Als Melitta von Stauffenberg im Januar 1943 von Hermann Göring höchstpersönlich das Eiserne Kreuz II. Klasse erhält, ist dies der vorläufige Höhepunkt einer fast unglaublichen Karriere. Nicht nur beherrscht sie als Testfliegerin und Ingenieurpilotin alle damals bekannten Flugzeugtypen, hat sagenhafte zweitausend Sturzflüge absolviert, selbst ausgewertet und so den Bombenkrieg der Luftwaffe perfektioniert - sie bewahrt auch ein Geheimnis: "Flugkapitän Gräfin Stauffenberg" ist nach den Kriterien der Nazis eine "Halbjüdin". Nur mit Hilfe von ganz oben gelingt es ihr, den Fängen der Rassenjustiz zu entkommen. Für einige Jahre kann sie sich sicher wähnen - bis sie nach dem 20. Juli 1944 in Sippenhaft genommen wird. Enkelin eines jüdischen Textilhändlers aus Odessa, Schwägerin des späteren Hitler-Attentäters, Stuka-Amazone, tragische Heldin ihrer Zeit: Melitta von Stauffenbergs Geschichte erscheint fast wie ein Spiegelbild des totalitären 20. Jahrhunderts, das Eric Hobsbawm das "Zeitalter der Extreme" genannt hat. Ihre Liebe zum feingeistigen Althistoriker Alexander von Stauffenberg war genauso bedingungslos wie ihre Hingabe an die Fliegerei, die ihr am Ende zum Verhängnis wird. Thomas Medicus beschreibt auf der Grundlage bisher unbekannter Quellen dieses ebenso faszinierende wie radikale Leben. Ein einzigartiges Frauenschicksal - und ein dramatisches Kapitel deutscher Geschichte.
"Eine brillant geschriebene und dokumentierte Biografie." (Süddeutsche Zeitung)
"Eine brillant geschriebene und dokumentierte Biografie." (Süddeutsche Zeitung)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2012Der dritte Feuerstoß
Thomas Medicus über Melitta von Stauffenberg, Schwägerin des Hitler-Attentäters
Beim Namen Stauffenberg denken viele sofort an den Hitler-Attentäter Claus, vielleicht auch an seinen älteren Bruder Berthold. Der Völkerrechter beim Oberkommando der Kriegsmarine stand als Mitverschwörer des 20. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof, endete am 10. August schrecklich am Galgen in Plötzensee. Dessen Zwillingsbruder war der in Würzburg (und später bis zu seinem Tode 1964 in München) lehrende Althistoriker und Dichter Alexander von Stauffenberg, der mit Ehefrau Melitta nach dem gescheiterten Umsturzversuch - wie die allermeisten Verwandten der Widerständler, ob jung oder alt - in "Sippenhaft" kam.
Die Diplomingenieurin und Testpilotin Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg, mit dem Titel eines Flugkapitäns sowie dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Goldenen Pilotenabzeichen der Luftwaffe ausgezeichnet, konnte bereits am 2. September 1944 auf Weisung des Reichsführers-SS ihre Tätigkeit als Vorstand der "Versuchsstelle für Flugsondergerät" in Gatow fortsetzen. Sie durfte sogar ihren Ehemann und andere Stauffenbergs, vor allem die Witwen von Claus und Berthold sowie deren Kinder, in verschiedenen Haftanstalten, Lagern und Heimen besuchen. Wie auch am 8. April 1945, als sie von Regensburg aus mit einer Bücker 181 startete, um "Sippenhäftling" Alexander wiederzusehen.
