In 22 short essays, Punti explores the beauty, the hunger, the genius and the obsession of Messi - he takes us from the near-mythical scenery of a South American footballing youth, where the world is "an infinite football pitch", to the glory and the struggle of a life on the international stage.
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Süddeutsche ZeitungSportbücher Neuerscheinungen, Lieblingswerke und moderne Klassiker – zusammengestellt von der Sportredaktion
Die Poesie des Spaziergängers
Es wird einen Tag ohne Lionel Messi beim FC Barcelona geben – aber noch ist diese Zeit nicht gekommen.
Jordi Puntí hat eine Biografie über den Fußballer verfasst, dessen Spielkunst die Sprache inspiriert
VON JAVIER CÁCERES
Es gibt eine Binnenerzählung in dieser literarischen Hommage, man findet sie im Kapitel 14, und sie spielt im Sommer 2004. Ramón Besa, ein Meister der Fußballchronik und Sportchef der katalanischen Redaktion der Zeitung El País, war in Nöten. Für eine Asien-Tour des FC Barcelona brauchte er dringend einen Reporter: Àngels Pinol, eine mittlerweile in die Lokalredaktion abgewanderte, brillante Sportjournalistin, war ausgefallen, Besa aber bewies trotz akuten Personalmangels ein glückliches Händchen.
Von jeher war er auf der Suche nach Schriftstellern, die in die Fußstapfen des großen Barça-Interpreten Manuel Vázquez Montalbán treten könnten – jenes Krimiautors Vázquez Montalbán also, der das noch immer gültige Wort vom FC Barcelona als dem symbolischen, unbewaffneten Heer Kataloniens prägte, und der in Spanien die Trennung zwischen Literaten und Fußballdeutern aufhob. Die Reise nach Asien bot dem Sportchef Besa nun die Gelegenheit, Jordi Puntí auszuprobieren. Besa schickte Puntí zur chinesischen Botschaft, damit er sich ein Expressvisum besorge, um El País mit Berichten über Barça zu versorgen und – was man da kaum ahnen konnte – über einen jungen Spieler, der die Welt verzaubern sollte: Leo Messi.
Jene Reise bildet gewissermaßen die Grundlage von „Messi. Eine Stilkunde“, das nun auch in einer liebevollen Übersetzung von Michael Ebmeyer auf Deutsch vorliegt. „Vage inspiriert von einem Modell des französischen Schriftstellers Raymond Queneau, versuche ich hier anhand der Figur Lionel Messi ein paar Stilübungen zu vollführen. Deconstructing Messi. Messi reécrit“, schreibt Puntí im Vorwort. Wer nun etwa seitenweise in Buchstaben gegossenes Rokoko erwartet, der irrt jedoch. Puntí hat eine Art Heiligenleben verfasst, das schon, aber es ist eine ausgesprochen gelungene Hagiografie geworden. Wer soll es ihm, dem Fußballliebhaber, dem Stadiongänger, verdenken, dass Messi ihn berührt hat. „Er weiß es nicht, aber mit seinem Spiel hat er mich gleichermaßen im wirklichen Leben wie in der Fabelwelt der Träume sehr oft glücklich gemacht“, schreibt Puntí.
