Der Dichter Klabund (1890-1928) widmete Schloss Zeesen im Jahre 1926 eine Ode. Wenig später wurde das Schloss, einst Domizil der Berliner Finanz- und Kulturaristokratie, Sommerresidenz des Schauspielers und Regisseurs Gustaf Gründgens (1899-1963). Klaus Völker beschreibt detailliert die Inspiration die der Ort auf das Leben und die Arbeit Gründgens ausübte.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2021Nackt auf der Veranda
Gustaf Gründgens kauft sich ein Sommerhaus
Überhaupt nicht feierlich ist die „Ode an Zeesen“, die Klabund, mit bürgerlichem Namen Alfred Henschke, 1926 verfasste: „Und ich sitze nackt auf der Veranda / Wie des Sommers Gott / Sitz ich nackt und faul auf der Veranda / Violett umblühen mich Bethulien...“.
Allein war er nicht, gemeinsam mit seiner Frau, der Schauspielerin Carola Neher, hatte der Schriftsteller, der an einer Lungenkrankheit litt, ab Mai gut zwei Monate auf Schloss Zeesen südöstlich von Berlin verbringen dürfen. Den Privatdruck der Ode, durch deren ersten Zeile die Züge der Bahnstrecke nach Königs Wusterhausen rollten, widmete er seinem Gastgeber, dem Bankier Ernst Goldschmidt.
Der kannte die Berliner Kultur- und vor allem Theaterszene genau so gut wie die Finanzwelt. In seiner Villa am Wannsee, dem heutigen Literarischen Colloquium Berlin, hatte Carl Zuckmayer sein Lustspiel „Der fröhliche Weinberg“ (1925) verfasst. Zuckmayer, der weitläufig mit dem Bankier verwandt war, stellte die Verbindung zwischen Goldschmidt und Klabund her.
Klaus Völker, langjähriger Dramaturg, Kenner der Theatergeschichte nicht nur Berlins, von 1993 bis 2005 Rektor der Schauspielschule Ernst Busch, erzählt die Geschichte von Schloss Zeesen im zwanzigsten Jahrhundert chronikalisch knapp, ohne ausschweifende Kommentare. Der nackte Sommergott Klabund bestreitet das Vorspiel, rasch tritt der Mäzen Goldschmidt ab, er stirbt schon 1934.
Es folgt der große Auftritt des neuen Schlossherrn Gustaf Gründgens. Sein „Mephisto“ entstammte noch der späten Weimarer Republik, im Frühjahr 1934 ist er schon der Schützling Görings. Vollständig hat sich nie klären lassen, wie viel Druck auf den jüdischen Verkäufer, den Sohn Ernst Goldschmidts, bei dem Kauf im Spiel war. Der Anwalt, der ihn für Gründgens abwickelte, war SA-Mitglied und wurde wenig später, Anfang Juli 1934 beim Röhm-Putsch ermordet. Gründgens bewohnte Schloss und Park samt zwei Kavaliershäusern, einem Gewächshaus und Bootshaus am See mit Marianne Hoppe. Als er sie 1936 heiratete, war der Hamlet seine neue Paraderolle. Es gab keine Flitterwochen, dafür den gemeinsamen Film „Capriolen“ mit Hochzeits-Happy-End. Der Volksmund verzog sich dennoch grinsend.
Klaus Völker interessiert sich zu recht nicht nur für die Schlossbewohner und die Dreharbeiten im Park für „Der Schritt vom Wege“ (1939) mit Marianne Hoppe in der Hauptrolle, sondern auch für Gäste. Bis am Himmel über Zeesen die Bomber auftauchen, die nach Berlin fliegen. Zu den Gästen gehören auch jüdische Anverwandte von Kolleginnen und Kollegen, die auf dem Anwesen des Generalintendanten der Preußischen Staatstheater, der auf der „Gottbegnadetenliste“ steht, Schutz suchen. Nach dem Krieg beschlagnahmte die Sowjetarmee das Anwesen, in der DDR wurde das Schloss zum Heim zunächst für Waisenkinder, dann für die Kinder von Diplomaten. In den frühen Neunzigerjahren kamen Hausbesetzer aus dem nahen Berlin. Die sind nun auch schon Geschichte. Eine Zukunft gibt es bisher nicht für Schloss Zeesen.
Innerhalb der Reihe „Buntbücher“ des Kleist-Museums in Frankfurt an der Oder ist dieser schmale, reich illustrierte Band erschienen, der Buchgestalter Günter Bose hat ihn zu einer Augenweide gemacht. Es gibt dazu einen noch schmaleren Vorläufer. Diese deutlich erweiterte Neuauflage reicht bis in die unmittelbare Gegenwart, in der ein Neubesitzer nach Investoren für die Errichtung einer Seniorenresidenz auf Schloss Zeesen sucht.
LOTHAR MÜLLER
Klaus Völker: Mephistos Landhaus. Klabund (1926) und Gründgens (1934-1946) in Zeesen. Frankfurter Buntbücher 46. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2020. 32 Seiten, 33 Abb., 8 Euro.
