Russland im August 1991: ein Putsch bringt das Land zum Beben, Gorbatschow wird abgesetzt, Jelzin übernimmt die Macht und Putin kann kaum erwarten, der Nächste zu sein. Das Land zerfällt. Nichts ist mehr, wie es Jahrzehnte lang war. Die einen verscherbeln Bodenschätze und Panzer und werden Multimillionäre, die anderen versinken in bitterer Armut. In dieser Zeit des totalen Umbruchs entdeckt der Ich-Erzähler das Tagebuch seiner Großmutter und erkennt, dass das Schweigen über die Vergangenheit gebrochen werden muss, wenn Russland eine Zukunft haben will. Ein hochaktueller, ein spannender Roman über ein Land, das schon lange keine Weltmacht mehr ist.
buecher-magazin.deIm August 1991 fand in Moskau ein Putschversuch gegen Gorbatschow statt, der sich später als Auftakt zum Zerfall der Sowjetunion erwies. Wenn der 1981 geborene Sergej Lebedew sich im Titel seines neuen Romans auf diesen schicksalsträchtigen Monat bezieht, so evoziert er damit atmosphärisch das Bild eines Riesenlandes im Umbruch und Zerfall. Die konkreten politischen Ereignisse jener Jahre sind nur Rahmenhandlung. Das Romangeschehen ist an den geografischen Rändern des zerfallenden Sowjetreichs angesiedelt. Der Ich-Erzähler ist unablässig auf Reisen; angefangen mit einer privaten Mission, die ihn ins ukrainische Drohobytsch führt, wo er nach Spuren seines unbekannten Großvaters sucht. Fast schicksalhaft fallen ihm daraufhin andere Rechercheaufträge zu, diffizile Missionen, die ihn in die kasachische Wüste, in die karelische Taiga, ins sibirische Eis führen. Auch eine junge Frau, die er kennenlernt und die seine Geliebte wird, ist eine Suchende - die uneheliche Tochter eines verschollenen tschetschenischen Funktionärs. Für die Orientierungslosigkeit eines ganzen Landes findet Lebedew mit der Geschichte des jungen Mannes, der das Schicksal der verlorenen Toten ergründet, ein prägnantes Bild.
© BÜCHERmagazin, Katharina Granzin (kgr)
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Wiebke Porombka entdeckt in Sergej Lebedews Erkundung der offenen Wunden Russlands das archäologische Talent des Autors. Wie der Erzähler im Text auf Grundlage des lückenhaften Tagebuchs der Großmutter das fragwürdige Leben und Wirken des Großvaters rekonstruiert und zugleich die Zwischenzeit der 90er Jahre in seinem Land porträtiert, bis er sich schließlich selbst in den Fallstricken aus Schuld und Misstrauen verfängt, scheint Porombka bemerkenswert. Die Einsicht der Lektüre, dass totalitäre System an der Menschlichkeit nagen und an der Liebe, macht sie betroffen. Wie das Buch, das erst jetzt einen russischen Verlag gefunden hat, in Russland aufgenommen werden wird, darauf ist die Rezensentin gespannt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2016Ein Land frisst sich selbst, es pfeift Banditenwind
Sergej Lebedews Roman "Menschen im August" erzählt von den Nachwirkungen des stalinistischen Terrors
Dass sein Roman in Russland nicht erscheinen dürfe, heißt es im Klappentext von Sergej Lebedews "Menschen im August". Diese Information ist nicht mehr aktuell - immerhin. Mittlerweile hat sich mit Alpina Publishers ein dortiger Verlag gefunden, der das Buch veröffentlicht hat. An dem grundsätzlich bedrückenden Empfinden angesichts der gesellschaftspolitischen Verfasstheit Russlands, in der kritische Perspektiven auf das eigene Land wie auch auf dessen Geschichte nicht erwünscht sind, ändert das freilich kaum etwas. Ebendieser Zustand ist das Thema des 1981 in Moskau geborenen Sergej Lebedew. Um mehr oder minder explizite Redeverbote schert er sich dabei nicht.
