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Ein turbulentes Jahr voller Freundschaft

Produktbeschreibung
Ein turbulentes Jahr voller Freundschaft
Autorenporträt
Stine Pilgaard wurde 1984 geboren. Mit 'Meter pro Sekunde' erschien erstmals eines ihrer Bücher auf Deutsch und wurde sogleich zum Spiegel-Bestseller. Ihr Debütroman 'Meine Mutter sagt' sagt ist 2022 bei Kanon erschienen. Stine Pilgaard lebt in Kopenhagen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Anna Flörchinger liest eine leise Geschichte mit diesem Roman der dänischen Schriftstellerin Stine Pilgaard. Man braucht ein wenig, um in die komplett auf Anführungszeichen verzichtende wörtliche Rede der Heldin zu finden, warnt die Kritikerin vor. Aber dank der souveränen Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel, der auch die dänischen Lieder im Text ins Deutsche überträgt und sogar Vergleichsmelodien nennt, liest sich der Text nach einer Weile ganz flüssig, versichert Flörchinger. Und so taucht die Rezensentin ein in den Kosmos der namenlosen Heldin, die mit Partner und kleinem Sohn in ein dänisches Dorf zieht, als "Kummerkasten" für die örtliche Zeitung arbeitet und selbst mit depressiver Stimmung angesichts ihrer Mutterschaft, dem Leben in der Fremde und der Angst vor dem Verlassenwerden kämpft. Einen "Knall" gibt's in der Geschichte nicht, dafür lauter Sätze, die sich die Kritikerin notieren möchte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.03.2022

Im Land der kurzen Sätze
Eine Beziehungsratgeberin landet in Jütland und verzweifelt an der Einsilbigkeit der Leute: Mit dem Roman
„Meter pro Sekunde“ beginnt die Entdeckung der fabelhaften Autorin Stine Pilgaard in deutscher Sprache
VON SOPHIE WENNERSCHEID
Den dänischen Begriff „hygge“ kennen mittlerweile viele. Er bedeutet in etwa, es sich miteinander nett zu machen, dafür zu sorgen, dass man es gut und gemütlich hat. Gelingen kann das, aus dänischer Perspektive, allerdings nur, wenn man auch das Konzept zweier anderer Begriffe kennt und wertschätzt: „fællesskab“ und „fællessang“. „Fællesskab“ bedeutet wörtlich Gemeinschaft, meint aber eher so viel wie Zusammengehörigkeitsgefühl. Das aber entsteht nicht primär auf der Grundlage gemeinsam geteilter Werte und Vorstellungen, sondern durch gemeinsames Tun, zusammen singen zum Beispiel.
Womit wir beim „fællessang“, dem „Gemeinschaftsgesang“ wären. Vielen Deutschen aus nachvollziehbaren historischen Gründen ein Graus, steht das gemeinsame Singen in Dänemark hoch im Kurs. Und das nicht nur bei älteren Menschen. Selbst pubertierende Teenager und spätpubertierende Studierende bekommen feuchte Augen, wenn sie ihr Volkshochschulgesangbuch aufschlagen und eins der rund 600 Lieder singen, die dort versammelt sind. Welche Blüten das treiben kann, erfährt man in dem wunderbaren Roman „Meter pro Sekunde“ der dänischen Autorin Stine Pilgaard.
„Meter pro Sekunde“ erschien 2020 als dritter Roman Pilgaards und liegt jetzt als erstes, aber sicher nicht letztes ihrer Werke auf Deutsch vor. Hinrich Schmidt-Henkel hat den Text so mitreißend übersetzt, wie er es verdient. Meter pro Sekunde, Wort pro Satz, das mag prosaisch klingen, ist aber, weil hier jedes Wort frische Luft mitbringt, ebenso klug wie amüsant.
In einem bunten Reigen aus wie gegen den Wind geworfenen kurzen Kapiteln erzählt der Roman in Ich-Form von einer Frau in den Dreißigern, die es nach Velling in Westjütland, dem „Land der kurzen Sätze“ verschlagen hat. Ihr Liebster hat dort Arbeit als Lehrer an einer der für das dänische Selbstverständnis so wichtigen Heimvolkshochschulen bekommen.
Zurückgehend auf die humanistischen Vorstellungen des Pfarrers und Volkspädagogen Nikolai F. S. Grundtvig aus dem 19. Jahrhundert hat die dänische Volkshochschule wenig mit dem zu tun, was in Deutschland unter dem Begriff verstanden wird. In die deutsche Volkshochschule geht man als erwachsener Mensch hinein, besucht einen Kurs, wenn es gut läuft auch zwei, und geht wieder aus ihr heraus. In die dänische Volkshochschule aber geht man als junger Mensch hinein und bleibt. Gerne für einige Monate oder gleich ein ganzes Jahr. Es handelt sich also um eine Art Internatsschule, in der es, so kann man in den konzisen Anmerkungen Schmidt-Henkels nachlesen, um eine „Pädagogik der Gemeinschaftlichkeit, des Unterrichtsgesprächs und des gemeinsamen Suchens“ geht. Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernt man dort. Das aber heißt für die Lehrenden: voller Einsatz und volle Identifikation. Und für die Partnerinnen und Partner der Lehrenden gilt das gleiche, fast jedenfalls.
