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In einem gottverlassenen und bergigen Landstrich besuchen sich vier Männer: Ein so berühmter wie misanthropischer Theaterautor und sein überaus mysteriöser Fan, ein von der Liebe enttäuschter Übersetzer und sein stiller Bruder. Über so manches sprechen die Männer, doch über weitaus mehr schweigen sie einvernehmlich. In gepflegtem Desinteresse leisten sie einander Gesellschaft und gehen noch in Situationen behutsam miteinander um, deren Komik ins Groteske taumelt. So tanzen sie einen solidarischen Reigen der Einsamkeit und suchen ihr Auskommen, bis plötzlich das Unerwartete seinen Lauf nimmt…mehr

Produktbeschreibung
In einem gottverlassenen und bergigen Landstrich besuchen sich vier Männer: Ein so berühmter wie misanthropischer Theaterautor und sein überaus mysteriöser Fan, ein von der Liebe enttäuschter Übersetzer und sein stiller Bruder. Über so manches sprechen die Männer, doch über weitaus mehr schweigen sie einvernehmlich. In gepflegtem Desinteresse leisten sie einander Gesellschaft und gehen noch in Situationen behutsam miteinander um, deren Komik ins Groteske taumelt. So tanzen sie einen solidarischen Reigen der Einsamkeit und suchen ihr Auskommen, bis plötzlich das Unerwartete seinen Lauf nimmt und sie gemeinsam auf Reisen schickt. Raus aus dieser verlassenen und feindseligen Gegend hinein in ein helleres Italien, wo der eine auftreten soll, sich aber mehr für das Abtreten interessiert, wo der andere nie den Überblick, der dritte jedoch erneut sein Herz verliert. Und wo ein junger und stummer Erzähler endlich das rechte Wort findet.
Autorenporträt
Bereits seit Meine Krönung (2011) erscheinen die Werke von Véronique Bizot im Steidl Verlag auf Deutsch. Für dieses international erfolgreiche Romandebüt erhielt sie den Grand Prix du Roman der französischen Schriftstellervereinigung und den Autorinnenpreis Prix Lilas. Mit Menschenseele stand Véronique Bizot auf der Shortlist für den Prix Medicis 2014.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2017

Blaupause Nietzsche
Véronique Bizots Roman "Menschenseele"

Véronique Bizot hat sich für "Menschenseele" einen passenden Erzähler ausgedacht: Er ist nicht nur genauso einsam wie quasi alle anderen Figuren des Kurzromans (und quasi alle Figuren Bizots allgemein), sondern paradoxerweise auch stumm wie ein Fisch, seit ein Feuer den heimischen Bauernhof und die Familie radikal reduziert hat. Seither gibt er "das langsame, stumme, zurückgebliebene Wesen, den Idioten", um den sich der 25 Jahre ältere Bruder kümmert in der Hoffnung, dass das "Stadium post-traumatischen Denkens" eines Tages sein Ende finden werde. Wie er zur Stimme und zu so etwas wie einer Zukunft findet, das bahnt Bizot vorsichtig am Ende eines Romans an, dessen Motive sich sperrig, rauh und ruppig präsentieren, während der Ton ironische Schwebe bewahrt.

In einer Berglandschaft unweit der italienischen Grenze lässt Bizot vier Eigenbrötler mit gebührendem Abstand umeinander kreisen: Da wäre Adrien Fouks, ein berühmter Theaterautor, der sich ein schmuckes Anwesen gekauft hat. Er alimentiert den älteren Bruder mit den Übersetzungen seiner Stücke ins Italienische, um die er sich nicht weiter kümmert. Montoya, der dritte Protagonist, ist ein rätselhafter Zigarrenraucher, der das ehemalige Atelier eines ebenso mysteriösen Malers bewohnt, ursprünglich eine Autowerkstatt, deren Funktion darin besteht, so einsam und gottverlassen zu sein, dass sie eine ständige Versuchung zum Selbstmord darstellt. Und der vierte, der Erzähler, schweigt, "aus Angst, mich durch einen unbedachten Schrei zu verraten", wie sein Bruder behauptet, dessen aktuelle Aufgabe die dauernde Wacht über den Jüngeren ist. Außer von seiner Übersetzertätigkeit, die kaum genug zum Leben einbringt, erfährt der Leser über diesen Bruder nur, dass er in der Vergangenheit versucht hatte, mit einer psychisch instabilen Turiner Bourgeoisen durchzubrennen.

