Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 20,00 €
  • Broschiertes Buch

Bilder von Menschenopfern sowie von Gewalttaten jeglicher Art an sakralen Stätten finden sich auf zahlreichen etruskischen Grabmonumenten des 4. bis 1. Jahrhunderts v. Chr. Das Repertoire der Bildthemen ist vielfältig, doch handelt es sich meist um Szenen des griechischen Mythos. In diesem Band werden die übergreifenden Interessen, die in Etrurien an die Darstellungen griechischer Mythen herangetragen werden, untersucht. Als Ergebnis lässt sich feststellen, dass die Grabmonumente von einer historischen Situation zeugen, in der die etruskische Aristokratie das eigene religiöse Erbe pflegte, um…mehr

Produktbeschreibung
Bilder von Menschenopfern sowie von Gewalttaten jeglicher Art an sakralen Stätten finden sich auf zahlreichen etruskischen Grabmonumenten des 4. bis 1. Jahrhunderts v. Chr. Das Repertoire der Bildthemen ist vielfältig, doch handelt es sich meist um Szenen des griechischen Mythos. In diesem Band werden die übergreifenden Interessen, die in Etrurien an die Darstellungen griechischer Mythen herangetragen werden, untersucht. Als Ergebnis lässt sich feststellen, dass die Grabmonumente von einer historischen Situation zeugen, in der die etruskische Aristokratie das eigene religiöse Erbe pflegte, um sich im Innern gegenüber aufstrebenden Bevölkerungsgruppen zu behaupten und sich nach außen, im neuen Machtzentrum Rom, als Bewahrer altehrwürdiger Formen des Kultes zu empfehlen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.1999

Ammenmärchen, Jägerlatein
Dirk Steuernagel erklärt, warum das Bild vom Menschenopfer auf etruskischen Vasen so beliebt war

Trotz der vielen Abbildungen und des etwas schauerromantischen Titels ist "Menschenopfer und Mord am Altar" kein Coffeetablebook für den gebildeten Touristen über die Welt der Etrusker, sondern ein hochkarätiger wissenschaftlicher Text. Der Leser bekommt nichts, aber auch gar nichts geschenkt - dafür hat er ein gutes Buch gekauft.

Wer sich je in den kleinen Museen der Toskana und Umbriens oder auch in Roms Villa Giulia in die Bilder auf den etruskischen Aschenkisten versenkt hat, mag darüber erschrocken gewesen sein, wie viele Menschen auf Altären geopfert wurden. Die beruhigende Idee, dass die klassische Literatur in einer Zeit entstanden sei, in der Menschenopfer nur noch Gegenstand der Iphigeniensage und aus heroischen Zeiten stammender Rituale waren, wird dort mit einem großen Fragezeichen versehen. Einen Reim (wer und warum wurde dort geopfert? Ist "Menschenmord" nur eine bildliche Metapher?) kann sich der Laie darauf freilich nicht machen, wie sich ja auch die Fachleute in den wechselnden Zeiten immer wieder andere Reime darauf gemacht haben.

Steuernagel erlöst uns in gewisser Weise vom "Reimzwang". Er führt den Leser, der sich führen und verführen lässt, auf einen Weg, den er dramaturgisch so übersichtlich wie spannungsreich inszeniert: Über jede Wegstrecke gibt er genaue Auskunft, ohne die Überraschungen hinter kommenden Hügeln und Wegbiegungen zu verraten. Man nähme diesem Buch einen guten Teil seiner Qualität, wollte man es nur auf Thesen und Schlüsse reduzieren. Das wirklich Fesselnde sind die Einzelanalysen, und jeder Leser, der durchhält, wird am Ende überzeugt sein: Viel einfacher hätte es Steuernagel seinem Publikum nicht machen können.

Untersucht werden spezifische mythologische und rituelle Motive auf Aschenkisten - viele davon seltsame Verfremdungen der Motive des trojanischen Sagenkreises - aus der Zeit des Niedergangs der großen etruskischen Städte (vom vierten bis zum ersten Jahrhundert vor Christus). Diese Szenen haben schon immer ein gewisses Kopfschütteln hervorgerufen. Warum so viele Mord- und Todesszenen, fragten sich die Betrachter, warum stehen die Szenen mit ihren Figurenverdopplungen so aberwitzig unscharf neben den literarischen Zeugnissen des Mythos? Ist das die Verflachung der edlen griechischen Kunst und Bildung bei den Etruskern, ist es ein Kult der Grausamkeit, der mit dem etruskischen "Volkscharakter" zu tun hat?

