Entlang den Autobahnen in Ostdeutschland sieht man vielerorts die zertrümmerten Ställe der früheren Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Sie sind stumme Zeugen der erbittert geführten Kämpfe um Landbesitz und angemessene Eigentumsformen. Nirgendwo sonst wurde nach der Wende derart heftig gestritten, hier lieferten sich die Nachkommen der Junker und die "Roten Barone" eine letzte große ideologische Schlacht. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich höher als anderswo. Doch von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt vollzog sich zugleich ein überraschender Wandel. Die Landwirtschaft arbeitet heute relativ erfolgreich, und in keinem anderen Bereich sind so viele Unternehmen in ostdeutscher Hand - und das, obwohl sie im Unterschied zu den Industriebetrieben ihre Altschulden mühsam abzahlen müssen. Während viele westdeutsche Familienbetriebe den Bedingungen der EU und dem Druck des Weltmarktes kaum gewachsen sind, scheinen die großen ostdeutschen Einheiten, einst durch die sozialistische Kollektivierung entstanden, wie geschaffen für die industrialisierte Landwirtschaft. Retten womöglich die Agrargenossenschaften als einzige das wirtschaftliche Erbe der DDR? Werden sie nach der Osterweiterung der EU dem verschärften Konkurrenzdruck besser gewachsen sein? Was wird aus den Bemühungen um eine ökologische Landwirtschaft? Tanja Busse ist monatelang über Land gefahren, hat mit Grafen und ehemaligen LPG-Vorsitzenden gesprochen, westdeutsche Pächter und ostdeutsche Privatbauern befragt. Sie alle kommen mit ihrer Sicht auf die Dinge in längeren Selbstaussagen zu Wort. Der Autorin ging es nicht um ein schnelles Urteil, sondern um die Vielfalt gegensätzlicher, aber in sich nachvollziehbarer Positionen. Dazu gibt sie einen Überblick über die politischen und rechtlichen Entscheidungen der letzten Jahre, so daß der schwierige Umgestaltungsprozeß auch für Nichteingeweihte verständlich wird.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.08.2001Die Landschaft blüht
Ostdeutsche Agrarbetriebe sind heute wettbewerbsfähiger als die Konkurrenz aus den alten Bundesländern
TANJA BUSSE: Melken und gemolken werden. Die ostdeutsche Landwirtschaft nach der Wende, Christoph Links Verlag, Berlin 2001. 247 Seiten, 29,80 Mark.
Auf einmal kannten sich alle aus: Mit dem Auftauchen von BSE und MKS wusste plötzliche jeder Bescheid darüber, wie Rinder und Schweine ernährt und gehalten werden müssen und konnte über Vor- und Nachteile der ökologischen Landwirtschaft fachsimpeln. Dank Rinderwahnsinn und Maul- und Klauenseuche hatten sich Menschen, die Schweine bislang nur von der Verpackung ihrer Schnitzel kannten, zu Landwirtschaftsexperten entwickelt.
Bis zum GAU der Viehhaltung hatte sich hingegen kaum jemand dafür interessiert, wie sein Hamburger im Urzustand aussah. Anders Tanja Busse. Die Berliner Journalistin unternahm eine Reise quer durch die ostdeutsche Landwirtschaft und förderte dabei erstaunliches zutage. In der Landwirtschaft, so die Autorin, habe die ehemalige DDR einen späten Sieg errungen. Zehn arbeitsreiche Jahre nach der Wende ist die ostdeutsche Landwirtschaft heute wettbewerbsfähiger als die Konkurrenz in den alten Bundesländern: „Während in Westdeutschland ein Familienbetrieb nach dem anderen dichtmacht, ist die Zahl der ostdeutschen Agrarunternehmen stabil.” Für Busse ein Triumph. Ihrer unverhohlenen Freude darüber, dass den Ost-Landwirten „eine stolze Verteidigung des Erbes der DDR gelungen” sei, fehlt nur noch ein „Ätsch!” gen Westen.
Freund und Feind
Doch es lohnt, sich nicht vom Klassenkampf-Jargon irritieren zu lassen und weiterzulesen. Tatsächlich ist es verblüffend, was aus den alten LPG-Betrieben in Mecklenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg, die Busse besucht hat, geworden ist. Vielfach hat man auch nach der Wende an den genossenschaftlichen Strukturen festgehalten – zur Verwunderung des Großteils der westdeutschen Bauern, die den Familienbetrieb als einzig erfolgversprechendes Modell feierten und nicht glauben mochten, wie Betriebe mit mehreren tausend Hektar Land und mehr als hundert Beschäftigten profitabel organisiert werden könnten.
