Die jüngsten Arbeiten zur wieder verstärkt rezipierten philosophischen Anthropologie haben deren umstrittensten Vertreter, den Philosophen und Soziologen Arnold Gehlen, meist stiefmütterlich behandelt. Auch Untersuchungen zum Einfluss politisch belasteter Autoren auf das intellektuelle Leben der Nachkriegszeit mieden ihn weitgehend. Diese Arbeit schließt eine doppelte Lücke, indem sie - vor allem mit Blick auf überraschend aktuelle handlungstheoretische Einsichten - die analytische Kraft seiner beiden Hauptwerke "Der Mensch" und "Urmensch und Spätkultur" rekonstruiert, ohne deren ideologische Dimensionen zu verschweigen. Daran anschließend wird erstmals die enorme, aber oft verdeckte Wirkung nachgezeichnet, die das so kontroverse Denken Gehlens auf bedeutende Sozialwissenschaftler nach 1945 hatte, unter anderem auf Jürgen Habermas und Niklas Luhmann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2010Bedürftig
Mit Blick auf die neuere anthropologische Diskussion würdigt Patrick Wöhrle den soziologischen und philosophischen Gehalt der beiden Hauptwerke Arnold Gehlens "Der Mensch" sowie "Urmensch und Spätkultur". Die enorme, aber häufig verdeckte Wirkung, die Gehlen auf Sozialwissenschaftler nach 1945 hatte, wird höchst ertragreich am Beispiel von Jürgen Habermas und Niklas Luhmann untersucht. Wöhrle verschweigt die ideologischen Dimensionen Gehlens nicht, nimmt ihn aber überzeugend vor dem Vorwurf des Biologismus in Schutz. Gehlen pflege eine kulturalistische Sehweise sogar auf die vermeintlich "biologistischste" aller anthropologischen Kategorien: das Bedürfnis. So sei es für diesen Autor ein analytisches Datum ersten Ranges, dass selbst Bedürfnissen keine festen Erfüllungs- und Verhaltensbahnen in der menschlichen Natur zugeordnet werden könnten und dass es sich auch in dieser Hinsicht beim Menschen um ein "natürliches Kulturwesen" handele. Wer sich mit den zentralen handlungs- und institutionentheoretischen Ideen Gehlens auseinandersetzen möchte, findet in Wöhrles Dissertation eine willkommene Entlastung. (Patrick Wöhrle: "Metamorphosen des Mängelwesens". Zu Werk und Wirkung Arnold Gehlens. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010. 459 S., br., 39,90 [Euro].) gey
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Blick auf die neuere anthropologische Diskussion würdigt Patrick Wöhrle den soziologischen und philosophischen Gehalt der beiden Hauptwerke Arnold Gehlens "Der Mensch" sowie "Urmensch und Spätkultur". Die enorme, aber häufig verdeckte Wirkung, die Gehlen auf Sozialwissenschaftler nach 1945 hatte, wird höchst ertragreich am Beispiel von Jürgen Habermas und Niklas Luhmann untersucht. Wöhrle verschweigt die ideologischen Dimensionen Gehlens nicht, nimmt ihn aber überzeugend vor dem Vorwurf des Biologismus in Schutz. Gehlen pflege eine kulturalistische Sehweise sogar auf die vermeintlich "biologistischste" aller anthropologischen Kategorien: das Bedürfnis. So sei es für diesen Autor ein analytisches Datum ersten Ranges, dass selbst Bedürfnissen keine festen Erfüllungs- und Verhaltensbahnen in der menschlichen Natur zugeordnet werden könnten und dass es sich auch in dieser Hinsicht beim Menschen um ein "natürliches Kulturwesen" handele. Wer sich mit den zentralen handlungs- und institutionentheoretischen Ideen Gehlens auseinandersetzen möchte, findet in Wöhrles Dissertation eine willkommene Entlastung. (Patrick Wöhrle: "Metamorphosen des Mängelwesens". Zu Werk und Wirkung Arnold Gehlens. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010. 459 S., br., 39,90 [Euro].) gey
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Bedürftig
"Die enorme, aber häufig verdeckte Wirkung, die Gehlen auf Sozialwissenschaftler nach 1945 hatte, wird höchst ertragreich am Beispiel von Jürgen Habermas und Niklas Luhmann untersucht." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.03.2010)
"Die enorme, aber häufig verdeckte Wirkung, die Gehlen auf Sozialwissenschaftler nach 1945 hatte, wird höchst ertragreich am Beispiel von Jürgen Habermas und Niklas Luhmann untersucht." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.03.2010)