In seinen journalistischen Arbeiten geht Lebedew immer wieder mit der Putin-Regierung ins Gericht. Und bereits in seinem literarischen Debüt "Der Himmel auf ihren Schultern" (2013) hat Lebedew nach den Spuren gesucht, die der stalinistische Terror in der Gegenwart hinterlassen hat. Mit "Menschen im August" setzt er diese naturgemäß uferlose Suche nach den offenen Wunden und allenfalls oberflächlichen Vernarbungen fort. Die Greuel der Vergangenheit hat Lebedew nicht mehr selbst erfahren müssen, wohl aber ist er aufgewachsen in einer Atmosphäre, die trotz des Auseinanderbrechens der alten Machtstrukturen der Sowjetunion vom Schweigen sowohl über die Verbrechen wie auch über das Leid bestimmt war (F.A.Z. vom 4. Februar).
Dieses permanente, untergründig dröhnende Schweigen ist es, das Lebedew nicht zu überhören bereit ist. Dass seine Eltern - und für einige Jahre auch er selbst - als Geologen gearbeitet haben, veranschaulicht recht gut das erzählerische Vorgehen Lebedews, der aus den stummen Gesteinsschichten des zwanzigsten Jahrhunderts das auszugraben versucht, was dem Verschütteten eine Stimme verleiht.
Den Ausgangspunkt für die Suchbewegung des Erzählers bildet in "Menschen im August" das Tagebuch der Großmutter, auf das er nach ihrem Tod Anfang der neunziger Jahre im Bücherregal stößt - versteckt im Umschlag eines Gedichtbandes des sechsfachen Stalinpreisträgers Konstantin Simonow. Nicht nur äußerlich ist das Manuskript camoufliert, ähnlich steht es auch um die Notizen der Großmutter selbst. Bewusst lückenhaft, unter vielerlei Auslassungen und in Andeutungen wird darin über das eigene Leben erzählt. Die Großmutter hat das Sprechdiktat des Stalinismus internalisiert und wird während des Schreibens zugleich zu ihrer eigenen Zensorin.
Vor allem interessiert den Enkel die Figur des Großvaters, bisher eine nebulöse und beschwiegene Leerstelle in der Familiengeschichte. Durch die in Andeutungen verbleibenden Aufzeichnungen der Großmutter wird diese Gestalt allerdings eher mysteriöser und ambivalenter als konturierter. "Er war eine sowjetische Bestie, vielleicht", heißt es etwa; ein Mann, so spekuliert der Erzähler, an den sich die Großmutter womöglich nur deshalb band, weil er Schutz vor dem allesverschlingenden System versprach.
Ein paar Rechercheversuche, um mehr über seinen Großvater zu erfahren, unternimmt der Erzähler, bald aber lässt er die Geschichte auf sich beruhen und schlägt sich, wie so viele in dieser postsowjetischen Umbruchphase, mit illegalen Geschäften durch. Bis zu jenem Tag, als er auf der Erprobung einer Schmuggelroute einer alten, beinahe märchenhaft anmutenden Kräuterfrau begegnet, die ihm den in seinen Ohren nicht geheimnisvoll-prophetischen, sondern sehr pragmatisch klingenden Rat gibt: "Such keine Lebenden, such Tote."
Der Zufall - oder die Vorsehung? - will es, dass der Erzähler bald darauf seinen ersten Auftrag zur Toten-Suche bekommt: Er soll, gegen stattliche Bezahlung, den kasachischen Ort finden, an dem ein 1939 Verbannter gestorben ist. Wenigstens eine Handvoll Erde von diesem Ort will dessen Sohn, mittlerweile selbst ein alter Mann, mitnehmen, bevor er den Rest seines Lebens bei seinen nach Amerika ausgewanderten Kindern verbringt. Nichts liegt diesem wie auch den folgenden Auftraggebern, die den Erzähler durch die riesigen, verödeten Gebiete von Verbannung und Gulag reisen lassen, ferner als die Idee einer Entschädigung oder einer juristischen Aufarbeitung. Dass solch ein Ansinnen utopisch wäre, bezweifelt niemand. So ist es das Einzige, wonach die Menschen suchen und was der Erzähler als, wie er es nennt, "historischer Psychotherapeut" zu erfüllen versucht, die Gewissheit darüber, was mit ihren Angehörigen geschehen ist. Und sei es nur die Gewissheit darüber, wo die Überreste derjenigen liegen, die von der ungeheuerlichen stalinistischen Vernichtungsmaschinerie gepackt wurden und im unendlichen, schweigenden Nichts von Tundra und Taiga verschwanden. "Wie ein Magier zauberte ich ganze Lebenslinien aus dem Nichts, knüpfte zerrissene Fäden, (. . .)."
