Moderner Klassiker
Moskau um 1930: Zusammen mit seinen Gehilfen geht der Teufel um und wirbelt die Stadt mächtig durcheinander. Im Varietétheater richten sie ein heilloses Chaos an und stellen das Publikum - Bürger der Stalinzeit - mit all ihren Schwächen bloß. Die Behörden scheitern kläglich mit rationalen Erklärungsversuchen. Nur zwei Personen entgehen Schreck und Unbill: Der Meister - ein Schriftsteller, der seine Tage in der Psychiatrie zubringt - und Margarita, seine Geliebte, die sich in ihrem gutbürgerlichen Leben nach ihm sehnt. Bulgakows Meisterwerk ist eine auch heute noch hochpolitische Gesellschaftssatire.
Moskau um 1930: Zusammen mit seinen Gehilfen geht der Teufel um und wirbelt die Stadt mächtig durcheinander. Im Varietétheater richten sie ein heilloses Chaos an und stellen das Publikum - Bürger der Stalinzeit - mit all ihren Schwächen bloß. Die Behörden scheitern kläglich mit rationalen Erklärungsversuchen. Nur zwei Personen entgehen Schreck und Unbill: Der Meister - ein Schriftsteller, der seine Tage in der Psychiatrie zubringt - und Margarita, seine Geliebte, die sich in ihrem gutbürgerlichen Leben nach ihm sehnt. Bulgakows Meisterwerk ist eine auch heute noch hochpolitische Gesellschaftssatire.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2014Satans
Salbe
Diese Teufel muss man hören:
„Meister und Margarita“
VON JENS BISKY
Unsichtbar und frei“ saust Margarita über die Gassen, fliegt über die Dächer. Nur Satanssalbe und ein Schrubber waren vonnöten, um hinauszukommen aus dem zermürbenden Alltag der Riesenstadt Moskau. Zwar hatte die junge Frau es gut erwischt. Die Ehe mit einem sehr wichtigen Fachmann ersparte ihr Geldsorgen und die Schrecken einer Gemeinschaftswohnung. Doch ist das Vermeiden des Bedrückenden nicht alles, wofür man lebt. Es gibt auch die Liebe, die ungestörte Ruhe des Miteinanderseins.
Sie sucht ihren Geliebten, den Meister, sucht, da sie als Hexe nun die Möglichkeit hat, nach den Kritikern, die ihn quälten, die ihn nicht nur verrissen, sondern mit einer Kampagne vernichten wollten. Wo steckt denn dieser Latunski, der widerlichste von allen? Intuitiv begreift Margarita die Schrubber-Bedienung, dass sie nicht zu stürmisch sein darf und dass keiner da unten sie sehen kann: Sie ist tatsächlich unsichtbar und frei.
Der Flug der jungen, verwöhnten, liebenden Moskauerin ist ein Höhepunkt des Hörspiels, das Klaus Buhlert nach dem Roman Michail Bulgakows inszeniert hat. Der Erzähler legt sich in die Sätze, als halte es ihn selber nicht mehr am Boden. Margaritas Stimmung der Unbedingtheit – mir kann keiner – teilt sich mit, ist zu spüren, aber der wilde, tierhafte Schrei, den sie bei Bulgakow ausstößt, ist nicht zu hören.
Wie man es von Klaus Buhlert kennt, der zuletzt mit Canettis „Blendung“ seine Meisterschaft bewies, führt er den Hörer sicher durch die unterschiedlichen akustischen Räume, durch Parks, Wohnungen, Straßen, ins Varieté, auch zu Pontius Pilatus. Sorgsam aber wird jedes Einlullen, Überwältigen vermieden, werden Identifikationsangebote verweigert.
Wer sich an den ersten Leseeindruck erinnert, an die berauschenden Stunden mit „Der Meister und Margarita“, damals in einer von der Zensur gekürzten Fassung, übersetzt von Thomas Reschke, der fühlt sich von dieser Hörspieladaption auf wundersame Weise ernüchtert. Klaus Buhlert folgt der Übertragung Alexander Nitzbergs, die im Jahr 2012 eine kleine Diskussion über Sinn und Verfahren der Neuübersetzung von Klassikern anstieß. Frische, Experimentierlust und Sprachschöpfungen wurden vielfach gelobt, manchen aber war Nitzberg dabei zu weit gegangen. Er hatte den Roman wie ein Gedicht übertragen, dem Erzähler das gediegen Auktoriale ausgetrieben, gern zitierte Sätze ihrer Geläufigkeit beraubt.
