Als in den Jahren 1973 und 1974 in der Volksrepublik China die Anti Konfuzius-Kampagne ihrem Hohepunkt zusteuerte, schiittelte man gleichsam weltweit den Kopf iiber eine so seltsame Verquickung einer modernen Massenmobilisation mit "antiken" Motiven: Aufrufe zu Selbstkritik und klassenkampferischer Geschlossenheit griindeten sich mitunter auf hOchst subtile Interpretationen aus einem iiber zweitausend Jahre alten Text, in standig sich wiederholenden Schulungsversammlungen sahen sich Arbeiter und Bauern gehalten, iiber den Sinn einer knappen Sentenz des Konfuzius nachzusinnen, urn etwa daraus zu lernen, wie man heute gegen Renegaten und Reaktionare vorzugehen habe, die das Rad der Geschichte zuriickdrehen wollen. Auf die chinesische Geschichte gewendet, wird aber ein Versuch der Uberwindung jahrtausendealter Vergangenheitsorientierung, wie sie fUr die chinesische Tradition weithin kennzeichnend war, einsehbar, und es kann dann auch verstandlich werden, warum man das von der Wurzelher zu bewaltigen versucht. Es erweist sich jedenfalls auf eine den Westen (unter EinschluB seiner Sinologen) iiberraschende Weise die Dauerhaftigkeit der Wirkungen des Konfuzius - auch wenn diese im negativen Sinn gesehen werden - und die ungebrochene chinesische GeschichtsbewuBtheit. Denn nicht nur werden Konfuzius und Konfuzianer als Ideologen des Ewiggestrigen verdammt, sondern in der Schule der sog. " Legalisten " (oder "Legisten") wird auch das positive Gegenbild der chinesischen Geistesgeschichte gezeich net: dem Heute verpflichtet, auf wirtschaftlichen Fortschritt ausgerichtet, Gesetze fUr das Yolk schaffend, wo die Konfuzianer nur der Aristokratie dienende Riten am Leben erhalten wollten. - Als dieser Beitrag konzipiert wurde, war von einer Anti-Konfuzius-Kampagne noch keine Rede.
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