Zur besseren Orientierung flog sie entlang der Bahnstrecke Straubing - Passau, bis plötzlich ein amerikanisches Jagdflugzeug auftauchte. Der Publizist Thomas Medicus fühlt sich in diese Situation ein und hebt die Schnelligkeit der P-51 Mustang hervor: "Auch die am blauen Himmel über dem niederbayerischen Donautal einsam dahinziehende Melitta hat keine Chance. Dass sie nur ein unbewaffnetes Sportflugzeug fliegt, bedeutet keinen Schutz vor einem militärischen Angriff. Der Pilot der P-51 gibt zwei Feuerstöße aus seinen vier in den Flügeln sitzenden Maschinengewehren ab. Keine zwei Kilometer von der in einem Bogen südöstlich fließenden Donau entfernt kippt die Bücker nach links ab und stürzt auf einen Acker." Dies beobachten in Straßkirchen zwei Männer und fahren mit ihren Fahrrädern zur Absturzstelle. "Bitte, helfen Sie mir", sind Melittas letzten Worte. Auf dem Weg ins Straubinger Krankenhaus ist sie "ihren unsichtbaren Verletzungen stumm erlegen". Laut Medicus starb die erst 42 Jahre alte Ingenieurpilotin "in der Sprache ihrer Zunft" den "Fliegertod". Als junges Mädchen soll sie sich in Posen während des Ersten Weltkrieges gewünscht haben, einmal "als Fliegerin ins Feld zu gehen". Im unbewaffneten Sportflugzeug abgeschossen zu werden sei "angesichts ihrer Selbstaufopferung für die Sippenhäftlinge" ungerecht gewesen.
Das Leben der fliegenden Gräfin wird nun trotz dürftiger Quellenlage besichtigt und wortreich seziert. Die am 9. Januar 1903 im westpreußischen Krotoschin geborene Melitta Schiller war Enkelin eines jüdischen Großhändlers aus Odessa. Ihr Vater, ein Baurat, konvertierte zum Protestantismus. Melitta studierte Technische Physik in München, machte Anfang der zwanziger Jahre einen Segelfliegerschein und genoss früh die Förderung von Ernst Udet, dem legendären Jagd- und Kunstflieger, dem Kriegs- und Filmhelden, der sich dann als Hermann Görings überforderter Generalluftzeugmeister Ende 1941 das Leben nehmen sollte.
Bald kam der Motorflug hinzu, wobei Medicus herausstellt, dass Melitta nicht zu den "rekordsüchtigen jungen Frauen" gehörte, die damals durch Langstreckenrekorde und Abenteuerrouten im Scheinwerferlicht der Medien standen. Bei ihr spielten Wissenschaft und Forschung eine entscheidende Rolle. Die Aerodynamikerin mit sämtlichen Flugzeugführerscheinen lernte ihren späteren Mann 1931 bei einer Hochzeitsfeier kennen. Der stark vergeistigte Alexander - wie seine Brüder Claus und Berthold noch ganz im Banne des "monosexuellen Kreises" um den Dichter Stefan George - und die mittlerweile in der Rüstungsindustrie tätige Flugpionierin heirateten 1937. Bei der Eheschließung hatte Melitta wohl falsche Angaben gemacht und geriet deshalb ein Jahr später ins Visier von NS-Sippen-Nachforschern, die dem Würzburger Geschichtsprofessor im Mai 1940 mitteilten, dass seine Frau "jüdischer Mischling mit zwei der Rasse nach voll jüdischen Großeltern" sei. Umgehend bemühte sich Melitta um "eine Befreiung vom Nürnberger Reichsbürgergesetz". Bedeutsam könnte hier Udets Protektion gewesen sein, meint Medicus. "Als die Bescheinigung der ,Deutschblütigkeit' durch den ,Führer' am 25. Juni 1941 auf dem Tisch lag, setzte Melitta ihre Teststurzflüge für den deutschen Endsieg wie in all den Tagen, Wochen und Monaten zuvor fort. Drei Tage vorher war die Wehrmacht in die Sowjetunion einmarschiert, begannen die Einsatzgruppen ihr Morden, entwickelte sich der Krieg gegen die Sowjetunion zum Vernichtungs- und Rassenkrieg."
Bisher war in Werken des Widerstandsforschers Peter Hoffmann, aber auch in der 1990 erschienenen sehr informativen Biographie von Gerhard Bracke über die Fliegerin die These vertreten worden, dass Melitta Stauffenberg in die Umsturzpläne ihrer Schwäger eingeweiht gewesen sei und bereitgestanden habe, den Hitler-Attentäter Claus ins "Führerhauptquartier" nach Ostpreußen und zurück zu fliegen. Der quellenkritische Autor Medicus sieht darin zu Recht eine Legende, die vor allem auf Jutta Rudershausen zurückgeht, eine Schwester Melittas. Sie verfasste zum 70. Geburtstag für die Wochenzeitung "Die Zeit" einen Gedenkartikel und konnte danach ihr Manuskript "Frau in den Wolken" an das ZDF verkaufen, das auf dieser Grundlage und prominent besetzt das Dokumentarspiel "Fliegen und Stürzen" drehte - ausgestrahlt am 6. Januar 1974 zur besten Sendezeit.
