Süddeutsche ZeitungDer Wal schwimmt durch New York
Ein Mann und seine Welt: Ohne alle Geheimnisse zu lüften, erzählt Andrew Delbanco erhellend von Leben und Werk Herman Melvilles
Mit einem „kleinen, dunklen Bändchen in Fraktur und mit goldenen Schlössern, mit dem Titel ,Hawthorne. Ein Problem‘” hat Herman Melville einmal seinen älteren Kollegen Nathaniel Hawthorne verglichen. Andrew Delbanco zitiert diesen Vergleich in der Einleitung zu seinem Buch „Melville”, das im Original den Untertitel „His World and Work” trägt. Eine regelrechte Biographie mag Delbanco dem Leser nicht versprechen, schon gar keine, in der neue Fakten über das Leben des Autors die Rätsel lösen, die sein Werk aufgibt. Melville, das Problem, hat in Delbancos Titel nicht einmal einen Vornamen, wie eines seiner rätselhaftesten Geschöpfe, Bartleby, der Schreiber. Und wie Bartleby nimmt er am Ende des Buches seine Geheimnisse mit ins Grab.
Gerade mal dreihundert Briefe Melvilles und nur wenige Manuskripte sind überliefert, ein regelmäßiger, ausführlicher Tagebuchschreiber war er nicht, sein Ruhm zu Lebzeiten reichte, obwohl er im Zeitalter der Herausbildung des modernen Pressewesens lebte, nicht hin, um neben seinen Büchern auch seine Lebensumstände zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen. Als er im September 1891 in New York starb, war er als Autor weitgehend vergessen und die New York Times führte ihn in der Liste der Sterbefälle als „Henry Melville” auf.
Das Traum-Ich schreibt
Delbanco notiert diese im Vergleich zu anderen Großautoren schüttere Quellenlage, aber nicht durch sie wird Melville zum Problem. Eine monumentale, zweibändige Melville-Biographie, die alle Quellen auswertet, hat Hershel Parker (auf englisch) in den Jahren 1996 und 2002 vorgelegt. Damit will Delbanco nicht konkurrieren. Mit D. H. Lawrence glaubt er, dass Melville seine Bücher, zumal die bedeutenden, „aus einer Art Traum-Ich” heraus geschrieben hat, dessen Innenleben sich dagegen sperrt, rekonstruiert zu werden. So sind diesem Buch auf wohltuende Weise rhetorische Gesten der Einfühlung in seinen Helden weitgehend fremd. Mit umso größerer Neugier fragt es nach den Stoffen und Tagesresten, die in das Traum-Ich des Autors Melville eingegangen sind.
Diese Stoffe entstammen dem eigenen Leben, dem Leben der amerikanischen Nation und den Tiefen der Universalbibliothek. Delbanco sucht in dem, was man die Soziologie des Lebenslaufes seines Helden nennen könnte, die imaginären Potentiale, die sich darin eröffnen. Und so entfaltet das Buch, während es chronologisch das Leben Herman Melvilles abschreitet, einen großen Dreiklang, in dem die Erfahrung des Meeres, die Erfahrung Amerikas in der Ära von Industrialisierung und Bürgerkrieg und die Erfahrung der großen Literatur einander durchdringen.
Die Erfahrung des Meeres begann am 5. Juni 1839, als Melville, knapp zwanzig Jahre alt, an Bord der St. Lawrence von New York aus Richtung Liverpool in See stach. Der junge Mann, daran lässt Delbanco keinen Zweifel, entstammt einer Familie, die im Niedergang begriffen ist. Vom Ruhm, den die Großvätergeneration im Unabhängigkeitskrieg erworben hat, ist wenig geblieben, der Vater, dessen Geschäftsideen mit beeindruckender Konsequenz in den Ruin führten, hatte vor seinen Gläubigern von New York, wo Herman Anfang August 1819 geboren wurde, nach Albany fliehen müssen. Mit den Schulden, die er hatte, war ein Lebensthema des Sohnes angeschlagen.
Aus England zurückgekehrt, brach der junge Melville mit einem Freund gen Westen auf und bereiste die Seen und Flüsse Amerikas, ehe in den 1840er Jahren auf dem Walfänger Acushnet und auf der Marinefregatte der atlantischen die pazifische Erfahrung folgte: „Was Melville auf See entdeckte, entdeckten andere Schriftsteller im Krieg: das Gefühl, Kontakt mit der Welt zu haben, ein Gefühl, das ihn mit Sehnsucht und Grauen gleichermaßen erfüllte.” Es gehört zu den Vorzügen der Erzählweise Delbancos, dass er dieses Gefühl seines Helden der Innenwelt entführt.
