Produktdetails
- Verlag: Döcker
- Seitenzahl: 266
- Deutsch
- Abmessung: 250mm
- Gewicht: 748g
- ISBN-13: 9783851152746
- ISBN-10: 3851152743
- Artikelnr.: 26460889
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2000Wein nicht um mich, Frühere Jugoslawische Republik Mazedonien
Lohengrin sang keine Arie: Jan Feddersen kann Französisch und kennt alle Mysterien des Grand Prix Eurovision de la Chanson
Am Donnerstag, dem 24. Mai 1956, schrieb Lohengrin Filipello europäische Fernsehgeschichte, als er den Gran Premio Eurovisione della Canzone Europea aus dem Teatro Kursaal in Lugano moderierte. Damals konkurrierten vierzehn Lieder aus sieben Ländern (den EWG-Staaten und der Schweiz) um die Palme des Sieges. Die vierzehnköpfige Jury war im Saal anwesend und entschied sich in geheimer Beratung für den Schweizer Beitrag "Refrain", vorgetragen von Lys Assia. Die weiteren Platzierungen wurden nicht bekannt gegeben, weshalb Walter Andreas Schwarz und Freddy Quinn die Aufnahme in die Statistiken des Wettbewerbs versagt blieb.
Der Gedanke, dass man die bisherigen Austragungen des Eurovision Song Contest in einem Buch verdichten könnte, mit sämtlichen Wertungen aller beteiligten Jurys und angereichert mit allen möglichen Statistiken, hat sich im deutschen Sprachraum bisher nicht durchsetzen können, weshalb der Döcker Verlag Jan Feddersens Buch als eine Premiere anpreist. Der Autor weckt Erinnerungen an die ganz frühen Wettbewerbe, bei denen manches nach heutigen Vorstellungen sehr ungewöhnlich verlief. So hatten Österreich, Dänemark und Großbritannien bei der Premiere 1956 die Anmeldefrist verpasst und debütierten erst im Folgejahr. 1957 fand der Wettbewerb erstmals in Deutschland statt, denn die Regel, dass das Land des Vorjahressiegers den Wettbewerb ausrichtet, gab es noch nicht. Im Großen Sendesaal des Hessischen Rundfunks wurde die erste Punktetabelle gezeigt, und die Jurys gaben ihre Wertungen erstmals telefonisch durch. Die Britin Patricia Bredin trug mit "All" in 112 Sekunden das bis heute kürzeste Lied vor, und der Italiener Nunzio Gallo interpretierte die Dreieinhalb-Minuten-Regel durch die Rekordlänge von fünf Minuten und neun Sekunden. Die niederländische Siegerin Corry Brokken empfahl sich als spätere Showmasterin im deutschen Fernsehen.
1958 war die Technik noch nicht zu der heute gewohnten Perfektion herangereift, und der erste Beitrag "Nel blu dipinto di blu" von Domenico Modugno konnte nicht in allen Ländern gehört werden. Zwar durfte Modugno sein Lied noch ein zweites Mal vortragen, doch vielleicht war die Panne die Ursache dafür, dass der spätere italienische Welthit, der unter dem Titel "Volare" berühmt wurde, nur auf dem dritten Rang landete.
Jan Feddersen plaudert sich durch die weiteren Wettbewerbe, erzählt von den Besonderheiten der jeweiligen Veranstaltungen, stellt fast alle Teilnehmer vor und beschreibt den Verlauf der Wertungen. Manche Jahre erscheinen dem Leser interessanter, andere langweiliger, was natürlich sehr subjektiv ist. Man neigt dazu, einzelne Jahre zu überspringen, und liest zunächst nur die Jahreschroniken, die einen interessieren. Beim Blättern stößt man aber auch immer wieder auf die zahlreichen Querverweise oder auf die Tabellen, die die Aufmerksamkeit auf Jahrgänge lenken, die man zunächst nicht beachtet hat. Da schnappt man beispielsweise plötzlich auf, dass die Kessler-Zwillinge am Wettbewerb teilgenommen haben, man liest nach und ist fasziniert, dass die beiden (Jahrgang 1936) 1955 im Alter von neunzehn Jahren als Siebzehnjährige im Pariser Lido aufgetreten sind. Die Hintergründe zum Grand Prix sind oft spannender als das eigentliche Ereignis. So kann man selbst bei mäßigem Interesse am eigentlichen Song Contest einige Stunden mit dem Buch verbringen und immer wieder verblüffende Details aus den vergangenen vierundvierzig Jahren zu Tage fördern. Dabei werden Erinnerungen an eigene vergangene Lebensabschnitte geweckt.
