In seiner Studie untersucht Giuseppe Cacciatore das facettenreiche Werk des italienischen Philosophen Giambattista Vico (1668-1744), des Begründers der neuzeitlichen Geschichtsauffassung und der Mentalitätsgeschichtre ursprünglicher Völker, der zudem als Wegbereiter des Historismus gilt und als Systematiker der Geisteswissenschaften hervortrat.
Auf fundierte Quellenkenntnis gestützt, stellt der Autor, einer der international profundesten Kenner des wissenschaftlichen Erbes des Gelehrten, den Reichtum der Gedankenwelt Vicos dar und analysiert sie zugleich kritisch: die Beziehung zwischen Metaphysik und Geschichte; den Zusammenhang zwischen der Philosophie und der Philologie sowie der Geschichtswissenschaft; die Rolle der poetischen Weisheit, der Phantasie, des Mythos und des Wahrscheinlichen.
Dabei ist Cacciatores Blick auch auf heutige Problemlagen gerichtet. So vergleicht er die Reflexionen Vicos über die praktische Philosophie und die politisch-zivile Dimension von Philosophie und Kultur, seine Auffassungen über die Rolle der Erziehung, die politische Funktion der Rhetorik und die Relevanz des Gemeinsinns mit der gegenwärtigen Diskussion über Ethik und Politik.
Auf fundierte Quellenkenntnis gestützt, stellt der Autor, einer der international profundesten Kenner des wissenschaftlichen Erbes des Gelehrten, den Reichtum der Gedankenwelt Vicos dar und analysiert sie zugleich kritisch: die Beziehung zwischen Metaphysik und Geschichte; den Zusammenhang zwischen der Philosophie und der Philologie sowie der Geschichtswissenschaft; die Rolle der poetischen Weisheit, der Phantasie, des Mythos und des Wahrscheinlichen.
Dabei ist Cacciatores Blick auch auf heutige Problemlagen gerichtet. So vergleicht er die Reflexionen Vicos über die praktische Philosophie und die politisch-zivile Dimension von Philosophie und Kultur, seine Auffassungen über die Rolle der Erziehung, die politische Funktion der Rhetorik und die Relevanz des Gemeinsinns mit der gegenwärtigen Diskussion über Ethik und Politik.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2003Die Verwaltung hat das Wort
Giuseppe Cacciatore erweist Giambattista Vico einen Bärendienst
"Sibyllinische Vorahnungen des Guten und Rechten, das einst kommen soll oder sollte, gegründet auf ernste Betrachtungen des Überlieferten und des Lebens", hat Goethe in Giambattista Vicos "Neuer Wissenschaft", die ihm in Neapel "als ein Heiligtum" vorgezeigt wurde, einstmals gefunden. Vico, das ebenso tiefe wie menschenfreundliche Orakel, der Späthumanist mit dem hermetischen Reiz - das gilt noch immer, auch wenn inzwischen manches geschehen ist, sich dem wohl ersten Archäologen eines fürs Zeitliche tauglichen Wahren zu nähern. Es gilt schon deshalb noch immer, weil unter dem Strich noch jede Epoche am Ende mehr das Eigene in Vico als mit ihm das Fremde, das Nichtrationable im Eigenen zu finden versucht hat.
Vico jedoch legt den Finger darauf, daß Epochengesichtern und epochalen Gewißheiten Vorurteile des objektiven Geistes, will sagen der kollektiven Phantasie oder auch Phantasielosigkeit entsprechen, die einem anderen Rhythmus folgen als dem des öffentlich exerzierten Denkens im Vordergrund. Die fundamentalen Zeichen, um die Epochen sich jeweils gruppieren, zeigen dem Eingeweihten nicht nur das, was als ihr direktes "Signifikat" gilt. Sie öffnen die Räume eines "sinnlichen Allgemeinen", das, im epochalen "Mythos" jeweils gehalten, das Ingenium und das Gesetz historisch erfüllter Zeit ist. Humane Bildung ist nach Vico das Verstehen von Epochenzeichen, der kultivierte Sinn fürs Synthetische, der alles nur formell Rationale weit übersteigt.