Gustav Gründgens und Marianne Hoppe in ihrem Landhaus. Wie viel Druck auf den jüdischen Vorbesitzer, den Sohn des Bankiers Ernst Goldschmidt, ausgeübt wurde, hat sich nie abschließend klären lassen.
Fotos: Quintus Verlag
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Gustaf Gründgens kauft sich ein Sommerhaus
Überhaupt nicht feierlich ist die „Ode an Zeesen“, die Klabund, mit bürgerlichem Namen Alfred Henschke, 1926 verfasste: „Und ich sitze nackt auf der Veranda / Wie des Sommers Gott / Sitz ich nackt und faul auf der Veranda / Violett umblühen mich Bethulien...“.
Allein war er nicht, gemeinsam mit seiner Frau, der Schauspielerin Carola Neher, hatte der Schriftsteller, der an einer Lungenkrankheit litt, ab Mai gut zwei Monate auf Schloss Zeesen südöstlich von Berlin verbringen dürfen. Den Privatdruck der Ode, durch deren ersten Zeile die Züge der Bahnstrecke nach Königs Wusterhausen rollten, widmete er seinem Gastgeber, dem Bankier Ernst Goldschmidt.
Der kannte die Berliner Kultur- und vor allem Theaterszene genau so gut wie die Finanzwelt. In seiner Villa am Wannsee, dem heutigen Literarischen Colloquium Berlin, hatte Carl Zuckmayer sein Lustspiel „Der fröhliche Weinberg“ (1925) verfasst. Zuckmayer, der weitläufig mit dem Bankier verwandt war, stellte die Verbindung zwischen Goldschmidt und Klabund her.
Klaus Völker, langjähriger Dramaturg, Kenner der Theatergeschichte nicht nur Berlins, von 1993 bis 2005 Rektor der Schauspielschule Ernst Busch, erzählt die Geschichte von Schloss Zeesen im zwanzigsten Jahrhundert chronikalisch knapp, ohne ausschweifende Kommentare. Der nackte Sommergott Klabund bestreitet das Vorspiel, rasch tritt der Mäzen Goldschmidt ab, er stirbt schon 1934.
Es folgt der große Auftritt des neuen Schlossherrn Gustaf Gründgens. Sein „Mephisto“ entstammte noch der späten Weimarer Republik, im Frühjahr 1934 ist er schon der Schützling Görings. Vollständig hat sich nie klären lassen, wie viel Druck auf den jüdischen Verkäufer, den Sohn Ernst Goldschmidts, bei dem Kauf im Spiel war. Der Anwalt, der ihn für Gründgens abwickelte, war SA-Mitglied und wurde wenig später, Anfang Juli 1934 beim Röhm-Putsch ermordet. Gründgens bewohnte Schloss und Park samt zwei Kavaliershäusern, einem Gewächshaus und Bootshaus am See mit Marianne Hoppe. Als er sie 1936 heiratete, war der Hamlet seine neue Paraderolle. Es gab keine Flitterwochen, dafür den gemeinsamen Film „Capriolen“ mit Hochzeits-Happy-End. Der Volksmund verzog sich dennoch grinsend.
Klaus Völker interessiert sich zu recht nicht nur für die Schlossbewohner und die Dreharbeiten im Park für „Der Schritt vom Wege“ (1939) mit Marianne Hoppe in der Hauptrolle, sondern auch für Gäste. Bis am Himmel über Zeesen die Bomber auftauchen, die nach Berlin fliegen. Zu den Gästen gehören auch jüdische Anverwandte von Kolleginnen und Kollegen, die auf dem Anwesen des Generalintendanten der Preußischen Staatstheater, der auf der „Gottbegnadetenliste“ steht, Schutz suchen. Nach dem Krieg beschlagnahmte die Sowjetarmee das Anwesen, in der DDR wurde das Schloss zum Heim zunächst für Waisenkinder, dann für die Kinder von Diplomaten. In den frühen Neunzigerjahren kamen Hausbesetzer aus dem nahen Berlin. Die sind nun auch schon Geschichte. Eine Zukunft gibt es bisher nicht für Schloss Zeesen.
Innerhalb der Reihe „Buntbücher“ des Kleist-Museums in Frankfurt an der Oder ist dieser schmale, reich illustrierte Band erschienen, der Buchgestalter Günter Bose hat ihn zu einer Augenweide gemacht. Es gibt dazu einen noch schmaleren Vorläufer. Diese deutlich erweiterte Neuauflage reicht bis in die unmittelbare Gegenwart, in der ein Neubesitzer nach Investoren für die Errichtung einer Seniorenresidenz auf Schloss Zeesen sucht.
LOTHAR MÜLLER
Klaus Völker: Mephistos Landhaus. Klabund (1926) und Gründgens (1934-1946) in Zeesen. Frankfurter Buntbücher 46. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2020. 32 Seiten, 33 Abb., 8 Euro.
Gustav Gründgens und Marianne Hoppe in ihrem Landhaus. Wie viel Druck auf den jüdischen Vorbesitzer, den Sohn des Bankiers Ernst Goldschmidt, ausgeübt wurde, hat sich nie abschließend klären lassen.
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