Am Objekt Messi (und am Fußball im Allgemeinen) haben sich einige ambitionierte Schriftsteller versucht. Die besten unter ihnen hatten das, was Puntí auch hat: einen höllischen Respekt vor der Materie. Seine literarische Ehrerbietung ist gar nicht weit entfernt vom Journalismus, vom heiligen Ernst der Sportberichterstatter, die den längst zum Kolumnisten der Zeitung El Periódico aufgestiegenen Puntí übrigens akzeptieren. Denn Puntí ist ein guter Beobachter, der die Geschichte des Sports aufgesogen hat und zum Beispiel den unnachahmlichen Gang des Spaziergängers Messi mit dem herrschaftlichen Ausschreiten Beckenbauers, dem Wandelhallen-Stolzieren des Mágico González oder dem flamingoähnlichen Staksen von Zlatan Ibrahimovic vergleichen kann – und zu dem treffenden Schluss kommt: „Messi geht, als habe er etwas verloren.“
Der Bezug zum Journalismus ist auch an den vielen Zahlen und Daten ablesbar, die Puntí nicht beliebig aneinanderreiht, sondern in einen Kontext einbettet. Er vergisst keinen relevanten Titel, keinen Rekord von Belang und kommt dankenswerterweise ohne Banalpsychologie aus. Letztlich geht es aber auch um den Versuch, ein berühmtes Diktum Pep Guardiolas literarisch zu widerlegen. Messis früherer Trainer hatte seine Würdigung des Weltfußballers einst in Resignation gekleidet: „Wir haben keine Adjektive mehr für Messi. Mir fallen jedenfalls keine mehr ein, sie sind mir ausgegangen“, sagte er einmal. Gegen diesen Ausspruch rebelliert Puntí, denn nach seiner Meinung bewirkt Messi das exakte Gegenteil: „Er ruft Begriffe hervor, er spornt unser Sprachgefühl an, unsere Erfindungsgabe, weckt die nicht so naheliegende Assoziation, die Poesie. Wir haben das Bedürfnis, in Worte zu fassen, was wir sehen, wir wollen seinen Aktionen sprachlich gewachsen sein.“
Puntí hat Messi für das Buch nicht getroffen, und er verhehlt nicht, dass er auch ihm „ein großes Rätsel“ geblieben sei, wie ein anderer katalanischer Schriftsteller, Sergi Pàmies, einmal sagte. „Den Raum des Rätsels füllen wir mit unserer Fantasie“, schreibt Puntí. Mit großer Kunst lässt er kleine Perlen aus dem Archiv in seinen Text einfließen, die selbst bewanderte Messi-Kenner überraschen dürften. Zum Beispiel eine Passage aus einem Interview der argentinischen Zeitschrift El Gráfico mit dem ersten Trainerstar der Fußballgeschichte, Helenio Herrera, dem Magier: „Der Fußballer des 21. Jahrhunderts wird genauso sein wie Maradona. Eher klein, aber sehr athletisch, und mit diesem Zauber versehen, den die Computer und Maradona gemeinsam haben.“ Herrera konnte es nicht wissen, kommentiert Puntí, „aber damit definierte er Messi“. Einen Messi, der nun, mit 32 Jahren, dem Ende seiner Karriere weit näher ist als ihrem Beginn.
Das Buch Puntís ist lange vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie entstanden; nun, bei der Lektüre im Stillstand der Welt, trägt es fast schon Züge eines Nachrufs. Was auch daran liegt, dass man Messi in diesen seltsamen Zeiten vermissen kann, und das wiederum verweist auf die unvermeidliche und doch unerträgliche Angst, die Barcelona schon seit Jahren quält: Es wird einen Tag ohne Messi geben. Jede Verletzung des kleinen Argentiniers, schreibt Puntí, sei „ein fußballerisches Memento mori“ gewesen, eine Erinnerung an die Vergänglichkeit, weshalb er Nabokov zitiert: „Der platte Menschenverstand sagt uns, dass unser Leben nur ein kurzer Lichtspalt zwischen zwei Ewigkeiten des Dunkels ist.“ Wer wollte leugnen, dass es mit Messi erträglicher war.
Und wenn Puntí mit seiner Stilkunde vielleicht nicht die ultimative Biografie vorgelegt hat, dann nur deshalb, weil Messi noch immer etwas Neues findet, wenn er über den Platz spaziert, und sein letztes Wort eben noch nicht gesprochen hat.
Jordi Puntí: Messi. Eine Stilkunde. Übersetzt von Michael Ebmeyer. Verlag Antje Kunstmann. 2020. 20 Euro.
„Wir haben keine Adjektive mehr
für Messi“, befand Pep Guardiola.