Den Geschwistern Klara Schiller, Otto Schiller und Jutta Rudershausen sei es nach 1945 darum gegangen, die Fliegerin zur Widerstandskämpferin zu stilisieren. Sie wollten die jüdische Herkunft der Familie nach wie vor "unter den Tisch fallen" lassen und manche eigene nationalsozialistische Verstrickung "unter den Teppich" kehren. Klara habe 1975 versucht, Marion Gräfin Dönhoff als Herausgeberin für ein Buchprojekt über Melitta zu gewinnen. Doch die "Zeit"-Chefin winkte wegen Arbeitsüberlastung ab - nach Medicus nur ein Vorwand, weil sie zu klug war, "um sich an solch einem undurchsichtigen Fall die Finger zu verbrennen. Vielleicht wusste sie sogar von der ,Gleichstellung' und ahnte, welche Machenschaften damit verbunden sein konnten". Mit der Absage sei "das Unternehmen ,Gräfin nobilitiert Gräfin', in dem die eine der anderen postum die höheren Weihen einer Beteiligung am 20. Juli verleiht, endgültig gescheitert".
Der totale Staat habe den Schillers totale berufliche Entfaltungsmöglichkeiten geboten, so das harte Resümee. Melitta schloss "einen unpolitischen Pakt mit dem Nationalsozialismus". Mit Bekanntwerden ihrer Herkunft "drohten ihr die Verfolgungen und Diskriminierungen, denen ,Mischlinge' im NS-Staat ausgesetzt waren. Ihre ,Gleichstellung' mit ,Deutschblütigen' bewahrte sie davor." Hätte sie nicht alles darangesetzt, aus ihrer Haft nach dem 20. Juli freizukommen, dann "hätte sie zusammen mit ihrem Mann Alexander von Stauffenberg als Geisel der SS sogar überleben können. Darauf aber schien es Melitta von Stauffenberg nicht anzukommen." Anfang 1945 konnte jeder Flug ihr letzter sein. "Ob ihre Verzweiflung an jenem 8. April, an dem sie den Tod fand, größer war als ihr Mut, weiß niemand." Aufmerksame Leser erinnern sich: Zwei Salven gab der amerikanische Pilot einst ab, und mit einem dritten Feuerstoß - samt Häme über die Schiller-Geschwister - will ein wenig sensibler Biograph die Gräfin endgültig vom Himmel holen. Vergeblich.
RAINER BLASIUS
Thomas Medicus: Melitta von Stauffenberg. Ein deutsches Leben. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012. 414 S., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Thomas Medicus über Melitta von Stauffenberg, Schwägerin des Hitler-Attentäters
Beim Namen Stauffenberg denken viele sofort an den Hitler-Attentäter Claus, vielleicht auch an seinen älteren Bruder Berthold. Der Völkerrechter beim Oberkommando der Kriegsmarine stand als Mitverschwörer des 20. Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof, endete am 10. August schrecklich am Galgen in Plötzensee. Dessen Zwillingsbruder war der in Würzburg (und später bis zu seinem Tode 1964 in München) lehrende Althistoriker und Dichter Alexander von Stauffenberg, der mit Ehefrau Melitta nach dem gescheiterten Umsturzversuch - wie die allermeisten Verwandten der Widerständler, ob jung oder alt - in "Sippenhaft" kam.
Die Diplomingenieurin und Testpilotin Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg, mit dem Titel eines Flugkapitäns sowie dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Goldenen Pilotenabzeichen der Luftwaffe ausgezeichnet, konnte bereits am 2. September 1944 auf Weisung des Reichsführers-SS ihre Tätigkeit als Vorstand der "Versuchsstelle für Flugsondergerät" in Gatow fortsetzen. Sie durfte sogar ihren Ehemann und andere Stauffenbergs, vor allem die Witwen von Claus und Berthold sowie deren Kinder, in verschiedenen Haftanstalten, Lagern und Heimen besuchen. Wie auch am 8. April 1945, als sie von Regensburg aus mit einer Bücker 181 startete, um "Sippenhäftling" Alexander wiederzusehen.
