Von den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an hatte Henri Cartier-Bresson (1908-2004) immer wieder neue - und nach ihm selten erreichte - Maßstäbe gesetzt, wenn es darum ging, Photojournalismus und Photokunst miteinander zu verbinden. Sein Name, der untrennbar mit der von ihm mitbegründeten legendären Photoagentur Magnum verbunden ist, wurde zum Gütesiegel einer Bildberichterstattung, der künstlerischer Anspruch und humanes Interesse ebensoviel gelten wie der Informations- oder auch Sensationswert einer Photographie. Für alle, die sich einen repräsentativen Überblick über das Werk des Jahrhundertphotographen verschaffen wollen, bieten wir den in unserer Serie 'Meisterwerke' erschienenen, handlichen Band mit den berühmtesten HCB-Ikonen aus 50 Jahren neu an. Der begleitende Text stammt vom Meister selbst: Es ist seine 1952 verfaßte Definition des 'entscheidenden Augenblicks', die zur theoretischen Grundlage jedes engagierten Photojournalismus geworden ist. Mit fast 50.000 verkauften Exemplaren ist Henri Cartier-Bresson - Meisterwerke eines der erfolgreichsten Photobücher überhaupt
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2004Harmonische Welt: Der Fotohumanist Henri Cartier-Bresson
Der Plan war ein anderer. Denn ursprünglich sollte das kleine Bändchen "Henri Cartier-Bresson - Meisterwerke" bloß die günstige Alternative zum opulenten Katalog der großen Retrospektive des Fotografen sein, die in diesem Sommer in Berlin Station gemacht hat. Nun aber, nach seinem Tod (F.A.Z. vom 6. August), gleicht es einem Vermächtnis: zweiundfünfzig Aufnahmen als Resümee eines Lebenswerks. Einen neuen Blick auf das OEuvre vermittelt es nicht; im Gegenteil. In der knappen Auswahl findet man kaum ein Bild, das man nicht kennte, dafür viele jener Aufnahmen, die Eingang gefunden haben in das kollektive Gedächtnis des zwanzigsten Jahrhunderts. Die erste Hälfte des Buchs ist seinen stets unsensationellen, dennoch immer bewegenden Alltagsszenen gewidmet, die zweite den zurückhaltenden Künstlerporträts. Überraschend ist allenfalls das Schlußbild: ein gespenstisches Selbstporträt, auf dem sich neben den langen Schatten einer Pappelreihe die Silhouette des Fotografen auf die Wiese legt, entstanden 1999 - ein Vierteljahrhundert nachdem Cartier-Bresson offiziell zu fotografieren aufgehört hatte.
Fast wichtiger möchte man deshalb die Entscheidung nennen, der Bildauswahl den auf deutsch seit langem nur schwer erhältlichen Aufsatz "Der entscheidende Augenblick" von Henri Cartier-Bresson voranzustellen. Bereits 1952 als Vorwort für seinen ersten Bildband, "The Decisive Moment", geschrieben, war er zeitlebens eine Art Glaubensbekenntnis des Fotografen. Eingebunden in autobiographische Notizen, entwickelt er darin seine Lehre vom Rhythmus der Welt und dem Einklang der Bewegungen, die sich immer wieder für einen Augenblick zur vollendeten Komposition zusammenfügen. Unterbewußt müsse der Fotograf auf solche Momente reagieren, sie ahnen, bevor sie geschehen, und reflexhaft auf den Auslöser drücken. Es war dies ein humanes, schon bald aber nicht mehr zeitgemäßes Weltbild, denn es unterstellt auf schon rührende Weise eine dem Leben innewohnende Harmonie. Als sich die nächste Generation von Fotojournalisten daranmachte, die Welt als Chaos darzustellen, lehnte sie sich nicht zuletzt gegen diese Ansicht auf. Cartier-Bressons Prinzip der strengen Bildkomposition setzten sie mit ihren Aufnahmen das rauschhafte Erleben einer Welt gegenüber, die aus den Fugen geraten ist. - Unsere Abbildung zeigt die Aufnahme: "Hyères, Frankreich, 1932". (Henri Cartier-Bresson: "Meisterwerke". Verlag Schirmer/Mosel, München, 2004. 128 S., br., Abb., 6,95 [Euro].)