Von wegen!, sagt Jordi Puntí
Jede Verletzung des kleinen
Künstlers ist ein Memento mori:
Erinnerung an Vergänglichkeit
Kunst hat eine Nummer, die „10“: Lionel Messi, der beim FC Barcelona eine Epoche prägte.
Foto: Alterphotos / Imago
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Die Poesie des Spaziergängers
Es wird einen Tag ohne Lionel Messi beim FC Barcelona geben – aber noch ist diese Zeit nicht gekommen.
Jordi Puntí hat eine Biografie über den Fußballer verfasst, dessen Spielkunst die Sprache inspiriert
VON JAVIER CÁCERES
Es gibt eine Binnenerzählung in dieser literarischen Hommage, man findet sie im Kapitel 14, und sie spielt im Sommer 2004. Ramón Besa, ein Meister der Fußballchronik und Sportchef der katalanischen Redaktion der Zeitung El País, war in Nöten. Für eine Asien-Tour des FC Barcelona brauchte er dringend einen Reporter: Àngels Pinol, eine mittlerweile in die Lokalredaktion abgewanderte, brillante Sportjournalistin, war ausgefallen, Besa aber bewies trotz akuten Personalmangels ein glückliches Händchen.
Von jeher war er auf der Suche nach Schriftstellern, die in die Fußstapfen des großen Barça-Interpreten Manuel Vázquez Montalbán treten könnten – jenes Krimiautors Vázquez Montalbán also, der das noch immer gültige Wort vom FC Barcelona als dem symbolischen, unbewaffneten Heer Kataloniens prägte, und der in Spanien die Trennung zwischen Literaten und Fußballdeutern aufhob. Die Reise nach Asien bot dem Sportchef Besa nun die Gelegenheit, Jordi Puntí auszuprobieren. Besa schickte Puntí zur chinesischen Botschaft, damit er sich ein Expressvisum besorge, um El País mit Berichten über Barça zu versorgen und – was man da kaum ahnen konnte – über einen jungen Spieler, der die Welt verzaubern sollte: Leo Messi.
Jene Reise bildet gewissermaßen die Grundlage von „Messi. Eine Stilkunde“, das nun auch in einer liebevollen Übersetzung von Michael Ebmeyer auf Deutsch vorliegt. „Vage inspiriert von einem Modell des französischen Schriftstellers Raymond Queneau, versuche ich hier anhand der Figur Lionel Messi ein paar Stilübungen zu vollführen. Deconstructing Messi. Messi reécrit“, schreibt Puntí im Vorwort. Wer nun etwa seitenweise in Buchstaben gegossenes Rokoko erwartet, der irrt jedoch. Puntí hat eine Art Heiligenleben verfasst, das schon, aber es ist eine ausgesprochen gelungene Hagiografie geworden. Wer soll es ihm, dem Fußballliebhaber, dem Stadiongänger, verdenken, dass Messi ihn berührt hat. „Er weiß es nicht, aber mit seinem Spiel hat er mich gleichermaßen im wirklichen Leben wie in der Fabelwelt der Träume sehr oft glücklich gemacht“, schreibt Puntí.
