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Der amerikanische Abenteurer und Dichter Herman Melville reist nach London, um seinem Verleger einen fertigen Roman zu übergeben. Dies ist der wahre Hergang der Geschichte. Nun beginnt Gionos Erfindung: Auf einer Fahrt in der Postkutsche quer durch England, begegnet Melville einer jungen Frau, Adeline White. Sowohl Melville als auch Ms White sind verheiratet - diese Begegnung aber ist von außergewöhnlicher Intensität. Nach drei Reisetagen, unterbrochen von Aufenthalten in Herbergen und Gesprächen, trennen sie sich wieder. Sie haben kein Bedürfnis, sich ihre Liebe einzugestehen: sie ist da. Sie…mehr

Produktbeschreibung
Der amerikanische Abenteurer und Dichter Herman Melville reist nach London, um seinem Verleger einen fertigen Roman zu übergeben. Dies ist der wahre Hergang der Geschichte. Nun beginnt Gionos Erfindung: Auf einer Fahrt in der Postkutsche quer durch England, begegnet Melville einer jungen Frau, Adeline White. Sowohl Melville als auch Ms White sind verheiratet - diese Begegnung aber ist von außergewöhnlicher Intensität. Nach drei Reisetagen, unterbrochen von Aufenthalten in Herbergen und Gesprächen, trennen sie sich wieder. Sie haben kein Bedürfnis, sich ihre Liebe einzugestehen: sie ist da. Sie werden sich nicht mehr wiedersehen. Melville schreibt "Moby Dick". Wird sie, an Schwindsucht erkrankt, diesen Roman je lesen?
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Autorenporträt
Jean Giono, geboren 1895 in Manosque im Département Alpes-de-Haute-Provence, 1970 ebenda gestorben, war ein französischer Schriftsteller. Seine frühe Prosa ist stark von naturreligiösen Ansichten geprägt. Neben zahlreichen eigenen Werken veröffentlichte Giono 1941 zusammen mit Lucien Jaques eine Übersetzung von Herman Melvilles Moby Dick  bei Gallimard.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.1999

Der Engel, die Muse, der Wal
Vom Fisch geküßt: Jean Giono huldigt Herman Melville

Kurz nach dem Krieg erschienen mehrere Romane Gionos in deutscher Übertragung. Es scheint so, als hätten sie den Appetit des deutschen Publikums auf Urtümliches stillen müssen und auch ein bißchen kultivieren dürfen. Für die Rezeption war es sicher kein Hindernis, daß Giono im Ruch stand, mit Vichy sympathisiert zu haben; auch nicht, daß er 1940 dank der Deutschen aus dem Gefängnis entlassen worden war, in dem er als radikaler Pazifist seit Ausbruch des Krieges gesessen hatte. Bald nach der Entlassung erschien sein Buch "Pour saluer Melville" (1941), das nach dem Krieg ebenfalls in deutscher Übersetzung herauskam (1946), aber wenig Beachtung fand: Melville und sein "Moby Dick" waren noch kaum bekannt.

Das Buch, bald als Roman, bald als Essay gehandelt, ist weder dies noch das. Nennen wir es eine Huldigung an den Bruder in der Liebe zum Element: Erde grüßt Wasser. Giono hatte in den Jahren zuvor den "Moby Dick" ins Französische übertragen (gemeinsam mit Lucien Jacques). Er schmeckte auf dem harten Boden seiner Heimat noch das Salz der Meere. Begegnen nicht viele seiner Helden, zumal die heroisierten Bauern der Provence, ihrem Schicksal ähnlich wie Kapitän Ahab dem weißen Wal: gierig nach Letzten Dingen?