F.L.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Plan war ein anderer. Denn ursprünglich sollte das kleine Bändchen "Henri Cartier-Bresson - Meisterwerke" bloß die günstige Alternative zum opulenten Katalog der großen Retrospektive des Fotografen sein, die in diesem Sommer in Berlin Station gemacht hat. Nun aber, nach seinem Tod (F.A.Z. vom 6. August), gleicht es einem Vermächtnis: zweiundfünfzig Aufnahmen als Resümee eines Lebenswerks. Einen neuen Blick auf das OEuvre vermittelt es nicht; im Gegenteil. In der knappen Auswahl findet man kaum ein Bild, das man nicht kennte, dafür viele jener Aufnahmen, die Eingang gefunden haben in das kollektive Gedächtnis des zwanzigsten Jahrhunderts. Die erste Hälfte des Buchs ist seinen stets unsensationellen, dennoch immer bewegenden Alltagsszenen gewidmet, die zweite den zurückhaltenden Künstlerporträts. Überraschend ist allenfalls das Schlußbild: ein gespenstisches Selbstporträt, auf dem sich neben den langen Schatten einer Pappelreihe die Silhouette des Fotografen auf die Wiese legt, entstanden 1999 - ein Vierteljahrhundert nachdem Cartier-Bresson offiziell zu fotografieren aufgehört hatte.
Fast wichtiger möchte man deshalb die Entscheidung nennen, der Bildauswahl den auf deutsch seit langem nur schwer erhältlichen Aufsatz "Der entscheidende Augenblick" von Henri Cartier-Bresson voranzustellen. Bereits 1952 als Vorwort für seinen ersten Bildband, "The Decisive Moment", geschrieben, war er zeitlebens eine Art Glaubensbekenntnis des Fotografen. Eingebunden in autobiographische Notizen, entwickelt er darin seine Lehre vom Rhythmus der Welt und dem Einklang der Bewegungen, die sich immer wieder für einen Augenblick zur vollendeten Komposition zusammenfügen. Unterbewußt müsse der Fotograf auf solche Momente reagieren, sie ahnen, bevor sie geschehen, und reflexhaft auf den Auslöser drücken. Es war dies ein humanes, schon bald aber nicht mehr zeitgemäßes Weltbild, denn es unterstellt auf schon rührende Weise eine dem Leben innewohnende Harmonie. Als sich die nächste Generation von Fotojournalisten daranmachte, die Welt als Chaos darzustellen, lehnte sie sich nicht zuletzt gegen diese Ansicht auf. Cartier-Bressons Prinzip der strengen Bildkomposition setzten sie mit ihren Aufnahmen das rauschhafte Erleben einer Welt gegenüber, die aus den Fugen geraten ist. - Unsere Abbildung zeigt die Aufnahme: "Hyères, Frankreich, 1932". (Henri Cartier-Bresson: "Meisterwerke". Verlag Schirmer/Mosel, München, 2004. 128 S., br., Abb., 6,95 [Euro].)
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dem Rezensenten mit dem Kürzel "F.L." hat das Buch keinen neuen Blick auf das Oeuvre dieses Jahrhundertfotografen vermittelt. Wichtiger als die Bilder findet "F.L." deshalb den Abdruck von Cartier-Bressons "auf Deutsch seit langem nur schwer erhältlichen" Aufsatz 'Der entscheidende Augenblick' aus dem Jahr 1952. Eingebunden in autobiografische Notizen entwickele der Fotograf darin seine Lehre vom Rhythmus der Welt und dem Einklang der Bewegungen, die sich immer wieder für einen Augenblick zur vollendeten Komposition zusammen fügen würden. Doch konnten ihn auch die Fotos selbst immer noch beeindrucken. Die erste Hälfte des Bandes sei Cartier-Bressons "stets unsensationellen, dennoch immer bewegenden Alltagsszenen" gewidmet, der zweite Teil den Künstlerporträts. Hier bewundert der Rezensent besonders ein Selbstporträt aus dem Jahr 1999.
© Perlentaucher Medien GmbH
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