Produktdetails
- Verlag: Weitz
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 104
- Unbestimmt
- Abmessung: 210mm x 145mm
- Gewicht: 177g
- ISBN-13: 9783925177026
- ISBN-10: 3925177027
- Artikelnr.: 02875781
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2003Anrufung der großen Diskurse
Wird das Handbuch zur Bibel? Zum Beispiel Ingeborg Bachmann
Lang, steil und steinig ist der Weg in den literarischen Olymp. Früher rückte das Ziel bereits durch Aufnahme in jene schon um 1900 legendäre kleine gelbe Reihe oder in Volksausgaben näher. An der künstlerischen Nobilitierung waren also vor allem Leser beteiligt. Inzwischen befindet eher die Literaturwissenschaft über die Unsterblichkeit von Autoren. Neben die nicht für die Allgemeinheit bestimmten historisch-kritischen Ausgaben als Adelspatent des Kunstreiches tritt immer häufiger das Handbuch als Mitgliedsausweis.
Hier, in den Sphären des Tertiären, findet sich komprimiert, was die Germanistik über Jahrzehnte an Sekundär-Erträgen hervorbrachte. Bereits das Genre nährt den Verdacht auf ein wissenschaftliches Standardwerk. Die Abnahme durch Bibliotheken mag sich da von selbst verstehen. Aber auch passionierte Liebhaber, die ihre Klassikerausgaben von Lessing oder Goethe, Hölderlin oder Fontane, Brecht oder Thomas Mann in letzter Zeit um Handbücher ergänzten, haben deren knappe Überblicke zuweilen schätzengelernt.
Mit dem Bachmann-Handbuch schwappt die aus dem Metzler Verlag maßgeblich gespeiste Welle allmählich über die Schwelle von 1945. Der Rang dieser Autorin steht gewiß außer Frage. Ohne sie ist die Literatur seit der Gruppe 47 überhaupt nicht vorstellbar. Für eine ganze Generation artikuliert Bachmann die "Nachgeburt der Schrecken" in der durch den Krieg gestundeten Zeit. Schmerzerfahrungen und Existenzkrise, Schuld und Aufbegehren, Einsamkeit und Todesverlangen sind selten so beklemmend dargestellt und zum negativen Maßstab utopischen Denkens gemacht worden. Der Gedichtband "Anrufung des Großen Bären" wird 1956 emphatisch gefeiert, später aber als traditionell getadelt. "Malina", von der Kritik erst mißbilligt, steigt nach Bachmanns Tod 1973 zu einem Kultbuch auf. Die neue Frauenbewegung hebt sie als Ikone des Intellekts und des Widerstands gegen die allgegenwärtige männliche Gewalt auf ihren Schild, obgleich die Autorin ausdrücklich "von der ganzen Emanzipation nichts hält".
Bachmanns Wirkung bleibt durchaus zwiespältig, wie die ausführliche Rezeptionsgeschichte in den "Grundlagen" des ersten Handbuchteils zeigt. Inzwischen scheint aber die Kluft zwischen emsig tätigen Germanisten und der literarischen Öffentlichkeit größer zu werden. Die heute mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnete junge Literatur hat sich von den Themen, Krisen und zuweilen dunklen geistigen Finessen dieser Schriftstellerin zunehmend entfernt. Ist Bachmann also in die Jahre gekommen? Daß ein Autor allmählich historische Patina ansetzt, spricht nicht gegen ein Handbuch. Im Gegenteil, die Kritische Edition des bis auf "Malina" aus Nachlaßschriften bestehenden "Todesarten-Projekts", mehrere Interpretationssammlungen und die stetig wachsende Forschungsliteratur sind sogar gute Voraussetzungen für eine differenzierte Zwischensumme im Vorfeld einer Gesamtausgabe.
Doch die im Falle Bachmanns durch die zeitliche Nähe besonders schwierige Distanz zum Gegenstand wird hier nicht immer gewahrt. Nicht alle Artikel sind so nüchtern wie der über "Malina". In manchen wird die Methodengeschichte - über die berechtigte Perspektive des Forschungsberichts hinaus - in eigener Sache vom Poststrukturalismus bis zur Queer Theory dekliniert. So steht gelegentlich nicht das Werk mit seinen historischen Kontexten, sondern die Beschäftigung der noch heftig gärenden Forschung mit sich selbst im Vordergrund. Auch routiniert germanistischer Jargon ist beteiligt: Hier wird etwa "ein philosophisches Spannungsfeld eröffnet", an dem sich das Werk "abarbeitet", dort blitzen bedrohlich "phallogozentrische Diskurse" auf.
