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"Das erste Kapitel legt die historischen und kulturellen westlichen Prägungen der Menschenrechte offen; zugleich werden konkrete Vorschläge entwickelt, wie die Menschenrechte universeller gemacht werden können. Thema des zweiten Kapitels: Die Unfähigkeit unserer Rechtstradition, auch solche Probleme zu erfassen, die nicht in juristischen Personen und Individuen liegen, vielmehr struktureller und kultureller Natur sind. Galtungs Alternativ-Vorschlag stellt (im dritten Kapitel) die menschlichen Grundbedürfnisse in den Mittelpunkt, entwickelt (im vierten Kapitel) ein strukturelles Konzept und…mehr

Produktbeschreibung
"Das erste Kapitel legt die historischen und kulturellen westlichen Prägungen der Menschenrechte offen; zugleich werden konkrete Vorschläge entwickelt, wie die Menschenrechte universeller gemacht werden können. Thema des zweiten Kapitels: Die Unfähigkeit unserer Rechtstradition, auch solche Probleme zu erfassen, die nicht in juristischen Personen und Individuen liegen, vielmehr struktureller und kultureller Natur sind. Galtungs Alternativ-Vorschlag stellt (im dritten Kapitel) die menschlichen Grundbedürfnisse in den Mittelpunkt, entwickelt (im vierten Kapitel) ein strukturelles Konzept und betont bei der Weiterentwicklung des Programms der Menschenrechte sehr stark die Rolle von sozialen Prozessen (fünftes Kapitel). Das Buch schließt mit einem Dialog zwischen den verschiedenen Ansätzen."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.1995

Vier Kilo Identität, fünf Zentner ewiger Frieden
Der Friedensforscher Johan Galtung plädiert für die Erweiterung des Grundwertekatalogs

Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung ist ein guter Mensch und möchte die Welt nach seinem Ebenbilde neu erschaffen. Er ist also gegen die Hegemonie des Westens und für kulturellen Pluralismus. Er ist gegen den zentralistischen Nationalstaat und für kleine, autonome Gemeinschaften. Er ist gegen institutionelle Zwänge und für starke Individuen. Er ist gegen die internationalen Strukturen der Ausbeutung und für die Dritte Welt. Er ist gegen Entfremdung und für identitätsstiftende Nähe. Er ist gegen den jüdisch-christlichen Anthropozentrismus und für den Umweltschutz. Er ist gegen eine Demokratie, die lediglich auf Abstimmungen beruht, und für die Dekonstruktion des Staates. Er ist gegen Gewalt und für die Abschaffung des Krieges.

Selbstverständlich ist es legitim, solche politischen Positionen zu vertreten. Seltsam erscheint nur, wie Johan Galtung sein Programm in die Praxis umsetzen will: Er spricht sich nämlich keineswegs dafür aus, die multinationalen Konzerne und den Kapitalismus abzuschaffen. Statt dessen plädiert er, vergleichsweise bescheiden, für eine Erweiterung des Grundwertekatalogs der Vereinten Nationen. In seinem Buch "Menschenrechte - anders gesehen" schlägt Galtung vor, die Rights of Man nicht länger als einen "speziellen Typ von menschlichen Bedürfnissen anzusehen". Menschenrechte und menschliche Bedürfnisse, so Galtung, seien zwei grundverschiedene Dinge, die man zusammenbringen müsse. Im Idealfall würden die Menschenrechte den menschlichen Bedürfnissen adäquat entsprechen.

Hier handelt es sich offenkundig um die Verwechslung eines Normenkatalogs mit dem Katalog des Otto-Versands. Naturgemäß lassen sich haufenweise Bedürfnisse finden, die in der Menschenrechts-Charta der Vereinten Nationen nicht berücksichtigt werden, etwa das Bedürfnis, seine Notdurft zu verrichten. (Dies ist keine schlechte Satire, das Beispiel stammt vom Autor selbst.) Bloß: Wo steht geschrieben, daß Rechtsnormen dazu da sind, Bedürfnisse zu befriedigen? Johan Galtung, der die Menschenrechte substantialistisch definieren möchte, verstrickt sich sofort in einen grundlegenden Widerspruch. Er, der einen übermäßigen Horror vor jeder Institution hat, ruft zugleich nach der Institutionalisierung dessen, was sich der Institution entzieht. Galtung erinnert an einen Mann, der in einen Supermarkt geht, um drei Pfund Lebenssinn, vier Kilo Identität und fünf Zenter ewigen Frieden zu erwerben, und, als man seinen Wünschen nicht nachkommt, dem Manager empfiehlt, die Angebotspalette zu erweitern.