Melville als Naturbursche
Er beschreibt sehr eindringlich, wie die Doppelerfahrung der Handels- und der Kriegsschifffahrt in Melvilles Bücher – von „Redburn” (1849) über „White Jacket” (1850) bis „Moby Dick” (1851) – eingeht. Aber sein Melville wird nicht schon dadurch zum Autor, dass er Seemannsgarn spinnt und von der Natur erzählt. Als mündlicher Erzähler, vor allem in der Familie, probiert er seine Stoffe aus. Und wenn er von seiner Desertion berichtet, die ihn in die Welt der Eingeborenen der Südsee führt, mag er gelegentlich die Maske des Naturburschen aufsetzen.
Aber er ist schon früh von der Literatur infiziert, von ihren Tricks und den Künsten, mit denen sie die Empirie verwandelt. So sind seine Bücher „Typee” (1846), „Omoo” (1847) und „Mardi” (1849) keine Rivalen der ethnologisch-anthropologischen Literatur des 19. Jahrhunderts, sondern Variationen sexuell aufgeladener Paradies-Mythologien.
Der Pazifik ist nicht nur, als Fortsetzung des utopisch aufgeladenen amerikanischen Westens, das Gegenbild der engen, materiell bedrängten und puritanischen Herkunftswelt des Ostküstlers Melville, sondern der Raum, in den er – in „Moby Dick” – das moderne, industrielle Amerika einzeichnet. Die Passagen, in denen Delbanco den Durchbruch Melvilles zu einem neuen Stil epischer Prosa schildert, gehören zu den stärksten des Buches. Denn sie beschränken sich nicht darauf, die Weite Amerikas in der des Ozeans zu spiegeln und die politische Symbolik der „Pequod” als Staatsschiff zu erläutern, bis hin zu den nach dem 11. September auftauchenden Überblendungen von George W. Bush mit Ahab, dem Osama bin Laden zum verhassten weißen Wal wird.
Der Pulsschlag New Yorks
All das findet man bei Delbanco, entscheidend aber ist, dass er die Reifung Melvilles zum großen Autor und seine schwierige Freundschaft mit Hawthorne vor den Hintergrund der Entwicklung Amerikas zur eigenständigen Literaturlandschaft stellt. So anschaulich wie hier findet man die Abnabelung des amerikanischen Marktes vom englischen Markt, so lebendig die New Yorker Literaturszene um 1850 selten dargestellt.
New York tritt so an die Seite des Paris von Balzac bis Zola und an die Seite Londons mit Dickens und Thackeray. Eine zentrale These des Buches gewinnt so plausible Gestalt: „Es waren nicht Melvilles Fabeln oder Figuren oder Schauplätze, an denen New York seine Spuren hinterließ, sondern die Grundstrukturen seiner Prosa. Melville schreibt nicht direkt über die Stadt, aber das Prasseln der Bilder hat den Pulsschlag der Stadt und nähert sich der verschachtelt wuchernden Prosa von ,Moby Dick‘.”
Leider zeichnet Delbanco die Erzählung „Bartleby, the Scrivener” (1853) nicht mit gleicher Intensität in diese Konstellation ein. Aber dafür entschädigen die Passagen über den Zusammenhang zwischen „Benito Cereno” (1855) mit den Debatten über die Sklaverei am Vorabend des Bürgerkriegs. Und die Lektüren des aus der Jerusalemreise hervorgegangenen epischen Langgedichtes „Clarel” (1876) sowie des nachgelassenen, in napoleonischer Zeit spielenden Kurzromans „Billy Budd”, der erst 1924 erschien, als Dokument der Desillusionierung über das Amerika der 1880er Jahre.
Von 1866 bis 1886 fristete Melville als Zollinspektor im Hafen von New York sein Leben. Eine gestauchte, zackige Kurve prägt seine Autorschaft: der Anlauf zum Erfolgsschriftsteller, der abbricht, obwohl Melville von 1846 bis 1857 Buch um Buch vorlegt, die kühle Aufnahme des „Moby Dick”, das lange Schweigen des Zollinspektors, aus dem dann doch am Ende „Billy Budd” hervorgeht. Delbanco löst die Rätsel dieser zackigen Kurve so wenig wie er, wenn er vom Eheleben seines Helden erzählt, dessen Geheimnisse lüftet. Aber er umreißt, wie versprochen, auf erhellende Weise das „Problem Melville”. Und das ist ein großes Verdienst. LOTHAR MÜLLER
ANDREW DELBANCO: Melville. Biographie. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Carl Hanser Verlag, München 2007. 470 Seiten,34,90 Euro.
