Während des Siebenjährigen Krieges lädt der Seidenkaufmann und Philosoph Moses Mendelssohn (1729-1786) seinen reisenden Freund Lessing ins Grüne ein: »Ich habe einen überaus schönen Garten, darin Sie logiren können. Er ist von Herrn Nicolai seinem nicht weit abgelegen; und Sie können alle Bequemlichkeiten darin haben, die Sie nur wünschen [...]. Wie angenehm könnten wir die Abende zubringen, wenn Sie sich hierzu verstehen wollten!«
Mendelssohn, von seinen Verehrern als »Jude von Berlin« gerühmt, führt trotz seiner schwachen Kondition ein aufreibendes Doppelleben zwischen Fabrikkontor und Studierstube. Thomas Lackmann zeigt ihn als Intellektuellen und Geschäftsmann, der sich zur Erholung und für die Diskussion seiner Projekte gern in Arbeits-Lauben und auf den Sommersitzen reicher Mentoren holt, was zum Leben nötig ist.
Mendelssohn, von seinen Verehrern als »Jude von Berlin« gerühmt, führt trotz seiner schwachen Kondition ein aufreibendes Doppelleben zwischen Fabrikkontor und Studierstube. Thomas Lackmann zeigt ihn als Intellektuellen und Geschäftsmann, der sich zur Erholung und für die Diskussion seiner Projekte gern in Arbeits-Lauben und auf den Sommersitzen reicher Mentoren holt, was zum Leben nötig ist.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als Jude konnte Moses Mendelssohn im Berlin des 18. Jahrhunderts keinen eigenen Grund und Boden erwerben und deshalb auch keinen Garten anlegen, weiß Rezensent Stefan Rebenich, und außerdem war der Gelehrte eher Schreibtischmensch als Outdoorfreak; dennoch hat Thomas Lackmann nun ein Buch über die Gartenbegeisterung Mendelssohns geschrieben, entlang verstreuter Hinweise in dem Werk. Genauer gesagt geht es, so Rebenich, um Mendelssohns Beziehung zu einer ganzen Reihe von Gärten, in denen er unter anderem seine zukünftige Frau trifft, mit Lessing parliert und sich unters vergnügungswillige Volk mischt. Allzu ergiebig ist das alles nicht, findet Rebenich, das Buch verliert sich allzu oft in legeren Formulierungen, statt über das jüdische Leben der Zeit oder auch die Bedeutung des Gartens für das Bürgertum nachzudenken, moniert er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2023Am Leitfaden bürgerlicher Gartenlust
Durch das Zitatendickicht: Thomas Lackmann spaziert mit Moses Mendelssohn ins Grüne
Friedrich Nicolai stellte um 1800 "Nachgedanken über den kleinen Garten" an, "den die Städter vor ihrem Fenster auf dem Blumenbrette haben". Darin klagte der Schriftsteller und Verleger: "Ich kann es nicht beschreiben, wie elend es mir vorkommt, dass so viele Menschen nicht eine Handbreit Eigenes haben, worauf sie wohnen und säen und ernten können; es klingt mir so unnatürlich, so verwaist, so verstoßen von der lieben Mutter Natur." Sein Freund, der berühmte Berliner Philosoph Moses Mendelssohn, 1729 als Mausche Dessau in der gleichnamigen anhaltinischen Residenz geboren, 1786 in Berlin gestorben und als "Nathan der Weise" von Lessing verewigt, besaß keinen Garten - denn auch im Jahrhundert der Aufklärung war die jüdische Bevölkerung ausgegrenzt, und der Erwerb von Grund und Boden blieb Juden in aller Regel verwehrt.
Dennoch widmet Thomas Lackmann "Mendelssohns Gärten" ein ganzes Buch, um zu zeigen, "wie der ,Jude von Berlin' in Lauben, Parks und Sommerfrischen fand, was zum Leben nötig ist". Das Unterfangen ist allein schon deshalb ambitioniert, weil der "Kopfmensch" Mendelssohn meist an seinen Schreibtisch "gekettet" war und von seinen tatsächlichen Gartenbesuchen in seinen Schriften - wenn überhaupt - nur beiläufig berichtete. Dennoch nimmt Lackmann den Leser mit auf zwölf "Spazierflüge", die "den Berliner Sokrates", der erfolgreich zwischen jüdischer Tradition, christlicher Theologie und antiker Philosophie vermittelte, "in seine Grünzonen" begleiten.