Seit Benedetto Croces Tagen, denen sich die Vico-Renaissance des letzten Jahrhunderts verdankte, hat sich nicht nur in Italien in Sachen Vico vieles bewegt. Im Blick auf Erich Auerbach, Eugenio Coseriu, Stephan Otto und Jürgen Trabant (um nur diese zu nennen) gilt dies in erfreulichem Maße auch diesseits der Alpen; den genannten Autoren verdankt das Publikum denkenswerte Präsentationen Vicos. Ähnliches von einem neuen Buch zu behaupten, das der italienischen Vico-Verwaltung entstammt, wird sich dagegen niemand vermessen. Giuseppe Cacciatore, Leiter des Vico-Studienzentrums in Neapel, hat in sechs Kapiteln zwar einige für Vico zentrale Thesen und Themen resümiert, so das "Vico-Axiom" von der "Wahrheit für uns" im "von uns selber Gemachten", so die welterschließende Kraft der Dichtung, so die rechtlich-praktische Konstitution des "mondo civile", der menschlichen Welt, die kein Kosmos ewiger Wahrheiten, sondern konkreter Bereich des zeitlich "Gewissen" ist.
Cacciatore hat es dabei nicht unterlassen, seinen Mann nach Kräften "modernetauglich" zu machen und vom Geruch des "Außenstehenden", wie er es nennt, zu befreien. Aber schon die Frage, wen er als Leser eigentlich im Auge hat - den blutigen Anfänger, wie das erste Kapitel nahezulegen scheint, oder aber den Fachmann, an dessen reiches Vorwissen nicht nur mit vielen "Bekanntlichs" appelliert wird -, ist schwer zu entscheiden. Schon der Anfänger freilich wird bemerken, daß ein irgend inspirierender Geist über dem Buch ganz und gar nicht liegt, der Fachmann sodann, daß keine von Cacciatores Thesen eigentlich spektakulär ist - beide jedoch, daß das Ganze in einem Duktus gehalten ist, der Vicos Beschwörung sprachlich-rhetorischer Kompetenz auf Schritt und Tritt geradezu hohnspricht. Fairerweise wird man bemerken, daß Übersetzerin und Lektorat hierbei fleißig mitgewirkt haben; das Resultat gemeinsamer Anstrengung erzeugt am Ende jenen naiven Charme, der etwa akademischen Lehrern aus Seminararbeiten der "Generation Pisa" reichlich entgegenschlägt: den Charme des guten Willens, Gedanken zu haben und zu äußern, was nur unterwegs an Ausdrucksfehlern, legerer Interpunktion, syntaktischer Fahrlässigkeit und verquerem logischen Anschluß kläglich scheitert - von Übersetzungsdefekten zu schweigen.
Zu Beginn von Kapitel eins werden wir beispielsweise gleich mit "das" Liber metaphysicus Vicos vertraut gemacht, später etwa mit "unverwandelbaren" (statt unwandelbaren) "Ideen", mit einer "Philogenese" (dem neuen Gegenbegriff zu "Ontogenese"), mit einer "filosofia moralis" (die sich offenbar zwischen Latein und Italienisch nicht recht entscheiden konnte), mit einer "Legalität" (soll heißen: "Gesetzesförmigkeit") "der rationalen Wahrheiten", mit "gelungenen Einsichten" der Sekundärliteratur und anderen Glossolalien mehr. Die "fortuna" eines Autors ist im Italienischen sein Publikumserfolg oder auch die Geschichte seiner Rezeption - hier wird unverdrossen mit "Glück" übersetzt; "gli antichi" sind seit alters "die Alten" - hier aber lesen wir von einer "Weisheit der Antiken", so als ob Homer, Platon und Cicero Vasen und Standbilder wären.
Possierlich mag scheinen, wenn uns bedeutet wird, daß eine auch vom Autor geteilte These "einflußreiche Befürworter" hat (man darf für die Paten dennoch an Ehrenmänner denken), wenn versichert wird, daß Vico (wer wäre darauf gekommen) "aus Überzeugung" integralistisch denkt oder daß er der Urheber einer "anthroposophischen Hermeneutik" sei: An Rudolf Steiner oder an Schelling, der 1804 zuerst von "Anthroposophie" gesprochen hat, ist dabei freilich nicht gedacht, allenfalls an die alte Anthropologie. Dem Autor unbedingt anzulasten sind zahlreiche Wiederholungen in Zitat und eigener Formulierung; besonders das vorletzte Kapitel stellt uns mehrere alte Bekannte als neue vor - gewöhnlich (und so auch hier) das Ergebnis eines Recyclings älterer Aufsätze in Form von Buchkapiteln, ohne daß auf den neuen Kontext größere Rücksicht genommen worden wäre.
Man lege deshalb so rasch als möglich das gedruckte Unglück beiseite und labe die gepeinigte Seele wieder einmal an nach Inhalt und Form vollendeten Perioden, wie Vico selbst, sagen wir in den Inauguralreden, sie zu schreiben vermochte. Die dabei, was garantiert werden darf, rasch erwachende Freude, einen Menschen von Fleisch und Blut wahrhaft reden statt nur die Reflexion sich räuspern zu hören, gehört, was Vico wußte, zu den schönsten "Vorahnungen des Guten und Rechten", welche die Menschheit besitzt.