Erinnerungen an Lieder sind in erster Linie persönlich, doch Feddersen lässt auch vergangene politische Verhältnisse wieder gegenwärtig werden. 1969 verzichtete Österreich auf die Teilnahme in Spanien, weil Franco den damaligen Verantwortlichen als zu rechtslastig erschien. In jenem Jahr gab es gleich vier Siegerinnen. Danach wurden die Regeln so eingeschränkt, dass ein derartiges Ergebnis heute zwar möglich, aber sehr unwahrscheinlich ist.
Seit 1993 ist Jugoslawien wegen Unwürdigkeit von der Teilnahme ausgeschlossen. Dafür debütierten Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien. Später folgten diesen drei Ländern noch Estland, Litauen, Polen, Rumänien, Russland, die Slowakei, die Frühere Jugoslawische Republik Mazedonien und dieses Jahr Lettland. Was der Grand Prix für die Länder aus dem Osten Europas bedeutet, spricht ein rumänischer Delegierter aus: "Wir wollten immer zu Europa gehören, und der Song Contest ist das einzige Stück Europa, das ohne politische Einigung funktioniert. Deshalb wollen wir ein Teil dieser Welt sein."
1995 gab es keine deutsche Vorausscheidung. Es wird kolportiert, dass die Intendanz des zuständigen Mitteldeutschen Rundfunks nach dem Kriterium "Welches Lied würde Bundeskanzler Kohl wohl am besten gefallen" Stone & Stone mit "Verliebt in dich" (gemeint war Gott, nicht Kohl) nach Dublin schickte. Der deutsche Beitrag landete mit einem Mitleidspunkt aus Malta auf dem letzten Platz, aber Malta verbuchte einen zwanzigprozentigen Zuwachs an deutschen Touristen.
Seit 1999 ist das Televoting für alle Teilnehmerstaaten bindend. Die Bevölkerungen Europas telefonieren selbst und haben sich von ihren nicht gewählten Jury-Vertretern emanzipiert. Das Teilnehmerfeld beschränkt sich auf neunzehn Länder plus Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien und Großbritannien, die als größte Einzahler in den Eurovisionstopf automatisch qualifiziert sind - wer zahlt, befiehlt.
Die Statistik liefert den Beweis, dass Deutschland zwar nicht die erfolgreichste Nation ist, aber auf vielen Gebieten Spitzenleistungen aufweist, so den Sänger mit dem längsten Namen und das Lied mit dem längsten Titel. Nur fünf Länder schafften es, öfter als Deutschland punktefrei aus der Endausscheidung hervorzugehen. Die meisten Punkte erhielten deutsche Beiträge bisher von Spanien, Portugal, Belgien, Großbritannien und Schweden, die wenigsten Zähler kamen aus Mazedonien, Litauen, Russland, der Slowakei und Marokko. Der Wert solcher Daten relativiert sich jedoch, wenn man bedenkt, dass Marokko bei seiner einzigen Teilnahme 1980 nur der Türkei mehr Punkte zuerkannte.
Wer bei der Übertragung aus der Globen Arena in Stockholm kompetent mitreden will, sollte sich schnellstens noch Feddersens Buch beschaffen. Wer das nicht mehr rechtzeitig schafft, kann diesen Mangel allenfalls dadurch ausgleichen, dass er seinen Gästen Dosenbiere aus den vierundzwanzig teilnehmenden Ländern kredenzt. Dass man die Frage nach den Wertungen auf Französisch beherrscht, versteht sich von selbst. (Falls Sie wirklich auf das Buch verzichten: "Puis j'avoir vos votes, s'il vous plaît.")
HARTMUT HÄNSEL
Jan Feddersen: "Merci, Jury!" Die Geschichte des Grand Prix Eurovision de la Chanson - Zahlen, Daten, Storys. Döcker Verlag, Wien 2000. 266 S., 92 Abb., br., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lohengrin sang keine Arie: Jan Feddersen kann Französisch und kennt alle Mysterien des Grand Prix Eurovision de la Chanson
Am Donnerstag, dem 24. Mai 1956, schrieb Lohengrin Filipello europäische Fernsehgeschichte, als er den Gran Premio Eurovisione della Canzone Europea aus dem Teatro Kursaal in Lugano moderierte. Damals konkurrierten vierzehn Lieder aus sieben Ländern (den EWG-Staaten und der Schweiz) um die Palme des Sieges. Die vierzehnköpfige Jury war im Saal anwesend und entschied sich in geheimer Beratung für den Schweizer Beitrag "Refrain", vorgetragen von Lys Assia. Die weiteren Platzierungen wurden nicht bekannt gegeben, weshalb Walter Andreas Schwarz und Freddy Quinn die Aufnahme in die Statistiken des Wettbewerbs versagt blieb.