Dort angekommen, räsoniert der Autor über unterschiedliche "Gartenformate", die Mendelssohn im Laufe seines Lebens genutzt habe: die als "Knutsch- und Geständnis-Ecke" apostrophierte Altonaer Liebeslaube, in der er seine Frau Fromet Guggenheim kennenlernte, die Sukka zum Laubhüttenfest in der Berliner Wohnung und ein gemieteter "Arbeitsgarten", in den Mendelssohn seinen Freund Lessing im Sommer 1757 einlud: "Ich habe einen überaus schönen Garten, darin Sie logiren können." Das Refugium lag in unmittelbarer Nähe zur "Schreber-Oase" von Friedrich Nicolai im Stralauer Viertel. Viel mehr wissen wir nicht.
Also imaginiert Lackmann "die blühenden Herrlichkeiten des Quartiers", um im Anschluss "auf den Flügeln der Poesie" eine barocke "Luxusdatsche" in den Albaner Bergen und die Grünanlagen vermögender jüdischer Freunde, der Finanzdienstleister Veitel Heine Ephraim und Daniel Itzig, zu besuchen. Beruhigt nimmt man zur Kenntnis, dass der "Talmudexperte" Mendelssohn nicht "von der Pracht feudaler Parks berauscht" worden sei: Er habe weder "seine innere Unabhängigkeit" noch "seine instinktive Distanz zu den Reichen" aufgegeben: "Der Berliner Sokrates gönnt neidlos und genießt".
Dann sehen wir den "Schreibtischhocker" als "kundigen Berliner" durch den Tiergarten streifen, wo er sich mit dem städtischen "Freizeitpublikum" amüsiert haben soll. Schließlich muss man die "grünen Reha-Stationen", in denen der kranke Mendelssohn Linderung suchte, durchschreiten und kommt ziemlich erschöpft an der Heilquelle auf dem Gesundbrunnen an.
Eine Spritztour führt in die Gärten der "stadtflüchtigen" Nachfahren wie der "gartenverrückten" Lea Mendelssohn Bartholdy. Nachdem "Gartenmetaphern, Paradiesvisionen und Naturbilder" im Werk des jüdischen Gelehrten kursorisch abgehandelt sind, werden wir mit der Gewissheit entlassen, dass Mendelssohn "im Grün unterschiedlicher Weisheitsgärten seine Diskurswerkstatt" erfunden habe. Zu guter Letzt reist Lackmann zu zwei Freunden seines Protagonisten: Nathan Meyer im mecklenburgischen Strelitz und Meyer Michael David in Hannover, über deren Gärten auch wenig zu sagen ist.
Und was erfahren wir über die intellektuelle Biographie von Moses Mendelssohn? Der "bleiche, bucklige Bücherwurm" sei kein "freiluftbesoffener Naturbusche" gewesen. "Obwohl seiner fragilen Gesundheit das Ausspannen an freier Luft gut" getan hätte, habe er "der Vorstellung vom dolce far niente im Traumland Arkadien" nichts abgewinnen können. Aber er habe durchaus "die grassierende Gartenlust" des aufgeklärten Bürgertums verspürt und den englischen Landschaftspark verehrt.
Der historische Erkenntnisgewinn des Buches ist bescheiden. Der Autor richtet seinen Ehrgeiz lieber auf die Präsentation salopper Formulierungen: "Jude von Berlin" wird so zu "Moses' Promi-Name" und Mendelssohn zum "Vorzeigemodell" der "christlichen Mehrheitsgesellschaft". Zudem verstellt ein Wildwuchs an Zitaten allzu oft den Blick auf das jüdische Leben im Berlin des achtzehnten Jahrhunderts, das ebenfalls Gegenstand der Darstellung ist.
