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Galt die multikulturelle Gesellschaft in den 1980er Jahren weithin als ein emanzipatorisches Projekt, so löst sie heute eher die Sorge vor autoritären Milieustrukturen aus, die vor allem mit dem Islam assoziiert werden. Heiner Bielefeldt entwickelt das Konzept eines aufgeklärten Multikulturalismus, der sowohl seinen Grund als auch seine Grenzen in den Menschenrechten findet. Von diesem Konzept her analysiert er die aktuellen Kontroversen um Kopftuch, Religionsunterricht, Zwangsverheiratungen, Staatsbürgertests und die Integration muslimischer Minderheiten.
Der Band versteht sich als Beitrag zur aktuellen deutschen Integrationsdebatte.
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Produktbeschreibung
Galt die multikulturelle Gesellschaft in den 1980er Jahren weithin als ein emanzipatorisches Projekt, so löst sie heute eher die Sorge vor autoritären Milieustrukturen aus, die vor allem mit dem Islam assoziiert werden. Heiner Bielefeldt entwickelt das Konzept eines aufgeklärten Multikulturalismus, der sowohl seinen Grund als auch seine Grenzen in den Menschenrechten findet. Von diesem Konzept her analysiert er die aktuellen Kontroversen um Kopftuch, Religionsunterricht, Zwangsverheiratungen, Staatsbürgertests und die Integration muslimischer Minderheiten.

Der Band versteht sich als Beitrag zur aktuellen deutschen Integrationsdebatte.
Autorenporträt
Heiner Bielefeldt, Prof. Dr. Dr. h.c. , lehrt Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2008

Der Mensch ohne Alternative

Vor sechzig Jahren, am 10. Dezember 1948, beschlossen die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Zwei Bücher untersuchen die gegenwärtige Menschenrechtsdiskussion.

Diesen Anfang wollte die Skeptikerin doch nicht verloren geben. Wenn er im Licht der gegenwärtigen Erfahrungen und Umstände neu bestimmt werde, könne der Begriff der Menschenrechte wieder bedeutungsvoll werden, schrieb Hannah Arendt im Sommer 1949 in der "Modern Review". Am 10. Dezember 1948 hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte angenommen, mit 48 Jastimmen bei acht Enthaltungen. "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren", heißt es im ersten Absatz. Und in der Präambel wird an die "Akte der Barbarei" erinnert, "die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen" - an den Zivilisationsbruch, die Katastrophenerfahrung der Schoa, die nach 1945 zum Ausgangspunkt einer fundamentalen Neuformulierung der Menschenrechtsidee wurde. Der Nationalstaat hatte als Garant der Rechte des Individuums versagt, die die großen Revolutionen des achtzehnten Jahrhunderts ausbuchstabiert hatten.

Konnte die Rede von den Menschenrechten je wieder mehr sein als "Inbegriff eines heuchlerischen oder schwachsinnigen Idealismus"? Die schonungslose Krisendiagnose, die Hannah Arendt in ihren Überlegungen zu den "Aporien der Menschenrechte" auf den Punkt brachte, legt den Grund einer "stillen Revolution" (Eckart Klein) frei. Ausgehend von der Charta der Vereinten Nationen und der Allgemeinen Erklärung, wurden die Menschenrechte jenseits des Staates zum zentralen Element einer neuen Völkerrechtsordnung. Sie bezeichnen Ansprüche und Verpflichtungen, die heute von den weitaus meisten Staaten der Welt als verbindlich anerkannt werden. In den beiden UN-Menschenrechtspakten von 1966 und einer Vielzahl universaler und regionaler Verträge und Abkommen erfuhren sie juristische Konturierungen, nicht ohne Widersprüche und eine gewisse normative Unübersichtlichkeit.

In der Rückschau erscheint die Wiener Weltmenschenrechtskonferenz von 1993 als Meilenstein in der Entwicklung des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes, der auf unser Verständnis staatlicher Souveränität ausstrahlt. Der Jurist Eckart Klein und der Philosoph Christoph Menke, Direktoren des Menschenrechtszentrums der Universität Potsdam, haben nun einen gewichtigen Sammelband herausgegeben, dessen Beiträge die Themen und Fragestellungen der Wiener Konferenz und ihrer Abschlusserklärung aufnehmen. Zugleich kritische Bilanz und konstruktive Analyse, bietet das Buch eine facettenreiche Momentaufnahme der gegenwärtigen Menschenrechtsdiskussion - zwischen Recht und Politik, Philosophie und Praxis.

