Die ehemals berühmte Schauspielerin Karin Hoffmann sieht sich einer unbestimmten Bedrohung ausgesetzt. Seit einiger Zeit erhält sie, in immer kürzeren Abständen, Briefe von jemandem, der ihre Tagesabläufe bis ins letzte Detail beschreibt und der sich wie ein Schatten über ihr Leben legt. Zunächst mutmaßt sie, ihr Mann Wolfgang, mit dem sie zahlreiche bedeutende Filme gedreht hat, könnte dahinter stecken. Gleichzeitig geht die Karriere ihrer Tochter Karla einem neuen Höhepunkt entgegen, ausgerechnet in einem Film mit dem Titel 'Melodram'. In weiteren Rollen treten auf: die Produzentin Fiona und der magere, schüchterne und in Zitaten sprechende Hans, der eigentlich bereit wäre für die wahre Liebe.Thomas Jonigks dritter Roman ist ein Vexierspiel. Was als Krimi beginnt, verwandelt sich mit jedem neuen Kapitel in ein anderes Genre: vom Drama des abtretenden Stars, der Verzweiflung abseits des Scheinwerferlichts, dem Geschlechterdiskurs bis hin zum Traumspiel. Was alles verbindet, ist die Liebesgeschichte zwischen einer älteren Frau und einem jungen Mann, über die Jonigk uns mit Witz und Intelligenz in sämtliche Teilbereiche dessen einführt, was ein zeitgenössisches Melodram auf der Höhe seiner analytischen Schärfe auszeichnet.Wenn Hitchcock auf Almodóvar trifft, sind Wunden und Verletzungen zu erwarten: Verletzt werden nicht nur Körper und die Grenze zwischen Illusion und Realität, sondern auch die Regeln der 'schönen Literatur' - woran allerdings wir Leser und Leserinnen uns erfreuen dürfen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2013Welche Art von Traurigkeit wird vom Regisseur jetzt erwartet?
Das Glück heißt Hans: Der Autor und Dramaturg Thomas Jonigk erzählt in seinem Roman "Melodram" von radikalen Romantikern und Einsamkeitskünstlern
Was ein "Melodram" mit seelischer Gewalt zu tun hat, wie viel schräger Humor und verrückte Glücks-Empfindsamkeit in ihm stecken können, davon erzählt Thomas Jonigks neuer Roman. Ein Melodram kann eine Tragödie sein, die einen Schuss Hysterie zu viel abbekommen hat. Oder ein wilder Hoffnungsschrei in einer dumpf-biederen Szenerie.
Hinter dem lapidaren Titel verbirgt sich die abgründige Geschichte einer alternden Schauspielerin, die an dem Gefühl verzweifelt, ausgemustert zu werden. Darüber hinaus wird sie von ihrem Mann, einem Regisseur, durch dessen Filme sie berühmt wurde, auch noch betrogen - natürlich mit seiner viel jüngeren Produzentin. Dumm und banal, behauptet die berühmte Schauspielerin Karin Hoffmann, keine Tragik in Sicht - womit wir schon mitten in der Geschichte sind.
Das Markenzeichen von Thomas Jonigk, der auch als Regisseur, Theaterautor und Dramaturg arbeitet, ist seine sezierende Sprache. Sie löst beim Leser eine eigenartige Unruhe aus, weil untergründig all das mitschwingt, was seine Figuren leugnen oder rigoros verdrängen. Schon sein Debüt, der gewagte und schockierende Roman "Jupiter" aus dem Jahr 1999, erzählte von einem jungen, homosexuellen Mann, der seinen Körper hasst und, weil er sich zwanghaft vor anderen erniedrigt, immer wieder zum Gewaltopfer wird. Als Jonigk beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb eine quälend detaillierte, in einer kunstvoll kalten Sprache geschilderte Vergewaltigungsszene daraus vorlas, stritt die Jury erbittert darüber, ob es sich um reine Provokation oder eine fruchtbare Reflexion handele.
