Die 17-jährige Katharina befindet sich im Jahre 1970 wegen einer zunächst nicht näher bezeichneten Straftat in einer geschlossenen Einrichtung für Jugendliche und trifft sich dort wöchentlich mit einem Therapeuten. In den Gesprächen setzt sie die Regeln und möchte sich nicht unterbrechen lassen. Es
entwickelt sich ein intensiver Monolog, der Stück für Stück Details über die Tat enthüllt - und ganz…mehrDie 17-jährige Katharina befindet sich im Jahre 1970 wegen einer zunächst nicht näher bezeichneten Straftat in einer geschlossenen Einrichtung für Jugendliche und trifft sich dort wöchentlich mit einem Therapeuten. In den Gesprächen setzt sie die Regeln und möchte sich nicht unterbrechen lassen. Es entwickelt sich ein intensiver Monolog, der Stück für Stück Details über die Tat enthüllt - und ganz nebenbei einen Blick in den Kopf des jungen Mädchens gewährt...
"Meinetwegen" von Dagmar Schifferli ist ein kurzer Roman von gerade einmal 112 Seiten, der vor allem in der ersten Hälfte formal und sprachlich überzeugt. Ich-Erzählerin Katharina macht nicht nur dem Therapeuten, sondern auch den Leser:innen schnell klar, dass sie diejenige ist, die den Ton angibt und setzt. "Eines aber müssen Sie wissen: Sie dürfen mich nie unterbrechen, niemals", heißt es gleich zu Beginn und so bleibt auch der Leserschaft nichts anderes übrig, als sich dem Gedankenstrom dieser ambivalenten und unzuverlässigen Erzählerin hinzugeben.
Katharina weicht dabei häufig von den Fakten ab, die mit ihrem Delikt zu tun haben, so dass es der Autorin gelingt, einen veritablen Spannungsbogen aufzubauen und die Leser:innen spekulieren zu lassen, warum Katharina sich an diesem Ort befindet. Selbst der Roman hält inne, wenn Katharina sich ihre Denk- und Sprechpausen nimmt. Dagmar Schifferli macht dies durch Leerstellen deutlich - eine ansprechende und anspruchsvolle Spielerei. Lesenswert sind auch die Gedanken Katharinas zur Sprache selbst. Nicht selten weist sie den Therapeuten und die Leser:innen auf Doppeldeutigkeiten hin und lässt immer wieder sprachliche Besonderheiten aus der Schweiz einfließen. Bisweilen erinnert das an Lyrik, man erkennt versähnliche Textteile und nicht von ungefähr verweist Dagmar Schifferli auf Gedichte wie die "Todesfuge" von Paul Celan.
Leider nutzt sich die Erzählweise aber ab etwa der Hälfte des Romans dann doch recht schnell ab. Katharina umkreist das eigentliche Thema der Sitzungen weiterhin großflächig, dem Therapeuten ist es dann irgendwann immerhin gestattet, kleine Kärtchen mit den Antwortmöglichkeiten "Ja" oder "Nein" in ihren Monolog einfließen zu lassen. Doch innerhalb des Monologs selbst - und damit auch innerhalb des Romans - ist kaum noch eine Entwicklung zu erkennen, was dazu führte, dass sich "Meinetwegen" trotz seiner Kürze bisweilen sogar deutlich länger anfühlte.
Ein weiterer Schwachpunkt ist das recht unausgegorene Ende. Ohne etwas darüber verraten zu wollen, hatte ich bei dieser außergewöhnlichen Art des Erzählens doch eine größere Überraschung, vielleicht sogar ein größeres Übel erwartet. Doch Dagmar Schifferli bleibt in ihrer Auflösung recht brav und belässt es bei den zuvor aufgebauten Sympathien für ihre Protagonistin.
Auch wenn andere Romane wie Angela Lehners "Vater unser" bereits auf den manipulativen Monolog setzten, halte ich Sprache und Form von "Meinetwegen" für ungewöhnlich genug und damit für die Stärke des Büchleins. In der Entwicklung der Geschichte und der Erzählerin und im Finale geschieht jedoch in der zweiten Hälfte zu wenig, so dass die genannten Vorzüge recht bald verpuffen. Schade, denn "Meinetwegen" hätte in meinen Augen ein größeres und aufregenderes Potenzial gehabt, wenn sich die Autorin mehr getraut und die Leserschaft noch stärker provoziert hätte.