Melina hat eine besondere Gabe: Sie kann Gegenstände zum Leben erwecken, wenn sie sie berührt. So war es auch mit Pippa, dem winzigen, vorlauten Playmobil-Mädchen, das längst mehr ist als ein Stück Plastik. Außerdem gibt es da Will, den Jungen aus Stein. Nie zuvor hat Melina etwas so Großes aufgeweckt, und der Kerl hat auch noch Flügel! Und einen eigenen Willen, der Melina schon bald nicht mehr geheuer ist ...
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dass die preisgekrönte Jugendbuchautorin Marlene Röder auch hinreißende Kinderbücher schreibt, stellt Rezensent Tilman Spreckelsen bei der Lektüre von "Melina und das Geheimnis aus Stein" fest. Er liest darin die bewegende Geschichte der kleinen Melina, die nach dem plötzlichen Kindstod ihres kleinen Bruders die besondere Gabe erhält, unbelebte Dinge zum Leben zu erwecken. Und so wird die steinerne Grabfigur Will bald ihr ständiger Begleiter. Anerkennend bemerkt Spreckelsen, dass es der Autorin hier aber weniger um eine neue Variation des Golem-Motivs gehe, sondern vielmehr um den Konflikt zwischen der Dominanz des kleinen Mädchens und dem Wunsch der Steinfigur, ein Mensch aus Fleisch und Blut zu sein. Und dass all dies aus der Perspektive Melinas erzählt wird und der Geschichte damit die Möglichkeit eines hilfreichen Tagtraumes gegeben wird, macht diesen Roman nicht nur zu einem fantastischen, sondern auch zu einem klugen psychologischen Kinderbuch, lobt der Kritiker.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2013Wenn der schlafende Junge erwacht
Flügel sind manchmal hinderlich: Marlene Röder erkundet "Melina und das Geheimnis aus Stein"
Eigentlich wollten die drei nur Fußball spielen: das Mädchen Melina, ihre Freundin Jessie und der seltsame Junge Will. Dann trifft der Ball mit voller Wucht die Schulter des Jungen. Sein Arm bricht ab. "Oh Gott", ruft Melina, "Tut es weh?" Will verneint. Und fragt dann: "Was ist das: wehtun?"
In der deutschen Jugendliteratur der Gegenwart ist die junge Autorin Marlene Röder eine feste Größe. Sie hat zwei Romane und einen Erzählungsband publiziert, für die sie mit einigen Preisen ausgezeichnet worden ist. Nun legt sie mit "Melina und das Geheimnis aus Stein" ihr erstes Kinderbuch vor. Einige Monate bevor der Roman einsetzt, ist Jonas, Melinas kleiner Bruder, den plötzlichen Kindstod gestorben. Die Folgen sind eine apathische Mutter, ein Vater, der sich in seiner Arbeit vergräbt und eine völlig überforderte Fünftklässlerin, die an der neuen Schule niemanden an sich heranlässt.
Allerdings verfügt Melina offenbar über eine besondere Gabe: Sie kann durch eine Berührung ihrer Hand unbelebte Dinge zum Leben erwecken. Mit einer Playmobilfigur namens Pippa funktioniert das so gut, dass diese etwas vorlaute Pippa zu Melinas bester Freundin wird. Aufregend wird es dann, als Melinas Hand eine steinerne Grabfigur belebt. Sie erhält den Namen Will. Und wünscht sich bald nichts sehnlicher, als ein richtiger Mensch aus Fleisch und Blut zu sein.
Mit dem vermeintlichen Zombie auf dem Fußballplatz arrangiert sich Melinas Freundin Jessie jedenfalls auffällig schnell. Das klingt nach einer neuerlichen Adaption des Golem-Motivs (das auch angesprochen wird), auch ein wenig Pygmalion-Mythos spielt mit hinein. Doch die Autorin ist mindestens so sehr an Melinas Alltag interessiert wie an der ungeheuren Begebenheit der Statuen-Erweckung, und den Verletzungen des Mädchens gilt ihre diskrete Beschreibung weit mehr als den abgebrochenen Stein-Armen Wills.
Wie erweckt wird, ist weniger wichtig als warum. Und da geht es der ohnmächtigen Melina offensichtlich zunehmend auch um die Macht, die sie über Will ausübt und die der zum Leben Erwachte zögernd, freundlich, dann aber mit zunehmendem Nachdruck von sich abschütteln möchte. Das ist der zentrale Konflikt in diesem Roman, und als sich die Dinge zum Besseren wenden, hat das viel mit Melinas Erfahrung zu tun, dass sich der Reiz der Dominanz rasch erschöpft.
