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Produktdetails
  • Verlag: Ullstein HC
  • Seitenzahl: 343
  • Abmessung: 30mm x 146mm x 220mm
  • Gewicht: 558g
  • ISBN-13: 9783550071447
  • ISBN-10: 3550071442
  • Artikelnr.: 08870320
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2001

In der Steinzeit der Weisen
Paul Stratherns knallige Wissenschaftsgeschichte der Chemie

Vor der notorischen Bücherwand des Gelehrten am Schreibtisch sitzend, grübelt Dimitrij Mendelejew (1834 bis 1907) über wissenschaftlichen Aufsätzen. Müde von der verzweifelten Beschäftigung mit dem Kartenset, auf dem die seinerzeit bekannten chemischen Elemente festgehalten sind, nickt er ein und träumt die Anordnung der Karten zu einem tabellarischen System, in dem sich die Eigenschaften der untereinander stehenden Elemente periodisch wiederholen. Zwei Wochen später, im März 1869, veröffentlicht er seine heute als bahnbrechend geltenden Überlegungen zu einem "mutmaßlichen System der Elemente".

Wenn in einer Wissenschaftsgeschichte literarische Ambitionen mit im Spiel sind, wird oft der Ursprung des Neuen in die Hülle einer Erzählung gekleidet, die das Unfaßliche faßbar machen sollen - so auch in Paul Stratherns Chemiegeschichte "Mendelejews Traum", die sich zwischen den Polen einer nüchternen Erklärung fachlicher Sachverhalte und einer mitreißenden Ausgestaltung der Figuren bewegt. Es war einmal eine literarische Neuerung, die Tat und den Täter an den Anfang eines Krimis zu stellen und damit den Prozeß der Aufklärung als den eigentlich spannenden Vorgang in den Mittelpunkt zu stellen. Hier aber wird der ausschweifenden Schilderung des Aufklärungsprozesses jede Spannung genommen, da von Anfang an alle Rollen eindeutig verteilt sind.

Beziehen viele erzählerische Werke ihre Spannung aus der Variation einer Ausgangssituation, so herrscht bei Strathern nur das Prinzip der Wiederholung. Er macht vor niemandem Halt, wenn es darum geht, Mendelejew und seine Nachfolger als Begründer und Bewahrer der einzig gültigen Chemie zu etablieren. Selbst Aristoteles ist nicht gegen seine Wut auf alles "Unwissenschaftliche" gefeit; nach der Beschreibung des Scheiterns seiner politischen Unternehmungen ereilt den Leser der Stoßseufzer, daß es seinen naturwissenschaftlichen Gedanken doch hätte ebenso ergehen mögen, da seiner Nachwelt dann das finstere Mittelalter erspart geblieben wäre.

In grauer Vorzeit fänden sich zwar einige Griechen, die noch wahre Naturphilosophie betrieben; diese habe ihren Namen allerdings nur daher, daß die Naturwissenschaft einst als Teilgebiet der Philosophie geführt worden sei. Bei allen späteren Figuren der Fachgeschichte, seien es Mystiker, praktisch arbeitende Experimentatoren oder Alchemisten, wird bestenfalls hervorgehoben, wo sie trotz ihrer verqueren Ausgangssituation eher zufällig und meist ohne es zu merken als blinde Hühner das eine oder andere Korn gefunden hätten.

Strathern verschont seine Leser nicht mit eingehenden Schilderungen der Seelen- und Gemütslagen zahlreicher Gestalten der Chemiegeschichte. Er setzt darauf, daß durch biographische Details dem Leser ein tieferes Verständnis für die wissenschaftsgeschichtlich wirksamen Kräfte erwachsen möge. Allerdings setzt er dieses Mittel in der Regel dazu ein, Wertungen über den jeweiligen historischen Stellenwert zu transportieren. Mitunter mögen Details aus den bewegten Lebensläufen amüsieren, auch einzelne Formulierungen sind gelungen. Doch bereitet diese eigentlich leichtverdauliche Kost durch ihren Einsatz zum Zwecke der Einteilung in gute und schlechte Naturwissenschaftler nach einiger Zeit Bauchschmerzen.

Streckenweise entsteht der Eindruck, Strathern habe Mühe, Mendelejews besondere, durch Titel und Rahmenhandlung hervorgehobene Stellung zu rechtfertigen. Die Schwarzweißmalerei wird dem Unternehmen zum Verhängnis, da sie dazu verleitet, die Wissenschaftsgeschichte in ein Raster zu zwängen, das ihr nicht angemessen ist. So wendet sich das Bestreben, eine der bahnbrechenden Entdeckungen der Chemiegeschichte aus einem in epischer Breite geschilderten Traum herzuleiten, gegen den Verfasser. Letztlich mündet sein Bemühen in eine Mystifizierung seines Helden.

Strathern versäumt es, nach den Gründen zu forschen, die es zu bestimmten Zeiten den Forschern unmöglich machten, in Thales' Fußstapfen ein Mendelejew zu werden. Genau solche Überlegungen hat aber in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts schon Gaston Bachelard angestellt, als er die "Bildung des wissenschaftlichen Geistes" untersuchte. Hier liegt das Augenmerk gerade auf den Erkenntnishindernissen, die nicht vorschnell abgetan werden als die bedauerliche, zugleich aber auch lächerliche Verblendung intelligenter Menschen, die mit gutem Willen hätten sehen müssen, daß sie unsinnige Ziele verfolgten. Wünschenswert wäre eine Chemiegeschichte in der geistesgeschichtlichen Tradition Bachelards, die zusätzlich neuere mentalitätsgeschichtliche Erkenntnisse berücksichtigte, wie sie seinerzeit nicht zur Verfügung standen. Auf ein solches Werk ist allerdings noch zu warten.

MATTHIAS HOLTHAUS

Paul Strathern: "Mendelejews Traum". Von den vier Elementen zu den Bausteinen des Universums. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Ullstein Verlag, München 2000. 344 S., geb., 42,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Matthias Holthaus ist sichtlich genervt von diesem Buch. Zwei Dinge insbesondere findet er verhängnisvoll: ein borniertes Verständnis von Wissenschaftlichkeit, das sich über Erkenntnisse der Vormoderne lustig macht, und "literarische Ambitionen", die zu ausufernden psychologischen Schilderungen der Hauptfiguren führen. Durch die von Anfang an klare Rollenverteilung ist der Geschichte, so Holthaus, "jede Spannung genommen", es regiert das "Prinzip der Wiederholung". Das führt beim Rezensenten bald zu "Bauchschmerzen". Er verweist auf das positive Gegenmodell der Schreibung von Wissenschaftsgeschichte, wie es Gaston Bachelard entwickelt hat. Davon aber sieht er Paul Strathern Welten entfernt.

© Perlentaucher Medien GmbH