Am Objekt Messi (und am Fußball im Allgemeinen) haben sich einige ambitionierte Schriftsteller versucht. Die besten unter ihnen hatten das, was Puntí auch hat: einen höllischen Respekt vor der Materie. Seine literarische Ehrerbietung ist gar nicht weit entfernt vom Journalismus, vom heiligen Ernst der Sportberichterstatter, die den längst zum Kolumnisten der Zeitung El Periódico aufgestiegenen Puntí übrigens akzeptieren. Denn Puntí ist ein guter Beobachter, der die Geschichte des Sports aufgesogen hat und zum Beispiel den unnachahmlichen Gang des Spaziergängers Messi mit dem herrschaftlichen Ausschreiten Beckenbauers, dem Wandelhallen-Stolzieren des Mágico González oder dem flamingoähnlichen Staksen von Zlatan Ibrahimovic vergleichen kann – und zu dem treffenden Schluss kommt: „Messi geht, als habe er etwas verloren.“
Der Bezug zum Journalismus ist auch an den vielen Zahlen und Daten ablesbar, die Puntí nicht beliebig aneinanderreiht, sondern in einen Kontext einbettet. Er vergisst keinen relevanten Titel, keinen Rekord von Belang und kommt dankenswerterweise ohne Banalpsychologie aus. Letztlich geht es aber auch um den Versuch, ein berühmtes Diktum Pep Guardiolas literarisch zu widerlegen. Messis früherer Trainer hatte seine Würdigung des Weltfußballers einst in Resignation gekleidet: „Wir haben keine Adjektive mehr für Messi. Mir fallen jedenfalls keine mehr ein, sie sind mir ausgegangen“, sagte er einmal. Gegen diesen Ausspruch rebelliert Puntí, denn nach seiner Meinung bewirkt Messi das exakte Gegenteil: „Er ruft Begriffe hervor, er spornt unser Sprachgefühl an, unsere Erfindungsgabe, weckt die nicht so naheliegende Assoziation, die Poesie. Wir haben das Bedürfnis, in Worte zu fassen, was wir sehen, wir wollen seinen Aktionen sprachlich gewachsen sein.“
Puntí hat Messi für das Buch nicht getroffen, und er verhehlt nicht, dass er auch ihm „ein großes Rätsel“ geblieben sei, wie ein anderer katalanischer Schriftsteller, Sergi Pàmies, einmal sagte. „Den Raum des Rätsels füllen wir mit unserer Fantasie“, schreibt Puntí. Mit großer Kunst lässt er kleine Perlen aus dem Archiv in seinen Text einfließen, die selbst bewanderte Messi-Kenner überraschen dürften. Zum Beispiel eine Passage aus einem Interview der argentinischen Zeitschrift El Gráfico mit dem ersten Trainerstar der Fußballgeschichte, Helenio Herrera, dem Magier: „Der Fußballer des 21. Jahrhunderts wird genauso sein wie Maradona. Eher klein, aber sehr athletisch, und mit diesem Zauber versehen, den die Computer und Maradona gemeinsam haben.“ Herrera konnte es nicht wissen, kommentiert Puntí, „aber damit definierte er Messi“. Einen Messi, der nun, mit 32 Jahren, dem Ende seiner Karriere weit näher ist als ihrem Beginn.
Das Buch Puntís ist lange vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie entstanden; nun, bei der Lektüre im Stillstand der Welt, trägt es fast schon Züge eines Nachrufs. Was auch daran liegt, dass man Messi in diesen seltsamen Zeiten vermissen kann, und das wiederum verweist auf die unvermeidliche und doch unerträgliche Angst, die Barcelona schon seit Jahren quält: Es wird einen Tag ohne Messi geben. Jede Verletzung des kleinen Argentiniers, schreibt Puntí, sei „ein fußballerisches Memento mori“ gewesen, eine Erinnerung an die Vergänglichkeit, weshalb er Nabokov zitiert: „Der platte Menschenverstand sagt uns, dass unser Leben nur ein kurzer Lichtspalt zwischen zwei Ewigkeiten des Dunkels ist.“ Wer wollte leugnen, dass es mit Messi erträglicher war.
Und wenn Puntí mit seiner Stilkunde vielleicht nicht die ultimative Biografie vorgelegt hat, dann nur deshalb, weil Messi noch immer etwas Neues findet, wenn er über den Platz spaziert, und sein letztes Wort eben noch nicht gesprochen hat.
Jordi Puntí: Messi. Eine Stilkunde. Übersetzt von Michael Ebmeyer. Verlag Antje Kunstmann. 2020. 20 Euro.
„Wir haben keine Adjektive mehr
für Messi“, befand Pep Guardiola.
Von wegen!, sagt Jordi Puntí
Jede Verletzung des kleinen
Künstlers ist ein Memento mori:
Erinnerung an Vergänglichkeit
Kunst hat eine Nummer, die „10“: Lionel Messi, der beim FC Barcelona eine Epoche prägte.
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