Diese Hörbuchadaption ist also auch eine Probe auf die Übersetzung. Frisch wirkt sie, weder das Schicksal des Meisters und der Moskauer noch das des Pontius Pilatus sind in weite Ferne gerückt. Kein behagliches „Es war einmal“. Vorgeführt werden Atmosphären, Szenen voller Spannungen, unausgesprochener Drohungen, verzweifelter Komik.
Bulgakows Roman über den Besuch des Satans und einiger seiner Gesellen in Moskau und über den Schriftsteller, dem sein Pontius-Pilatus-Roman nur Ärger bringt, ist überzeugend als künstlerische Reaktion auf den Aberwitz des Stalinismus gedeutet worden. Der Historiker Karl Schlögel spricht in seinem Buch „Terror und Traum. Moskau 1937“ vom Durchdrehen einer ganzen Gesellschaft und davon, wie das Phantastische real wurde und das Reale phantastisch. Das Durchdrehen und das Realphantastische sind zentrale Motive in „Meister und Margarita“: ganze Kapitel spielen im Irrenhaus; die schwarze Magie, mit der Woland die Stadtbewohner verblüfft, verhext, verwirrt scheint nicht etwas Begrenztes, Lokalisierbares, das man wieder loswerden kann. Vielmehr scheinen Teufelskünste überall am Werk.
Klaus Buhlert führt dies in seiner Inszenierung vor, ohne das Geschehen zeitgeschichtlich zu verorten. Das Spiel des Bandoneons, Musik, die der Komponist Buhlert selbst „irgendwie groovend, tangohaft“ nennt, erzeugen den Eindruck immerwährender Gegenwart. Und es geht darum, einen Ausweg zu finden. Dazu sind die sympathischen und die weniger sympathischen Figuren aufgefordert. Auswege bietet die Schwarze Magie und führt mit ihren verlockenden Offerten immer tiefer in ausweglose Verstrickung.
Was dem Hörer an Illusion und Emotion verweigert wird, gewinnt er an Einsicht und Verunsicherung. Wer es gewohnt war, mit Margarita und dem Meister zu fühlen, die korrupten Literaturfunktionäre und amusischen Literaten zu verachten, wer wild entschlossen war, sich auf eine Seite zu schlagen oder sich am Grotesken zu delektieren, dem zeigt dieses Hörspiel, wie spannungsreich und wie uneindeutig Bulgakow die einzelnen Szenen baute. Zwar fallen die berühmten Sätze, dass man an die Liebe glauben solle, doch sie selbst scheint ein fernes Gerücht, eine Redewendung zu sein. Karl Markovics, der Meister, und Valery Tscheplanowa, Margarita, wurden getrennt voneinander aufgenommen. Die Liebe der beiden ist der angestrengte, auch rührende Versuch eines Auswegs, nicht der Ausweg selber. Und etwas Illusorisches, Konstruiertes ist in ihrer Beschwörung der ewigen Bindung immer dabei.
Der Hörer erlebt das Geschehen, betrachtet das Figurenpanorama mit den Augen des Erzählers, richtiger: der Erzähler. Michael Rotschopf und Manfred Zapatka teilen sich die Erzählstimme und beide formen ihren Part zu einer eigenen Rolle, werden zu Figuren wie die gut fünfzig anderen Akteure auch. Das entspricht dem Geist der Übersetzung und hat eine dann doch beglückende Folge: Das Spiel ist offen, keine Frage vorab entschieden. Die Erzähler wissen nicht alles, manches sagen sie nicht, oft berichten sie gefangen im Augenblick – ganz so, wie es an einer Stelle heißt: „Ich bin zwar der Autor dieser allzu getreuen Beschreibung, aber im Grunde ein Außenstehender.“
Das berühmte Atheismusgespräch am Beginn, in dem die Ungläubigen den Leibhaftigen nicht erkennen, der Varietéabend mit schwarzer Magie, Margaritas Flug und die Nöte des Hegemons erlebt man hier, als hätte man noch nie davon gehört. Satans Gesellen, Azazello, Behemoth, erscheinen als etwas ungehobelte, aber durchaus lebenstüchtige Zeitgenossen. Ein besonderes Vergnügen ist es, Thomas Thiemes Woland zuzuhören: Das Böse hat durchaus eine fürsorgliche Ader, Lust am Experiment, die Abgeklärtheit eines Elder Statesman, den Überblick eines Geschäftsführers.