Auf der gedanklichen Ebene führt dies zu einer heillosen Begriffsverwirrung, auf der stilistischen zu Gewäsch, auf der politischen zu katastrophalen Forderungen. Beginnen wir mit der gedanklichen Ebene: Galtungs Buch ist von keinerlei Skepsis angekränkelt. Sein neuer Rechtekatalog soll nicht etwa das Schlimmste verhindern, er soll aktiv die Menschheit beglücken.

Wir wollen gar nicht mit der naiven Anthropologie rechten, die dem zugrunde liegt (der Mensch an sich sei gut und werde nur von den bösen Institutionen korrumpiert). In Oslo mag es ja noch erlaubt sein, so rousseauistisch zu spekulieren. Mittlerweile allerdings könnte sich Isaiah Berlins Erkenntnis von der "incompatability of the Great Goods" sogar bis nach Norwegen herumgesprochen haben. All die schönen Ideale, die Johan Galtung predigt, sind schlechterdings nicht miteinander vereinbar - es sei denn, man würde schrankenlose Gewalt anwenden. Daß dies keine erfolgversprechende Strategie zur finalen Befriedigung unseres Planeten ist, versteht sich von selbst.

Rosa Brigaden

Derartige Aporien zwingen Galtung, seine Begriffe so lange weichzuspülen, bis nur noch ideologisches Gewäsch übrigbleibt. So versucht er, aus dem allgemeinmenschlichen "Bedürfnis nach Liebe" ein "Recht auf Liebe" abzuleiten. Dieses Recht soll durch den universalen Anspruch auf eine "Primärgruppe" (eine Familie, eine homosexuelle Beziehung, eine nette Wohngemeinschaft) gewährleistet werden.

So weit, so wunderbar - nur wäre der Anspruch damit noch lange nicht abgegolten. Schließlich ist keineswegs gesagt, daß jedem Menschen in seiner hetero- oder homosexuellen Primärgruppe dann auch tatsächlich Liebe zuteil wird. Über diese Problematik findet sich bei Galtung kein Wort; er hätte zumindest anregen können, daß Boútros-Ghali für den Einsatz in erotischen Krisengebieten eine multinationale Streicheleinheit zusammenstellt. Rosa Helme würden sich empfehlen.

Wenn wir uns den tatsächlichen, den ernstgemeinten Forderungen des Autors zuwenden, finden wir noch hübschere Absurditäten. Johan Galtung hegt, wie schon angedeutet, ein abgrundtiefes Mißtrauen gegen zentralistische Strukturen. Er kann sich nicht mit jener "steilen Norm-Triade" anfreunden, in der die Vereinten Nationen die Kommandos geben, während die Nationalstaaten als Befehlsempfänger und die Staatsbürger als Normobjekte fungieren. Abschaffen will Galtung diese zentralistische Struktur dann freilich doch nicht: Er plädiert dafür, die "steile Norm-Triade" durch andere, weniger hierarchische Organisationsformen zu ergänzen.

"An vielen Orten der Welt", schreibt er, "gibt es derzeit eine Tendenz hin zu einer Devolution des Staates. Wie wäre es, wenn man dieser Tendenz entsprechend zumindest bei einigen Rechten deren Inkraftsetzung der lokalen Ebene, den Provinzen, ja sogar den Stadtverwaltungen überlassen würde?" Ein glänzender Vorschlag, der vor allem den amerikanischen Kommunitaristen gefallen dürfte. Die Einwohner von Sarajevo werden etwas weniger entzückt sein - sie sehnen sich nicht nach dem Tag, da die Vereinten Nationen Herrn Karadzic offiziell zum Nachfolger von General Smith ernennen.

Der Autor beginnt sein Buch mit der Bemerkung: "Für einen Friedensforscher ergibt sich das Interesse an Menschenrechten ziemlich natürlich." Das ist eine ziemlich dicke Lüge. Immerhin hat die Friedensbewegung, zu deren führenden Köpfen Galtung gehörte, immer wieder und geradezu wütend darauf bestanden, daß die hehren Diskussionen über die amerikanische Hochrüstung nicht mit der penetranten Frage nach den Menschenrechten vermengt werden dürften. Mit gutem Grund: Man wollte auf keinen Fall mit Debatten über die kommunistischen Diktaturen des Ostblocks behelligt werden.

Bei der Lektüre von Galtungs langem Essay lernen wir, dieser heuchlerischen Haltung nachzutrauern. Es waren schöne Zeiten, als die selbsternannten Friedensforscher die Menschenrechte noch Menschenrechte sein ließen; nun, nach dem Ende des Kalten Krieges, ist die Schonzeit vorbei. HANNES STEIN

Johan Galtung: "Menschenrechte - anders gesehen". Übersetzt von Georg Günther. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main 1994, 235 S., br., 19,80 DM.

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