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Der Falangist Augusto gibt vor, sich an einem pietätvollen Projekt der Nonne Constanza zu beteiligen. Doch was er tatsächlich im Schilde führt, das ist, sie ganz einfach zu verführen.

Produktbeschreibung
Der Falangist Augusto gibt vor, sich an einem pietätvollen Projekt der Nonne Constanza zu beteiligen. Doch was er tatsächlich im Schilde führt, das ist, sie ganz einfach zu verführen.
Autorenporträt
Eduardo Mendoza wurde am 11. Januar 1943 in Barcelona geboren. 1965 schloß er sein Jurastudium ab und arbeitete für kurze Zeit als Rechtsanwalt. Hierbei lernte er die juristisch-administrative Sprache kennen, die er später in einigen seiner Romane parodierte. Von 1973 bis 1982 war er in New York als Dolmetscher im Auftrag der Vereinten Nationen tätig. Im Jahr 2015 erhielt er den Franz-Kafka-Literaturpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.1997

Blick in die Zisterne
Nonne und Gutsherr: Eduardo Mendozas verbotene Liebe

Obwohl das Kostüm des verkannten Poeten das kleidsamste unter all jenen ist, welche die Pfandleihanstalten des Literaturbetriebes für angehende Originalgenies bereithalten, konnte es sich Eduardo Mendoza eigentlich nie anmessen lassen. Denn bereits mit seinem Romanerstling "Die Wahrheit über den Fall Savolta" läutete er 1975 im Todesjahr des Generalissimus Francisco Franco die Ära der Gegenwartsliteratur ein; die Auszeichnung mit dem renommierten "Preis der Kritik" folgte auf dem Fuß. Die Gunst des Publikums und der Rezensenten ist Mendoza seitdem treu geblieben. Das mag auch damit zusammenhängen, daß er die Langeweile meidet wie der Teufel das Weihwasser. Zur Zeit dürften es ihm nur wenige seiner Kollegen in der Kunst gleichtun, ihre Leser zu verblüffen. Diese seltene Gabe zeigt sich gerade an der scheinbar schnörkellos und geradlinig angelegten Erzählung "Das Jahr der Sintflut", die vor fünf Jahren in Barcelona erschien und jetzt auch auf deutsch vorliegt.

Mendoza versetzt uns in das Katalonien der fünfziger Jahre, nach San Ubaldo de Bassora, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Der Untertitel verspricht eine "novela", was Peter Schwaar mit "Roman" übersetzt. Allerdings wäre in diesem Fall der Begriff der Novelle die wohl angemessenere Gattungsbezeichnung. Zwar mag sich die berichtete Begebenheit auf den ersten Blick nicht unerhört genug ausnehmen, um Goethes bekannter Charakterisierung zu genügen: Eine Frau und ein Mann treffen aufeinander, verlieben sich ineinander, trennen sich voneinander, weil ihnen widrige Umstände ein gemeinsames Leben verwehren. Was jedoch bis zum Ende der Geschichte und sogar darüber hinaus durchaus fragwürdig bleibt, sind die Triebfedern des Handelns, das je nach der Wahl des Blickwinkels nicht nur unterschiedlich, sondern geradezu gegensätzlich bewertet werden kann.

Erstaunen über ungewöhnliche Auswege aus ethischen Zwickmühlen hervorzurufen gehörte von Boccaccio bis Cervantes ebenso zur Novellistik wie listige Vertauschungen und plötzliche Umschwünge aller Art. Dabei eifert Mendoza seinen illustren Vorbildern auch insofern nach, als er sich ein für heutige Autoren ungewöhnliches Handicap auferlegt. Anders als etwa in "Das Geheimnis der verhexten Krypta" bemüht er die altväterische Instanz eines allwissenden Erzählers und verzichtet damit auf die Perspektivierungseffekte, welche dann möglich werden, wenn man in ihrer Wahrnehmung begrenzte Erzählerfiguren einsetzt.

Mendozas Novelle lebt von schroffen Kontrasten. Schon das Paar, um das sich alles dreht, Sor Consuelo und Augusto Aixelà de Collbató, verbindet eigentlich nur, daß es durch seine soziale Stellung aus der dörflichen Gemeinschaft herausragt. Die noch junge Oberin vom Orden der Barmherzigen Schwestern hat gerade die Leitung des abgewirtschafteten Krankenhauses übernommen und möchte es in ein Altenpflegeheim umwandeln. In dieser Angelegenheit wendet sie sich hilfesuchend an den bereits reiferen Gutsbesitzer. Aixelà ist ein richtiger cacique und wird im spanischen Original auch laufend als solcher bezeichnet. Da dieses im Jahre 1492 aus der Karibik über den Atlantik nach Spanien gereiste Wort keine rechte deutsche Entsprechung besitzt, macht der Übersetzer meist einen Bogen darum; "Dorftyrann" träfe ungefähr den gemeinten Sachverhalt. Aixelà residiert in der verstaubten Pracht eines mit wurstarmigen Putti ausgemalten Herrenhauses und bezieht seine Einkünfte aus großen Ländereien. Mehrere Dienstboten, ihnen voran die handfeste, ständig mit der Schlachtung von Kleinvieh beschäftigte Haushälterin Pudenciana, umsorgen ihn. Dagegen ist die kleine Nonne ganz auf sich selbst und ihr Gottvertrauen angewiesen; in ihrem Bemühen um die öffentliche Wohlfahrt läßt sie sich weder von zwei zähnefletschenden Hunden noch von anfänglichem Desinteresse des Gutsbesitzers aufhalten. Dieses weicht jedoch ebenso einer aufkeimenden Leidenschaft wie die glühende Dürre wasserfallartigen Regenböen, die allenthalben die Gegend verwüsten.

