"Als ich die deutsche Staatsangehörigkeit beantragte, gab mir ein netter junger Beamter den Rat, den Namen meines Mannes anzunehmen, den ein fachen, deutsch klingenden Namen: Biller. Seither sind dreißig Jahre vergangen, und es wird immer seltener, dass ich meinen ursprünglichen Namen sehe oder höre."
Wenn Rada Biller in ihren Erzählungen berichtet, wie ganz kleine Kinder den Antisemitismus erlebten und der nationalsozialistische Wahn selbst geliebte Haustiere erfasste, aber auch davon spricht, wie jüdisches Leben ins Nachkriegsdeutschland zurückkehrt, dann spürt man den tiefen Humanismus einer europäischen Kosmopolitin. Wenn sie berichtet, wie leicht es sein konnte, eine gesichtslose Bürokratie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und durch den Eisernen Vorhang zu schlüpfen, oder wenn wir Martin und Marina kennenlernen, die mit einem Riesentopf Borschtsch durch halb Europa fahren und ihr Ziel nur für einen Moment aus den Augen verlieren, spürt man den melancholischen Witz einer selbstbewussten literarischen Stimme. Flucht, Familie und Identität sind die Fixsterne, um die diese siebzehn persönlichen Geschichten kreisen. Dabei geht es Rada Biller nie um Anklage, sondern um Selbstfindung, nicht um Zorn, sondern stets um die Kunst zu vergeben
Wenn Rada Biller in ihren Erzählungen berichtet, wie ganz kleine Kinder den Antisemitismus erlebten und der nationalsozialistische Wahn selbst geliebte Haustiere erfasste, aber auch davon spricht, wie jüdisches Leben ins Nachkriegsdeutschland zurückkehrt, dann spürt man den tiefen Humanismus einer europäischen Kosmopolitin. Wenn sie berichtet, wie leicht es sein konnte, eine gesichtslose Bürokratie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und durch den Eisernen Vorhang zu schlüpfen, oder wenn wir Martin und Marina kennenlernen, die mit einem Riesentopf Borschtsch durch halb Europa fahren und ihr Ziel nur für einen Moment aus den Augen verlieren, spürt man den melancholischen Witz einer selbstbewussten literarischen Stimme. Flucht, Familie und Identität sind die Fixsterne, um die diese siebzehn persönlichen Geschichten kreisen. Dabei geht es Rada Biller nie um Anklage, sondern um Selbstfindung, nicht um Zorn, sondern stets um die Kunst zu vergeben
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2011Im Kofferraum ein Topf voll Borschtsch
In ihren neuen Erzählungen "Meine sieben Namen und ich" geht Rada Biller erneut ihrem Lebensthema nach: Identitätsbrüche, Identitätssuche und das Leben zwischen Ost und West.
Geschichtshaltiger als die von Rada Biller kann eine Biographie kaum sein. 1930 als Tochter einer jüdischen Familie in der bolschewistischen Hochburg Baku geboren, lebte sie während des Zweiten Weltkrieges zeitweise in Stalingrad, studierte in den Nachkriegsjahren in Moskau, siedelte in den Fünfzigern nach Prag über, um kurz nach dem Prager Frühling nach Hamburg zu emigrieren. Einmal quer durch das zwanzigste Jahrhundert führt dieses Leben, von der stalinistischen Provinz in die bürgerlich westliche Wohlstandsgesellschaft.
Schon in ihrem Debüt "Melonenschale" aus dem Jahr 2003 hat Rada Biller die konträren Stationen ihres Lebens zum Thema gemacht. Auch ihren Erzählungenband "Meine sieben Namen und ich" könnte sie wenn nicht autobiographisch so doch zumindest persönlich nennen, tut indes genau das Gegenteil: "Alles ist ausgedacht und erlogen." Hinweise solcherart, denen stets ein Anflug von Koketterie eigen ist, stoßen den Leser freilich noch einmal besonders auf die vermeintliche Nähe von Fiktion und Wirklichkeit, wobei dahingestellt bleibt, wie deckungsgleich sie letztlich sein mögen. Im Falle von Rada Biller wirkt bereits allein die Kombination der Lebensstationen - Moskau, Prag, Hamburg - markant.