Je weiter sich das Handbuch von der methodischen Kampffront der Interpreten entfernt, desto besser ist es. Dicht und reich mit Informationen bestückt, zeigt sich schon die Lebenschronik zu Beginn. Die etwas programmatische Rezeptionsgeschichte wiederholt sich oft neutraler im zweiten, den Einzelwerken gewidmeten Teil. Neben der Lyrik, Bachmanns eigentlicher Domäne, und natürlich der Prosa treten auch die weniger vertrauten Segmente des OEuvres in den Blick: die Hörspiele und Libretti, journalistische und kritische Arbeiten, einschließlich der Dissertation über Martin Heidegger. Manchmal geht es dabei etwas apodiktisch zu - vor allem bei kürzeren Erzählungen wie "Das Gebell" fließen subjektive Deutungen in die Inhaltsangaben ein, statt Möglichkeiten der Auslegung zu diskutieren.
Der dritte Teil über "Kontexte und Diskurse" informiert umfassend über literarische Einflüsse und weitreichende Lektüren, über philosophische und musikalische Interessen oder die manchmal erstaunliche Zurückhaltung gegenüber der politischen Wirklichkeit. Urteile Bachmanns wie das über die "pseudo-moderne Frau mit ihrer quälenden Tüchtigkeit und Energie" haben sie aber nicht davor bewahrt, auch gegen den Strich gelesen zu werden. Auffällig ist das etwa bei den forcierten Versuchen, eine Rezeption von Lacan ohne nachweisliche Lektürespuren herzuleiten. Sind psychiatrische Befunde wie Halluzination und Dissoziation nicht seit der Jahrhundertwende geläufig, wenn auch ohne geschlechtsspezifische Bewertung? Ähnlich wie bei möglichen Beziehungen zum Postkolonialismus und Exotismus scheinen hier theoretische Interessen einzelner Forscher die Suche nach historischer Evidenz zu überlagern.
Flotte Thesen, die Konferenzen oder Aufsatzsammlungen beleben sollen, wird man von einem Handbuch kaum erwarten. Trotz der schätzenswerten Fülle gesicherten Wissens über Bachmanns Leben und Werk im Spiegel unterschiedlicher Deutungen kühlt das vorliegende Arbeitsbuch aktuell brodelnde Methodendiskussionen nicht überall auf das ruhigere Temperament des titelgebenden Genres herunter.
ALEXANDER KOSENINA
"Bachmann-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung". Hg. von Monika Albrecht und Dirk Göttsche. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart 2002. 330 S., geb., 49,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wird das Handbuch zur Bibel? Zum Beispiel Ingeborg Bachmann
Lang, steil und steinig ist der Weg in den literarischen Olymp. Früher rückte das Ziel bereits durch Aufnahme in jene schon um 1900 legendäre kleine gelbe Reihe oder in Volksausgaben näher. An der künstlerischen Nobilitierung waren also vor allem Leser beteiligt. Inzwischen befindet eher die Literaturwissenschaft über die Unsterblichkeit von Autoren. Neben die nicht für die Allgemeinheit bestimmten historisch-kritischen Ausgaben als Adelspatent des Kunstreiches tritt immer häufiger das Handbuch als Mitgliedsausweis.
Hier, in den Sphären des Tertiären, findet sich komprimiert, was die Germanistik über Jahrzehnte an Sekundär-Erträgen hervorbrachte. Bereits das Genre nährt den Verdacht auf ein wissenschaftliches Standardwerk. Die Abnahme durch Bibliotheken mag sich da von selbst verstehen. Aber auch passionierte Liebhaber, die ihre Klassikerausgaben von Lessing oder Goethe, Hölderlin oder Fontane, Brecht oder Thomas Mann in letzter Zeit um Handbücher ergänzten, haben deren knappe Überblicke zuweilen schätzengelernt.
Mit dem Bachmann-Handbuch schwappt die aus dem Metzler Verlag maßgeblich gespeiste Welle allmählich über die Schwelle von 1945. Der Rang dieser Autorin steht gewiß außer Frage. Ohne sie ist die Literatur seit der Gruppe 47 überhaupt nicht vorstellbar. Für eine ganze Generation artikuliert Bachmann die "Nachgeburt der Schrecken" in der durch den Krieg gestundeten Zeit. Schmerzerfahrungen und Existenzkrise, Schuld und Aufbegehren, Einsamkeit und Todesverlangen sind selten so beklemmend dargestellt und zum negativen Maßstab utopischen Denkens gemacht worden. Der Gedichtband "Anrufung des Großen Bären" wird 1956 emphatisch gefeiert, später aber als traditionell getadelt. "Malina", von der Kritik erst mißbilligt, steigt nach Bachmanns Tod 1973 zu einem Kultbuch auf. Die neue Frauenbewegung hebt sie als Ikone des Intellekts und des Widerstands gegen die allgegenwärtige männliche Gewalt auf ihren Schild, obgleich die Autorin ausdrücklich "von der ganzen Emanzipation nichts hält".