Die Universalität der Menschenrechte, die in der Wiener Abschlusserklärung bekräftigt wurde, wirft die Frage nach der Bedeutung von Differenz auf. Auch wenn alle Menschen gleich sind, sind sie doch ziemlich unterschiedlich. Kann man also über "den Menschen" im Singular sprechen? Und sind nicht die Menschenrechte Ausdruck einer spezifisch westlichen Entwicklung, Universalisierungen also Akte des Kulturimperialismus? Mit seinem Plädoyer für einen "erfahrungsgesättigten" historischen Universalismus schneidet Rolf Zimmermann die ernsthafte Auseinandersetzung mit solchen relativistischen Einwänden vorschnell ab. Schließlich sind die Menschenrechte nicht nur eine Absage an in der Geschichte erfahrene Greuel. Sie sind, wie Heiner Bielefeldt entgegenhält, auch eine Zusage, die Freiheit und individuelle Selbstbestimmung ermöglicht. Und als solche, das zeigen Gregor Paul und Georg Lohmann mit Blick auf China, durchaus mit nichtwestlichen Kulturtraditionen in Einklang zu bringen.

Immer neu auszubalancieren ist das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit, denn - so konstatiert die St. Gallener Völkerrechtlerin Kerstin Odendahl - im Verhältnis zwischen Freiheitsrechten und Diskriminierungsverboten habe eine Schwerpunktverlagerung stattgefunden. Das heute gewichtige Diskriminierungsverbot erfährt immer weitere Ausdifferenzierungen, denen Andreas von Arnauld durch eine handlungsorientierte Konzeption begegnen will, "die Kopplungschancen nutzt" und Normen sozialer Inklusion und Exklusion im Interesse einer gerechten Gesellschaft fortwährend auf ihre Berechtigung befragt. Sein subtiler Kommentar ist ein Beispiel für die Diskussionsstränge, die den Leser schnell hineinziehen in einen anregenden Dialog mit den Autoren - selbst wenn er den Band nur als Kompendium zur Hand genommen hat.

Ein Beispiel für immer weitere Ausdifferenzierung ist die jüngste menschenrechtliche Verbürgung, die im Dezember 2006 unterzeichnete UN-Behindertenrechtekonvention, in diesem Mai in Kraft getreten. Theresia Degener zeigt, dass die Vereinten Nationen seit 1993 im Sinne eines substantiellen Gleichheitsverständnisses auf ein soziales Modell von Behinderung setzen, dem es vorrangig um die Veränderung der Umweltbedingungen geht. Nicht mehr der Mensch in seinen individuellen Begrenzungen ist das "Problem", sondern seine gesellschaftliche Exklusion.

Reformbedürftig sind die Institutionen des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes auch nach Ersetzung der diskreditierten UN-Menschenrechtskommission durch den Menschenrechtsrat, den Marten Breuer kritisch unter die Lupe nimmt. Noch immer bleibt viel zu tun, um aus den Menschenrechten durchsetzbare Rechtsansprüche zu machen, auf die sich jeder einzelne Mensch gegenüber jedem Träger hoheitlicher Gewalt berufen kann - auch gegenüber der Staatengemeinschaft. Ohne den politischen Willen der Staaten nützt das beste institutionelle Design nichts, trotz wachsenden Einflusses "zivilgesellschaftlicher Akteure", den mehrere Beiträge spiegeln. Die zahlreichen Vertragsausschüsse, deren Tätigkeit auf speziellen Menschenrechtsverträgen wie der Anti-Folter-Konvention oder der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frauen gründet und sich häufig inhaltlich wie prozedural überschneidet, sind erst auf dem Weg, ihre Arbeitsmethoden und Verfahren zu harmonisieren. Die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtsfragen im Bundesministerium der Justiz, Almuth Wittling-Vogel, fordert in ihren pointierten Innenansichten aus dem Staatenberichtsverfahren außerdem eine verstärkte Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen. Raum dafür sollen nationale Menschenrechtsinstitutionen bieten, wie sie 1993 in Wien postuliert wurden.