Wie programmatisch sie ist, gibt die erste, titelgebende Erzählung zu erkennen. Die sieben Namen sind vordergründig ein behördliches Problem: Für den komplizierten russischen Mädchennamen der Protagonistin gibt es keine eindeutige Schreibweise auf Tschechisch und späterhin auf Deutsch, so dass bald in den Unterlagen und Papieren unterschiedliche Varianten des Namens auftauchen. In dieser Formalie manifestieren sich so die Identitätsverschiebungen und -brüche, die entstehen, wenn man wiederholt in einer fremden Sprache eine neue Existenz beginnen muss. Auf die Suche nach diesen verschiedenen Leben, nach den Bruchstellen der Identität genauso wie nach den Konstanten, macht sich Rada Biller auch mit diesem Buch. Möglicherweise handelt es sich bei dem Verweis auf die Fiktionalität allen Geschehens deshalb auch einfach um einen kleinen Gruß an ihren Sohn: Rada Biller ist die Mutter von Maxim Biller, dessen Rechtsstreitigkeiten um die Wirklichkeitsbezüge in seinem Roman "Esra" hinlänglich bekannt sind.
Mit einiger Boshaftigkeit ließe sich sagen, dass Rada Biller kaum in die Gefahr geraten wird, dass sich reale Personen in ihrem Buch unzweifelhaft und zugleich unvorteilhaft wiedererkennen. Und das nicht etwa, weil der Name der Protagonistin von Erzählung zu Erzählung wechselt und die biographischen Daten und Konstellationen jeweils leicht variieren. Der Grund ist vielmehr zugleich das Problem, an dem diese Erzählungen laborieren. Soviel sie an persönlicher und politischer Historie bergen, so wenig gelingt es Rada Biller, sie auf eine anschauliche literarische und fiktionale Ebene zu heben. Wenn Biller etwa über die Weckrituale und -streitigkeiten schreibt, mit denen sich eine Familie allmorgendlich herumzuschlagen hat, über das Pro und Contra von Kochbüchern oder über die erste Silvesterparty, die der Sohn mit Freunden in der elterlichen Wohnung verbringen darf und die mit ramponiertem Inventar endet, dann mögen das gerade in ihrer Nebensächlichkeit charakteristische Szenen eines Lebens sein. Doch leider geraten sie über den Zustand der Skizzenhaftigkeit selten hinaus. Fast hat man den Eindruck, jemandem zuzuhören, der wie versunken in eine Erinnerung erzählt, Ereignisse und Eckdaten für sich selbst rekapituliert und dabei vergisst, dass sich für den Leser nicht mit derselben Selbstverständlichkeit Bilder und Atmosphäre einstellen.
Mitunter wird in den Erzählungen auf kürzester Strecke und mit einem derartigen Karacho durch Jahrzehnte galoppiert, dass wenig mehr bleibt als ein Aufzählen von Stationen und Lebenskonstellationen. "Am Grindel" etwa berichtet über Greta und Moritz, die im frühen zwanzigsten Jahrhundert fast gleichzeitig in zwei benachbarten Häusern im vornehmlich jüdischen Hamburger Grindelviertel geboren werden und dort ihr gesamtes Leben verbringen. Während des Nationalsozialismus, als die jüdischen Bewohner und Hausbesitzer vertrieben werden, kauft Gretas Vater die beiden Häuser, was Moritz, der bald also Gretas Mieter werden wird, zeitlebens mit Missgunst betrachten wird. Nie sprechen Greta und Moritz während dieser Jahre direkt miteinander, nur schriftliche Korrespondenz findet statt, die vor allem darin besteht, dass Moritz sich über die Belästigungen durch andere Mieter beschwert - unter anderem über eine Familie, die aus der Tschechoslowakei geflohen ist und nun, als erster jüdischer Immigranten, wieder in das Haus am Grindel einziehen. Erst Jahre später, beide sind gerade ins Altersheim umgezogen, stehen sich Greta und Moritz gegenüber und beginnen, miteinander zu sprechen.