Der Neuanfang war alles andere als leicht. Mit der Umwandlung der Betriebe in andere Rechtsformen kamen auch Probleme der Vermögensverteilung, der Altschulden und der Privatisierung der volkseigenen Flächen, um die zum Teil auch heute noch gestritten wird. Ebenso konfliktträchtig war das Problem der Alteigentümer. Hier brachen und brechen die Gräben des kalten Krieges wieder auf: Wer zwischen 1945 und 1949 enteignet worden war, musste sein Land zurückkaufen und fühlte sich ungerecht behandelt; die LPG-Nachfolgeunternehmen wiederum mussten Land, das sie jahrelang bewirtschaftet hatten, zurückgeben und Leute entlassen – Verlierer auf beiden Seiten. Wie es dennoch gelingen konnte, eine rentable ostdeutsche Landwirtschaft aufzubauen, schildert Busse am Beispiel mehrerer Landwirtschaftsbetriebe und Genossenschaften. Sie lässt Betroffene zu Wort kommen, die klarmachen: Zum Bauern muss man geboren sein. Busse erzählt Erfolgsgeschichten, die Respekt vor der Zähigkeit und Willenskraft der Landwirte abnötigen. Nur mit viel Energie konnten marode LPG- Betriebe in konkurrenzfähige Genossenschaften umgewandelt werden.
Leider ist die Rollenverteilung bei Tanja Busse aber manchmal gar zu simpel. Da müssen sich fleißige ostdeutsche Bauern mit harter Arbeit und List und Tücke gegen westdeutsche Konkurrenten, böse Treuhand-Mitarbeiter und gierige Alteigentümer durchsetzen und erringen am Ende den Sieg.
Ein bisschen mehr Objektivität und weniger Ost-West-Klischees hätten gut getan. Bei aller – berechtigten – Freude darüber, dass sich Bewährtes aus den neuen Ländern erfolgreich durchsetzen konnte und nicht, wie vieles andere, wegrationalisiert wurde, darf eines nicht vergessen werden: Die DDR wurde nicht von bösen Westdeutschen plattgemacht, sondern ist aus gutem Grund ganz ohne fremde Hilfe in sich zusammengebrochen.
SUSANNE KATZORKE
Die Rezensentin studiert Politikwissenschaft in Chemnitz.
An der Hauswand dieses landwirtschaftlichen Betriebes in Mecklenburg-Vorpommern sind Ost- und Westdeutschland als Fahnen vereint; in der Landwirtschaft dominieren hingegen die prinzipiellen Unterschiede: Der Westen setzt nach wie vor auf Familienbetriebe, der Osten vor allem auf Genossenschaften.
Foto: SZ-Archiv
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Ostdeutsche Agrarbetriebe sind heute wettbewerbsfähiger als die Konkurrenz aus den alten Bundesländern
TANJA BUSSE: Melken und gemolken werden. Die ostdeutsche Landwirtschaft nach der Wende, Christoph Links Verlag, Berlin 2001. 247 Seiten, 29,80 Mark.
Auf einmal kannten sich alle aus: Mit dem Auftauchen von BSE und MKS wusste plötzliche jeder Bescheid darüber, wie Rinder und Schweine ernährt und gehalten werden müssen und konnte über Vor- und Nachteile der ökologischen Landwirtschaft fachsimpeln. Dank Rinderwahnsinn und Maul- und Klauenseuche hatten sich Menschen, die Schweine bislang nur von der Verpackung ihrer Schnitzel kannten, zu Landwirtschaftsexperten entwickelt.
Bis zum GAU der Viehhaltung hatte sich hingegen kaum jemand dafür interessiert, wie sein Hamburger im Urzustand aussah. Anders Tanja Busse. Die Berliner Journalistin unternahm eine Reise quer durch die ostdeutsche Landwirtschaft und förderte dabei erstaunliches zutage. In der Landwirtschaft, so die Autorin, habe die ehemalige DDR einen späten Sieg errungen. Zehn arbeitsreiche Jahre nach der Wende ist die ostdeutsche Landwirtschaft heute wettbewerbsfähiger als die Konkurrenz in den alten Bundesländern: „Während in Westdeutschland ein Familienbetrieb nach dem anderen dichtmacht, ist die Zahl der ostdeutschen Agrarunternehmen stabil.” Für Busse ein Triumph. Ihrer unverhohlenen Freude darüber, dass den Ost-Landwirten „eine stolze Verteidigung des Erbes der DDR gelungen” sei, fehlt nur noch ein „Ätsch!” gen Westen.