Die neunziger Jahre, von denen Lebedew in "Menschen im August" erzählt, mögen eine Zeit gewesen sein, in der das Fundament der Gesellschaft zwischenzeitlich so brüchig, das Eis so weit angetaut gewesen ist, dass ein Dazwischenkommen, ein Vordringen in tiefere und sorgsam verborgene Schichten möglich war.
Die vermeintlich neue Freiheit hat aber auch Kehrseiten. "Die Straßen waren schon seit fünf Jahren nicht mehr ausgebessert worden; wie der Organismus eines Dystrophikers fraß das Land sich selbst. Über den Asphalt pfiff ein Banditenwind, diese Ebene war herrenlos." Schwerwiegender noch als diese Zerfallserscheinungen stellt sich dem Erzähler dar, dass das, was - als eine Art Gegenbewegung zu seiner eigenen Suchbewegung - nach dem Aufbrechen der überkommenen Machthülle an die Oberfläche gespült wird, durch das grausame Erbe unrettbar vergiftet ist. "Es schien, als würde in dieses kochende Gebräu von Autoabgasen, Gaunerblicken, erbettelten Almosen, gegenseitigen Verwünschungen, von Hoffnungslosigkeit, Blut und Angst unaufhörlich eine ätzende Propagandaflüssigkeit, eine Säure wie von verrückt gewordenen Chemikern gegossen werden, und es war schon so viel von dieser Säure, und keiner bemerkte es."
Dass bald der Tschetschenienkrieg ausbricht, ist die grausame, unvermeidbar erscheinende Konsequenz dieser gesellschaftspolitischen Verfasstheit. Wo über Jahrzehnte Gewalt das gesellschaftsstrukturierende Prinzip gewesen ist, da muss das Miteinander nachgerade zwangsläufig auch in Gewalttätigkeit kippen, wenn die alte Macht nicht mehr greift - "Der pockennarbige Stalin hatte Zeitbomben hinterlassen".
Es ist die logische, nichtsdestoweniger bittere Konsequenz, dass auch der Erzähler sich nicht unbeschadet durch diese verminte Ära bewegen kann, sondern sich unversehens in den seit Jahren ausgelegten Fallstricken aus Schuld und Misstrauen verfängt. Die wohl unheilvollste Einsicht dieses Romans ist, dass in einer derart vergifteten Atmosphäre, in der Schweigen und Verschweigen noch immer zu den Grundprinzipien des Lebens gehören, selbst der Liebe ihre Menschlichkeit abhandenkommt. Ob "Menschen im August" in Russland eine Diskussion auslösen wird, darauf darf man gespannt sein.
WIEBKE POROMBKA
Sergej Lebedew:
"Menschen im August".
Roman.
Aus dem Russischen von Franziska Zwerg. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 368 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sergej Lebedews Roman "Menschen im August" erzählt von den Nachwirkungen des stalinistischen Terrors
Dass sein Roman in Russland nicht erscheinen dürfe, heißt es im Klappentext von Sergej Lebedews "Menschen im August". Diese Information ist nicht mehr aktuell - immerhin. Mittlerweile hat sich mit Alpina Publishers ein dortiger Verlag gefunden, der das Buch veröffentlicht hat. An dem grundsätzlich bedrückenden Empfinden angesichts der gesellschaftspolitischen Verfasstheit Russlands, in der kritische Perspektiven auf das eigene Land wie auch auf dessen Geschichte nicht erwünscht sind, ändert das freilich kaum etwas. Ebendieser Zustand ist das Thema des 1981 in Moskau geborenen Sergej Lebedew. Um mehr oder minder explizite Redeverbote schert er sich dabei nicht.