Dabei geht es Thomas Jonigk um beides nur am Rande. Im Zentrum seiner Romane steht immer die tiefe Zuneigung zu einer Figur, so wie in "Melodram" zu seiner Hauptfigur Karin Hoffmann, die er in ein raffiniertes Traumspiel verwickelt. Denn vor allem ist dieser Autor ein glänzender Stilist, dessen konzentrierter Text präzise gearbeitet ist und voller zarter, poetischer Momentaufnahmen steckt.
Sein Roman spielt in Wien, das eine überzeugende Kulisse abgibt für die Mischung aus Verstörung und Überschwang, Sentimentalität und selbstzerstörerischer Härte, die das Leben der alternden Diva bestimmen. Jahrzehntelang hat ihr Mann sie gedemütigt und ihr Selbstbewusstsein zerstört, jetzt beklagt er sich darüber, dass sie keine Substanz habe und kein Bewusstsein von ihrer Anmut. Was bleibt wohl von dir übrig, wenn niemand dich mehr mit seinen Projektionen und Wünschen anfüllt, fragt er seine kleine, autistisch wirkende Frau höhnisch, die er für seinen neuen Film "Melodram" zu alt findet und stattdessen ihre Tochter besetzt hat - woraufhin sie auf der Straße die Passanten fragt, ob sie sie noch schön fänden. Während ihr Mann angeblich zu Recherchearbeiten reist, erhält sie täglich Briefe, die ihren Tagesablauf im Minutentakt schildern und ist überzeugt, dass er sie schreibt, nur: woher kann er wissen, was sie gedacht hat?
Karins bittere Behauptung: "Es gibt keine Gegenwart" verbindet wie ein Scharnier das Drehbuch des entstehenden Films mit ihrem Alltag, in dem sie immer wieder in die Filmrolle rutscht, die ihr auf den Leib geschrieben ist. E.T.A. Hoffmann scheint die Regie an sich gerissen zu haben und sie in einen Schwebezustand zwischen Angsttraum und hysterischer Sehnsucht versetzt zu haben. Beide Ebenen sind subtil verzahnt, und während Karin sich in ihrer Film-Doppelgängerin spiegelt, enthüllt sie einen überraschenden und grotesken Humor: Boshaft und sprunghaft wie ein Kobold fällt die sonst Ätherische aus der Rolle und wehrt sich gegen ihren Mann, der sich so prompt das Leben nimmt, als hätte sie ihn einfach ausgeknipst. Nur sein Kieferknochen bleibt übrig, und als der zu sprechen beginnt und die alten Gemeinheiten wiederholt, wirft sie ihn wütend zu Boden und trampelt drauf herum - ein "Hauch von Walt Disney umweht die Szenerie", kommentiert der namenlose Erzähler.
In diesem klugen Spiel um die Angst als emotionalem Durchlauferhitzer wechseln Tragödie und Komödie ständig die Seiten. Die anarchischen Kräfte, die beide Formen antreiben, lassen sich nicht mehr beherrschen und zermalmen jedes Glück. Im grandiosen dritten Kapitel des Romans geht es um Liebe und Sex, und das muss, angesichts der panischen Hoffnungen, die hier kochen, geradewegs in die Katastrophe führen. Hans ist ein Träumer und Außenseiter, der vor Frauen immer geflohen, aber jetzt bereit für die große Liebe ist, doch Karin mutet ihm eine raffinierte Selbsterniedrigung zu, die von jahrelanger Übung vor der Kamera zeugt: Wie sie ihren mageren Körper in trister Baumwollunterwäsche als Herausforderung und als Schlachtfeld zugleich präsentiert, liest sich mitreißend und verstörend. Als sie auch noch, empört über ihre Liebesgefühle, den Selbstmord-Schluss des Drehbuchs nachspielt, ergreift Hans, die kindliche Lichtgestalt des Romans, die Flucht.