Aus dem Thema hätte man mehr machen können. Dazu wäre es allerdings notwendig gewesen, den Garten als Paradigma der Sozial- und Kulturgeschichte präziser zu erfassen. Damals entdeckte ein selbstbewusstes Bürgertum den Garten als Ort der Emanzipation von gesellschaftlichen Zwängen. Dort wurde nicht nur ein unverfälschtes Naturerleben gesucht, sondern eine die Natur imitierende Ästhetik inszeniert. Daher überrascht es nicht, dass Mendelssohn "neugierig auf die Natur" lediglich dann blickte, "wenn sie ihm Sujet für ästhetische Analyse" lieferte. Sozialgeschichtlich war das grüne Refugium integraler Bestandteil der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung einer vermögenden und gebildeten Elite. Der eigene Garten blieb indes ein christliches Monopol; fast alle Juden waren, da ohne bürgerliche Rechte, weiterhin aus dem Paradies verbannt. Selbst der gefeierte Mendelssohn konnte sich nur mit einer temporären Lösung behelfen, das heißt einen Garten mieten.
Die Gastfreundschaft, die Meyer Michael David in Hannover gewährte, feierte Mendelssohn in einem hebräischen Gedicht, das biblische Gartenmetaphorik, liturgische Formeln und aufklärerische Ideen zusammenführte. Es ist ein großartiges Zeugnis für das große Ziel, das der Protagonist der Haskala, der jüdischen Aufklärung, unablässig verfolgte: die zukunftweisende Verbindung des mosaischen Glaubens mit der aufklärerischen Gedankenwelt. Die Verse sind der Höhepunkt des Buches. STEFAN REBENICH
Thomas Lackmann: "Mendelssohns Gärten".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 303 S., geb.,
28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Durch das Zitatendickicht: Thomas Lackmann spaziert mit Moses Mendelssohn ins Grüne
Friedrich Nicolai stellte um 1800 "Nachgedanken über den kleinen Garten" an, "den die Städter vor ihrem Fenster auf dem Blumenbrette haben". Darin klagte der Schriftsteller und Verleger: "Ich kann es nicht beschreiben, wie elend es mir vorkommt, dass so viele Menschen nicht eine Handbreit Eigenes haben, worauf sie wohnen und säen und ernten können; es klingt mir so unnatürlich, so verwaist, so verstoßen von der lieben Mutter Natur." Sein Freund, der berühmte Berliner Philosoph Moses Mendelssohn, 1729 als Mausche Dessau in der gleichnamigen anhaltinischen Residenz geboren, 1786 in Berlin gestorben und als "Nathan der Weise" von Lessing verewigt, besaß keinen Garten - denn auch im Jahrhundert der Aufklärung war die jüdische Bevölkerung ausgegrenzt, und der Erwerb von Grund und Boden blieb Juden in aller Regel verwehrt.
Dennoch widmet Thomas Lackmann "Mendelssohns Gärten" ein ganzes Buch, um zu zeigen, "wie der ,Jude von Berlin' in Lauben, Parks und Sommerfrischen fand, was zum Leben nötig ist". Das Unterfangen ist allein schon deshalb ambitioniert, weil der "Kopfmensch" Mendelssohn meist an seinen Schreibtisch "gekettet" war und von seinen tatsächlichen Gartenbesuchen in seinen Schriften - wenn überhaupt - nur beiläufig berichtete. Dennoch nimmt Lackmann den Leser mit auf zwölf "Spazierflüge", die "den Berliner Sokrates", der erfolgreich zwischen jüdischer Tradition, christlicher Theologie und antiker Philosophie vermittelte, "in seine Grünzonen" begleiten.
Dort angekommen, räsoniert der Autor über unterschiedliche "Gartenformate", die Mendelssohn im Laufe seines Lebens genutzt habe: die als "Knutsch- und Geständnis-Ecke" apostrophierte Altonaer Liebeslaube, in der er seine Frau Fromet Guggenheim kennenlernte, die Sukka zum Laubhüttenfest in der Berliner Wohnung und ein gemieteter "Arbeitsgarten", in den Mendelssohn seinen Freund Lessing im Sommer 1757 einlud: "Ich habe einen überaus schönen Garten, darin Sie logiren können." Das Refugium lag in unmittelbarer Nähe zur "Schreber-Oase" von Friedrich Nicolai im Stralauer Viertel. Viel mehr wissen wir nicht.
Also imaginiert Lackmann "die blühenden Herrlichkeiten des Quartiers", um im Anschluss "auf den Flügeln der Poesie" eine barocke "Luxusdatsche" in den Albaner Bergen und die Grünanlagen vermögender jüdischer Freunde, der Finanzdienstleister Veitel Heine Ephraim und Daniel Itzig, zu besuchen. Beruhigt nimmt man zur Kenntnis, dass der "Talmudexperte" Mendelssohn nicht "von der Pracht feudaler Parks berauscht" worden sei: Er habe weder "seine innere Unabhängigkeit" noch "seine instinktive Distanz zu den Reichen" aufgegeben: "Der Berliner Sokrates gönnt neidlos und genießt".