In seinen journalistischen Arbeiten geht Lebedew immer wieder mit der Putin-Regierung ins Gericht. Und bereits in seinem literarischen Debüt "Der Himmel auf ihren Schultern" (2013) hat Lebedew nach den Spuren gesucht, die der stalinistische Terror in der Gegenwart hinterlassen hat. Mit "Menschen im August" setzt er diese naturgemäß uferlose Suche nach den offenen Wunden und allenfalls oberflächlichen Vernarbungen fort. Die Greuel der Vergangenheit hat Lebedew nicht mehr selbst erfahren müssen, wohl aber ist er aufgewachsen in einer Atmosphäre, die trotz des Auseinanderbrechens der alten Machtstrukturen der Sowjetunion vom Schweigen sowohl über die Verbrechen wie auch über das Leid bestimmt war (F.A.Z. vom 4. Februar).
Dieses permanente, untergründig dröhnende Schweigen ist es, das Lebedew nicht zu überhören bereit ist. Dass seine Eltern - und für einige Jahre auch er selbst - als Geologen gearbeitet haben, veranschaulicht recht gut das erzählerische Vorgehen Lebedews, der aus den stummen Gesteinsschichten des zwanzigsten Jahrhunderts das auszugraben versucht, was dem Verschütteten eine Stimme verleiht.
Den Ausgangspunkt für die Suchbewegung des Erzählers bildet in "Menschen im August" das Tagebuch der Großmutter, auf das er nach ihrem Tod Anfang der neunziger Jahre im Bücherregal stößt - versteckt im Umschlag eines Gedichtbandes des sechsfachen Stalinpreisträgers Konstantin Simonow. Nicht nur äußerlich ist das Manuskript camoufliert, ähnlich steht es auch um die Notizen der Großmutter selbst. Bewusst lückenhaft, unter vielerlei Auslassungen und in Andeutungen wird darin über das eigene Leben erzählt. Die Großmutter hat das Sprechdiktat des Stalinismus internalisiert und wird während des Schreibens zugleich zu ihrer eigenen Zensorin.
Vor allem interessiert den Enkel die Figur des Großvaters, bisher eine nebulöse und beschwiegene Leerstelle in der Familiengeschichte. Durch die in Andeutungen verbleibenden Aufzeichnungen der Großmutter wird diese Gestalt allerdings eher mysteriöser und ambivalenter als konturierter. "Er war eine sowjetische Bestie, vielleicht", heißt es etwa; ein Mann, so spekuliert der Erzähler, an den sich die Großmutter womöglich nur deshalb band, weil er Schutz vor dem allesverschlingenden System versprach.
Ein paar Rechercheversuche, um mehr über seinen Großvater zu erfahren, unternimmt der Erzähler, bald aber lässt er die Geschichte auf sich beruhen und schlägt sich, wie so viele in dieser postsowjetischen Umbruchphase, mit illegalen Geschäften durch. Bis zu jenem Tag, als er auf der Erprobung einer Schmuggelroute einer alten, beinahe märchenhaft anmutenden Kräuterfrau begegnet, die ihm den in seinen Ohren nicht geheimnisvoll-prophetischen, sondern sehr pragmatisch klingenden Rat gibt: "Such keine Lebenden, such Tote."