Zur besseren Orientierung flog sie entlang der Bahnstrecke Straubing - Passau, bis plötzlich ein amerikanisches Jagdflugzeug auftauchte. Der Publizist Thomas Medicus fühlt sich in diese Situation ein und hebt die Schnelligkeit der P-51 Mustang hervor: "Auch die am blauen Himmel über dem niederbayerischen Donautal einsam dahinziehende Melitta hat keine Chance. Dass sie nur ein unbewaffnetes Sportflugzeug fliegt, bedeutet keinen Schutz vor einem militärischen Angriff. Der Pilot der P-51 gibt zwei Feuerstöße aus seinen vier in den Flügeln sitzenden Maschinengewehren ab. Keine zwei Kilometer von der in einem Bogen südöstlich fließenden Donau entfernt kippt die Bücker nach links ab und stürzt auf einen Acker." Dies beobachten in Straßkirchen zwei Männer und fahren mit ihren Fahrrädern zur Absturzstelle. "Bitte, helfen Sie mir", sind Melittas letzten Worte. Auf dem Weg ins Straubinger Krankenhaus ist sie "ihren unsichtbaren Verletzungen stumm erlegen". Laut Medicus starb die erst 42 Jahre alte Ingenieurpilotin "in der Sprache ihrer Zunft" den "Fliegertod". Als junges Mädchen soll sie sich in Posen während des Ersten Weltkrieges gewünscht haben, einmal "als Fliegerin ins Feld zu gehen". Im unbewaffneten Sportflugzeug abgeschossen zu werden sei "angesichts ihrer Selbstaufopferung für die Sippenhäftlinge" ungerecht gewesen.
Das Leben der fliegenden Gräfin wird nun trotz dürftiger Quellenlage besichtigt und wortreich seziert. Die am 9. Januar 1903 im westpreußischen Krotoschin geborene Melitta Schiller war Enkelin eines jüdischen Großhändlers aus Odessa. Ihr Vater, ein Baurat, konvertierte zum Protestantismus. Melitta studierte Technische Physik in München, machte Anfang der zwanziger Jahre einen Segelfliegerschein und genoss früh die Förderung von Ernst Udet, dem legendären Jagd- und Kunstflieger, dem Kriegs- und Filmhelden, der sich dann als Hermann Görings überforderter Generalluftzeugmeister Ende 1941 das Leben nehmen sollte.
Bald kam der Motorflug hinzu, wobei Medicus herausstellt, dass Melitta nicht zu den "rekordsüchtigen jungen Frauen" gehörte, die damals durch Langstreckenrekorde und Abenteuerrouten im Scheinwerferlicht der Medien standen. Bei ihr spielten Wissenschaft und Forschung eine entscheidende Rolle. Die Aerodynamikerin mit sämtlichen Flugzeugführerscheinen lernte ihren späteren Mann 1931 bei einer Hochzeitsfeier kennen. Der stark vergeistigte Alexander - wie seine Brüder Claus und Berthold noch ganz im Banne des "monosexuellen Kreises" um den Dichter Stefan George - und die mittlerweile in der Rüstungsindustrie tätige Flugpionierin heirateten 1937. Bei der Eheschließung hatte Melitta wohl falsche Angaben gemacht und geriet deshalb ein Jahr später ins Visier von NS-Sippen-Nachforschern, die dem Würzburger Geschichtsprofessor im Mai 1940 mitteilten, dass seine Frau "jüdischer Mischling mit zwei der Rasse nach voll jüdischen Großeltern" sei. Umgehend bemühte sich Melitta um "eine Befreiung vom Nürnberger Reichsbürgergesetz". Bedeutsam könnte hier Udets Protektion gewesen sein, meint Medicus. "Als die Bescheinigung der ,Deutschblütigkeit' durch den ,Führer' am 25. Juni 1941 auf dem Tisch lag, setzte Melitta ihre Teststurzflüge für den deutschen Endsieg wie in all den Tagen, Wochen und Monaten zuvor fort. Drei Tage vorher war die Wehrmacht in die Sowjetunion einmarschiert, begannen die Einsatzgruppen ihr Morden, entwickelte sich der Krieg gegen die Sowjetunion zum Vernichtungs- und Rassenkrieg."