Das klingt wie ein grandioser Romanstoff, der hier aber nur ein Gerüst bleibt. Gerade da, wo die erbarmungslose Historie das Geschehen und die Biographien der Figuren grundiert, etwa wenn über die erste Reise nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erzählt wird, als die nach Hamburg Emigrierten mit einem Topf voll Borschtsch nach Prag fahren, um nach Jahren die alten Freunde zu sehen, gründet die Wirkung des Erzählten aus dem Wissen um die Dramatik und Emotionalität der realen historischen Gegebenheiten. Durch den Text aber wird sie nicht erzeugt.
WIEBKE POROMBKA
Rada Biller: "Meine sieben Namen und ich". Erzählungen.
Aus dem Russischen von Alfred Frank, Sabine Grebing, Traude Langmann und Antje Leetz. Berlin Verlag, Berlin 2011. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In ihren neuen Erzählungen "Meine sieben Namen und ich" geht Rada Biller erneut ihrem Lebensthema nach: Identitätsbrüche, Identitätssuche und das Leben zwischen Ost und West.
Geschichtshaltiger als die von Rada Biller kann eine Biographie kaum sein. 1930 als Tochter einer jüdischen Familie in der bolschewistischen Hochburg Baku geboren, lebte sie während des Zweiten Weltkrieges zeitweise in Stalingrad, studierte in den Nachkriegsjahren in Moskau, siedelte in den Fünfzigern nach Prag über, um kurz nach dem Prager Frühling nach Hamburg zu emigrieren. Einmal quer durch das zwanzigste Jahrhundert führt dieses Leben, von der stalinistischen Provinz in die bürgerlich westliche Wohlstandsgesellschaft.
Schon in ihrem Debüt "Melonenschale" aus dem Jahr 2003 hat Rada Biller die konträren Stationen ihres Lebens zum Thema gemacht. Auch ihren Erzählungenband "Meine sieben Namen und ich" könnte sie wenn nicht autobiographisch so doch zumindest persönlich nennen, tut indes genau das Gegenteil: "Alles ist ausgedacht und erlogen." Hinweise solcherart, denen stets ein Anflug von Koketterie eigen ist, stoßen den Leser freilich noch einmal besonders auf die vermeintliche Nähe von Fiktion und Wirklichkeit, wobei dahingestellt bleibt, wie deckungsgleich sie letztlich sein mögen. Im Falle von Rada Biller wirkt bereits allein die Kombination der Lebensstationen - Moskau, Prag, Hamburg - markant.
Wie programmatisch sie ist, gibt die erste, titelgebende Erzählung zu erkennen. Die sieben Namen sind vordergründig ein behördliches Problem: Für den komplizierten russischen Mädchennamen der Protagonistin gibt es keine eindeutige Schreibweise auf Tschechisch und späterhin auf Deutsch, so dass bald in den Unterlagen und Papieren unterschiedliche Varianten des Namens auftauchen. In dieser Formalie manifestieren sich so die Identitätsverschiebungen und -brüche, die entstehen, wenn man wiederholt in einer fremden Sprache eine neue Existenz beginnen muss. Auf die Suche nach diesen verschiedenen Leben, nach den Bruchstellen der Identität genauso wie nach den Konstanten, macht sich Rada Biller auch mit diesem Buch. Möglicherweise handelt es sich bei dem Verweis auf die Fiktionalität allen Geschehens deshalb auch einfach um einen kleinen Gruß an ihren Sohn: Rada Biller ist die Mutter von Maxim Biller, dessen Rechtsstreitigkeiten um die Wirklichkeitsbezüge in seinem Roman "Esra" hinlänglich bekannt sind.