Die einsamen Wölfe lernen sich kennen und schätzen. Seit der Stumme an einem Nachmittag Balzacs Roman "Eugénie Grandet" verschlungen hat, lässt Fouks ihn in seiner Bibliothek schmökern. Montoya wiederum bringt dem Stummen in einem Gebirgsbach das Schwimmen bei. Der Erzähler lernt bei den drei älteren "Personen ohne Fröhlichkeit" nicht nur, "gerade erst mündig geworden, Einsamkeit und Alter" kennen, sondern schätzt die Welt auch früh illusionsfrei ein. Die Lektüren, bald auf Tageszeitungen erweitert, sind ernüchternd: "Dabei gewann ich den Eindruck, dass die Menschen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu jeder Zeit eine unermesslich große Zahl aberwitziger Initiativen ergriffen, die sie geradewegs ins Desaster führten, und das schien schon eine ganze Weile so zu gehen." Da mag eine isolierte Existenz in Bergen, die einen die "Feindseligkeit des Ortes" erproben lassen, in der Tat eine Option darstellen.

All das ist fortgeschrittene Misanthropie. Bizot, eine Pariser Journalistin, die nach Kurzgeschichten nun ihren dritten Roman präsentiert, könnte Paten aus dem deutschsprachigen Raum erwählt haben. Jedenfalls erinnern die eigenbrötlerisch-exzessiven Bergcharaktere an Thomas Bernhard; manche Einlassungen wecken den Eindruck von sprachlichem Mimetismus. Über Fouks heißt es: "Übrigens sei er damals während eines Aufenthalts an der Riviera auf dieses Vorhaben gekommen, und dann habe er, sagte er mir, den Irrsinn begangen, die Umgebung der Riviera mit der Absicht zu verlassen, das Stück hier in diesem Haus zu schreiben, obwohl er wusste, dass allein das Klima der Riviera das Abfassen dieses Stücks erlaubt hätte, gewiss nicht das Klima, das hier herrschte und das, auch wenn es sich als ideal für eine gewisse Zahl seiner anderen Stücke erwiesen hatte, das Vorankommen von diesem behinderte." Diese Wiedergabe gequälter, obsessiv kreisender Figurenrede mit den Worten des Erzählers bricht gelegentlich durch, bevor die ironische Distanz des Erzählers wieder die Oberhand gewinnt; beiden wird die Übersetzung von Tobias Scheffel und Claudia Steinitz gerecht.

Diskreter präsent ist Nietzsche: durch solitär verachtendes Gedankengut, vor allem aber durch seine Verbindung mit dem Setting. Die Handlung nimmt ihre Wende bei einem Ausflug nach Turin; die Szene von Nietzsches dortigem Sturz in den Wahnsinn ist eine Blaupause. Doch unverkennbar eigen ist der Ton, mit dem Bizot ihre Elemente sparsam, opak und dennoch filigran zusammenführt: Inmitten existentieller Abgründe bewahrt sie gelassene Distanz. Der Stumme lernt, dass das Leben gelebt werden will, dass dazu Leichtigkeit nötig ist. In "Menschenseele" ist es die seiner bezaubernden Erzählstimme.

NIKLAS BENDER

Véronique Bizot: "Menschenseele". Roman.

Aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Claudia Steinitz. Steidl Verlag, Göttingen 2016. 144 S., geb., 18,- [Euro].

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