Allerdings ist die Autorin raffiniert genug, um hinter der phantastischen Lesart dieses Romans eine andere aufscheinen zu lassen. Denn es ist Melina, deren Bericht die einzige Grundlage für die Geschehnisse in diesem Buch liefert, so dass ihre Allmacht über die unbelebte Materie womöglich nichts anderes ist als die Machtphantasie eines einsamen Mädchens - ein Tagtraum, der verblasst, als er nicht mehr so dringend benötigt wird.
TILMAN SPRECKELSEN
Marlene Röder: "Melina und das Geheimnis aus Stein".
Illustriert von Felicitas Horstschäfer. Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2013. 209 S., geb., 12,99 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Flügel sind manchmal hinderlich: Marlene Röder erkundet "Melina und das Geheimnis aus Stein"
Eigentlich wollten die drei nur Fußball spielen: das Mädchen Melina, ihre Freundin Jessie und der seltsame Junge Will. Dann trifft der Ball mit voller Wucht die Schulter des Jungen. Sein Arm bricht ab. "Oh Gott", ruft Melina, "Tut es weh?" Will verneint. Und fragt dann: "Was ist das: wehtun?"
In der deutschen Jugendliteratur der Gegenwart ist die junge Autorin Marlene Röder eine feste Größe. Sie hat zwei Romane und einen Erzählungsband publiziert, für die sie mit einigen Preisen ausgezeichnet worden ist. Nun legt sie mit "Melina und das Geheimnis aus Stein" ihr erstes Kinderbuch vor. Einige Monate bevor der Roman einsetzt, ist Jonas, Melinas kleiner Bruder, den plötzlichen Kindstod gestorben. Die Folgen sind eine apathische Mutter, ein Vater, der sich in seiner Arbeit vergräbt und eine völlig überforderte Fünftklässlerin, die an der neuen Schule niemanden an sich heranlässt.
Allerdings verfügt Melina offenbar über eine besondere Gabe: Sie kann durch eine Berührung ihrer Hand unbelebte Dinge zum Leben erwecken. Mit einer Playmobilfigur namens Pippa funktioniert das so gut, dass diese etwas vorlaute Pippa zu Melinas bester Freundin wird. Aufregend wird es dann, als Melinas Hand eine steinerne Grabfigur belebt. Sie erhält den Namen Will. Und wünscht sich bald nichts sehnlicher, als ein richtiger Mensch aus Fleisch und Blut zu sein.
Mit dem vermeintlichen Zombie auf dem Fußballplatz arrangiert sich Melinas Freundin Jessie jedenfalls auffällig schnell. Das klingt nach einer neuerlichen Adaption des Golem-Motivs (das auch angesprochen wird), auch ein wenig Pygmalion-Mythos spielt mit hinein. Doch die Autorin ist mindestens so sehr an Melinas Alltag interessiert wie an der ungeheuren Begebenheit der Statuen-Erweckung, und den Verletzungen des Mädchens gilt ihre diskrete Beschreibung weit mehr als den abgebrochenen Stein-Armen Wills.
Wie erweckt wird, ist weniger wichtig als warum. Und da geht es der ohnmächtigen Melina offensichtlich zunehmend auch um die Macht, die sie über Will ausübt und die der zum Leben Erwachte zögernd, freundlich, dann aber mit zunehmendem Nachdruck von sich abschütteln möchte. Das ist der zentrale Konflikt in diesem Roman, und als sich die Dinge zum Besseren wenden, hat das viel mit Melinas Erfahrung zu tun, dass sich der Reiz der Dominanz rasch erschöpft.
Allerdings ist die Autorin raffiniert genug, um hinter der phantastischen Lesart dieses Romans eine andere aufscheinen zu lassen. Denn es ist Melina, deren Bericht die einzige Grundlage für die Geschehnisse in diesem Buch liefert, so dass ihre Allmacht über die unbelebte Materie womöglich nichts anderes ist als die Machtphantasie eines einsamen Mädchens - ein Tagtraum, der verblasst, als er nicht mehr so dringend benötigt wird.
TILMAN SPRECKELSEN
Marlene Röder: "Melina und das Geheimnis aus Stein".
Illustriert von Felicitas Horstschäfer. Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2013. 209 S., geb., 12,99 [Euro]. Ab 10 J.
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