Indem Giono nun Melville zu seinem Helden macht, geschieht eine merkwürdige Metamorphose. Die für das amerikanische Bewußtsein so typische alttestamentarische Mythologie schlägt um in die mediterrane. Anfangs, als Walfänger und Schriftsteller, muß Melville mit seinem Engel ringen wie der Jakob der Genesis. Der Engel begleitet ihn auch auf seiner Reise nach London im Jahr 1849/50. Doch der ewigen Balgerei müde, beginnt der Amerikaner jetzt, auf den Engel einzureden, er möge ihn in Ruhe lassen. Und siehe da: Auf einer Postkutschenfahrt durch England ist er plötzlich verschwunden, der Reisende ringt jetzt, und sei's auch nur verbal, mit einer geheimnisvollen Dame aus Leeds. Die von der Verlagswerbung verheißene "ungewöhnliche Liebesgeschichte" zwischen Melville und dieser Adelina erschöpft sich in einer Konversation, die so sonderbar ist, daß der Leser keine Mühe hat, Adelina als Muse zu identifizieren. Damit ist Melville in Gionos Mythenwelt eingetreten. Da aber durch Adelinas Nachnamen "White" auch ein Bezug zum weißen Walfisch hergestellt wird, entsteht eine Triangel: Engel - Muse - Wal.

Nach den Vereinigten Staaten zurückgekehrt, beginnt Melville seinen großen Roman zu schreiben, nein, herauszuschleudern. Schon Anfang 1851 ist er vollendet. Kurz darauf bricht der Briefwechsel mit Adelina ab - die Inkognito-Muse hat ihn verlassen, als wäre sie nur für diesen einzigen poetischen Akt, Ahabs Kampf mit dem Wal, zuständig gewesen. Vergeblich wartet Melville auf eine neue Inspiration. Die Zeitgenossen vergessen ihn. Seine letzten Worte im Jahr 1891 gelten der Frage, ob kein Brief aus England eingetroffen sei.

Das alles ist kunterbunt, ein bißchen Lexikon, ein bißchen Biographie, ein bißchen Roman, und paßt nicht so recht zusammen. Aber es gibt ein paar Seiten, die sich ins Gedächtnis einprägen wie die besten Passagen in Gionos Werk: die dreitägige Reise - vierspännig, im Galopp, der Postillon bläst in sein Horn - von London nach Bristol, in deren Verlauf sich der biblische Engel in die mondäne Muse verwandelt. Am Ende des Buches gelingt Giono eine Charakterisierung Kapitän Ahabs, die jede andere Deutung übertrifft: Als ihm die Idee zu "Moby Dick" kommt, sagt Melville (in einem fiktiven Gespräch) zu Hawthorne, er denke "an jemand, der Gott ebenso klar sieht . . . wie den weißen Walfisch über dem Wasser und der ihn gerade in seiner Herrlichkeit sieht und ihn mit allen seinen Geheimnissen kennt und weiß, wie weit sein Machtrausch gehen kann; an jemand, der nie die Wunden vergißt - niemals -, mit denen dieser Gott ihn schlug, und der dennoch über ihn herfällt und die Harpune schleudert".

Der Verlag Matthes & Seitz hat neben anderen Romanen Gionos auch dieses Buch neu aufgelegt, unter der Flagge "Roman" und mit einem Nachwort von Walter Redfaern, das in Wahrheit die Rezension einer französischen Giono-Auswahl ist und über das Melville-Buch nichts sagt. Gegen die Verwendung der alten Übersetzung wäre nichts einzuwenden, wenn der Verlag zumindest die ärgerlichsten Fehler tilget hätte. Zu ihnen gehört Gerull-Kardas' Neigung, einzelne Ausdrücke nicht zu übersetzen. So kommt es, daß Kapitän Ahab unter der französischen Form seines Namens ("Achab") auftritt, daß die Frauen in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts "Krinolinen" tragen, daß im New York des Jahrhundertendes zwei Pflegerinnen sich mit "Madame" anreden und dergleichen mehr.

KARL MARKUS MICHEL

Jean Giono: "Melville zum Gruß". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Walter Gerull-Kardas. Mit einem Essay von Walter Redfaern. Matthes & Seitz Verlag, München 1999. 139 S., geb., 29,80 DM.

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