In achtzehn Leben wirft Marlene Röder uns hinein - achtzehn Erzählungen, in denen Jugendliche schicksalhaft oder selbst gewählt an einen Wendepunkt in ihrem Leben geraten.
Die berühmten Augenblicke, die das Leben für immer verändern - Marlene Röder hat sie eingefangen. Überraschend leise kommt das Glück in ihren Erzählungen daher; überwältigend hinterlistig die Traurigkeit. So wie im richtigen Leben eben.
Achtzehn junge Menschen, achtzehn Geschichten - und sie alle sind erfrischende, zutiefst berührende Antworten auf die großen Fragen des Lebens.
Die berühmten Augenblicke, die das Leben für immer verändern - Marlene Röder hat sie eingefangen. Überraschend leise kommt das Glück in ihren Erzählungen daher; überwältigend hinterlistig die Traurigkeit. So wie im richtigen Leben eben.
Achtzehn junge Menschen, achtzehn Geschichten - und sie alle sind erfrischende, zutiefst berührende Antworten auf die großen Fragen des Lebens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011Das Andere in den Augen
Zu Herzen: Marlene Röder erzählt fabelhaft von Angst, Peinlichkeit und Gewalt. Und von der Liebe.
Von Tobias Rüther
Es kommt selten vor, dass Jugendbuchschriftsteller Erzählungen schreiben, was schade ist. Jetzt hat es Marlene Röder getan, nach zwei preisgekrönten Romanen, "Im Fluss" von 2007 und "Zebraland" von 2009. Am Ende lassen sich die achtzehn Geschichten ihres neuesten Buchs "Melvin, mein Hund und die russischen Gurken" zwar auch zu einer großen zusammenfügen - eine Figur von hier taucht dort wieder auf, Fäden werden weitergesponnen. Aber alle diese Geschichten sind für sich autonom.
Josefine traut ihrer Liebe nicht. Und Lukas ist vielleicht schwul. Oder ist Fabian schwul und Lukas nur ein richtig guter Freund? Überhaupt, richtig gute Freunde. Die eine, Frauke, war es eben noch, im Kinderzimmer, die andere, Janina, könnte es werden, wenn das mit den Clubs anfängt und der Schminke. Die Wachstumsschmerzen, als das passiert. Die Schmerzen, weil ein Bruder stirbt, ein Vater abhaut, eine Mutter deswegen auseinanderfällt. Jill und Noah tun es im Gras und die Peinlichkeit danach. Und Valerias Angst danach, sie könnte jetzt schwanger sein. Und die Peinlichkeit überhaupt.
Marlene Röder, Jahrgang 1983, erzählt auf engstem Raum, wenige Seiten, dann sind ihre Geschichten schon wieder vorbei, bis sie woanders weitergehen. Oft gelingt es ihr, diese Hochkonzentration explodieren zu lassen in dem einen richtigen Satz, der mindestens zehn andere unnötig macht. "Mama liegt auf ihrem Liegestuhl", heißt es in "Glückspunkte", es geht um Mutter und Tochter im Hotel, vom Vater verlassen, das Leben muss jetzt irgendwie weitergehen. "Diesmal hat sie ihr Bikini-Oberteil angelassen."
Oder es explodiert richtig, wie in der heftigsten Geschichte, "Scherben". Ein Pflegesohn in einer neuen Familie, er steht im Badezimmer, Striemen auf dem Rücken, die Tochter kommt rein, "und ich stehe da mit einem Rest Zahnpasta im Mundwinkel und hab mich noch nie so scheißnackt gefühlt. Ich wirbel herum, aber ihr Blick geht an mir vorbei, es ist immer noch alles sichtbar im Spiegel, und wie kann das sein, dass sie morgens schon so aussieht, mit dem langen, rotbraunen Haar, das ihr über die Schulter fällt." Sie schaut auf die Striemen und versteht ihn plötzlich, da flippt er aus, "am liebsten würde ich sie schlagen. Stattdessen schreie ich sie an und schmeiße meine Zahnbürste nach ihr, dass der Schreck das andere in ihren Augen auslöscht."
Das Andere in ihren Augen - nicht immer traut sich Marlene Röder diese erzählerische Coolness; da ist dann auch etwas Demokratisches in ihren achtzehn Geschichten, der Wunsch, allen Facetten des Großwerdens irgendwie gerecht zu werden, Jungen und Mädchen gleichermaßen. Das dicke, gehänselte Mädchen. Russendeutsche, Kaufhausdiebstähle, kleine Brüder. Aber dass man sich dann eher am guten Willen dieser Geschichten stößt als an ihrem Ton, zeigt, dass Marlene Röder eine ausgezeichnete Erzählerin ist.
