Europa und die USA werden im 21. Jahrhundert immer mehr durch Kulturen mit anderen Werten gefordert. Obwohl die Menschenrechtskonferenz von Wien 1993 die Universalität der Menschenrechte beschlossen hatte, werden die Entwicklungen in unserem Jahrhundert immer mehr auch andere kulturelle Vorstellungen in den Vordergrund schieben.Der Westen wird vor allem in seiner Individualisierung herausgefordert. In vielen außereuropäischen Kulturen hat sich die Person nie von Gruppe und Staat getrennt. Sie ist weder durch eine Renaissance noch eine Aufklärung gegangen. Ihre Stellung ist vor allem durch Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft gekennzeichnet. Rechte und Freiheiten leiten sich erst aus der Erfüllung von sozialer Verantwortung ab. Ostasien besitzt heute die politische Macht und die wirtschaftlichen Mittel, eigene Sichtweisen in den Raum zu stellen. Seit dem Sieg über die türkischen Heerscharen am Kahlenberg vor den Toren Wiens im Jahre 1683 ist dies die erste echte kulturelle Herausforderung von außen an den Westen. Wenn diese jedoch zu einer Korrektur des extremen Individualismus der westlichen Kultur führen würde, bestünde darin eine große Chance für die Menschenrechte.
Außereuropäische Kulturen hätten einen anderen Blick auf Menschenrechte; für sie stehe nicht das Individuum, sondern die Gemeinschaft an erster Stelle; aus dieser Zugehörigkeit leiten sich Rechte und Verpflichtungen ab. Die Menschenrechtsdiskussion muss sich nach Ansicht des Autors im 21. Jahrhundert mit diesem Aufeinandertreffen zweier Auffassungen von Menschenrechten auseinanderSetzen [...] - Amrei Stupperich in: PRAXIS POLITIK, 5/2016