Absturz jederzeit möglich: Matrosen in der Takelage in Peter Ustinovs Herman Melville-Verfilmung „Billy Budd” (1961) Foto: defd/Kinoarchiv
Herman Melville (1819–1891), um 1850. Photo: Hulton Archive/Getty Images
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Ein Mann und seine Welt: Ohne alle Geheimnisse zu lüften, erzählt Andrew Delbanco erhellend von Leben und Werk Herman Melvilles
Mit einem „kleinen, dunklen Bändchen in Fraktur und mit goldenen Schlössern, mit dem Titel ,Hawthorne. Ein Problem‘” hat Herman Melville einmal seinen älteren Kollegen Nathaniel Hawthorne verglichen. Andrew Delbanco zitiert diesen Vergleich in der Einleitung zu seinem Buch „Melville”, das im Original den Untertitel „His World and Work” trägt. Eine regelrechte Biographie mag Delbanco dem Leser nicht versprechen, schon gar keine, in der neue Fakten über das Leben des Autors die Rätsel lösen, die sein Werk aufgibt. Melville, das Problem, hat in Delbancos Titel nicht einmal einen Vornamen, wie eines seiner rätselhaftesten Geschöpfe, Bartleby, der Schreiber. Und wie Bartleby nimmt er am Ende des Buches seine Geheimnisse mit ins Grab.
Gerade mal dreihundert Briefe Melvilles und nur wenige Manuskripte sind überliefert, ein regelmäßiger, ausführlicher Tagebuchschreiber war er nicht, sein Ruhm zu Lebzeiten reichte, obwohl er im Zeitalter der Herausbildung des modernen Pressewesens lebte, nicht hin, um neben seinen Büchern auch seine Lebensumstände zu einer öffentlichen Angelegenheit zu machen. Als er im September 1891 in New York starb, war er als Autor weitgehend vergessen und die New York Times führte ihn in der Liste der Sterbefälle als „Henry Melville” auf.
Das Traum-Ich schreibt
Delbanco notiert diese im Vergleich zu anderen Großautoren schüttere Quellenlage, aber nicht durch sie wird Melville zum Problem. Eine monumentale, zweibändige Melville-Biographie, die alle Quellen auswertet, hat Hershel Parker (auf englisch) in den Jahren 1996 und 2002 vorgelegt. Damit will Delbanco nicht konkurrieren. Mit D. H. Lawrence glaubt er, dass Melville seine Bücher, zumal die bedeutenden, „aus einer Art Traum-Ich” heraus geschrieben hat, dessen Innenleben sich dagegen sperrt, rekonstruiert zu werden. So sind diesem Buch auf wohltuende Weise rhetorische Gesten der Einfühlung in seinen Helden weitgehend fremd. Mit umso größerer Neugier fragt es nach den Stoffen und Tagesresten, die in das Traum-Ich des Autors Melville eingegangen sind.
Diese Stoffe entstammen dem eigenen Leben, dem Leben der amerikanischen Nation und den Tiefen der Universalbibliothek. Delbanco sucht in dem, was man die Soziologie des Lebenslaufes seines Helden nennen könnte, die imaginären Potentiale, die sich darin eröffnen. Und so entfaltet das Buch, während es chronologisch das Leben Herman Melvilles abschreitet, einen großen Dreiklang, in dem die Erfahrung des Meeres, die Erfahrung Amerikas in der Ära von Industrialisierung und Bürgerkrieg und die Erfahrung der großen Literatur einander durchdringen.
Die Erfahrung des Meeres begann am 5. Juni 1839, als Melville, knapp zwanzig Jahre alt, an Bord der St. Lawrence von New York aus Richtung Liverpool in See stach. Der junge Mann, daran lässt Delbanco keinen Zweifel, entstammt einer Familie, die im Niedergang begriffen ist. Vom Ruhm, den die Großvätergeneration im Unabhängigkeitskrieg erworben hat, ist wenig geblieben, der Vater, dessen Geschäftsideen mit beeindruckender Konsequenz in den Ruin führten, hatte vor seinen Gläubigern von New York, wo Herman Anfang August 1819 geboren wurde, nach Albany fliehen müssen. Mit den Schulden, die er hatte, war ein Lebensthema des Sohnes angeschlagen.
Aus England zurückgekehrt, brach der junge Melville mit einem Freund gen Westen auf und bereiste die Seen und Flüsse Amerikas, ehe in den 1840er Jahren auf dem Walfänger Acushnet und auf der Marinefregatte der atlantischen die pazifische Erfahrung folgte: „Was Melville auf See entdeckte, entdeckten andere Schriftsteller im Krieg: das Gefühl, Kontakt mit der Welt zu haben, ein Gefühl, das ihn mit Sehnsucht und Grauen gleichermaßen erfüllte.” Es gehört zu den Vorzügen der Erzählweise Delbancos, dass er dieses Gefühl seines Helden der Innenwelt entführt.
Melville als Naturbursche
Er beschreibt sehr eindringlich, wie die Doppelerfahrung der Handels- und der Kriegsschifffahrt in Melvilles Bücher – von „Redburn” (1849) über „White Jacket” (1850) bis „Moby Dick” (1851) – eingeht. Aber sein Melville wird nicht schon dadurch zum Autor, dass er Seemannsgarn spinnt und von der Natur erzählt. Als mündlicher Erzähler, vor allem in der Familie, probiert er seine Stoffe aus. Und wenn er von seiner Desertion berichtet, die ihn in die Welt der Eingeborenen der Südsee führt, mag er gelegentlich die Maske des Naturburschen aufsetzen.