Bisher war in Werken des Widerstandsforschers Peter Hoffmann, aber auch in der 1990 erschienenen sehr informativen Biographie von Gerhard Bracke über die Fliegerin die These vertreten worden, dass Melitta Stauffenberg in die Umsturzpläne ihrer Schwäger eingeweiht gewesen sei und bereitgestanden habe, den Hitler-Attentäter Claus ins "Führerhauptquartier" nach Ostpreußen und zurück zu fliegen. Der quellenkritische Autor Medicus sieht darin zu Recht eine Legende, die vor allem auf Jutta Rudershausen zurückgeht, eine Schwester Melittas. Sie verfasste zum 70. Geburtstag für die Wochenzeitung "Die Zeit" einen Gedenkartikel und konnte danach ihr Manuskript "Frau in den Wolken" an das ZDF verkaufen, das auf dieser Grundlage und prominent besetzt das Dokumentarspiel "Fliegen und Stürzen" drehte - ausgestrahlt am 6. Januar 1974 zur besten Sendezeit.
Den Geschwistern Klara Schiller, Otto Schiller und Jutta Rudershausen sei es nach 1945 darum gegangen, die Fliegerin zur Widerstandskämpferin zu stilisieren. Sie wollten die jüdische Herkunft der Familie nach wie vor "unter den Tisch fallen" lassen und manche eigene nationalsozialistische Verstrickung "unter den Teppich" kehren. Klara habe 1975 versucht, Marion Gräfin Dönhoff als Herausgeberin für ein Buchprojekt über Melitta zu gewinnen. Doch die "Zeit"-Chefin winkte wegen Arbeitsüberlastung ab - nach Medicus nur ein Vorwand, weil sie zu klug war, "um sich an solch einem undurchsichtigen Fall die Finger zu verbrennen. Vielleicht wusste sie sogar von der ,Gleichstellung' und ahnte, welche Machenschaften damit verbunden sein konnten". Mit der Absage sei "das Unternehmen ,Gräfin nobilitiert Gräfin', in dem die eine der anderen postum die höheren Weihen einer Beteiligung am 20. Juli verleiht, endgültig gescheitert".
Der totale Staat habe den Schillers totale berufliche Entfaltungsmöglichkeiten geboten, so das harte Resümee. Melitta schloss "einen unpolitischen Pakt mit dem Nationalsozialismus". Mit Bekanntwerden ihrer Herkunft "drohten ihr die Verfolgungen und Diskriminierungen, denen ,Mischlinge' im NS-Staat ausgesetzt waren. Ihre ,Gleichstellung' mit ,Deutschblütigen' bewahrte sie davor." Hätte sie nicht alles darangesetzt, aus ihrer Haft nach dem 20. Juli freizukommen, dann "hätte sie zusammen mit ihrem Mann Alexander von Stauffenberg als Geisel der SS sogar überleben können. Darauf aber schien es Melitta von Stauffenberg nicht anzukommen." Anfang 1945 konnte jeder Flug ihr letzter sein. "Ob ihre Verzweiflung an jenem 8. April, an dem sie den Tod fand, größer war als ihr Mut, weiß niemand." Aufmerksame Leser erinnern sich: Zwei Salven gab der amerikanische Pilot einst ab, und mit einem dritten Feuerstoß - samt Häme über die Schiller-Geschwister - will ein wenig sensibler Biograph die Gräfin endgültig vom Himmel holen. Vergeblich.
RAINER BLASIUS
Thomas Medicus: Melitta von Stauffenberg. Ein deutsches Leben. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012. 414 S., 22,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als "grauenhaft gescheitertes" Beispiel deutsch-jüdischer Assimilation bezeichnet Johannes Willms das Leben der Melitta von Stauffenberg, von dem Thomas Medicus in seiner "brillant geschriebenen" und bestens dokumentierten Biografie erzählt. Geboren als Melitta Schiller war sie die Tochter eines zum Christentum konvertierten jüdischen Ingenieurs aus Leipzig, die als Testpilotin zu einer der Vorzeigepilotinnen des Dritten Reichs wurde. Als sich ihr Mann, der Althistoriker Alexander Schenk Graf von Stauffenberg, der Bruder des Hitler-Attentäters, verbeamten lassen wollte, erklärte sie das "Reichssippenamt" in einer Ausnahmeregelung für "reichsblütig" (!). Willms entnimmt der Darstellung von Medicus, dass sich Melitta von Stauffenberg für diesen Wahnwitz mit 150-prozentiger Anpassung bedankte. Dass sie in die Attentatspläne eingeweiht gewesen soll, verabschiedet Willms nach dieser Biografie getrost ins Reich der Legenden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Ein atemberaubendes Buch. Die Welt