Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.03.2011Wirtschaftsbücher
In die Öko-Zukunft
wandern
Der Mensch zerstört, der Mensch gestaltet. Fragt sich nur, in welchem Verhältnis. Homo sapiens lebt auf Kosten der Natur, so viel ist gewiss, aber kann er auch anders? Und wenn ja, wie muss sich sein Leben und das von demnächst sieben Milliarden weiteren Menschen ändern? Wie könnte das „Anthropozän“ aussehen, die zukünftige Epoche des großen ökologischen Aufbruchs?
Das ist die Frage, die der Spiegel -Journalist Christian Schwägerl in „Menschenzeit“ stellt. Zunächst aber liefert er eine anschauliche Bilanz unserer Öko-Sünden. Zum Beispiel beim Fischfang, der – staatlich subventioniert – die weltweiten Bestände bedroht. Zum Beispiel beim Klima: Wenn alle so viel Treibhausgase erzeugen würden wie die Deutschen, dann wäre die Atmosphäre bereits in acht Jahren mit so viel Kohlendioxid angereichert, dass die Erdtemperatur zwangsläufig um zwei Grad Celsius steigen würde. Diese rote Linie der Klimaforscher wäre damit zur Mitte des Jahrhunderts überschritten, ohne Aussicht auf eine Wende. Zum Beispiel Wald: Unaufhaltsam schrumpft er, um Zuckerrohr- oder Soja-Plantagen zu weichen, die für die Treibstoff und Fleischproduktion gebraucht werden. Das Grundmuster unserer Wirtschaftsordnung lautet: Der kurzfristige Nutzen schlägt den längerfristigen Wert. Unser westlicher Lebensstil, das wird mit jedem Tag deutlicher, ist nicht globalisierbar.
So weit die bedrückende Diagnose. Doch Schwägerl mag nicht den Weltuntergang beschwören, sondern den „Weltaufgang“ einläuten. Was die Therapie betrifft, offenbart sich der Autor als grüner Utopist. Schwägerl, der Biologie studiert hat, kann sich vorstellen, dass bionische, also der Natur nachempfundene U-Boote durch die Weltmeere kreuzen, Plastikmüll aufsammeln und daraus ihren Treibstoff produzieren. Sein Vorbild ist der amerikanische Genforscher Craig Venter, der Bakterien genetisch zu kleinen Energiemaschinen manipulieren will. Überhaupt setzt Schwägerl ganz auf die Kraft der Forschung, um aus einem ausgebeuteten Ökosystem ein Öko-Paradies zu machen. Wenn jemand es verdient habe, in Champagner zu baden, dann die Ökologen, Agrarforscher und Energieexperten, schreibt er, nicht aber die Banker, die sich faule Derivate ausdachten.
Bei so viel Forschungseuphorie kann einem dann doch mulmig werden. Die Vorstellung, dass es zu jedem Öko-Problem eine technische Lösung gebe, mutet arg positivistisch an. Man denke nur an die unterirdische Verpressung von Kohlendioxid. Sie war zunächst als Lösung des Klimaproblems gepriesen worden, doch die technischen Schwierigkeiten und die Widerstände der Bürger erweisen sich als enorm.
Ohnehin verlangt die Umsteuerung einer individualistischen Gesellschaft, die Ressourcen schont statt sie zu verschwenden, eine kluge Politik. Diese muss erstens global gerecht sein, daran ist zum Beispiel ein weltweites Klimaabkommen bisher gescheitert. Sie muss allgemeine Regeln verordnen – letztlich wird es darum gehen, die Kosten der Umweltzerstörung zu beziffern und sie auf die Produktion umzulegen – ohne Menschen einzuengen. Das hat Schwägerl richtig erkannt – auch deshalb ist sein Kapitel „Erleichtert leben“ über den individuellen Ansatz das stärkste des Buches. Darin vergleicht er den Weg in eine Öko-Zukunft mit dem eines Wanderers. Wer leicht reisen will, muss gut überlegen, was er mitnimmt. Das schärft die Sinne und macht erfinderisch. Auf der Wanderung ist es wichtig, sich unterwegs nicht vormachen zu lassen, das Ziel sei schon erreicht. Und zum Schluss: Die Wanderung war anstrengend, aber die Sicht belohnt für alle Mühen.
Jeanne Rubner
Christian Schwägerl: Menschenzeit. Zerstören oder gestalten? Die entscheidende Epoche unseres Planeten. Riemann Verlag, München 2010.