Mit Pauschalurteilen könne man das nicht erklären, sagt Steuernagel und beginnt mit einer sorgfältigen Bestandsaufnahme. Erst danach verdichtet er die einzelnen Befunde zu einer Theorie über die Bedeutung der Darstellung. Zu diesem Zweck machte er einen klug reduzierten, selbständigen Gebrauch des lévi-straussschen Strukturalismus. Vernünftigerweise optiert er nicht für die "Banalisierung" einer Hochkultur, sondern für eine Bedeutung der etruskischen Transformationen, die erst noch zu finden sei. Bei den Opferszenen, die das immer wieder Gleiche zeigen, müsse es sich um mythologisierende Propaganda handeln. Die privilegierte Klasse haben in diesen Szenen die Toten - ihre eigenen Ahnen - heroisiert.

Fast könnte man sagen, dass der Mythos bei den Etruskern die Stelle der Kantlektüre innehatte: Haltungen, kategorische Imperative, sollten eingeübt werden. Die "Symmetriezwangsneurose", die diesen Urnen abzulesen sei, sagt Steuernagel, sei nicht primitiv. Es handelt sich vielmehr um Ideologie.

Kunsthistorisch könnte man die Urnenkunst zwischen den unteritalischen Vasen und den römischen Sarkophagen ansiedeln, sind doch auch diese jeweils obsessiv auf das Todesgrauen gerichtet. Trotz seines scharfen ikonographischen Blicks favorisiert Steuernagel soziologische, nicht formtheoretische Erklärungen. In welcher Weise eine Gesellschaft in Grabkulten den Übergang vom kollektiven Schmerz zum normalen Alltag inszeniert, ist natürlich kulturspezifisch, und Mentalitätserklärungen, sofern sie nicht sehr breit abgestützt werden, sind da oft nicht viel mehr als ein Joker, der sich beliebig ausspielen lässt. Dennoch ist Steuernagels Durchführung bestechend, wenn sich auch gegen einzelne Schlüsse manches einwenden ließe. So etwa gegen die Annahme, "dass die Bilder von Menschenopfern möglicherweise reale Tieropfer des Ahnenkults in prestigeträchtiger Weise interpretieren". Die Nobilitierung der Tieropfer ist wenig einleuchtend und eine Verharmlosung von Menschenopfern, die - obzwar in Etrurien nicht nachweisbar - in Karthago noch praktiziert wurden.

Klar ist, dass mit den Bildern des behandelten Zeitraums die große Ruhe und Gelassenheit der Religion, die uns in den etruskischen Tomben fasziniert, dahin ist: In dieser Paradieswelt wurde von einem gesteigerten Leben geträumt, während in den Jahren des Untergangs der etruskischen Gesellschaft die Jenseitsvorstellungen einen apokalyptischen Anstrich bekamen, die Todesdämonen, die vorher Dekor waren, nun als Akteure auftauchten.

Die Formel des Opernkomponistenstreits - prima la musica, dopo le parole - lautet in der Archäologie: erst die Bilder, dann die Worte. Nach Bachofen entschieden sich viele Gelehrte jedoch dafür, in antiken Vasen- und Urnenbildern nur Textverarbeitungen zu sehen. Gegen diese textgläubigen Archäologen wurde in den siebziger Jahren die These vom Auseinanderdriften von Texterzählung und Bildern anhand unteritalischer Vasenbilder entwickelt, also ausgerechnet an einem Material, das diese These nicht bestätigt: Denn selbst wenn man den medialen Unterschied berücksichtigt, waren diese Vasenthemen tatsächlich literarisiert. Steuernagel hingegen entwickelt die These von der Eigenständigkeit der Bilderzählung an einem Material, wo sie wirklich funktioniert. Sein Buch ist ein Quantensprung in der deutschsprachigen Etruskologie (die es als eigene Disziplin in Deutschland nicht gibt und die der italienischen Etruskologie bislang nur ein Schulterzucken abgenötigt hat). Es schafft den Anschluss an die italienische Diskussion - mehr, es hat auch dieser etwas Neues zu bieten.

CAROLINE NEUBAUR

Dirk Steuernagel: "Menschenopfer und Mord am Altar". Griechische Mythen in etruskischen Gräbern. Palilia, Schriftenreihe des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, Band 3. Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 1999. 274 S., 164 S/W-Abb., br., 78,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"The Etruskian embodiments of the Greek myths in alto-relievo and statues make possible to reconstruct their lost elements unattested in the available corpus of the Greek mythology. Especially, the reflections of the Greek concepts on the Next
World in the Etruskian iconography are of a great importance.
The book includes the catalogue of photographs (305) with a fuil bibliography. lt is published in a high typographical form and is nicely designed..
The publication will be useful for the ethnographers, art critics, historians of religion and culture in general."

By Georgi Boganov
In: Book Review, S. 26