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Christoph Wilhelm Aigner, geboren 1954 in Wels/Oberösterreich, studierte in Salzburg, lebt in Italien. "World Literature Today" zählt ihn zu den wichtigsten zeitgenössischen Dichtern. Seine Bücher erscheinen bei DVA, zuletzt die hochgelobte Übersetzung der Lyrik Giuseppe Ungarettis "Zeitspüren" (2003), "Logik der Wolken" (2004) und "Kurze Geschichte vom ersten Verliebtsein" (2005).
Seit es Worte und Wörter gibt, sind Metamorphosen Teil des Erzählens und Darstellens. Alles Leben ist ein sich ständiges Wandeln, Abwandeln, Umwandeln, Verwandeln. In der Literatur ist es zuweilen möglich, die
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Produktbeschreibung
Christoph Wilhelm Aigner, geboren 1954 in Wels/Oberösterreich, studierte in Salzburg, lebt in Italien. "World Literature Today" zählt ihn zu den wichtigsten zeitgenössischen Dichtern. Seine Bücher erscheinen bei DVA, zuletzt die hochgelobte Übersetzung der Lyrik Giuseppe Ungarettis "Zeitspüren" (2003), "Logik der Wolken" (2004) und "Kurze Geschichte vom ersten Verliebtsein" (2005).
Seit es Worte und Wörter gibt, sind Metamorphosen Teil des Erzählens und Darstellens. Alles Leben ist ein sich ständiges Wandeln, Abwandeln, Umwandeln, Verwandeln. In der Literatur ist es zuweilen möglich, die Welt, die uns so in die Sinne gerät und vor den Augen zergeht, ein wenig festzuhalten. Dies sind Augenblicke von großer Intensität, wie sie uns etwa die unvergleichlichen Metamorphosen Ovids schenken.Alle bisherigen Metamorphosen haben eines gemeinsam: stets ist es ein Mensch, der in ein Stück Natur verwandelt wird, in Pflanze, Tier, Stein oder Sternbild. Dem liegt natürlich die Haltung zugrunde, daß der Mensch die Natur erschaffe.Nun gibt es auch die Überlegung, daß die Natur den Menschen erschaffen habe. Daß das Leben ein Zusammenwirken von allem mit allem sei, das unter anderem auch den Menschen hervorgebracht hat. Bei den Verwandlungen in diesem Buch handelt es sich um Verwandlungen von Natur in menschliche Natur; sie sind somit umgekehrte Metamorphosen.
Autorenporträt
Christoph Wilhelm Aigner, geboren 1954 in Wels/Oberösterreich, studierte in Salzburg, lebt in Italien. "World Literature Today" zählt ihn zu den wichtigsten zeitgenössischen Dichtern. Seine Bücher erscheinen bei DVA, zuletzt die hochgelobte Übersetzung der Lyrik Giuseppe Ungarettis "Zeitspüren" (2003), "Logik der Wolken" (2004) und "Kurze Geschichte vom ersten Verliebtsein" (2005).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.1999

Ausfluss der Ernüchterung
Fleischgänger: Christoph Wilhelm Aigner wagt sich ins Moor

Zeitlos scheint das Erlebnis des Moors. "Über die Heide hallet mein Schritt. / Dumpf aus der Erde wandert es mit", heißt es bei Theodor Storm. Ihm wird die Heide im weiteren Fortgang des Gedichts Anlass zur wehmütigen Besinnung, "Leben und Liebe - wie flog es vorbei!", die bekannte symbolische Stimmungslyrik des neunzehnten Jahrhunderts eben, säuberlich zerlegt in Außen und Innen. Solche Lyrik wird von dem 1954 geborenen Salzburger Christoph Wilhelm Aigner zu Recht verschmäht. Er schreibt: "Die Moorheide wanderte mit mir. Sie bewegte sich tatsächlich. Es war wie auf Fleisch gehn, über ein langsam schlagendes Herz; als pumpe es gegen meine Schritte. Auch ein Schwingen war darin, und es gab Stellen, dass ich glaubte, einbeinig zu versinken, während der andere Fuß doch noch auf einen Graskopf kam, der sich hart hob. Auf so einem Gebiet muss man Widerstände finden, sonst kommt man nicht weiter . . . Es war noch Nacht, als ich die Landstraße erreichte, auf der ich mich schwankend fortbewegte. Immerhin war ich über ein Herz gegangen, das mich nicht sinken ließ."

Aigner weiß, dass er spät kommt. Zwei Vokabeln, scheinbar die schwächsten der Passage, markieren das Verhältnis von Tradition und Differenz. "Tatsächlich" trägt dem Umstand Rechnung, dass er, wo er von eigener Erfahrung berichten will, sie bereits im Werk des Älteren vorgeformt findet. "Immerhin" jedoch entreißt sie der Egozentrik und verlagert ihren Ort: Ein fremdes Herz schlägt an die Fußsohlen und macht die Berührungsfläche beider zur deutlichsten und zartesten Stelle, zu einem feinen Bast zwischen dem Holz des Inneren und der Rinde des Draußen.