Aber er ist schon früh von der Literatur infiziert, von ihren Tricks und den Künsten, mit denen sie die Empirie verwandelt. So sind seine Bücher „Typee” (1846), „Omoo” (1847) und „Mardi” (1849) keine Rivalen der ethnologisch-anthropologischen Literatur des 19. Jahrhunderts, sondern Variationen sexuell aufgeladener Paradies-Mythologien.
Der Pazifik ist nicht nur, als Fortsetzung des utopisch aufgeladenen amerikanischen Westens, das Gegenbild der engen, materiell bedrängten und puritanischen Herkunftswelt des Ostküstlers Melville, sondern der Raum, in den er – in „Moby Dick” – das moderne, industrielle Amerika einzeichnet. Die Passagen, in denen Delbanco den Durchbruch Melvilles zu einem neuen Stil epischer Prosa schildert, gehören zu den stärksten des Buches. Denn sie beschränken sich nicht darauf, die Weite Amerikas in der des Ozeans zu spiegeln und die politische Symbolik der „Pequod” als Staatsschiff zu erläutern, bis hin zu den nach dem 11. September auftauchenden Überblendungen von George W. Bush mit Ahab, dem Osama bin Laden zum verhassten weißen Wal wird.
Der Pulsschlag New Yorks
All das findet man bei Delbanco, entscheidend aber ist, dass er die Reifung Melvilles zum großen Autor und seine schwierige Freundschaft mit Hawthorne vor den Hintergrund der Entwicklung Amerikas zur eigenständigen Literaturlandschaft stellt. So anschaulich wie hier findet man die Abnabelung des amerikanischen Marktes vom englischen Markt, so lebendig die New Yorker Literaturszene um 1850 selten dargestellt.
New York tritt so an die Seite des Paris von Balzac bis Zola und an die Seite Londons mit Dickens und Thackeray. Eine zentrale These des Buches gewinnt so plausible Gestalt: „Es waren nicht Melvilles Fabeln oder Figuren oder Schauplätze, an denen New York seine Spuren hinterließ, sondern die Grundstrukturen seiner Prosa. Melville schreibt nicht direkt über die Stadt, aber das Prasseln der Bilder hat den Pulsschlag der Stadt und nähert sich der verschachtelt wuchernden Prosa von ,Moby Dick‘.”
Leider zeichnet Delbanco die Erzählung „Bartleby, the Scrivener” (1853) nicht mit gleicher Intensität in diese Konstellation ein. Aber dafür entschädigen die Passagen über den Zusammenhang zwischen „Benito Cereno” (1855) mit den Debatten über die Sklaverei am Vorabend des Bürgerkriegs. Und die Lektüren des aus der Jerusalemreise hervorgegangenen epischen Langgedichtes „Clarel” (1876) sowie des nachgelassenen, in napoleonischer Zeit spielenden Kurzromans „Billy Budd”, der erst 1924 erschien, als Dokument der Desillusionierung über das Amerika der 1880er Jahre.
Von 1866 bis 1886 fristete Melville als Zollinspektor im Hafen von New York sein Leben. Eine gestauchte, zackige Kurve prägt seine Autorschaft: der Anlauf zum Erfolgsschriftsteller, der abbricht, obwohl Melville von 1846 bis 1857 Buch um Buch vorlegt, die kühle Aufnahme des „Moby Dick”, das lange Schweigen des Zollinspektors, aus dem dann doch am Ende „Billy Budd” hervorgeht. Delbanco löst die Rätsel dieser zackigen Kurve so wenig wie er, wenn er vom Eheleben seines Helden erzählt, dessen Geheimnisse lüftet. Aber er umreißt, wie versprochen, auf erhellende Weise das „Problem Melville”. Und das ist ein großes Verdienst. LOTHAR MÜLLER
ANDREW DELBANCO: Melville. Biographie. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Carl Hanser Verlag, München 2007. 470 Seiten,34,90 Euro.
Absturz jederzeit möglich: Matrosen in der Takelage in Peter Ustinovs Herman Melville-Verfilmung „Billy Budd” (1961) Foto: defd/Kinoarchiv
Herman Melville (1819–1891), um 1850. Photo: Hulton Archive/Getty Images
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Frankfurter Allgemeine ZeitungProtokollant der babylonischen Moderne
Der Weg zu Kapitän Ahab führte über Frankenstein: Nicht Fakten, sondern kluge Verknüpfungen zeichnen die neue Melville-Biographie von Andrew Delbanco aus.