Marlene Röder: "Melvin, mein Hund und die russischen Gurken". Erzählungen.
Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2011. 125 S., geb., 12,99 [Euro]. Ab 13 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zu Herzen: Marlene Röder erzählt fabelhaft von Angst, Peinlichkeit und Gewalt. Und von der Liebe.
Von Tobias Rüther
Es kommt selten vor, dass Jugendbuchschriftsteller Erzählungen schreiben, was schade ist. Jetzt hat es Marlene Röder getan, nach zwei preisgekrönten Romanen, "Im Fluss" von 2007 und "Zebraland" von 2009. Am Ende lassen sich die achtzehn Geschichten ihres neuesten Buchs "Melvin, mein Hund und die russischen Gurken" zwar auch zu einer großen zusammenfügen - eine Figur von hier taucht dort wieder auf, Fäden werden weitergesponnen. Aber alle diese Geschichten sind für sich autonom.
Josefine traut ihrer Liebe nicht. Und Lukas ist vielleicht schwul. Oder ist Fabian schwul und Lukas nur ein richtig guter Freund? Überhaupt, richtig gute Freunde. Die eine, Frauke, war es eben noch, im Kinderzimmer, die andere, Janina, könnte es werden, wenn das mit den Clubs anfängt und der Schminke. Die Wachstumsschmerzen, als das passiert. Die Schmerzen, weil ein Bruder stirbt, ein Vater abhaut, eine Mutter deswegen auseinanderfällt. Jill und Noah tun es im Gras und die Peinlichkeit danach. Und Valerias Angst danach, sie könnte jetzt schwanger sein. Und die Peinlichkeit überhaupt.
Marlene Röder, Jahrgang 1983, erzählt auf engstem Raum, wenige Seiten, dann sind ihre Geschichten schon wieder vorbei, bis sie woanders weitergehen. Oft gelingt es ihr, diese Hochkonzentration explodieren zu lassen in dem einen richtigen Satz, der mindestens zehn andere unnötig macht. "Mama liegt auf ihrem Liegestuhl", heißt es in "Glückspunkte", es geht um Mutter und Tochter im Hotel, vom Vater verlassen, das Leben muss jetzt irgendwie weitergehen. "Diesmal hat sie ihr Bikini-Oberteil angelassen."
Oder es explodiert richtig, wie in der heftigsten Geschichte, "Scherben". Ein Pflegesohn in einer neuen Familie, er steht im Badezimmer, Striemen auf dem Rücken, die Tochter kommt rein, "und ich stehe da mit einem Rest Zahnpasta im Mundwinkel und hab mich noch nie so scheißnackt gefühlt. Ich wirbel herum, aber ihr Blick geht an mir vorbei, es ist immer noch alles sichtbar im Spiegel, und wie kann das sein, dass sie morgens schon so aussieht, mit dem langen, rotbraunen Haar, das ihr über die Schulter fällt." Sie schaut auf die Striemen und versteht ihn plötzlich, da flippt er aus, "am liebsten würde ich sie schlagen. Stattdessen schreie ich sie an und schmeiße meine Zahnbürste nach ihr, dass der Schreck das andere in ihren Augen auslöscht."
Das Andere in ihren Augen - nicht immer traut sich Marlene Röder diese erzählerische Coolness; da ist dann auch etwas Demokratisches in ihren achtzehn Geschichten, der Wunsch, allen Facetten des Großwerdens irgendwie gerecht zu werden, Jungen und Mädchen gleichermaßen. Das dicke, gehänselte Mädchen. Russendeutsche, Kaufhausdiebstähle, kleine Brüder. Aber dass man sich dann eher am guten Willen dieser Geschichten stößt als an ihrem Ton, zeigt, dass Marlene Röder eine ausgezeichnete Erzählerin ist.
Marlene Röder: "Melvin, mein Hund und die russischen Gurken". Erzählungen.
Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2011. 125 S., geb., 12,99 [Euro]. Ab 13 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die ausgezeichnete Erzählerin spürt Tobias Rüther in jedem der knappen Sätze, die die Autorin schreibt, um Probleme des Erwachsenwerdens zu behandeln, Freunde, kaputte Beziehungen, Elternverlust, Peinlichkeit. Dass es dafür manchmal nur ein paar Seiten braucht, dann ist die Geschichte schon wieder zu Ende, stört Rüther nicht, schließlich lassen sich die Teile des Buches auch als Ganzes verstehen. Figuren tauchen wieder auf, Handlungsfäden werden wieder aufgenommen. Und wenn Marlene Röder es mal leise angeht, mal krachen lässt, cool, wie's sich gehört im Zielgruppenalter, um es wirklich jedem Recht zu machen, ist das schon okay, findet Rüther.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH