Entlang den Autobahnen in Ostdeutschland sieht man vielerorts die zertrümmerten Ställe der früheren Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Sie sind stumme Zeugen der erbittert geführten Kämpfe um Landbesitz und angemessene Eigentumsformen. Nirgendwo sonst wurde nach der Wende derart heftig gestritten, hier lieferten sich die Nachkommen der Junker und die "Roten Barone" eine letzte große ideologische Schlacht. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich höher als anderswo. Doch von der Öffentlichkeit weithin unbemerkt vollzog sich zugleich ein überraschender Wandel. Die Landwirtschaft arbeitet heute relativ erfolgreich, und in keinem anderen Bereich sind so viele Unternehmen in ostdeutscher Hand - und das, obwohl sie im Unterschied zu den Industriebetrieben ihre Altschulden mühsam abzahlen müssen. Während viele westdeutsche Familienbetriebe den Bedingungen der EU und dem Druck des Weltmarktes kaum gewachsen sind, scheinen die großen ostdeutschen Einheiten, einst durch die sozialistische Kollektivierung entstanden, wie geschaffen für die industrialisierte Landwirtschaft. Retten womöglich die Agrargenossenschaften als einzige das wirtschaftliche Erbe der DDR? Werden sie nach der Osterweiterung der EU dem verschärften Konkurrenzdruck besser gewachsen sein? Was wird aus den Bemühungen um eine ökologische Landwirtschaft? Tanja Busse ist monatelang über Land gefahren, hat mit Grafen und ehemaligen LPG-Vorsitzenden gesprochen, westdeutsche Pächter und ostdeutsche Privatbauern befragt. Sie alle kommen mit ihrer Sicht auf die Dinge in längeren Selbstaussagen zu Wort. Der Autorin ging es nicht um ein schnelles Urteil, sondern um die Vielfalt gegensätzlicher, aber in sich nachvollziehbarer Positionen. Dazu gibt sie einen Überblick über die politischen und rechtlichen Entscheidungen der letzten Jahre, so daß der schwierige Umgestaltungsprozeß auch für Nichteingeweihte verständlich wird.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Die Journalistin Tanja Busse, selbst auf einem westfälischen Bauernhof aufgewachsen, hatte mit ihren Reportagen eigentlich "nur" auf die in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommene Umstrukturierung der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern hinweisen wollen, informiert Udo Scheer, und hat jetzt passend zu BSE und Maul- und Klauenseuche der Betrachtung des Desasters eine neue Dimension hinzugefügt. Keine Sorge, meint der Rezensent, der Band ist keine trockene und polemische Studie, sondern bietet acht unvoreingenommen "frische" Texte. Über die Landwirtschaft in Mecklenburg und Sachsen und Interviews mit Traktoristen, Spreewaldgurkenfabrikanten und Landwirtschaftsministern. Scheer sieht hier vielfältige Denkanstöße und atmosphärische Einblicke in die Welt des ostdeutschen Dorfes gegeben. Nur eines vermisst der Rezensent: Die Schilderung der sozialen Folgen der Einheit - angesichts einer Arbeitslosenquote von 50 Prozent ist das seiner Meinung nach ein ebenso wichtiges Thema wie die Erfolgsgeschichten in der ostdeutschen Landwirtschaft.
© Perlentaucher Medien GmbH
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