THOMAS SÖREN HOFFMANN
Giuseppe Cacciatore: "Metaphysik, Poesie und Geschichte". Über die Philosophie von Giambattista Vico. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Matthias Kaufmann. Aus dem Italienischen von Marianne Hanson. Akademie Verlag, Berlin 2002. 235 S., geb., 34,80 [Euro].
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Giuseppe Cacciatore erweist Giambattista Vico einen Bärendienst
"Sibyllinische Vorahnungen des Guten und Rechten, das einst kommen soll oder sollte, gegründet auf ernste Betrachtungen des Überlieferten und des Lebens", hat Goethe in Giambattista Vicos "Neuer Wissenschaft", die ihm in Neapel "als ein Heiligtum" vorgezeigt wurde, einstmals gefunden. Vico, das ebenso tiefe wie menschenfreundliche Orakel, der Späthumanist mit dem hermetischen Reiz - das gilt noch immer, auch wenn inzwischen manches geschehen ist, sich dem wohl ersten Archäologen eines fürs Zeitliche tauglichen Wahren zu nähern. Es gilt schon deshalb noch immer, weil unter dem Strich noch jede Epoche am Ende mehr das Eigene in Vico als mit ihm das Fremde, das Nichtrationable im Eigenen zu finden versucht hat.
Vico jedoch legt den Finger darauf, daß Epochengesichtern und epochalen Gewißheiten Vorurteile des objektiven Geistes, will sagen der kollektiven Phantasie oder auch Phantasielosigkeit entsprechen, die einem anderen Rhythmus folgen als dem des öffentlich exerzierten Denkens im Vordergrund. Die fundamentalen Zeichen, um die Epochen sich jeweils gruppieren, zeigen dem Eingeweihten nicht nur das, was als ihr direktes "Signifikat" gilt. Sie öffnen die Räume eines "sinnlichen Allgemeinen", das, im epochalen "Mythos" jeweils gehalten, das Ingenium und das Gesetz historisch erfüllter Zeit ist. Humane Bildung ist nach Vico das Verstehen von Epochenzeichen, der kultivierte Sinn fürs Synthetische, der alles nur formell Rationale weit übersteigt.
Seit Benedetto Croces Tagen, denen sich die Vico-Renaissance des letzten Jahrhunderts verdankte, hat sich nicht nur in Italien in Sachen Vico vieles bewegt. Im Blick auf Erich Auerbach, Eugenio Coseriu, Stephan Otto und Jürgen Trabant (um nur diese zu nennen) gilt dies in erfreulichem Maße auch diesseits der Alpen; den genannten Autoren verdankt das Publikum denkenswerte Präsentationen Vicos. Ähnliches von einem neuen Buch zu behaupten, das der italienischen Vico-Verwaltung entstammt, wird sich dagegen niemand vermessen. Giuseppe Cacciatore, Leiter des Vico-Studienzentrums in Neapel, hat in sechs Kapiteln zwar einige für Vico zentrale Thesen und Themen resümiert, so das "Vico-Axiom" von der "Wahrheit für uns" im "von uns selber Gemachten", so die welterschließende Kraft der Dichtung, so die rechtlich-praktische Konstitution des "mondo civile", der menschlichen Welt, die kein Kosmos ewiger Wahrheiten, sondern konkreter Bereich des zeitlich "Gewissen" ist.
Cacciatore hat es dabei nicht unterlassen, seinen Mann nach Kräften "modernetauglich" zu machen und vom Geruch des "Außenstehenden", wie er es nennt, zu befreien. Aber schon die Frage, wen er als Leser eigentlich im Auge hat - den blutigen Anfänger, wie das erste Kapitel nahezulegen scheint, oder aber den Fachmann, an dessen reiches Vorwissen nicht nur mit vielen "Bekanntlichs" appelliert wird -, ist schwer zu entscheiden. Schon der Anfänger freilich wird bemerken, daß ein irgend inspirierender Geist über dem Buch ganz und gar nicht liegt, der Fachmann sodann, daß keine von Cacciatores Thesen eigentlich spektakulär ist - beide jedoch, daß das Ganze in einem Duktus gehalten ist, der Vicos Beschwörung sprachlich-rhetorischer Kompetenz auf Schritt und Tritt geradezu hohnspricht. Fairerweise wird man bemerken, daß Übersetzerin und Lektorat hierbei fleißig mitgewirkt haben; das Resultat gemeinsamer Anstrengung erzeugt am Ende jenen naiven Charme, der etwa akademischen Lehrern aus Seminararbeiten der "Generation Pisa" reichlich entgegenschlägt: den Charme des guten Willens, Gedanken zu haben und zu äußern, was nur unterwegs an Ausdrucksfehlern, legerer Interpunktion, syntaktischer Fahrlässigkeit und verquerem logischen Anschluß kläglich scheitert - von Übersetzungsdefekten zu schweigen.
Zu Beginn von Kapitel eins werden wir beispielsweise gleich mit "das" Liber metaphysicus Vicos vertraut gemacht, später etwa mit "unverwandelbaren" (statt unwandelbaren) "Ideen", mit einer "Philogenese" (dem neuen Gegenbegriff zu "Ontogenese"), mit einer "filosofia moralis" (die sich offenbar zwischen Latein und Italienisch nicht recht entscheiden konnte), mit einer "Legalität" (soll heißen: "Gesetzesförmigkeit") "der rationalen Wahrheiten", mit "gelungenen Einsichten" der Sekundärliteratur und anderen Glossolalien mehr. Die "fortuna" eines Autors ist im Italienischen sein Publikumserfolg oder auch die Geschichte seiner Rezeption - hier wird unverdrossen mit "Glück" übersetzt; "gli antichi" sind seit alters "die Alten" - hier aber lesen wir von einer "Weisheit der Antiken", so als ob Homer, Platon und Cicero Vasen und Standbilder wären.
Possierlich mag scheinen, wenn uns bedeutet wird, daß eine auch vom Autor geteilte These "einflußreiche Befürworter" hat (man darf für die Paten dennoch an Ehrenmänner denken), wenn versichert wird, daß Vico (wer wäre darauf gekommen) "aus Überzeugung" integralistisch denkt oder daß er der Urheber einer "anthroposophischen Hermeneutik" sei: An Rudolf Steiner oder an Schelling, der 1804 zuerst von "Anthroposophie" gesprochen hat, ist dabei freilich nicht gedacht, allenfalls an die alte Anthropologie. Dem Autor unbedingt anzulasten sind zahlreiche Wiederholungen in Zitat und eigener Formulierung; besonders das vorletzte Kapitel stellt uns mehrere alte Bekannte als neue vor - gewöhnlich (und so auch hier) das Ergebnis eines Recyclings älterer Aufsätze in Form von Buchkapiteln, ohne daß auf den neuen Kontext größere Rücksicht genommen worden wäre.
Man lege deshalb so rasch als möglich das gedruckte Unglück beiseite und labe die gepeinigte Seele wieder einmal an nach Inhalt und Form vollendeten Perioden, wie Vico selbst, sagen wir in den Inauguralreden, sie zu schreiben vermochte. Die dabei, was garantiert werden darf, rasch erwachende Freude, einen Menschen von Fleisch und Blut wahrhaft reden statt nur die Reflexion sich räuspern zu hören, gehört, was Vico wußte, zu den schönsten "Vorahnungen des Guten und Rechten", welche die Menschheit besitzt.
THOMAS SÖREN HOFFMANN
Giuseppe Cacciatore: "Metaphysik, Poesie und Geschichte". Über die Philosophie von Giambattista Vico. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Matthias Kaufmann. Aus dem Italienischen von Marianne Hanson. Akademie Verlag, Berlin 2002. 235 S., geb., 34,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
ls gedrucktes Unglück bezeichnet Rezensent Thomas Sören Hoffmann dieses Buch aus der "italienischen Vico-Verwaltung" und empfiehlt, es "so rasch als möglich beiseite zu legen". Es fängt schon damit an, dass sich Autor Guiseppe Cacciatore nicht entscheiden könne, ob sich die Publikation an blutige Vico-Anfänger oder Fachleute mit reichem Vorwissen richte. Beide Zielgruppen können von der Publikationen, dem vernichtenden Urteil des Rezensenten zufolge, nicht erreicht werden: die Anfänger nicht, weil nicht die Spur eines inspirierenden Geistes über dem Buch liege; die Fachleute nicht, weil keine der Thesen des Buches wirklich spektakulär sei. Außerdem findet Hoffmann das Buch in einem Duktus geschrieben, der der Beschwörung sprachlich-rhetorischer Kompetenz des darin behandelten Philosophen Giambattista Vico auf Schritt und Tritt hohnspreche: Ausdrucksfehler, legere Interpunktion, syntaktische Fahrlässigkeit und verquere logische Anschlüssen "Fairerweise wird man bemerken, dass Übersetzerin und Lektorat hieran mitgewirkt haben". Aus dem Buch schlägt dem Rezensenten am Ende lediglich der "naive Charme" der "Generation Pisa" entgegen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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