Auch der Satan scheint Mensch geworden zu sein. Und so verliert er auch nicht die Lust an den Menschen, am Spiel mit ihnen. Leider verrät er auch in diesem so aufwendig wie sorgfältig produzierten Hörspiel nicht, worüber er damals beim Frühstück mit Immanuel Kant geplaudert hat.
Michail Bulgakow : Meister und Margarita. Aus dem Russischen von Alexander Nitzberg. Hörspielbearbeitung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert. Mit Michael Rotschopf, Manfred Zapatka, Thomas Thieme, Valery Tscheplanowa, u.a. Der Hörverlag, München 2014. 12 Cds, 604 Min., 49,99 Euro.
„Es war Frühling,
eine heiße Dämmerstunde
am Patriarchenteich.“
„Verbrenne, verbrenne,
du früheres Leben! –
Verbrenne, du Schmerz!“
„Wer hat dir erzählt, es gäbe auf der Welt keine echte, wahrhaftige, ewige Liebe?
Möge dem Lügner seine schändliche Zunge abgetrennt werden!“ – Der Film nach Bulgakows
Roman entstand 1972. Foto: Dunav/Euro International
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Salbe
Diese Teufel muss man hören:
„Meister und Margarita“
VON JENS BISKY
Unsichtbar und frei“ saust Margarita über die Gassen, fliegt über die Dächer. Nur Satanssalbe und ein Schrubber waren vonnöten, um hinauszukommen aus dem zermürbenden Alltag der Riesenstadt Moskau. Zwar hatte die junge Frau es gut erwischt. Die Ehe mit einem sehr wichtigen Fachmann ersparte ihr Geldsorgen und die Schrecken einer Gemeinschaftswohnung. Doch ist das Vermeiden des Bedrückenden nicht alles, wofür man lebt. Es gibt auch die Liebe, die ungestörte Ruhe des Miteinanderseins.
Sie sucht ihren Geliebten, den Meister, sucht, da sie als Hexe nun die Möglichkeit hat, nach den Kritikern, die ihn quälten, die ihn nicht nur verrissen, sondern mit einer Kampagne vernichten wollten. Wo steckt denn dieser Latunski, der widerlichste von allen? Intuitiv begreift Margarita die Schrubber-Bedienung, dass sie nicht zu stürmisch sein darf und dass keiner da unten sie sehen kann: Sie ist tatsächlich unsichtbar und frei.
Der Flug der jungen, verwöhnten, liebenden Moskauerin ist ein Höhepunkt des Hörspiels, das Klaus Buhlert nach dem Roman Michail Bulgakows inszeniert hat. Der Erzähler legt sich in die Sätze, als halte es ihn selber nicht mehr am Boden. Margaritas Stimmung der Unbedingtheit – mir kann keiner – teilt sich mit, ist zu spüren, aber der wilde, tierhafte Schrei, den sie bei Bulgakow ausstößt, ist nicht zu hören.
Wie man es von Klaus Buhlert kennt, der zuletzt mit Canettis „Blendung“ seine Meisterschaft bewies, führt er den Hörer sicher durch die unterschiedlichen akustischen Räume, durch Parks, Wohnungen, Straßen, ins Varieté, auch zu Pontius Pilatus. Sorgsam aber wird jedes Einlullen, Überwältigen vermieden, werden Identifikationsangebote verweigert.
Wer sich an den ersten Leseeindruck erinnert, an die berauschenden Stunden mit „Der Meister und Margarita“, damals in einer von der Zensur gekürzten Fassung, übersetzt von Thomas Reschke, der fühlt sich von dieser Hörspieladaption auf wundersame Weise ernüchtert. Klaus Buhlert folgt der Übertragung Alexander Nitzbergs, die im Jahr 2012 eine kleine Diskussion über Sinn und Verfahren der Neuübersetzung von Klassikern anstieß. Frische, Experimentierlust und Sprachschöpfungen wurden vielfach gelobt, manchen aber war Nitzberg dabei zu weit gegangen. Er hatte den Roman wie ein Gedicht übertragen, dem Erzähler das gediegen Auktoriale ausgetrieben, gern zitierte Sätze ihrer Geläufigkeit beraubt.