Dann sehen wir den "Schreibtischhocker" als "kundigen Berliner" durch den Tiergarten streifen, wo er sich mit dem städtischen "Freizeitpublikum" amüsiert haben soll. Schließlich muss man die "grünen Reha-Stationen", in denen der kranke Mendelssohn Linderung suchte, durchschreiten und kommt ziemlich erschöpft an der Heilquelle auf dem Gesundbrunnen an.
Eine Spritztour führt in die Gärten der "stadtflüchtigen" Nachfahren wie der "gartenverrückten" Lea Mendelssohn Bartholdy. Nachdem "Gartenmetaphern, Paradiesvisionen und Naturbilder" im Werk des jüdischen Gelehrten kursorisch abgehandelt sind, werden wir mit der Gewissheit entlassen, dass Mendelssohn "im Grün unterschiedlicher Weisheitsgärten seine Diskurswerkstatt" erfunden habe. Zu guter Letzt reist Lackmann zu zwei Freunden seines Protagonisten: Nathan Meyer im mecklenburgischen Strelitz und Meyer Michael David in Hannover, über deren Gärten auch wenig zu sagen ist.
Und was erfahren wir über die intellektuelle Biographie von Moses Mendelssohn? Der "bleiche, bucklige Bücherwurm" sei kein "freiluftbesoffener Naturbusche" gewesen. "Obwohl seiner fragilen Gesundheit das Ausspannen an freier Luft gut" getan hätte, habe er "der Vorstellung vom dolce far niente im Traumland Arkadien" nichts abgewinnen können. Aber er habe durchaus "die grassierende Gartenlust" des aufgeklärten Bürgertums verspürt und den englischen Landschaftspark verehrt.
Der historische Erkenntnisgewinn des Buches ist bescheiden. Der Autor richtet seinen Ehrgeiz lieber auf die Präsentation salopper Formulierungen: "Jude von Berlin" wird so zu "Moses' Promi-Name" und Mendelssohn zum "Vorzeigemodell" der "christlichen Mehrheitsgesellschaft". Zudem verstellt ein Wildwuchs an Zitaten allzu oft den Blick auf das jüdische Leben im Berlin des achtzehnten Jahrhunderts, das ebenfalls Gegenstand der Darstellung ist.
Aus dem Thema hätte man mehr machen können. Dazu wäre es allerdings notwendig gewesen, den Garten als Paradigma der Sozial- und Kulturgeschichte präziser zu erfassen. Damals entdeckte ein selbstbewusstes Bürgertum den Garten als Ort der Emanzipation von gesellschaftlichen Zwängen. Dort wurde nicht nur ein unverfälschtes Naturerleben gesucht, sondern eine die Natur imitierende Ästhetik inszeniert. Daher überrascht es nicht, dass Mendelssohn "neugierig auf die Natur" lediglich dann blickte, "wenn sie ihm Sujet für ästhetische Analyse" lieferte. Sozialgeschichtlich war das grüne Refugium integraler Bestandteil der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung einer vermögenden und gebildeten Elite. Der eigene Garten blieb indes ein christliches Monopol; fast alle Juden waren, da ohne bürgerliche Rechte, weiterhin aus dem Paradies verbannt. Selbst der gefeierte Mendelssohn konnte sich nur mit einer temporären Lösung behelfen, das heißt einen Garten mieten.
Die Gastfreundschaft, die Meyer Michael David in Hannover gewährte, feierte Mendelssohn in einem hebräischen Gedicht, das biblische Gartenmetaphorik, liturgische Formeln und aufklärerische Ideen zusammenführte. Es ist ein großartiges Zeugnis für das große Ziel, das der Protagonist der Haskala, der jüdischen Aufklärung, unablässig verfolgte: die zukunftweisende Verbindung des mosaischen Glaubens mit der aufklärerischen Gedankenwelt. Die Verse sind der Höhepunkt des Buches. STEFAN REBENICH
Thomas Lackmann: "Mendelssohns Gärten".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 303 S., geb.,
28,- Euro.
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