Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 59,00 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Im Mittelpunkt dieses Buches stehen die Soldaten der 253. rheinisch-westfälischen Infanteriedivision, die, Ende 1939 aufgestellt, von 1941 bis 1945 ununterbrochen im Krieg gegen die Sowjetunion eingesetzt war. Doch ist dies keine "gewöhnliche" Divisionsgeschichte, wie man sie zu Dutzenden kennt. Es ist vielmehr der erste erfolgreiche Versuch, die sozialen Strukturen, die Führungs-, Sozialisations- und Handlungsmuster und die Bedingungen von Leben, Töten und Sterben im Alltag einer typischen Infanteriedivision der Ostfront zu analysieren. In bisher unerreichter Quellendichte vermittelt die…mehr

Produktbeschreibung
Im Mittelpunkt dieses Buches stehen die Soldaten der 253. rheinisch-westfälischen Infanteriedivision, die, Ende 1939 aufgestellt, von 1941 bis 1945 ununterbrochen im Krieg gegen die Sowjetunion eingesetzt war. Doch ist dies keine "gewöhnliche" Divisionsgeschichte, wie man sie zu Dutzenden kennt. Es ist vielmehr der erste erfolgreiche Versuch, die sozialen Strukturen, die Führungs-, Sozialisations- und Handlungsmuster und die Bedingungen von Leben, Töten und Sterben im Alltag einer typischen Infanteriedivision der Ostfront zu analysieren. In bisher unerreichter Quellendichte vermittelt die Pionierstudie neue, repräsentative Erkenntnisse über die Motivation und das Verhalten deutscher Soldaten während des Krieges, über ihre Einbindung in die Kriegsmaschinerie und über die Spannungen zwischen dem institutionellen Zwang des Militärapparates und der individuellen Verantwortung des Soldaten. Differenziert und sachlich gibt der Autor Antworten auf die vieldiskutierte Frage, wie und unter welchen Umständen aus ganz normalen Soldaten Täter des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges werden konnten. Von ihren 47 Monaten im Osten verbrachte die 253. Inf.Div. 45 im Fronteinsatz, hauptsächlich im Rahmen der Heeresgruppe Mitte. Ihr Weg führte sie bis vor die Tore Moskaus, dann bis 1943 in den aufs härteste umkämpften Frontbogen von Rshew und schließlich 1944/45 über Kowel, die Beskiden und Oberschlesien bis nach Mähren. Im März 1944 war sie in Weißrußland an den berüchtigten Massendeportationen von Osaritschi beteiligt, die Tausenden "arbeitsunfähiger Zivilisten" von Kindern bis zu Greisen den Tod brachten. Der Autor beschreibt präzise und anschaulich die vielfältigen Faktoren, die das Innenleben der Division bestimmten, wie z.B. regionale und soziale Herkunft der Soldaten, das Verhältnis ihrer mitgebrachten Wertanschauungen zu den neuen, im Krieg gewonnenen Erfahrungen, die Lebensbedingungen, Führung und "Haltung der Truppe", die Rolle der "Kameradschaft", dasineinander verwobene System von Belohnung (Orden oder Fürsorge z.B.), Bestrafung (Kriegsgerichtsbarkeit) und politischer Indoktrination und vor allem die verschiedenen Gesichter des Ostkrieges zwischen Eroberung und Rückzug, Besatzung und Ausbeutung. Ein wichtiges neues Buch zur Debatte über die deutsche Wehrmacht und das Verhalten ihrer Soldaten im Kriege.
Autorenporträt
Christoph Rass, Dr. phil., geb. 1969, Promotion 2001 aufgrund vorliegender Arbeit, z. Z. Wiss. Assistent an der RWTH Aachen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2003

Auf Profilsuche
Eine deutsche Infanteriedivision im Spiegel von Karteikarten

Christoph Rass: "Menschenmaterial": Deutsche Soldaten an der Ostfront. Innenansichten einer Infanteriedivision 1939-1945. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2003. 486 Seiten, 39,90 [Euro].

Wie war der Krieg? Nach 1945 schien in Deutschland diese Frage schon fast bis zum Überdruß beantwortet. Erst die Diskussion um die "Wehrmachtsausstellung" hat vor Augen geführt, daß die militärgeschichtliche Empirie in der Bundesrepublik noch in den Anfängen steckt. Unvollkommen ist nicht nur der Blick vom Feldherrnhügel, wie ihn die klassische Operationsgeschichte bietet. Auch die Grabenperspektive des Landsers, den die Alltagsgeschichte favorisiert, reicht meist nicht weit. Wie war er also, der Krieg? Christoph Rass wählt einen höchst ungewöhnlichen Weg zur Beantwortung jener Frage. Mit Hilfe von Tausenden von Personal-, Kranken- und Gerichtsakten rekonstruiert er die Geschichte einer ganz durchschnittlichen Formation der Wehrmacht, der 253. (rheinisch-westfälischen) Infanteriedivision. Ihre Geschichte steht für viele. Überstürzt formiert im Herbst 1939, wurde sie ab Sommer 1941 ausschließlich an der Ostfront eingesetzt. Divisionen dieser Art trugen hier die Hauptlast der Kämpfe. Etwa 17 000 Mann gehörten zu einem solchen Verband, doch sorgten seine exorbitanten Verluste dafür, daß ihn insgesamt über 27 000 Soldaten durchliefen.