Übrig bleiben, neben einer sarkastischen Analyse der Gattung Melodram durch eine genervte Kulturjournalistin, die keine weibliche Opferfigur mehr ertragen kann, Karins traurige und lang nachhallende Bühnensätze: "Welche Art von Traurigkeit wird erwartet? Ich weiß es nicht mehr."
NICOLE HENNEBERG.
Thomas Jonigk: "Melodram".
Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2013. 196 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Glück heißt Hans: Der Autor und Dramaturg Thomas Jonigk erzählt in seinem Roman "Melodram" von radikalen Romantikern und Einsamkeitskünstlern
Was ein "Melodram" mit seelischer Gewalt zu tun hat, wie viel schräger Humor und verrückte Glücks-Empfindsamkeit in ihm stecken können, davon erzählt Thomas Jonigks neuer Roman. Ein Melodram kann eine Tragödie sein, die einen Schuss Hysterie zu viel abbekommen hat. Oder ein wilder Hoffnungsschrei in einer dumpf-biederen Szenerie.
Hinter dem lapidaren Titel verbirgt sich die abgründige Geschichte einer alternden Schauspielerin, die an dem Gefühl verzweifelt, ausgemustert zu werden. Darüber hinaus wird sie von ihrem Mann, einem Regisseur, durch dessen Filme sie berühmt wurde, auch noch betrogen - natürlich mit seiner viel jüngeren Produzentin. Dumm und banal, behauptet die berühmte Schauspielerin Karin Hoffmann, keine Tragik in Sicht - womit wir schon mitten in der Geschichte sind.
Das Markenzeichen von Thomas Jonigk, der auch als Regisseur, Theaterautor und Dramaturg arbeitet, ist seine sezierende Sprache. Sie löst beim Leser eine eigenartige Unruhe aus, weil untergründig all das mitschwingt, was seine Figuren leugnen oder rigoros verdrängen. Schon sein Debüt, der gewagte und schockierende Roman "Jupiter" aus dem Jahr 1999, erzählte von einem jungen, homosexuellen Mann, der seinen Körper hasst und, weil er sich zwanghaft vor anderen erniedrigt, immer wieder zum Gewaltopfer wird. Als Jonigk beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb eine quälend detaillierte, in einer kunstvoll kalten Sprache geschilderte Vergewaltigungsszene daraus vorlas, stritt die Jury erbittert darüber, ob es sich um reine Provokation oder eine fruchtbare Reflexion handele.
Dabei geht es Thomas Jonigk um beides nur am Rande. Im Zentrum seiner Romane steht immer die tiefe Zuneigung zu einer Figur, so wie in "Melodram" zu seiner Hauptfigur Karin Hoffmann, die er in ein raffiniertes Traumspiel verwickelt. Denn vor allem ist dieser Autor ein glänzender Stilist, dessen konzentrierter Text präzise gearbeitet ist und voller zarter, poetischer Momentaufnahmen steckt.
Sein Roman spielt in Wien, das eine überzeugende Kulisse abgibt für die Mischung aus Verstörung und Überschwang, Sentimentalität und selbstzerstörerischer Härte, die das Leben der alternden Diva bestimmen. Jahrzehntelang hat ihr Mann sie gedemütigt und ihr Selbstbewusstsein zerstört, jetzt beklagt er sich darüber, dass sie keine Substanz habe und kein Bewusstsein von ihrer Anmut. Was bleibt wohl von dir übrig, wenn niemand dich mehr mit seinen Projektionen und Wünschen anfüllt, fragt er seine kleine, autistisch wirkende Frau höhnisch, die er für seinen neuen Film "Melodram" zu alt findet und stattdessen ihre Tochter besetzt hat - woraufhin sie auf der Straße die Passanten fragt, ob sie sie noch schön fänden. Während ihr Mann angeblich zu Recherchearbeiten reist, erhält sie täglich Briefe, die ihren Tagesablauf im Minutentakt schildern und ist überzeugt, dass er sie schreibt, nur: woher kann er wissen, was sie gedacht hat?