Diese Hörbuchadaption ist also auch eine Probe auf die Übersetzung. Frisch wirkt sie, weder das Schicksal des Meisters und der Moskauer noch das des Pontius Pilatus sind in weite Ferne gerückt. Kein behagliches „Es war einmal“. Vorgeführt werden Atmosphären, Szenen voller Spannungen, unausgesprochener Drohungen, verzweifelter Komik.
Bulgakows Roman über den Besuch des Satans und einiger seiner Gesellen in Moskau und über den Schriftsteller, dem sein Pontius-Pilatus-Roman nur Ärger bringt, ist überzeugend als künstlerische Reaktion auf den Aberwitz des Stalinismus gedeutet worden. Der Historiker Karl Schlögel spricht in seinem Buch „Terror und Traum. Moskau 1937“ vom Durchdrehen einer ganzen Gesellschaft und davon, wie das Phantastische real wurde und das Reale phantastisch. Das Durchdrehen und das Realphantastische sind zentrale Motive in „Meister und Margarita“: ganze Kapitel spielen im Irrenhaus; die schwarze Magie, mit der Woland die Stadtbewohner verblüfft, verhext, verwirrt scheint nicht etwas Begrenztes, Lokalisierbares, das man wieder loswerden kann. Vielmehr scheinen Teufelskünste überall am Werk.
Klaus Buhlert führt dies in seiner Inszenierung vor, ohne das Geschehen zeitgeschichtlich zu verorten. Das Spiel des Bandoneons, Musik, die der Komponist Buhlert selbst „irgendwie groovend, tangohaft“ nennt, erzeugen den Eindruck immerwährender Gegenwart. Und es geht darum, einen Ausweg zu finden. Dazu sind die sympathischen und die weniger sympathischen Figuren aufgefordert. Auswege bietet die Schwarze Magie und führt mit ihren verlockenden Offerten immer tiefer in ausweglose Verstrickung.
Was dem Hörer an Illusion und Emotion verweigert wird, gewinnt er an Einsicht und Verunsicherung. Wer es gewohnt war, mit Margarita und dem Meister zu fühlen, die korrupten Literaturfunktionäre und amusischen Literaten zu verachten, wer wild entschlossen war, sich auf eine Seite zu schlagen oder sich am Grotesken zu delektieren, dem zeigt dieses Hörspiel, wie spannungsreich und wie uneindeutig Bulgakow die einzelnen Szenen baute. Zwar fallen die berühmten Sätze, dass man an die Liebe glauben solle, doch sie selbst scheint ein fernes Gerücht, eine Redewendung zu sein. Karl Markovics, der Meister, und Valery Tscheplanowa, Margarita, wurden getrennt voneinander aufgenommen. Die Liebe der beiden ist der angestrengte, auch rührende Versuch eines Auswegs, nicht der Ausweg selber. Und etwas Illusorisches, Konstruiertes ist in ihrer Beschwörung der ewigen Bindung immer dabei.
Der Hörer erlebt das Geschehen, betrachtet das Figurenpanorama mit den Augen des Erzählers, richtiger: der Erzähler. Michael Rotschopf und Manfred Zapatka teilen sich die Erzählstimme und beide formen ihren Part zu einer eigenen Rolle, werden zu Figuren wie die gut fünfzig anderen Akteure auch. Das entspricht dem Geist der Übersetzung und hat eine dann doch beglückende Folge: Das Spiel ist offen, keine Frage vorab entschieden. Die Erzähler wissen nicht alles, manches sagen sie nicht, oft berichten sie gefangen im Augenblick – ganz so, wie es an einer Stelle heißt: „Ich bin zwar der Autor dieser allzu getreuen Beschreibung, aber im Grunde ein Außenstehender.“
Das berühmte Atheismusgespräch am Beginn, in dem die Ungläubigen den Leibhaftigen nicht erkennen, der Varietéabend mit schwarzer Magie, Margaritas Flug und die Nöte des Hegemons erlebt man hier, als hätte man noch nie davon gehört. Satans Gesellen, Azazello, Behemoth, erscheinen als etwas ungehobelte, aber durchaus lebenstüchtige Zeitgenossen. Ein besonderes Vergnügen ist es, Thomas Thiemes Woland zuzuhören: Das Böse hat durchaus eine fürsorgliche Ader, Lust am Experiment, die Abgeklärtheit eines Elder Statesman, den Überblick eines Geschäftsführers.