Bachmanns Wirkung bleibt durchaus zwiespältig, wie die ausführliche Rezeptionsgeschichte in den "Grundlagen" des ersten Handbuchteils zeigt. Inzwischen scheint aber die Kluft zwischen emsig tätigen Germanisten und der literarischen Öffentlichkeit größer zu werden. Die heute mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnete junge Literatur hat sich von den Themen, Krisen und zuweilen dunklen geistigen Finessen dieser Schriftstellerin zunehmend entfernt. Ist Bachmann also in die Jahre gekommen? Daß ein Autor allmählich historische Patina ansetzt, spricht nicht gegen ein Handbuch. Im Gegenteil, die Kritische Edition des bis auf "Malina" aus Nachlaßschriften bestehenden "Todesarten-Projekts", mehrere Interpretationssammlungen und die stetig wachsende Forschungsliteratur sind sogar gute Voraussetzungen für eine differenzierte Zwischensumme im Vorfeld einer Gesamtausgabe.
Doch die im Falle Bachmanns durch die zeitliche Nähe besonders schwierige Distanz zum Gegenstand wird hier nicht immer gewahrt. Nicht alle Artikel sind so nüchtern wie der über "Malina". In manchen wird die Methodengeschichte - über die berechtigte Perspektive des Forschungsberichts hinaus - in eigener Sache vom Poststrukturalismus bis zur Queer Theory dekliniert. So steht gelegentlich nicht das Werk mit seinen historischen Kontexten, sondern die Beschäftigung der noch heftig gärenden Forschung mit sich selbst im Vordergrund. Auch routiniert germanistischer Jargon ist beteiligt: Hier wird etwa "ein philosophisches Spannungsfeld eröffnet", an dem sich das Werk "abarbeitet", dort blitzen bedrohlich "phallogozentrische Diskurse" auf.
Je weiter sich das Handbuch von der methodischen Kampffront der Interpreten entfernt, desto besser ist es. Dicht und reich mit Informationen bestückt, zeigt sich schon die Lebenschronik zu Beginn. Die etwas programmatische Rezeptionsgeschichte wiederholt sich oft neutraler im zweiten, den Einzelwerken gewidmeten Teil. Neben der Lyrik, Bachmanns eigentlicher Domäne, und natürlich der Prosa treten auch die weniger vertrauten Segmente des OEuvres in den Blick: die Hörspiele und Libretti, journalistische und kritische Arbeiten, einschließlich der Dissertation über Martin Heidegger. Manchmal geht es dabei etwas apodiktisch zu - vor allem bei kürzeren Erzählungen wie "Das Gebell" fließen subjektive Deutungen in die Inhaltsangaben ein, statt Möglichkeiten der Auslegung zu diskutieren.
Der dritte Teil über "Kontexte und Diskurse" informiert umfassend über literarische Einflüsse und weitreichende Lektüren, über philosophische und musikalische Interessen oder die manchmal erstaunliche Zurückhaltung gegenüber der politischen Wirklichkeit. Urteile Bachmanns wie das über die "pseudo-moderne Frau mit ihrer quälenden Tüchtigkeit und Energie" haben sie aber nicht davor bewahrt, auch gegen den Strich gelesen zu werden. Auffällig ist das etwa bei den forcierten Versuchen, eine Rezeption von Lacan ohne nachweisliche Lektürespuren herzuleiten. Sind psychiatrische Befunde wie Halluzination und Dissoziation nicht seit der Jahrhundertwende geläufig, wenn auch ohne geschlechtsspezifische Bewertung? Ähnlich wie bei möglichen Beziehungen zum Postkolonialismus und Exotismus scheinen hier theoretische Interessen einzelner Forscher die Suche nach historischer Evidenz zu überlagern.
Flotte Thesen, die Konferenzen oder Aufsatzsammlungen beleben sollen, wird man von einem Handbuch kaum erwarten. Trotz der schätzenswerten Fülle gesicherten Wissens über Bachmanns Leben und Werk im Spiegel unterschiedlicher Deutungen kühlt das vorliegende Arbeitsbuch aktuell brodelnde Methodendiskussionen nicht überall auf das ruhigere Temperament des titelgebenden Genres herunter.
ALEXANDER KOSENINA
"Bachmann-Handbuch. Leben - Werk - Wirkung". Hg. von Monika Albrecht und Dirk Göttsche. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart 2002. 330 S., geb., 49,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main