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-Es ist das Rücksichtsloseste, was ich geschrieben habe, ich habe mein Hemd vor allen ausgezogen und es ihnen hingeworfen, sie können alle an meinem Leben knabbern, es aufessen wie Nüsse-, schreibt Bettina Galvagni über ihre erste große Prosaarbeit. Von welchem Leben ist hier die Rede? Die Autorin sieht es als ungelebt, sich selbst als abgeschnittene Marionette, zwischen Schule und Krankenzimmer hin und her geworfen, geschwächt und so durchlässig für alptraumhafte Visionen, die, zwanghaft, um Verzweiflung, Schmerz, Tod kreisen.

Produktbeschreibung
-Es ist das Rücksichtsloseste, was ich geschrieben habe, ich habe mein Hemd vor allen ausgezogen und es ihnen hingeworfen, sie können alle an meinem Leben knabbern, es aufessen wie Nüsse-, schreibt Bettina Galvagni über ihre erste große Prosaarbeit. Von welchem Leben ist hier die Rede? Die Autorin sieht es als ungelebt, sich selbst als abgeschnittene Marionette, zwischen Schule und Krankenzimmer hin und her geworfen, geschwächt und so durchlässig für alptraumhafte Visionen, die, zwanghaft, um Verzweiflung, Schmerz, Tod kreisen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.1997

Bekenntnisse einer Qualle
Eher rücksichtslos: Bettina Galvagnis Prosadebüt "Melancholia"

"Bettina" oder auch "Betty" wird die Ich-Figur (der Terminus "Erzählerin" wäre etwas unpassend, denn "erzählt" im eigentlichen Sinne wird nur wenig) in "Melancholia" genannt, einem geradezu rhapsodischen Prosawerk der einundzwanzigjährigen gebürtigen Südtirolerin Bettina Galvagni. Aus der Anrede und aus anderen Details läßt sich folgern, daß die Autorin Eindrücke vom Verlauf ihrer eigenen Pubertätsmagersucht wiedergibt, einer Anorexia nervosa, verbunden mit einem "kleinen Herzfehler".

Sie beschreibt ihr früheres Ich als das einer süchtigen Leserin ("ich klebe an den Büchern und Schriftstellern wie eine Qualle") mit "Durst nach Reisen und Homer und Nietzsche". Zwar empfindet man bei der Lektüre alsbald Mitgefühl mit der Leidenden und anderen geschilderten Patienten, wünscht aber schließlich, man hätte "Melancholia" lieber nicht gelesen - und das nicht etwa, weil die Darstellung von Krankheit und Verfall an sich bedrückend sein kann.

Schuld an der weitgehenden Unverträglichkeit dieses Textes sind vielmehr einige Untugenden, für welche Jungautoren wohl besonders anfällig sind: Fehlende Urteilssicherheit zum Beispiel soll durch beliebiges euphorisches Geschwätz verdeckt werden ("am salingerschen Stil bleibt man kleben, man bekommt ihn wie Pech nicht mehr von den Kleidern"); ein unterentwickelter Geschmack führt zu Attacken auf den Leser. Hinzu kommen ein zwanghaftes Suchen nach Vergleichen ("ich wärme mein Italienisch wie eine Suppe auf") und vor allem ein namedropping, das sogar in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur seinesgleichen suchen dürfte - unterhalb von "Schadewaldt und Nietzsche und Kierkegaard" beziehungsweise "Anaximander und Heraklit und Platon" plus Heidegger, Sylvia Plath, Virginia Woolf und Thomas Mann geht da nur wenig.

Am lähmendsten allerdings wirkt sich ein offenkundiger Mangel an Witz und Originalität aus, der angesichts des Alters der Autorin freilich normal sein dürfte. Das Ganze liest sich wie eine zusammengezwungene Mischung aus Karin Struck, Peter Handke und Thomas Bernhard.

Man mag einwenden, all das diene nur der indirekten Charakterisierung einer armen, lebensgierigen, sicherlich etwas neurotischen Jungleidenden, der halt die "dauernde, unablässige Konfrontation mit Krankheit" zu schaffen mache. Daß man aber aus solchen Erfahrungen gleich ein zähledernes Werk mit literarischem Anspruch zusammenschustern muß, leuchtet überhaupt nicht ein. "Es ist das Rücksichtsloseste, was ich geschrieben habe", so äußerte sich Bettina Galvagni laut Klappentext über ihr Buch. Daß sie in einem ganz anderen Sinne als dem gemeinten recht haben könnte, wird ihr vielleicht erst in ein paar Jahren aufgehen. WOLFGANG STEUHL

Bettina Galvagni: "Melancholia". Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1997.

200 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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