Die Sintflut wächst sich gemäß der alten Volksetymologie zur Sündflut aus: Die Nonne erliegt den Verführungskünsten des als Schwerenöter berüchtigten Gutsherrn. In die zunehmende Verwirrung ihrer Gefühle gewährt uns der Erzähler stets Einblick, während uns die Gedanken des Verführers weitgehend verschlossen bleiben. Nicht nur aus dem christlichen Bedürfnis nach Gewissensprüfung heraus unterzieht sich Sor Consuelo der Selbstreflexion. Das ist mitunter ganz wörtlich zu verstehen: Einmal läßt sie der Erzähler unvermutet in einen Spiegel blicken, dann immer wieder in eine Zisterne im Garten des Hauses Aixelàs. Doch die "Eingeweide des Wassers" werfen kein klares Bild zurück; die tapfere Nonne gibt sich nicht auf, auch wenn eine Zypressenhecke und die Geschichte von einem aus Liebeskummer ertrunkenen Mädchen auf die letzte, auf die tödliche Ausflucht aus den Wirren der Welt verweisen.

Bald nach dem Augenblick höchster Ekstase, der in der Leerzeile zwischen zwei Absätzen des Textes liegt, überstürzen sich die Ereignisse wie in einem Schauerroman: Sor Consuelo verpaßt ein nächtliches Stelldichein mit ihrem Geliebten, ihr Beichtbrief an die Provinzialoberin des Ordens wird in andere Hände umgeleitet, sie selbst in ziviler Verkleidung mit sanfter Gewalt ins Gebirge geführt. Dort hat sie einen Banditen zu verarzten, der, bevor er Gott verflucht und stirbt, ihr eine große Summe für die Renovierung des Hospitals vermacht hat. Nachdem sie von der Armee fast als Räuberbraut standrechtlich erschossen worden wäre, kehrt sie zunächst auf das Landgut zurück, um von Pudenciana und dem Gutsverwalter die Abreise Aixelàs und die Leichtfertigkeit seiner Liebesschwüre zu erfahren. Die Ankunft im Kloster gerät dagegen zu einem wahren Triumph, da die Ordensschwestern die anonyme Geldspende fälschlicherweise der Großzügigkeit Aixelàs und dem Verhandlungsgeschick ihrer Oberin zuschreiben. Sie stürzt sich darauf ganz ins tätige Leben und gründet wie einst die heilige Teresa von Avila eine fromme Institution nach der anderen.

Bis hierher folgt der Gang der Ereignisse trotz mancher ironischer Brechung weitgehend dem Schema des desengaño amoroso, der Aufdeckung des illusionären Charakters der irdischen Liebe, wie es im siebzehnten Jahrhundert María de Zayas y Sotomayor mit ihren beiden Novellensammlungen prägte, aus denen später Clemens Brentano einige Stücke ins Deutsche übertrug. Dort gewährte das Kloster den Frauen Zuflucht vor den Unwettern männlicher Tücke und den Stürmen ihrer eigenen Leidenschaften. Mendoza freilich fügt seiner Novelle eine geniale Koda an, die Sor Consuelo in den achtziger Jahren auf den Schauplatz ihres Sündenfalls zurückführt - kurz bevor sie sterben muß.

Gewißt dient der Zeitensprung als willkommener Anlaß, grelle Schlaglichter auf den rasanten Säkularisierungs- und Modernisierungsschub der spanischen Gesellschaft zu werfen. Aber vor allem legen die Indizien, welche Sor Consuelo aus einem Gespräch mit ihrem Arzt über Aixelà zieht, den Schluß nahe, ihre Enttäuschung sei die eigentliche Täuschung gewesen. In einer letzten Umkehrung erweist sich damit die vermeintliche Illusion als Wahrheit, eine Wahrheit freilich, die der Nonne erst unmittelbar vor dem Tod zuteil wird. Mendozas Verhältnis zur Novellistik des goldenen Zeitalters ähnelt seiner Einstellung zum Spanien der fünfziger Jahre: Es ist ironisch und melancholisch zugleich. Vielleicht liegt das Geheimnis seines Erfolges in dieser Haltung beschlossen. MAX GROSSE

Eduardo Mendoza: "Das Jahr der Sintflut". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Peter Schwaar. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 131 S., geb., 19,80 DM.

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