Der Gedanke, dass man die bisherigen Austragungen des Eurovision Song Contest in einem Buch verdichten könnte, mit sämtlichen Wertungen aller beteiligten Jurys und angereichert mit allen möglichen Statistiken, hat sich im deutschen Sprachraum bisher nicht durchsetzen können, weshalb der Döcker Verlag Jan Feddersens Buch als eine Premiere anpreist. Der Autor weckt Erinnerungen an die ganz frühen Wettbewerbe, bei denen manches nach heutigen Vorstellungen sehr ungewöhnlich verlief. So hatten Österreich, Dänemark und Großbritannien bei der Premiere 1956 die Anmeldefrist verpasst und debütierten erst im Folgejahr. 1957 fand der Wettbewerb erstmals in Deutschland statt, denn die Regel, dass das Land des Vorjahressiegers den Wettbewerb ausrichtet, gab es noch nicht. Im Großen Sendesaal des Hessischen Rundfunks wurde die erste Punktetabelle gezeigt, und die Jurys gaben ihre Wertungen erstmals telefonisch durch. Die Britin Patricia Bredin trug mit "All" in 112 Sekunden das bis heute kürzeste Lied vor, und der Italiener Nunzio Gallo interpretierte die Dreieinhalb-Minuten-Regel durch die Rekordlänge von fünf Minuten und neun Sekunden. Die niederländische Siegerin Corry Brokken empfahl sich als spätere Showmasterin im deutschen Fernsehen.
1958 war die Technik noch nicht zu der heute gewohnten Perfektion herangereift, und der erste Beitrag "Nel blu dipinto di blu" von Domenico Modugno konnte nicht in allen Ländern gehört werden. Zwar durfte Modugno sein Lied noch ein zweites Mal vortragen, doch vielleicht war die Panne die Ursache dafür, dass der spätere italienische Welthit, der unter dem Titel "Volare" berühmt wurde, nur auf dem dritten Rang landete.
Jan Feddersen plaudert sich durch die weiteren Wettbewerbe, erzählt von den Besonderheiten der jeweiligen Veranstaltungen, stellt fast alle Teilnehmer vor und beschreibt den Verlauf der Wertungen. Manche Jahre erscheinen dem Leser interessanter, andere langweiliger, was natürlich sehr subjektiv ist. Man neigt dazu, einzelne Jahre zu überspringen, und liest zunächst nur die Jahreschroniken, die einen interessieren. Beim Blättern stößt man aber auch immer wieder auf die zahlreichen Querverweise oder auf die Tabellen, die die Aufmerksamkeit auf Jahrgänge lenken, die man zunächst nicht beachtet hat. Da schnappt man beispielsweise plötzlich auf, dass die Kessler-Zwillinge am Wettbewerb teilgenommen haben, man liest nach und ist fasziniert, dass die beiden (Jahrgang 1936) 1955 im Alter von neunzehn Jahren als Siebzehnjährige im Pariser Lido aufgetreten sind. Die Hintergründe zum Grand Prix sind oft spannender als das eigentliche Ereignis. So kann man selbst bei mäßigem Interesse am eigentlichen Song Contest einige Stunden mit dem Buch verbringen und immer wieder verblüffende Details aus den vergangenen vierundvierzig Jahren zu Tage fördern. Dabei werden Erinnerungen an eigene vergangene Lebensabschnitte geweckt.
Erinnerungen an Lieder sind in erster Linie persönlich, doch Feddersen lässt auch vergangene politische Verhältnisse wieder gegenwärtig werden. 1969 verzichtete Österreich auf die Teilnahme in Spanien, weil Franco den damaligen Verantwortlichen als zu rechtslastig erschien. In jenem Jahr gab es gleich vier Siegerinnen. Danach wurden die Regeln so eingeschränkt, dass ein derartiges Ergebnis heute zwar möglich, aber sehr unwahrscheinlich ist.