Auch der Satan scheint Mensch geworden zu sein. Und so verliert er auch nicht die Lust an den Menschen, am Spiel mit ihnen. Leider verrät er auch in diesem so aufwendig wie sorgfältig produzierten Hörspiel nicht, worüber er damals beim Frühstück mit Immanuel Kant geplaudert hat.
Michail Bulgakow : Meister und Margarita. Aus dem Russischen von Alexander Nitzberg. Hörspielbearbeitung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert. Mit Michael Rotschopf, Manfred Zapatka, Thomas Thieme, Valery Tscheplanowa, u.a. Der Hörverlag, München 2014. 12 Cds, 604 Min., 49,99 Euro.
„Es war Frühling,
eine heiße Dämmerstunde
am Patriarchenteich.“
„Verbrenne, verbrenne,
du früheres Leben! –
Verbrenne, du Schmerz!“
„Wer hat dir erzählt, es gäbe auf der Welt keine echte, wahrhaftige, ewige Liebe?
Möge dem Lügner seine schändliche Zunge abgetrennt werden!“ – Der Film nach Bulgakows
Roman entstand 1972. Foto: Dunav/Euro International
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2014Der Tanz der toten Seelen
Hier wird nicht gelesen, hier entstehen Räume: Klaus Buhlert macht aus Michail Bulgakows "Meister und Margarita" ein grandios leichtfüßiges Hörspiel.
Von Christian Deutschmann
Härter hätte es ein System nicht treffen können, als ihm, zu dessen ehernen Grundpfeilern der Atheismus gehört, den Satan auf die gesicherte Bude rücken zu lassen. Wo er Würdenträger blamiert, Gewissheiten ins Wanken bringt und der Staatsmacht am Ende die Hosen herunterzieht. Es ist der verstörende Griff ins Metaphysische, der Michail Bulgakows "Meister und Margarita" über das Satirische hinaus zum stärksten Gegengift gegen Realität und Doktrin des Sowjetsozialismus werden ließ, aber auch bewirkte, dass uns der Roman heute noch packt.
Unterschiedlich seine Karriere in West und Ost. Nicht auf Anhieb mochten sich Westleser, in der Bundesrepublik erschien der Roman zehn Jahre später als in der DDR, mit ihm anfreunden. Denn statt erwarteter "Darstellungen" eines hässlichen Sowjetimperiums begegneten ihnen Episoden, in denen die Vernunft außer Kraft gesetzt ist. Da verschwinden Menschen, verwandeln sich, werden unsichtbar und können fliegen; unter die Akteure mischt sich ein sprechender und bösartiger Kater; ein Varieté wird erst zum Spuk und dann zum Albtraum; Funktionäre landen in der Irrenanstalt, in einer Wohnung treffen sich Gestorbene zum Ball, zwei Liebende finden über irdische Grenzen hinaus zueinander. Und dann noch ein Roman im Roman: die Begegnung des Prokurators Pontius Pilatus mit Jeschua Ha-Nozri in Jerschalajim, dessen Kreuzigung und schließlich die Beseitigung des Verräters Judas. Alles andere als ein "Dissidenten"-Stoff, vielmehr ein Verwirrspiel nach Schelmenart, das von der Alltagssatire ins Elysium führt.
Auf Anhieb begeistert waren die Leser im Osten. Sie entzückte bereits der Plot, der darauf beruht, dass einer Welt von diktiertem Fortschrittsglauben Grenzen gesetzt werden und der "Böse" einem geschundenen Literaten zu Unsterblichkeit und Liebesglück verhilft. Gebildete konnten sich an Goethe-Anleihen freuen: Der titelgebende "Meister" (ebenjener Literat) ist eine Faustgestalt, und aus Mephistopheles, bei Goethe auch Junker Voland genannt, wird Woland, während Margarita die Gretchen-Tragödie emanzipatorisch wendet. Mühelos aber lasen die Fürsprecher, die das Buch rasch fand, die subversive Parabel heraus, die Gut und Böse neu sortiert und sich in der Jesus-Pilatus-Geschichte zu einem grandiosen Gegenbild zum Stalin-Imperium steigert.