Zu Lebzeiten vergessen, wurde Herman Melville zum archetypischen amerikanischen Autor des zwanzigsten Jahrhunderts - und "Moby Dick" das Großwerk, in dem sich eine optimistische Zivilisation mit Auserwähltheitsanspruch dunkel spiegeln konnte. Wie ein Wal das Plankton saugte der Roman mit weit geöffnetem Maul Bedeutungen ein. So ist es bis heute: Ob Bin Ladins Hass auf Amerika oder George W. Bushs Kampf gegen die "Achse des Bösen", "Moby Dick" liefert die mythische Überhöhung des laufenden Irrsinns. Erst die Moderne öffnete die Augen für Melvilles avancierte Erzähltechniken und seine zukunftsweisenden Themen wie das "Mysterium der Ungerechtigkeit". "Das Böse", heißt es in "Mardi", sei "die chronische Krankheit des Universums; wird ihm an einer Stelle Einhalt geboten, bricht es an einer anderen aus." Das traf den Nerv einer Zeit, die nach Erklärungen suchte für den Schrecken, der über sie gekommen war.
Wer war der Autor, der so rätselhaft moderne Gestalten schuf wie den Schreiber Bartleby, der nicht länger ein menschliches Kopiergerät sein möchte? Melvilles Alltagsleben ist mangels Zeugnissen für den Biographen kaum zu rekonstruieren. Prägende Erfahrungen lassen sich aber durchaus bestimmen. Dazu gehört, dass Vater Allan Melville über seine Verhältnisse lebte und die Kunst beherrschte, den ökonomischen Abstieg der Familie zu kaschieren. Am Ende aber war der glücklose Importkaufmann und Erzeuger von acht Kindern bankrott - ein Bild der Entwürdigung und das Ende von Hermans Kindheit. Frühzeitig wurde ihm das Bewusstsein der Vergeblichkeit aller Bemühungen eingeimpft; Geldsorgen blieben ein Leitmotiv seines Lebens. Dass er früh zur See drängte, war nicht nur jugendliche Abenteuerlust, sondern auch Flucht vor den Bedrückungen und der erstickenden häuslichen Enge.
Dergleichen kann man also wissen. Und was man überhaupt über Melville weiß, steht in Hershel Parkers monumentaler Biographie in zwei Bänden. Andrew Delbanco dagegen will nicht mit Neuigkeiten über den Privatmann Melville aufwarten, sondern Zusammenhänge herstellen. Das gelingt ihm ausgezeichnet. Seine Biographie ist ein großes Buch der Kontexte. Leben, Werk, Geschichte und Politik der Vereinigten Staaten im neunzehnten Jahrhundert, aber auch die Anregungen und Quellen, aus denen sich Melvilles Schreiben nährte, und die Voraussetzungen des Literaturbetriebs - all das wird so zusammengeführt, dass die Funken des Erkenntnisgewinns überspringen.
Dass Melville Turners Seegemälde für die besten hielt, konnte man ja ahnen. Aber dass eine Spur von Dr. Frankenstein zu Ahab verläuft, ist ebenso überraschend wie plausibel. Gerade dem europäischen Leser vermittelt Delbanco spannende amerikanische Geistes- und Kulturgeschichte. Der Jahrhundertkonflikt um die Sklaverei wird eindringlich vergegenwärtigt; auch in Melvilles Werken ist er vielfach präsent, bis hin zur meisterhaften Novelle "Benito Cereno", die Delbanco einer mitreißenden Lektüre unterzieht. Faszinierend auch die Kapitel über die schwierige Abnabelung der literarischen Szene vom englischen Mutterland. Nach wie vor druckten amerikanische Verleger am liebsten britische Titel, für die sie keine Autorenhonorare zahlten. Urheberrecht war Zukunftsmusik.
Als Melville im Jahre 1819 geboren wurde, war der Rhythmus des amerikanischen Lebens noch beschaulich. In seinen späteren Jahren lebte er im Brennpunkt der Moderne, im "babylonischen Ziegelofen" der rasend expandierenden Welthauptstadt New York, deren Atmosphäre Delbanco in glänzenden Passagen zum Leben erweckt. Dadurch ergeben sich ungewohnte Perspektiven auf die Werke. Ist "Moby-Dick" am Ende gar ein Großstadtroman? Gewiss nicht im Vordergründig-Stofflichen. Aber "das Prasseln der Bilder" habe den "Pulsschlag der Stadt". Melvilles verschachtelte, in immer neue Seitentriebe ausbrechende Prosa, ihr wuchernder Eklektizismus und ihre ekstatischen Kadenzen sind gleichsam strukturelles New York. Auch das Melville-Grundgefühl der Einsamkeit mitten im geschäftigen Treiben ist eine Metropolenerfahrung. In seinen Reisebüchern inszeniert er sich als neugieriger Flaneur, dessen Boulevards nicht durch Großstädte, sondern durch den tropischen Dschungel führen. Dabei geht er weder dem Mythos vom edlen Wilden noch der missionarischen Überheblichkeit der angelsächsischen Zivilisation auf den Leim.