Seit 1993 ist Jugoslawien wegen Unwürdigkeit von der Teilnahme ausgeschlossen. Dafür debütierten Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien. Später folgten diesen drei Ländern noch Estland, Litauen, Polen, Rumänien, Russland, die Slowakei, die Frühere Jugoslawische Republik Mazedonien und dieses Jahr Lettland. Was der Grand Prix für die Länder aus dem Osten Europas bedeutet, spricht ein rumänischer Delegierter aus: "Wir wollten immer zu Europa gehören, und der Song Contest ist das einzige Stück Europa, das ohne politische Einigung funktioniert. Deshalb wollen wir ein Teil dieser Welt sein."
1995 gab es keine deutsche Vorausscheidung. Es wird kolportiert, dass die Intendanz des zuständigen Mitteldeutschen Rundfunks nach dem Kriterium "Welches Lied würde Bundeskanzler Kohl wohl am besten gefallen" Stone & Stone mit "Verliebt in dich" (gemeint war Gott, nicht Kohl) nach Dublin schickte. Der deutsche Beitrag landete mit einem Mitleidspunkt aus Malta auf dem letzten Platz, aber Malta verbuchte einen zwanzigprozentigen Zuwachs an deutschen Touristen.
Seit 1999 ist das Televoting für alle Teilnehmerstaaten bindend. Die Bevölkerungen Europas telefonieren selbst und haben sich von ihren nicht gewählten Jury-Vertretern emanzipiert. Das Teilnehmerfeld beschränkt sich auf neunzehn Länder plus Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien und Großbritannien, die als größte Einzahler in den Eurovisionstopf automatisch qualifiziert sind - wer zahlt, befiehlt.
Die Statistik liefert den Beweis, dass Deutschland zwar nicht die erfolgreichste Nation ist, aber auf vielen Gebieten Spitzenleistungen aufweist, so den Sänger mit dem längsten Namen und das Lied mit dem längsten Titel. Nur fünf Länder schafften es, öfter als Deutschland punktefrei aus der Endausscheidung hervorzugehen. Die meisten Punkte erhielten deutsche Beiträge bisher von Spanien, Portugal, Belgien, Großbritannien und Schweden, die wenigsten Zähler kamen aus Mazedonien, Litauen, Russland, der Slowakei und Marokko. Der Wert solcher Daten relativiert sich jedoch, wenn man bedenkt, dass Marokko bei seiner einzigen Teilnahme 1980 nur der Türkei mehr Punkte zuerkannte.
Wer bei der Übertragung aus der Globen Arena in Stockholm kompetent mitreden will, sollte sich schnellstens noch Feddersens Buch beschaffen. Wer das nicht mehr rechtzeitig schafft, kann diesen Mangel allenfalls dadurch ausgleichen, dass er seinen Gästen Dosenbiere aus den vierundzwanzig teilnehmenden Ländern kredenzt. Dass man die Frage nach den Wertungen auf Französisch beherrscht, versteht sich von selbst. (Falls Sie wirklich auf das Buch verzichten: "Puis j'avoir vos votes, s'il vous plaît.")
HARTMUT HÄNSEL
Jan Feddersen: "Merci, Jury!" Die Geschichte des Grand Prix Eurovision de la Chanson - Zahlen, Daten, Storys. Döcker Verlag, Wien 2000. 266 S., 92 Abb., br., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wer immer schon mal erfahren wollte, wer das kürzeste oder längste Lied im Song Contest vorgetragen hat, welches Lied den längsten Titel (ein deutsches) oder welcher Teilnehmer den längsten Namen (ebenfalls ein Deutscher) hatte, wird in diesem Buch bestens informiert, meint Hartmut Hänsel. Spannender findet er allerdings die Informationen, die eher am Rande mit dem eigentlichen Wettbewerb zu tun haben: So erfahre man, dass die neunzehnjährigen Kessler-Zwillinge als Siebzehnjährige im Pariser Lido aufgetreten sind, oder dass Malta zwanzig Prozent mehr deutsche Touristen begrüßen konnte, nachdem 1995 der einzige Punkt für Deutschland eben von dieser Insel vergeben worden war. Darüber hinaus hebt Hänsel jedoch auch politische Aspekte hervor, etwa die Weigerung Österreichs, 1969 wegen des Franco-Regimes in Spanien aufzutreten oder die große Bedeutung, die osteuropäische Länder der Teilnahme beimessen, da sie sich dadurch als Teil Europas akzeptiert fühlen. Alles in allem scheint sich Hänsel bei der Lektüre amüsiert zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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