Natürlich konnte das in Bulgakows Heimat nicht gutgehen, und so spricht schon die Entstehungs- und Editionsgeschichte des Buchs für sich. Geschrieben zwischen 1928 und 1940, erlebte es in Russland erst 1966, in der DDR zwei Jahre später eine zunächst "gereinigte" Veröffentlichung. Unbestritten und längst historisch die Verdienste von Herausgeber Ralf Schröder und Übersetzer Thomas Reschke: der eine mit einem listig die Oberen schmeichelnden Nachwort; der andere mit einer philologisch gediegenen, doch heute zuweilen verstaubt anmutenden Fassung. Es ist der Ton, der die Musik macht: Das verrät Alexander Nitzbergs 2012 erschienene und sogleich weithin gerühmte Neuübersetzung. Sie ist aus gänzlich anderem Geist geschaffen als die vorherige: unbefangen, sprachspielerisch, von großem, auch brutalem Charme und modern collagierend. Klaus Buhlerts für den Bayerischen Rundfunk geschaffene zehnstündige Hörfassung folgt ihm darin, gibt dem Werk eine Leichtfüßigkeit, die kaum glauben macht, dass sich so viele an diesem Roman die Zähne ausgebissen haben. Da wird nicht gelesen, sondern entstehen Räume. Ob wir in einer Moskauer Wohnung, dem Statthalterpalast in Jerschalajim oder am Himmel über Moskau sind - unsere Ohren, für derartige Imaginationen ohnehin eher geschaffen als Augen, unterscheiden nicht.
Klaus Buhlert befreit den Roman von der Führungsrolle eines vorlesenden Erzählers, macht diesen zum Augenzeugen auch übersinnlicher Vorkommnisse, während die Akteure nicht "spielen", sondern wie zu sich selbst reden und zuweilen wie ferne Erinnerungs-Echos in den Erzählpart eingreifen. Eine akustische Show das Ganze, durch Clownerien angereichert, in denen auf Russisch wie Deutsch das Gehörte paraphrasiert wird. Zum Mitspieler wird aber auch die Musik, die ebenso knapp wie gestisch den burlesken Charakter aufgreift, kleine Zäsuren schafft und uns so immer wieder Atem holen lässt.
Durchweg vorzüglich und jeweils auf einen unverwechselbaren Ton gestimmt das neunundzwanzigköpfige Ensemble. Da werden Personen neu gruppiert, lässt etwa Margarita (Valery Tscheplanowa), im Roman eher schematisch gezeichnet, durch eine wunderbare Mischung von kesser Göre und reifer Liebender aufhorchen. Karl Markovics gibt leicht flatternd das Ängstlich-Verzagte seines Meisters, und Thomas Thiemes Woland ist graue Eminenz, verharrt ganz in tonlos dumpfer Statik. Kein Wunder: Der oder das Böse agiert ja nicht, sondern "ist". Grandios die Varietészene, der der Erste Erzähler (Michael Rotschopf) wie ein Reporter beiwohnt, im staunenden Präsens fast stammelnd. Aber auch die Kreuzigung des Jeschua, die beim Zweiten Erzähler (Manfred Zapatka) ein atemraubender Botenbericht wird. Die Liebe, die Bulgakow bei aller grausamen Detailfreude auch seinem so hämisch gezeichneten Moskauer Personal entgegenbringt, lässt auch Buhlert spüren: indem er naheliegender Karikierung entsagt, lebende Wesen schafft und damit jede mikrofongezähmte Studioroutine hinter sich lässt.
Bei alledem ergeht es dem Hörer wie Margarita, die plötzlich fliegen kann und auf einem Satansfest mit Gleichmut den eigenartigsten Dingen begegnet. Diese Fassung jedenfalls hat Drive, entwickelt einen Sog, der uns mühelos an letzte Dinge heranführt. Der Traum von Gerechtigkeit und Frieden; dazu Ausbruch, Entgrenzung, die Überwindung eines stupiden, weil regulierten Alltags qua Zauber und Phantasie; und ganz nebenbei auch der Blick auf ein anderes Russland: Wer würde behaupten, uns gehe das alles nichts mehr an?
Michail Bulgakow: "Meister und Margarita".
Bearbeitung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert. Der Hörverlag, München 2014. 12 CDs, zus. 604 Min., 49,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hier wird nicht gelesen, hier entstehen Räume: Klaus Buhlert macht aus Michail Bulgakows "Meister und Margarita" ein grandios leichtfüßiges Hörspiel.