Freund und Feind
Doch es lohnt, sich nicht vom Klassenkampf-Jargon irritieren zu lassen und weiterzulesen. Tatsächlich ist es verblüffend, was aus den alten LPG-Betrieben in Mecklenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg, die Busse besucht hat, geworden ist. Vielfach hat man auch nach der Wende an den genossenschaftlichen Strukturen festgehalten – zur Verwunderung des Großteils der westdeutschen Bauern, die den Familienbetrieb als einzig erfolgversprechendes Modell feierten und nicht glauben mochten, wie Betriebe mit mehreren tausend Hektar Land und mehr als hundert Beschäftigten profitabel organisiert werden könnten.
Der Neuanfang war alles andere als leicht. Mit der Umwandlung der Betriebe in andere Rechtsformen kamen auch Probleme der Vermögensverteilung, der Altschulden und der Privatisierung der volkseigenen Flächen, um die zum Teil auch heute noch gestritten wird. Ebenso konfliktträchtig war das Problem der Alteigentümer. Hier brachen und brechen die Gräben des kalten Krieges wieder auf: Wer zwischen 1945 und 1949 enteignet worden war, musste sein Land zurückkaufen und fühlte sich ungerecht behandelt; die LPG-Nachfolgeunternehmen wiederum mussten Land, das sie jahrelang bewirtschaftet hatten, zurückgeben und Leute entlassen – Verlierer auf beiden Seiten. Wie es dennoch gelingen konnte, eine rentable ostdeutsche Landwirtschaft aufzubauen, schildert Busse am Beispiel mehrerer Landwirtschaftsbetriebe und Genossenschaften. Sie lässt Betroffene zu Wort kommen, die klarmachen: Zum Bauern muss man geboren sein. Busse erzählt Erfolgsgeschichten, die Respekt vor der Zähigkeit und Willenskraft der Landwirte abnötigen. Nur mit viel Energie konnten marode LPG- Betriebe in konkurrenzfähige Genossenschaften umgewandelt werden.
Leider ist die Rollenverteilung bei Tanja Busse aber manchmal gar zu simpel. Da müssen sich fleißige ostdeutsche Bauern mit harter Arbeit und List und Tücke gegen westdeutsche Konkurrenten, böse Treuhand-Mitarbeiter und gierige Alteigentümer durchsetzen und erringen am Ende den Sieg.
Ein bisschen mehr Objektivität und weniger Ost-West-Klischees hätten gut getan. Bei aller – berechtigten – Freude darüber, dass sich Bewährtes aus den neuen Ländern erfolgreich durchsetzen konnte und nicht, wie vieles andere, wegrationalisiert wurde, darf eines nicht vergessen werden: Die DDR wurde nicht von bösen Westdeutschen plattgemacht, sondern ist aus gutem Grund ganz ohne fremde Hilfe in sich zusammengebrochen.
SUSANNE KATZORKE
Die Rezensentin studiert Politikwissenschaft in Chemnitz.
An der Hauswand dieses landwirtschaftlichen Betriebes in Mecklenburg-Vorpommern sind Ost- und Westdeutschland als Fahnen vereint; in der Landwirtschaft dominieren hingegen die prinzipiellen Unterschiede: Der Westen setzt nach wie vor auf Familienbetriebe, der Osten vor allem auf Genossenschaften.
Foto: SZ-Archiv
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Die Journalistin Tanja Busse, selbst auf einem westfälischen Bauernhof aufgewachsen, hatte mit ihren Reportagen eigentlich "nur" auf die in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommene Umstrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern hinweisen wollen, informiert Udo Scheer, und hat jetzt passend zu BSE und Maul- und Klauenseuche der Betrachtung des Desasters eine neue Dimension hinzugefügt. Keine Sorge, meint der Rezensent, der Band ist keine trockene und polemische Studie, sondern bietet acht unvoreingenommen "frische" Texte. Über die Landwirtschaft in Mecklenburg und Sachsen und Interviews mit Traktoristen, Spreewaldgurkenfabrikanten und Landwirtschaftsministern. Scheer sieht hier vielfältige Denkanstöße und atmosphärische Einblicke in die Welt des ostdeutschen Dorfes gegeben. Nur eines vermisst der Rezensent: Die Schilderung der sozialen Folgen der Einheit - angesichts einer Arbeitslosenquote von 50 Prozent ist das seiner Meinung nach ein ebenso wichtiges Thema wie die Erfolgsgeschichten in der ostdeutschen Landwirtschaft.
© Perlentaucher Medien GmbH
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