Aufs Ganze gesehen bliebe dieses "Menschenmaterial" nicht mehr als eine amorphe Gruppe, in der sich der einzelne bestenfalls über seinen Dienstrang oder seine Dienststellung erfassen ließe. Mit Hilfe der Sozialstatistik gewinnt diese Gruppe dagegen erstmals an Profil. Deutlich werden nun nicht nur Herkunft und Sozialisation dieser Soldaten; auch ihr Weg durch die verschiedenen Einheiten eines solchen Kampfverbands, ihr systemkonformes oder auch systemwidriges Verhalten, kurz: ihr Leben und Sterben in einer typischen Division der deutschen Wehrmacht läßt sich nun sehr genau verfolgen.

Dabei bietet die systematische Auswertung der Karteikarten mitunter völlig neue Einsichten, so etwa im Fall der Militärjustiz. Von den über 2100 Verfahren, die vor dem Feldgericht dieser Division verhandelt wurden, endeten 17 mit einem Todesurteil, von denen dann sieben (während der Jahre 1944/45) vollstreckt wurden. So etwas hebt die schreckliche Gesamtbilanz der deutschen Militärrichter nicht auf, zeigt aber auch, daß es einzelnen in der Truppe zumindest bis 1943 gelang, die Gesetze noch möglichst maßvoll auszulegen. Auch sonst stimmt es nachdenklich, wenn dasselbe Gericht auch im Osten gegen Plünderer und Vergewaltiger vorgehen konnte. Damit wurden vermutlich längst nicht alle Vergehen erfaßt, doch dürften schon die wenigen Fälle Zeichen gesetzt haben.

Bietet das Buch selbst Grundlagenforschung im besten Sinne, so tut sich der Verfasser ganz offensichtlich schwer, diese adäquat einzuordnen. Dem sozialgeschichtlichen Teil von 330 Seiten folgen weitere 70, welche die Überschrift "Krieg" tragen. Ebendieser bleibt aber weitgehend ausgespart. Statt dessen wird die Geschichte dieser Division reduziert auf die ihrer Kriegsverbrechen. Die hat es zweifelsohne gegeben. Ein wirklich vollständiges Bild würde aber erst der Kontext der militärischen Ereignisse bieten - und auch die Bestimmungen des damals herrschenden Kriegsrechts. Einige Beispiele: Nachdem einzelne Divisionsangehörige nach ihrer Gefangennahme im Sommer 1941 ermordet worden waren, wurden ähnliche Verbrechen auch von dieser Division verübt. Die Bemerkung von Rass, "es soll hier nicht argumentiert werden, die Ermordung von [deutschen] Kriegsgefangenen habe die Brutalisierung der Wehrmachtssoldaten ausgelöst", ist nicht nur sprachlich unbeholfen. Recht einseitig erscheint es auch, wenn er einen Bericht vom Dezember 1941, die Division habe seit Feldzugsbeginn 230 Partisanen erschossen, unter deren Verbrechen subsumiert, an anderer Stelle jedoch einräumt, eben diese Partisanen hätten sich seit Oktober zu einer "durchaus realen Bedrohung" dieses Verbands entwickelt.

Beim Thema Ausbeutung wäre der Hinweis angebracht, daß Artikel 52 der Haager Landkriegsordnung einer Besatzungsmacht durchaus erlaubte, Naturalund Dienstleistungen eines besetzten Landes in Anspruch zu nehmen. Freilich mußte dies in einem adäquaten Verhältnis zu den Möglichkeiten dieses Landes stehen. Hier liegt ohne jeden Zweifel das eigentliche Vergehen der Wehrmacht, doch wäre eine Abwägung zwischen ihren Interessen und denen der Landeseinwohner ein Akt der historischen Gerechtigkeit.

Im Grunde hätte diese Pionierstudie etwas Besseres verdient als das, was der Autor schließlich aus ihr macht. Mit seinen Konzessionen erweckt er manchmal den Anschein, als wolle er sich für sein Thema entschuldigen. Im Kern kann das seine Leistungen nicht schmälern. Doch wird an dieser Untersuchung sichtbar, daß auch der Sozialgeschichte bei der Beschreibung des Phänomens Krieg Grenzen gesetzt sind.

CHRISTIAN HARTMANN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Johannes Klotz sieht zumindest für die253. Infanteriedivision die Frage nach der Mittäterschaft von Wehrmachtsoldaten an Mord und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg mit dieser Studie beantwortet. Habe das Münchner Institut für Zeitgeschichte auch die Aussagen der ersten Wehrmachtsausstellung, die die Soldaten als Täter brandmarkte, "relativieren" müssen, so zeige der Autor in seiner Dissertation sehr deutlich, dass nicht nur militärische Zwänge, sondern auch Orden, Geld und Belobigungen die Wehrmachtsoldaten aktiv am "Vernichtungskrieg" mitarbeiten ließen. Damit, so der Rezensent überzeugt, ist diese viel diskutierte Frage zumindest für die 253. Infanteriedivision zweifelsfrei "beantwortet".

© Perlentaucher Medien GmbH