Von Christian Deutschmann
Härter hätte es ein System nicht treffen können, als ihm, zu dessen ehernen Grundpfeilern der Atheismus gehört, den Satan auf die gesicherte Bude rücken zu lassen. Wo er Würdenträger blamiert, Gewissheiten ins Wanken bringt und der Staatsmacht am Ende die Hosen herunterzieht. Es ist der verstörende Griff ins Metaphysische, der Michail Bulgakows "Meister und Margarita" über das Satirische hinaus zum stärksten Gegengift gegen Realität und Doktrin des Sowjetsozialismus werden ließ, aber auch bewirkte, dass uns der Roman heute noch packt.
Unterschiedlich seine Karriere in West und Ost. Nicht auf Anhieb mochten sich Westleser, in der Bundesrepublik erschien der Roman zehn Jahre später als in der DDR, mit ihm anfreunden. Denn statt erwarteter "Darstellungen" eines hässlichen Sowjetimperiums begegneten ihnen Episoden, in denen die Vernunft außer Kraft gesetzt ist. Da verschwinden Menschen, verwandeln sich, werden unsichtbar und können fliegen; unter die Akteure mischt sich ein sprechender und bösartiger Kater; ein Varieté wird erst zum Spuk und dann zum Albtraum; Funktionäre landen in der Irrenanstalt, in einer Wohnung treffen sich Gestorbene zum Ball, zwei Liebende finden über irdische Grenzen hinaus zueinander. Und dann noch ein Roman im Roman: die Begegnung des Prokurators Pontius Pilatus mit Jeschua Ha-Nozri in Jerschalajim, dessen Kreuzigung und schließlich die Beseitigung des Verräters Judas. Alles andere als ein "Dissidenten"-Stoff, vielmehr ein Verwirrspiel nach Schelmenart, das von der Alltagssatire ins Elysium führt.
Auf Anhieb begeistert waren die Leser im Osten. Sie entzückte bereits der Plot, der darauf beruht, dass einer Welt von diktiertem Fortschrittsglauben Grenzen gesetzt werden und der "Böse" einem geschundenen Literaten zu Unsterblichkeit und Liebesglück verhilft. Gebildete konnten sich an Goethe-Anleihen freuen: Der titelgebende "Meister" (ebenjener Literat) ist eine Faustgestalt, und aus Mephistopheles, bei Goethe auch Junker Voland genannt, wird Woland, während Margarita die Gretchen-Tragödie emanzipatorisch wendet. Mühelos aber lasen die Fürsprecher, die das Buch rasch fand, die subversive Parabel heraus, die Gut und Böse neu sortiert und sich in der Jesus-Pilatus-Geschichte zu einem grandiosen Gegenbild zum Stalin-Imperium steigert.
Natürlich konnte das in Bulgakows Heimat nicht gutgehen, und so spricht schon die Entstehungs- und Editionsgeschichte des Buchs für sich. Geschrieben zwischen 1928 und 1940, erlebte es in Russland erst 1966, in der DDR zwei Jahre später eine zunächst "gereinigte" Veröffentlichung. Unbestritten und längst historisch die Verdienste von Herausgeber Ralf Schröder und Übersetzer Thomas Reschke: der eine mit einem listig die Oberen schmeichelnden Nachwort; der andere mit einer philologisch gediegenen, doch heute zuweilen verstaubt anmutenden Fassung. Es ist der Ton, der die Musik macht: Das verrät Alexander Nitzbergs 2012 erschienene und sogleich weithin gerühmte Neuübersetzung. Sie ist aus gänzlich anderem Geist geschaffen als die vorherige: unbefangen, sprachspielerisch, von großem, auch brutalem Charme und modern collagierend. Klaus Buhlerts für den Bayerischen Rundfunk geschaffene zehnstündige Hörfassung folgt ihm darin, gibt dem Werk eine Leichtfüßigkeit, die kaum glauben macht, dass sich so viele an diesem Roman die Zähne ausgebissen haben. Da wird nicht gelesen, sondern entstehen Räume. Ob wir in einer Moskauer Wohnung, dem Statthalterpalast in Jerschalajim oder am Himmel über Moskau sind - unsere Ohren, für derartige Imaginationen ohnehin eher geschaffen als Augen, unterscheiden nicht.