Der Zufall - oder die Vorsehung? - will es, dass der Erzähler bald darauf seinen ersten Auftrag zur Toten-Suche bekommt: Er soll, gegen stattliche Bezahlung, den kasachischen Ort finden, an dem ein 1939 Verbannter gestorben ist. Wenigstens eine Handvoll Erde von diesem Ort will dessen Sohn, mittlerweile selbst ein alter Mann, mitnehmen, bevor er den Rest seines Lebens bei seinen nach Amerika ausgewanderten Kindern verbringt. Nichts liegt diesem wie auch den folgenden Auftraggebern, die den Erzähler durch die riesigen, verödeten Gebiete von Verbannung und Gulag reisen lassen, ferner als die Idee einer Entschädigung oder einer juristischen Aufarbeitung. Dass solch ein Ansinnen utopisch wäre, bezweifelt niemand. So ist es das Einzige, wonach die Menschen suchen und was der Erzähler als, wie er es nennt, "historischer Psychotherapeut" zu erfüllen versucht, die Gewissheit darüber, was mit ihren Angehörigen geschehen ist. Und sei es nur die Gewissheit darüber, wo die Überreste derjenigen liegen, die von der ungeheuerlichen stalinistischen Vernichtungsmaschinerie gepackt wurden und im unendlichen, schweigenden Nichts von Tundra und Taiga verschwanden. "Wie ein Magier zauberte ich ganze Lebenslinien aus dem Nichts, knüpfte zerrissene Fäden, (. . .)."
Die neunziger Jahre, von denen Lebedew in "Menschen im August" erzählt, mögen eine Zeit gewesen sein, in der das Fundament der Gesellschaft zwischenzeitlich so brüchig, das Eis so weit angetaut gewesen ist, dass ein Dazwischenkommen, ein Vordringen in tiefere und sorgsam verborgene Schichten möglich war.
Die vermeintlich neue Freiheit hat aber auch Kehrseiten. "Die Straßen waren schon seit fünf Jahren nicht mehr ausgebessert worden; wie der Organismus eines Dystrophikers fraß das Land sich selbst. Über den Asphalt pfiff ein Banditenwind, diese Ebene war herrenlos." Schwerwiegender noch als diese Zerfallserscheinungen stellt sich dem Erzähler dar, dass das, was - als eine Art Gegenbewegung zu seiner eigenen Suchbewegung - nach dem Aufbrechen der überkommenen Machthülle an die Oberfläche gespült wird, durch das grausame Erbe unrettbar vergiftet ist. "Es schien, als würde in dieses kochende Gebräu von Autoabgasen, Gaunerblicken, erbettelten Almosen, gegenseitigen Verwünschungen, von Hoffnungslosigkeit, Blut und Angst unaufhörlich eine ätzende Propagandaflüssigkeit, eine Säure wie von verrückt gewordenen Chemikern gegossen werden, und es war schon so viel von dieser Säure, und keiner bemerkte es."
Dass bald der Tschetschenienkrieg ausbricht, ist die grausame, unvermeidbar erscheinende Konsequenz dieser gesellschaftspolitischen Verfasstheit. Wo über Jahrzehnte Gewalt das gesellschaftsstrukturierende Prinzip gewesen ist, da muss das Miteinander nachgerade zwangsläufig auch in Gewalttätigkeit kippen, wenn die alte Macht nicht mehr greift - "Der pockennarbige Stalin hatte Zeitbomben hinterlassen".
Es ist die logische, nichtsdestoweniger bittere Konsequenz, dass auch der Erzähler sich nicht unbeschadet durch diese verminte Ära bewegen kann, sondern sich unversehens in den seit Jahren ausgelegten Fallstricken aus Schuld und Misstrauen verfängt. Die wohl unheilvollste Einsicht dieses Romans ist, dass in einer derart vergifteten Atmosphäre, in der Schweigen und Verschweigen noch immer zu den Grundprinzipien des Lebens gehören, selbst der Liebe ihre Menschlichkeit abhandenkommt. Ob "Menschen im August" in Russland eine Diskussion auslösen wird, darauf darf man gespannt sein.
WIEBKE POROMBKA
Sergej Lebedew:
"Menschen im August".
Roman.
Aus dem Russischen von Franziska Zwerg. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 368 S., geb., 22,99 [Euro].
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In folgereichen Szenen, eine erschreckender und wolfshündischer als die andere, lassen Autor und Erzähler den Leser in die russische Gegenwart stolpern, so unglaublich wie realistisch [...] Gundula Sell Sächsische Zeitung 20160102