Melvilles Ehe wurde oft als Desaster beschrieben. Delbanco aber will nicht ausschließen, dass sie ein gelungenes Zweckbündnis mit spätem Harmoniezuwachs war. So viel ist gewiss: Für einen Mann, der die Wonnen der Südsee-Paradiese erlebt hatte, konnte die Ehe nur die zweitbeste Lösung sein. Er bekam nun das mitunter harte Brot des Familienalltags zu schmecken - mit einer Frau, die so rein gar nichts Tahitianisches hatte, nach den herben Fotoeindrücken zu urteilen. Geistvoll war sie allerdings, wie ein Brief an eine Verwandte verrät, wo sie hinreißend die Bibel parodiert. Nur ein einziger Brief Melvilles an die "liebste Lizzie" ist erhalten. So ist man auf Mutmaßungen angewiesen, und das gilt noch mehr für die homosexuellen Erfahrungen, die dem Erfinder des schönen Billy Budd in den letzten Jahrzehnten mit wachsender Vehemenz zugeschrieben wurden.
Delbanco bleibt diskret und spinnt keinen biographischen Roman zurecht, wo die Fakten fehlen. Er will Melville nicht psychoanalysieren. Trotzdem versteht er ihn als Autor des Unbewussten. Er beruft sich dabei auf die Bemerkung von D.H. Lawrence, wonach Melville "aus einer Art Traum-Ich heraus geschrieben" habe. Sein Schreibprozess hebe die "innere Zensur" auf und tendiere zum Bewusstseinsstrom. Die eruptive Produktivität, mit der er in wenigen Jahren den größten Teil seines Werks herausschleuderte, stützt diese These vom "Fließen des Ausdrucks". Melville war kein literarischer Feinmechaniker, sondern ein Mann, der vom Ansturm der Sätze mitgerissen wurde: "Gebt mir eine Kondorfeder! Den Krater des Vesuv als Tintenfass!" Auf der Pequod verursachte der Schnellschreiber unzulässiges Gedränge. Anfangs heißt es, das Schiff habe dreißig Mann Besatzung; dann aber entwickelt der Autor im Schreibrausch vierundvierzig unterscheidbare Charaktere; von der Schar namenloser Matrosen ganz abgesehen.
Melville ist wie seine Helden Ahab und Pierre ein metaphysisch Suchender, der die "Pappenmaske" der Erscheinungen durchdringen will - auch wenn dahinter das Nichts lauert. In seinem späten, den Feierabenden des Zollinspektors abgerungenen Epos "Clarel" geht es um eine Pilgerreise ins Heilige Land. Aber dabei sammeln sich vor allem unfromme, desillusionierende Eindrücke; suggestive Bilder von Verfall und trostlosen Steinwüsten. Es ist die postreligiöse Landschaft eines verschwundenen Gottes. Schwere Schicksalsschläge trafen Melville im Alter, allen voran der frühe Tod seiner beiden Söhne durch Selbstmord und Krankheit. Ob er darüber zum Misanthropen und Griesgram wurde - selbst das ist ungewiss. Zwar wollten sich manche später an einen verbitterten alten Mann erinnern; für andere dagegen strahlte er "Großmut und Freundlichkeit" aus.
Dem Freund Nathaniel Hawthorne machte Melville ein Jahr nach der ersten Begegnung den Vorschlag, sie sollten gemeinsam "ein tiefes Loch buddeln und sämtliche Trübsinnsteufel begraben". So leicht war die Depression aber nicht wegzuschaufeln. "Hätte ich in diesem Jahrhundert die Evangelien geschrieben, so würde ich doch in der Gosse sterben", schrieb er 1851 an den Freund. Da war "Moby Dick" gerade am Publikum vorbeigeschwommen. Beim nächsten Roman "Pierre" wurde der Autor von der Kritik für verrückt erklärt. Dass er fortan zwanzig Jahre als unbekannte Größe zum Zolldienst antreten musste, gehört zu den großen Schriftstellerverkanntheitsmythen. "Clarel" erschien in einer Auflage von 350 Exemplaren; zwei Drittel davon wurden eingestampft. Sein letzter Gedichtband brachte es dann nur noch auf eine Privatausgabe von fünfundzwanzig Stück. "Billy Budd" blieb lange wohlverwahrt in einem Blechkasten und erblickte erst 1924 das Licht der respektvoll staunenden literarischen Öffentlichkeit.
WOLFGANG SCHNEIDER
Andrew Delbanco: "Melville". Biographie. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Werner Schmitz. Hanser Verlag, München 2007. 470 S., geb., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Weg zu Kapitän Ahab führte über Frankenstein: Nicht Fakten, sondern kluge Verknüpfungen zeichnen die neue Melville-Biographie von Andrew Delbanco aus.