Karins bittere Behauptung: "Es gibt keine Gegenwart" verbindet wie ein Scharnier das Drehbuch des entstehenden Films mit ihrem Alltag, in dem sie immer wieder in die Filmrolle rutscht, die ihr auf den Leib geschrieben ist. E.T.A. Hoffmann scheint die Regie an sich gerissen zu haben und sie in einen Schwebezustand zwischen Angsttraum und hysterischer Sehnsucht versetzt zu haben. Beide Ebenen sind subtil verzahnt, und während Karin sich in ihrer Film-Doppelgängerin spiegelt, enthüllt sie einen überraschenden und grotesken Humor: Boshaft und sprunghaft wie ein Kobold fällt die sonst Ätherische aus der Rolle und wehrt sich gegen ihren Mann, der sich so prompt das Leben nimmt, als hätte sie ihn einfach ausgeknipst. Nur sein Kieferknochen bleibt übrig, und als der zu sprechen beginnt und die alten Gemeinheiten wiederholt, wirft sie ihn wütend zu Boden und trampelt drauf herum - ein "Hauch von Walt Disney umweht die Szenerie", kommentiert der namenlose Erzähler.
In diesem klugen Spiel um die Angst als emotionalem Durchlauferhitzer wechseln Tragödie und Komödie ständig die Seiten. Die anarchischen Kräfte, die beide Formen antreiben, lassen sich nicht mehr beherrschen und zermalmen jedes Glück. Im grandiosen dritten Kapitel des Romans geht es um Liebe und Sex, und das muss, angesichts der panischen Hoffnungen, die hier kochen, geradewegs in die Katastrophe führen. Hans ist ein Träumer und Außenseiter, der vor Frauen immer geflohen, aber jetzt bereit für die große Liebe ist, doch Karin mutet ihm eine raffinierte Selbsterniedrigung zu, die von jahrelanger Übung vor der Kamera zeugt: Wie sie ihren mageren Körper in trister Baumwollunterwäsche als Herausforderung und als Schlachtfeld zugleich präsentiert, liest sich mitreißend und verstörend. Als sie auch noch, empört über ihre Liebesgefühle, den Selbstmord-Schluss des Drehbuchs nachspielt, ergreift Hans, die kindliche Lichtgestalt des Romans, die Flucht.
Übrig bleiben, neben einer sarkastischen Analyse der Gattung Melodram durch eine genervte Kulturjournalistin, die keine weibliche Opferfigur mehr ertragen kann, Karins traurige und lang nachhallende Bühnensätze: "Welche Art von Traurigkeit wird erwartet? Ich weiß es nicht mehr."
NICOLE HENNEBERG.
Thomas Jonigk: "Melodram".
Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2013. 196 S., geb., 19,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Christoph Schröder liest ein Buch und ist doch ganz und gar im Kino: Kein Wunder, Autor Thomas Jonigk zieht in seinem - und, wie Schröder anmerkt, auf Grund zahlreicher motivischer Ineinander-Spiegelungen kaum nacherzählbaren - Roman alle Register der filmischen Trickkiste zur Unterwanderung des Bildstatus. So etwa das Bluebox-Verfahren, in dem der Zuschauer den Darsteller in einem Bild sieht, das wiederum nicht der Realität des Darstellers entspricht. Entsprechend blenden hier Realität der Figuren - natürlich geht es um Filmschauspieler - und die Realität ihrer filmischen Werke bis zur Ununterscheidbarkeit übereinander, bis das Buch am Ende nur noch aus lauter montierten Literaturzitaten besteht: Zwar kennt man solche Verfahren auch aus anderen Büchern, merkt Schröder an, doch einen virtuosen "Roman der Möglichkeitsform" nennt er Jonigks "Melodram" dann doch, nicht ohne am Ende noch auf dessen subtilen Humor hinzuweisen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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