Klaus Buhlert befreit den Roman von der Führungsrolle eines vorlesenden Erzählers, macht diesen zum Augenzeugen auch übersinnlicher Vorkommnisse, während die Akteure nicht "spielen", sondern wie zu sich selbst reden und zuweilen wie ferne Erinnerungs-Echos in den Erzählpart eingreifen. Eine akustische Show das Ganze, durch Clownerien angereichert, in denen auf Russisch wie Deutsch das Gehörte paraphrasiert wird. Zum Mitspieler wird aber auch die Musik, die ebenso knapp wie gestisch den burlesken Charakter aufgreift, kleine Zäsuren schafft und uns so immer wieder Atem holen lässt.
Durchweg vorzüglich und jeweils auf einen unverwechselbaren Ton gestimmt das neunundzwanzigköpfige Ensemble. Da werden Personen neu gruppiert, lässt etwa Margarita (Valery Tscheplanowa), im Roman eher schematisch gezeichnet, durch eine wunderbare Mischung von kesser Göre und reifer Liebender aufhorchen. Karl Markovics gibt leicht flatternd das Ängstlich-Verzagte seines Meisters, und Thomas Thiemes Woland ist graue Eminenz, verharrt ganz in tonlos dumpfer Statik. Kein Wunder: Der oder das Böse agiert ja nicht, sondern "ist". Grandios die Varietészene, der der Erste Erzähler (Michael Rotschopf) wie ein Reporter beiwohnt, im staunenden Präsens fast stammelnd. Aber auch die Kreuzigung des Jeschua, die beim Zweiten Erzähler (Manfred Zapatka) ein atemraubender Botenbericht wird. Die Liebe, die Bulgakow bei aller grausamen Detailfreude auch seinem so hämisch gezeichneten Moskauer Personal entgegenbringt, lässt auch Buhlert spüren: indem er naheliegender Karikierung entsagt, lebende Wesen schafft und damit jede mikrofongezähmte Studioroutine hinter sich lässt.
Bei alledem ergeht es dem Hörer wie Margarita, die plötzlich fliegen kann und auf einem Satansfest mit Gleichmut den eigenartigsten Dingen begegnet. Diese Fassung jedenfalls hat Drive, entwickelt einen Sog, der uns mühelos an letzte Dinge heranführt. Der Traum von Gerechtigkeit und Frieden; dazu Ausbruch, Entgrenzung, die Überwindung eines stupiden, weil regulierten Alltags qua Zauber und Phantasie; und ganz nebenbei auch der Blick auf ein anderes Russland: Wer würde behaupten, uns gehe das alles nichts mehr an?
Michail Bulgakow: "Meister und Margarita".
Bearbeitung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert. Der Hörverlag, München 2014. 12 CDs, zus. 604 Min., 49,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es ist surreal brillant, im besten Sinne verspielt und wahrlich fantastisch formuliert. Franziska Weisz, Schauspielerin flair, April 2020
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Für den Rezensenten Christoph Keller ist Michail Bulgakows unvollendeter Roman "Meister und Margarita", der schon bald nach Erscheinen zum Kultbuch wurde, ein "unverwüstliches" Meisterwerk von geradezu magischer Qualität. In seinen Augen ist es die "tiefe Menschlichkeit" und seine schillernde Hauptfigur, der Teufel selbst, die dem Roman seinen anhaltenden, über kulturelle und zeitliche Grenzen hinwegsteigenden Erfolg bescheren. Wenn er sich die Neuübersetzung des Lyrikers Alexander Nitzberg anschaut, ist seine Freude allerdings eine gemischte. Viel Lobenswertes hat der Rezensent gefunden. Er hebt anerkennend die Frische, das Freche und die Lebendigkeit hervor, die "Meister und Margarita" hier eingehaucht sind. Und trotzdem stellt er mit Unbehagen fest, dass sich der Übersetzer allzu frei über Sprachrhythmus und Stil des Originals hinweggesetzt hat. Aus dem Roman des, wie er meint, eher sprachkonservativen Bulgakow ein Schlüsselwerk der Moderne zu machen, findet Keller falsch. Er kritisiert, dass sich Nitzberg "Freiheiten herausnimmt", die ihm nicht zustehen. Überhaupt, statt getreu zu übersetzen habe Nitzberg eher umgedichtet, stellt der Rezensent fest und meint, das sei angesichts der Meisterschaft dieses Romans nun wirklich nicht nötig gewesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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