Zu Lebzeiten vergessen, wurde Herman Melville zum archetypischen amerikanischen Autor des zwanzigsten Jahrhunderts - und "Moby Dick" das Großwerk, in dem sich eine optimistische Zivilisation mit Auserwähltheitsanspruch dunkel spiegeln konnte. Wie ein Wal das Plankton saugte der Roman mit weit geöffnetem Maul Bedeutungen ein. So ist es bis heute: Ob Bin Ladins Hass auf Amerika oder George W. Bushs Kampf gegen die "Achse des Bösen", "Moby Dick" liefert die mythische Überhöhung des laufenden Irrsinns. Erst die Moderne öffnete die Augen für Melvilles avancierte Erzähltechniken und seine zukunftsweisenden Themen wie das "Mysterium der Ungerechtigkeit". "Das Böse", heißt es in "Mardi", sei "die chronische Krankheit des Universums; wird ihm an einer Stelle Einhalt geboten, bricht es an einer anderen aus." Das traf den Nerv einer Zeit, die nach Erklärungen suchte für den Schrecken, der über sie gekommen war.
Wer war der Autor, der so rätselhaft moderne Gestalten schuf wie den Schreiber Bartleby, der nicht länger ein menschliches Kopiergerät sein möchte? Melvilles Alltagsleben ist mangels Zeugnissen für den Biographen kaum zu rekonstruieren. Prägende Erfahrungen lassen sich aber durchaus bestimmen. Dazu gehört, dass Vater Allan Melville über seine Verhältnisse lebte und die Kunst beherrschte, den ökonomischen Abstieg der Familie zu kaschieren. Am Ende aber war der glücklose Importkaufmann und Erzeuger von acht Kindern bankrott - ein Bild der Entwürdigung und das Ende von Hermans Kindheit. Frühzeitig wurde ihm das Bewusstsein der Vergeblichkeit aller Bemühungen eingeimpft; Geldsorgen blieben ein Leitmotiv seines Lebens. Dass er früh zur See drängte, war nicht nur jugendliche Abenteuerlust, sondern auch Flucht vor den Bedrückungen und der erstickenden häuslichen Enge.
Dergleichen kann man also wissen. Und was man überhaupt über Melville weiß, steht in Hershel Parkers monumentaler Biographie in zwei Bänden. Andrew Delbanco dagegen will nicht mit Neuigkeiten über den Privatmann Melville aufwarten, sondern Zusammenhänge herstellen. Das gelingt ihm ausgezeichnet. Seine Biographie ist ein großes Buch der Kontexte. Leben, Werk, Geschichte und Politik der Vereinigten Staaten im neunzehnten Jahrhundert, aber auch die Anregungen und Quellen, aus denen sich Melvilles Schreiben nährte, und die Voraussetzungen des Literaturbetriebs - all das wird so zusammengeführt, dass die Funken des Erkenntnisgewinns überspringen.
Dass Melville Turners Seegemälde für die besten hielt, konnte man ja ahnen. Aber dass eine Spur von Dr. Frankenstein zu Ahab verläuft, ist ebenso überraschend wie plausibel. Gerade dem europäischen Leser vermittelt Delbanco spannende amerikanische Geistes- und Kulturgeschichte. Der Jahrhundertkonflikt um die Sklaverei wird eindringlich vergegenwärtigt; auch in Melvilles Werken ist er vielfach präsent, bis hin zur meisterhaften Novelle "Benito Cereno", die Delbanco einer mitreißenden Lektüre unterzieht. Faszinierend auch die Kapitel über die schwierige Abnabelung der literarischen Szene vom englischen Mutterland. Nach wie vor druckten amerikanische Verleger am liebsten britische Titel, für die sie keine Autorenhonorare zahlten. Urheberrecht war Zukunftsmusik.
Als Melville im Jahre 1819 geboren wurde, war der Rhythmus des amerikanischen Lebens noch beschaulich. In seinen späteren Jahren lebte er im Brennpunkt der Moderne, im "babylonischen Ziegelofen" der rasend expandierenden Welthauptstadt New York, deren Atmosphäre Delbanco in glänzenden Passagen zum Leben erweckt. Dadurch ergeben sich ungewohnte Perspektiven auf die Werke. Ist "Moby-Dick" am Ende gar ein Großstadtroman? Gewiss nicht im Vordergründig-Stofflichen. Aber "das Prasseln der Bilder" habe den "Pulsschlag der Stadt". Melvilles verschachtelte, in immer neue Seitentriebe ausbrechende Prosa, ihr wuchernder Eklektizismus und ihre ekstatischen Kadenzen sind gleichsam strukturelles New York. Auch das Melville-Grundgefühl der Einsamkeit mitten im geschäftigen Treiben ist eine Metropolenerfahrung. In seinen Reisebüchern inszeniert er sich als neugieriger Flaneur, dessen Boulevards nicht durch Großstädte, sondern durch den tropischen Dschungel führen. Dabei geht er weder dem Mythos vom edlen Wilden noch der missionarischen Überheblichkeit der angelsächsischen Zivilisation auf den Leim.