Im Nachgang der Wiener Abschlusserklärung wurde 2001 das Deutsche Institut für Menschenrechte ins Leben gerufen, als unabhängige, aber doch regierungsnahe, vom Staat gegründete Einrichtung. Dessen ambivalente "einzigartige Brückenfunktion" (Claudia Mahler) verdeutlicht jenseits formaler Details ein Band, der Aufsätze des Institutsdirektors Heiner Bielefeldt versammelt. Mehrere Beiträge seines "Plädoyers für einen aufgeklärten Multikulturalismus" gehen auf Positionspapiere zurück, die der Theologe, Historiker und Philosoph im Institutsalltag erarbeitet hat. Ob es um Kopftuch, Religionsunterricht, Zwangsheiraten oder Einbürgerungstests geht - stets sind die Menschenrechte bei Bielefeldt Schlüssel zu einem Anspruch auf freie und gleiche Selbstbestimmung, die Respekt für eine Vielfalt kultureller Ausdrucks- und Lebensformen verlangt. "Diese Vielfalt ist allerdings nicht als Selbstzweck zu achten; vielmehr geht es immer zuvörderst um die Freiheit und Gleichberechtigung der Menschen, die die eigentlichen Subjekte menschenrechtlicher Ansprüche sind", schreibt Bielefeldt. Sein liberaler Multikulturalismus, von Charles Taylor und vor allem Will Kymlicka inspiriert, schaut kritisch auf sich selbst und fordert anstelle "geschlossener und intern autoritär strukturierter kultureller Kollektive" eine "offene Pluralität sich wandelnder Lebensläufe".

Daher "impliziert der Menschenrechtsansatz auch Grenzen dessen, was im Namen kultureller Vielfalt akzeptiert werden kann". Also weder Leitkultur noch Parallelgesellschaft. "Der staatliche Auftrag zum Schutz der Menschenrechte in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen ist unvereinbar mit der im gemäßigt-islamistischen Spektrum gewünschten Ausgliederung von Teilbereichen der Rechtsordnung - etwa des Familien- und Erbrechts - aus der Regelungskompetenz des säkularen Rechtsstaats."

Heiner Bielefeldt holt den menschenrechtlichen Universalismus in den innerstaatlichen Diskurs zurück. Er knüpft damit an eine Tradition an, die lange vergessen schien und von jüngeren Verfassungsrechtlern gerade wieder entdeckt und in Erinnerung gerufen wird. Denn das deutsche Grundgesetz vom 23. Mai 1949 war die erste nationale Verfassung, die den von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gesetzten Rechtsstandard berücksichtigte und den Schutz der menschlichen Würde als Fundamentalnorm verankerte.

ALEXANDRA KEMMERER

Heiner Bielefeldt: "Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft". Plädoyer für einen aufgeklärten Multikulturalismus. Transcript Verlag, Bielefeld 2007. 213 S., br., 22,80 [Euro].

Eckart Klein, Christoph Menke (Hrsg.): "Universalität - Schutzmechanismen - Diskriminierungsverbote". 15 Jahre Wiener Weltmenschenrechtskonferenz. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2008. 691 S., br., 89,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Nur Lob äußert Rezensent Leonhard Neidhart zu Heiner Bielefelds Plädoyer für einen an den Menschenrechten orientierten kulturellen und religiösen Pluralismus. Der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte spricht sich für einen "aufgeklärten Multikulturalismus" aus, dem es nicht um die Verteidigung von Kulturen als abstrakten Entitäten geht, sondern um den Schutz der Menschen, die Träger kultureller Traditionen sind. Die Menschenrechte beinhalten ihm zufolge, das Recht jedes Menschen auf freie Selbstbestimmung, solange es nicht zu autoritären oder diskriminierenden Praktiken, wie beispielsweise der Zwangsverheiratung, komme. An dieser und an anderen Fragen, wie dem Konflikt zwischen Scharia und deutschem Grundgesetz und dem Kopftuchstreit, erläutert der Autor exemplarisch die Konsequenzen seines Pluralismus-Konzeptes. Der Rezensent lobt seine Ausführungen als durchweg "relevant, gehaltvoll und gut geschrieben".

© Perlentaucher Medien GmbH
»Heiner Bielefeldt hat ein klar und gründlich geschriebenes, aber gleichzeitig gut lesbares und verständliches Buch vorgelegt, dem ein großer Leserkreis gerade unter denjenigen, die sich für eine Debatte um die Integrationspolitik interessieren, zu wünschen ist.«

amnesty journal, 4 (2008) 20080401