320 Seiten. 19,95 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In die Öko-Zukunft
wandern
Der Mensch zerstört, der Mensch gestaltet. Fragt sich nur, in welchem Verhältnis. Homo sapiens lebt auf Kosten der Natur, so viel ist gewiss, aber kann er auch anders? Und wenn ja, wie muss sich sein Leben und das von demnächst sieben Milliarden weiteren Menschen ändern? Wie könnte das „Anthropozän“ aussehen, die zukünftige Epoche des großen ökologischen Aufbruchs?
Das ist die Frage, die der Spiegel -Journalist Christian Schwägerl in „Menschenzeit“ stellt. Zunächst aber liefert er eine anschauliche Bilanz unserer Öko-Sünden. Zum Beispiel beim Fischfang, der – staatlich subventioniert – die weltweiten Bestände bedroht. Zum Beispiel beim Klima: Wenn alle so viel Treibhausgase erzeugen würden wie die Deutschen, dann wäre die Atmosphäre bereits in acht Jahren mit so viel Kohlendioxid angereichert, dass die Erdtemperatur zwangsläufig um zwei Grad Celsius steigen würde. Diese rote Linie der Klimaforscher wäre damit zur Mitte des Jahrhunderts überschritten, ohne Aussicht auf eine Wende. Zum Beispiel Wald: Unaufhaltsam schrumpft er, um Zuckerrohr- oder Soja-Plantagen zu weichen, die für die Treibstoff und Fleischproduktion gebraucht werden. Das Grundmuster unserer Wirtschaftsordnung lautet: Der kurzfristige Nutzen schlägt den längerfristigen Wert. Unser westlicher Lebensstil, das wird mit jedem Tag deutlicher, ist nicht globalisierbar.
So weit die bedrückende Diagnose. Doch Schwägerl mag nicht den Weltuntergang beschwören, sondern den „Weltaufgang“ einläuten. Was die Therapie betrifft, offenbart sich der Autor als grüner Utopist. Schwägerl, der Biologie studiert hat, kann sich vorstellen, dass bionische, also der Natur nachempfundene U-Boote durch die Weltmeere kreuzen, Plastikmüll aufsammeln und daraus ihren Treibstoff produzieren. Sein Vorbild ist der amerikanische Genforscher Craig Venter, der Bakterien genetisch zu kleinen Energiemaschinen manipulieren will. Überhaupt setzt Schwägerl ganz auf die Kraft der Forschung, um aus einem ausgebeuteten Ökosystem ein Öko-Paradies zu machen. Wenn jemand es verdient habe, in Champagner zu baden, dann die Ökologen, Agrarforscher und Energieexperten, schreibt er, nicht aber die Banker, die sich faule Derivate ausdachten.
Bei so viel Forschungseuphorie kann einem dann doch mulmig werden. Die Vorstellung, dass es zu jedem Öko-Problem eine technische Lösung gebe, mutet arg positivistisch an. Man denke nur an die unterirdische Verpressung von Kohlendioxid. Sie war zunächst als Lösung des Klimaproblems gepriesen worden, doch die technischen Schwierigkeiten und die Widerstände der Bürger erweisen sich als enorm.
Ohnehin verlangt die Umsteuerung einer individualistischen Gesellschaft, die Ressourcen schont statt sie zu verschwenden, eine kluge Politik. Diese muss erstens global gerecht sein, daran ist zum Beispiel ein weltweites Klimaabkommen bisher gescheitert. Sie muss allgemeine Regeln verordnen – letztlich wird es darum gehen, die Kosten der Umweltzerstörung zu beziffern und sie auf die Produktion umzulegen – ohne Menschen einzuengen. Das hat Schwägerl richtig erkannt – auch deshalb ist sein Kapitel „Erleichtert leben“ über den individuellen Ansatz das stärkste des Buches. Darin vergleicht er den Weg in eine Öko-Zukunft mit dem eines Wanderers. Wer leicht reisen will, muss gut überlegen, was er mitnimmt. Das schärft die Sinne und macht erfinderisch. Auf der Wanderung ist es wichtig, sich unterwegs nicht vormachen zu lassen, das Ziel sei schon erreicht. Und zum Schluss: Die Wanderung war anstrengend, aber die Sicht belohnt für alle Mühen.
Jeanne Rubner
Christian Schwägerl: Menschenzeit. Zerstören oder gestalten? Die entscheidende Epoche unseres Planeten. Riemann Verlag, München 2010.
320 Seiten. 19,95 Euro.
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