Melvilles Ehe wurde oft als Desaster beschrieben. Delbanco aber will nicht ausschließen, dass sie ein gelungenes Zweckbündnis mit spätem Harmoniezuwachs war. So viel ist gewiss: Für einen Mann, der die Wonnen der Südsee-Paradiese erlebt hatte, konnte die Ehe nur die zweitbeste Lösung sein. Er bekam nun das mitunter harte Brot des Familienalltags zu schmecken - mit einer Frau, die so rein gar nichts Tahitianisches hatte, nach den herben Fotoeindrücken zu urteilen. Geistvoll war sie allerdings, wie ein Brief an eine Verwandte verrät, wo sie hinreißend die Bibel parodiert. Nur ein einziger Brief Melvilles an die "liebste Lizzie" ist erhalten. So ist man auf Mutmaßungen angewiesen, und das gilt noch mehr für die homosexuellen Erfahrungen, die dem Erfinder des schönen Billy Budd in den letzten Jahrzehnten mit wachsender Vehemenz zugeschrieben wurden.
Delbanco bleibt diskret und spinnt keinen biographischen Roman zurecht, wo die Fakten fehlen. Er will Melville nicht psychoanalysieren. Trotzdem versteht er ihn als Autor des Unbewussten. Er beruft sich dabei auf die Bemerkung von D.H. Lawrence, wonach Melville "aus einer Art Traum-Ich heraus geschrieben" habe. Sein Schreibprozess hebe die "innere Zensur" auf und tendiere zum Bewusstseinsstrom. Die eruptive Produktivität, mit der er in wenigen Jahren den größten Teil seines Werks herausschleuderte, stützt diese These vom "Fließen des Ausdrucks". Melville war kein literarischer Feinmechaniker, sondern ein Mann, der vom Ansturm der Sätze mitgerissen wurde: "Gebt mir eine Kondorfeder! Den Krater des Vesuv als Tintenfass!" Auf der Pequod verursachte der Schnellschreiber unzulässiges Gedränge. Anfangs heißt es, das Schiff habe dreißig Mann Besatzung; dann aber entwickelt der Autor im Schreibrausch vierundvierzig unterscheidbare Charaktere; von der Schar namenloser Matrosen ganz abgesehen.
Melville ist wie seine Helden Ahab und Pierre ein metaphysisch Suchender, der die "Pappenmaske" der Erscheinungen durchdringen will - auch wenn dahinter das Nichts lauert. In seinem späten, den Feierabenden des Zollinspektors abgerungenen Epos "Clarel" geht es um eine Pilgerreise ins Heilige Land. Aber dabei sammeln sich vor allem unfromme, desillusionierende Eindrücke; suggestive Bilder von Verfall und trostlosen Steinwüsten. Es ist die postreligiöse Landschaft eines verschwundenen Gottes. Schwere Schicksalsschläge trafen Melville im Alter, allen voran der frühe Tod seiner beiden Söhne durch Selbstmord und Krankheit. Ob er darüber zum Misanthropen und Griesgram wurde - selbst das ist ungewiss. Zwar wollten sich manche später an einen verbitterten alten Mann erinnern; für andere dagegen strahlte er "Großmut und Freundlichkeit" aus.
Dem Freund Nathaniel Hawthorne machte Melville ein Jahr nach der ersten Begegnung den Vorschlag, sie sollten gemeinsam "ein tiefes Loch buddeln und sämtliche Trübsinnsteufel begraben". So leicht war die Depression aber nicht wegzuschaufeln. "Hätte ich in diesem Jahrhundert die Evangelien geschrieben, so würde ich doch in der Gosse sterben", schrieb er 1851 an den Freund. Da war "Moby Dick" gerade am Publikum vorbeigeschwommen. Beim nächsten Roman "Pierre" wurde der Autor von der Kritik für verrückt erklärt. Dass er fortan zwanzig Jahre als unbekannte Größe zum Zolldienst antreten musste, gehört zu den großen Schriftstellerverkanntheitsmythen. "Clarel" erschien in einer Auflage von 350 Exemplaren; zwei Drittel davon wurden eingestampft. Sein letzter Gedichtband brachte es dann nur noch auf eine Privatausgabe von fünfundzwanzig Stück. "Billy Budd" blieb lange wohlverwahrt in einem Blechkasten und erblickte erst 1924 das Licht der respektvoll staunenden literarischen Öffentlichkeit.
WOLFGANG SCHNEIDER
Andrew Delbanco: "Melville". Biographie. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Werner Schmitz. Hanser Verlag, München 2007. 470 S., geb., 34,90 [Euro].
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