingt die Regel. Psychologisch scheint der Fall wenig Rätsel aufzugeben: Geborgenheit und Liebe existieren für den Helden nicht mehr, seit die Mutter mit einem Tankwart durchbrannte und der bis zu seiner Neugeburt als Liebhaber allenfalls Gelegenheitsjobs ausübende, ansonsten in der Hängematte palettenweise Bier löschende Vater, genannt "Chef", seinen Sohn allein mittels Härte erziehen zu müssen glaubt.
Zwar betritt der Roman stilistisch nicht eben Neuland. Christian Frascella, Turiner des Jahrgangs 1973, erzählt seine Coming-of-Age-Geschichte schlicht und linear, aber schwungvoll und gut pointiert. In Italien, wo der Macho noch geehrt wird, avancierte der tragikomische und letztlich doch liebevolle Roman über die ADHS-Version von Salingers Holden Caulfield zum Bestseller.
OLIVER JUNGEN
Christian Frascella: "Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe". Roman.
Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 2012. 319 S., geb., 22,90 [Euro].
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