Aigner begreift das, was er tut, als Bescheidung. Der Titel "Mensch. Verwandlungen" spielt natürlich auf Ovid an, will aber die Bewegungsrichtung umkehren: Nicht der Mensch soll sich in Strukturen der Natur verwandeln (was Aigner als Ausdruck der Herrschaft über sie auffasst), sondern die Natur in den Menschen, der ihr nicht widersteht. Das Ich wird zu diesem Zweck in die Landschaft gewissermaßen hinausgehalten, um sich an ihre heißen Nachmittage, an ihre Winde und Sonnenuntergänge zu verlieren. Das scheint selbstlos; aber auch die wechselnden Landschaften Italiens, Österreichs und Norddeutschlands sind zu keinem anderen Zweck bestellt, als sich an diesem Ich niederzuschlagen - die Begegnung findet als eine Art Oxidationsprozess statt. Vom Ich soll man dabei nicht zu viel erfahren, weder sozial noch seelisch tritt diese einsame männliche Figur mit Deutlichkeit hervor. Als ausreichende Maxime für den Umgang mit der Gesellschaft gilt ihr: "nicht grämen, nicht schämen, nicht ekeln, nicht ärgern", und es klingt wie ein einziger fortwährend unterdrückter Brechreiz. Was sie von ihrem Inneren mitzuteilen bereit ist, zeichnet sich durch eine fast unbrauchbare allegorische Hölzernheit aus: "Die Stacheln überständigen Stolzes wurden mir abgebrochen. Und meiner Eigenliebe war ein Loch der Ernüchterung gebohrt, durch das aber sogleich der Eiter des Selbstbetrugs floss, zu Selbstmitleid gerann und es nach und nach verstopfte. Was war so Schwindelerregendes geschehen?" Der Leser wüsste es auch gern; aber es wird ihm verweigert.

Aigner nimmt, und das ist sein sympathischer Zug, von der äußeren Gestalt der Lyrik, das heißt dem Zeilenbruch, Abschied, den er nach dem Verlust von Metrum und Reim als die gefährliche Einladung zum schwindelhaften Tiefsinn des Schweigens erkennt. Das scheint nicht mehr als eine überfällige Formalie; aber es bedeutet doch den Übertritt aufs Gebiet der Prosa, die anderen Regeln folgt: Prosa ist der Andeutung Feind und rückt die Beschreibung in den Mittelpunkt. Zu ihrem Prüfstein wird der spektakulärste Bestandteil einer jeden Landschaft, in der menschliche Tätigkeit und ihre Spuren keine Rolle spielen und alles auf den Augenblick abgestellt ist: die Wolke. In ihrer Nutzlosigkeit und Wandelbarkeit nimmt Aigner sie als die wichtigste Herausforderung an literarische Sprache: "Ein heller, weicher, abgesteppter Wolkenflaum bildet den niedrigen Plafond über dem zerknitterten und grün verwaschenen Meer, so dass ich, soeben aus dem Pinienwald getreten, vom Strand aus tief in eine Bühne seh. Im Hintergrund ist sie von einer anthrazitglänzenden einhaltigen Wand abgeschlossen, aus der der Wind mit allen Krallen Fransen gerissen hat, die über hellem Grund auf die drei Gebirgssilhouetten Elbas herabwehen."

Es ist ein schmerzlicher Widerspruch: Wie die Schönheit auf ihre gewissenhafte Wiedergabe zu drängen scheint - und wie sie unter dieser Anstrengung zerfällt. Dass er das Gesehene zugleich möglichst vollständig (also in Prosa) und möglichst intensiv (also wie Lyrik) erfassen will, unterwirft die kurzen Texte Aigners einem starken Druck, und auf solch ungesichertem Terrain ist es kein Wunder, dass sie bald nach oben, ins Pretiöse überzogener Metaphern, bald nach unten, in die Aufzählung, ausschlagen.

Es wäre ein Leichtes, hier ein Inventar der Stilblüten anzulegen. Aber es wäre unfair. Es ist Aigner todernst mit dem, was er tut. Mit einem rührenden Eigensinn nimmt er es in Kauf zu scheitern: "Der See von Cantalice. Ein Name, ich sags trotz des Gelächters, der duftet wie die Blüten des Engelbrustbaums." Unter dem verschlossenen, schwerknochigen Porträtfoto des Klappentexts gibt er als Beruf an: Dichter. Darunter will er offenbar verstanden wissen, dass er für jedes einzelne der rund hundert Textstücke ohne sicherndes Gerüst völlig von vorn angesetzt hat. Man sollte das insofern honorieren, als man ihn nicht aufs Ganze seines Bandes festlegt, sondern sich an dessen besten Stücke hält. Zum Beispiel das folgende: "Über dieses flache Land fließt ein steter fester Luftstrom. Menschen sieht man kaum. Aber es kann geschehen, dass in Bodennähe ein Bussard erscheint, gegen den Wind schaukelnd, mit beherrschten, langsamen, ausladenden Flügelschlägen. Der Spaziergänger, der zurückgelehnt vorwärts gegangen ist, geht vorgelehnt zurück, hinter dem Bussard her, der schließlich seitlich über das sumpfige Grasland mit den schwarzen Wassergräben abdriftet. Wie wenn sich Hüfte selbstständig gemacht hatte, eine herrliche hungrige Hüfte, wenn man so sagen dürfte, oder vielleicht eine unerhörte Schwingung, darin zufällig Knochen sind, Federn und Schwingen."

BURKHARD MÜLLER.

Christoph Wilhelm Aigner: "Mensch. Verwandlungen". Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999. 117 S., geb., 28,- DM.

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