Mit einiger Boshaftigkeit ließe sich sagen, dass Rada Biller kaum in die Gefahr geraten wird, dass sich reale Personen in ihrem Buch unzweifelhaft und zugleich unvorteilhaft wiedererkennen. Und das nicht etwa, weil der Name der Protagonistin von Erzählung zu Erzählung wechselt und die biographischen Daten und Konstellationen jeweils leicht variieren. Der Grund ist vielmehr zugleich das Problem, an dem diese Erzählungen laborieren. Soviel sie an persönlicher und politischer Historie bergen, so wenig gelingt es Rada Biller, sie auf eine anschauliche literarische und fiktionale Ebene zu heben. Wenn Biller etwa über die Weckrituale und -streitigkeiten schreibt, mit denen sich eine Familie allmorgendlich herumzuschlagen hat, über das Pro und Contra von Kochbüchern oder über die erste Silvesterparty, die der Sohn mit Freunden in der elterlichen Wohnung verbringen darf und die mit ramponiertem Inventar endet, dann mögen das gerade in ihrer Nebensächlichkeit charakteristische Szenen eines Lebens sein. Doch leider geraten sie über den Zustand der Skizzenhaftigkeit selten hinaus. Fast hat man den Eindruck, jemandem zuzuhören, der wie versunken in eine Erinnerung erzählt, Ereignisse und Eckdaten für sich selbst rekapituliert und dabei vergisst, dass sich für den Leser nicht mit derselben Selbstverständlichkeit Bilder und Atmosphäre einstellen.
Mitunter wird in den Erzählungen auf kürzester Strecke und mit einem derartigen Karacho durch Jahrzehnte galoppiert, dass wenig mehr bleibt als ein Aufzählen von Stationen und Lebenskonstellationen. "Am Grindel" etwa berichtet über Greta und Moritz, die im frühen zwanzigsten Jahrhundert fast gleichzeitig in zwei benachbarten Häusern im vornehmlich jüdischen Hamburger Grindelviertel geboren werden und dort ihr gesamtes Leben verbringen. Während des Nationalsozialismus, als die jüdischen Bewohner und Hausbesitzer vertrieben werden, kauft Gretas Vater die beiden Häuser, was Moritz, der bald also Gretas Mieter werden wird, zeitlebens mit Missgunst betrachten wird. Nie sprechen Greta und Moritz während dieser Jahre direkt miteinander, nur schriftliche Korrespondenz findet statt, die vor allem darin besteht, dass Moritz sich über die Belästigungen durch andere Mieter beschwert - unter anderem über eine Familie, die aus der Tschechoslowakei geflohen ist und nun, als erster jüdischer Immigranten, wieder in das Haus am Grindel einziehen. Erst Jahre später, beide sind gerade ins Altersheim umgezogen, stehen sich Greta und Moritz gegenüber und beginnen, miteinander zu sprechen.
Das klingt wie ein grandioser Romanstoff, der hier aber nur ein Gerüst bleibt. Gerade da, wo die erbarmungslose Historie das Geschehen und die Biographien der Figuren grundiert, etwa wenn über die erste Reise nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erzählt wird, als die nach Hamburg Emigrierten mit einem Topf voll Borschtsch nach Prag fahren, um nach Jahren die alten Freunde zu sehen, gründet die Wirkung des Erzählten aus dem Wissen um die Dramatik und Emotionalität der realen historischen Gegebenheiten. Durch den Text aber wird sie nicht erzeugt.
WIEBKE POROMBKA
Rada Biller: "Meine sieben Namen und ich". Erzählungen.
Aus dem Russischen von Alfred Frank, Sabine Grebing, Traude Langmann und Antje Leetz. Berlin Verlag, Berlin 2011. 224 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Wiebke Porombka zeigt sich zurückhaltend, was den neuen Erzählband von Rada Biller angeht. Ihre Biografie - 1930 als Tochter einer jüdischen Familie in Baku geboren, über Moskau und Prag schließlich nach Hamburg emigriert - ist so etwas wie ein Gang durch das vergangene Jahrhundert, und er hinterlässt in den Erzählungen deutliche Spuren, auch wenn die Autorin einen autobiografischen Hintergrund explizit verneint, erklärt die Rezensentin. Es geht um Identitätsfragen, die in dieser Biografie begründet sind, doch gewinnen sie für Porombka nicht die nötige Plastizität, um die Protagonisten und Geschichten lebendig werden zu lassen, wie sie bedauernd feststellt. Durch die mitunter große Zeitspannen und bewegte Schicksale durcheilende Erzählweise bekommen die Erzählungen häufig etwas Additives und sind in den Augen Porombkas viel zu fragmentarisch und skizzenhaft, um die Leser wirklich zu berühren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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