„Die Schule, das seid ihr alle, sagt die Schulleiterin und deutet auf mich. Ihre Stimme steigt und fällt, malt Bilder und macht Reklame.“ Doch so einfach ist es natürlich nicht. Zum einen ist das Leben als „Anhang“ nicht wirklich befriedigend. Zum anderen machen die ganz in ihrer Rolle der engagierten Generation aufgehenden Mädchen dem Liebsten mehr als nur schöne Augen. Außerdem leidet die junge Frau, die vor einigen Monaten Mutter geworden ist, an nachhaltiger Übermüdung und macht sich Sorgen, ob das Kind wohl jemals etwas anderes sagen wird als immer und immer nur „Muh“. Womit sich zudem die existenzielle Frage stellt, ob das angesichts der Einsilbigkeit der meisten Jütländer nicht sowieso die angemessene Art der Kommunikation ist.
„Du denkst in Prosa“ erklärt der provinzerfahrene Partner, „die Leute hier fassen sich aber kurz.“ Haiku, siebzehn Silben, Natur plus Gegenwart. „Lieber Himmel, so ein Wind, ja, also wirklich. Und wieder Montag, ja, das bleibt nicht aus.“ Und keine Vertraulichkeiten, keine direkten Fragen, alles weglassen, was mit Körper, Lust, Sex, Schmerz, Tod zu tun hat. Gut gemeinte Ratschläge, die man aber auch in den immer wehenden Wind rufen könnte. Nicht dass die Erzählerin nicht versuchen würde, ihre „freischwebenden Assoziationen“ an den Pflock der Alltagssprache anzubinden. Allein – dem auf der Zunge sitzendem Herzen sei Lob und Dank – es gelingt nicht.
Dass es nicht gelingt, macht sprachlich wie inhaltlich die Stärke des Romans aus. „Meter pro Sekunde“ schafft es, in einfacher Sprache die Sprache als Schatz zu preisen. Und zwar im Schweigen wie im Sprechen, im Schreien wie im Singen, im grammatikfreien Festhalten am Dialekt wie in der elaborierten Ausführung. Wichtig ist im Grunde nur, dass der Schatz gehoben wird, auch wenn er im ersten Moment nicht wie ein Schatz aussieht, das Mitgeteilte also nicht immer das ist, was das Gegenüber hören will. In der professionalisierten, schriftlichen Form mag das angehen. Als Kummerkasten der Nation, sprich Beziehungsratgeberin einer Zeitung, darf die Erzählerin scharfzüngig sein und den verzweifelt Liebenden dieser Welt die kühle Hand der pragmatischen Vernunft auf die heiße Stirn pressen. Dass sie dabei gerne mit der Phrase einleitet, dass es „hier nicht um mich gehen soll“, sie dann aber freimütig aus der eigenen Lebensgeschichte schöpft, macht das Ganze nur selbstironischer und witziger.
Neben diesen unsentimentalen Weisheiten sind es Umdichtungen der traditionellen Volkshochschullieder, in denen die Erzählerin ihre sprachliche Kraft, aber auch ihren Frust und ihre Lust fließen lassen kann. Diese Umdichtungen haben zwar in der deutschen Nachdichtung spürbar von ihrem Zauber eingebüßt, wurden dafür aber in Dänemark tatsächlich in die neueste Ausgabe des Gesangbuchs aufgenommen. Zu Recht. Sie sind wirklich schön in ihrer Leichtläufigkeit. „Hygge“-tauglich, aber immer mit diesem gewissen Etwas, das uns die Welt ein kleines bisschen anders, klarer, schärfer, schöner, bunter sehen lässt.
Wenn man „hygge“ als das Schaffen einer Atmosphäre verstehen würde, in der die eigene Befindlichkeit klar ausgesprochen werden darf, man aber auch einfach mal die Klappe halten kann, letztlich also verschiedene Sichtweisen ebenso zulässt wie verschiedene Ausdrucksformen und Temperamente, dann wäre viel gewonnen.
Ein gutes Beispiel hierfür sind bei Pilgaard die Auseinandersetzungen der Ich-Erzählerin mit Emma, einer Schülerin ihres Mannes, die es als das Recht der Jugend betrachtet, ungefragt in Beziehungen hineinrauschen zu dürfen. Doch auch die Ich-Erzählerin hat kein Problem damit, klarzumachen, wo sie steht. „Ich räuspere mich laut und versuche Emmas Blick einzufangen. Hier und da wird gelacht, aber da ich mich nicht wieder hinsetze, kehrt Stille ein. Das hier geht vielleicht ein bisschen weit, sage ich, den Zeigefinger auf Emma gerichtet, kannst du ihm nicht tote Tiere oder gebrauchte Monatsbinden nach Hause schicken wie eine normale Stalkerin. Sie blinzelt, in der Kantine herrscht donnernde Stille.“
Doch die Tür der Begegnung ist nicht unwiederbringlich zugeschlagen. Einige Kapitel später, im Auto: „Emma, sage ich, auch wenn wir denselben Mann lieben, brauchen wir deswegen keine Todfeindinnen zu sein. Sie holt ein Kaugummi aus der Tasche und hält ihn mir hin. Würde dir guttun, sagt sie.“
Dass das Miteinander gelingt, hat auch damit zu tun, dass die Erzählerin sich selbst und alle anderen in ihrer Eigenart zwar ernst nimmt, sie aber trotzdem, oder gerade deswegen, über sie und sich lachen kann. So wird zwar auf der einen Seite deutlich gemacht, dass das ununterbrochene Reden über Feuchttücher und Babytrinkflaschen ein sicherer Beziehungskiller ist, andererseits aber darf die Freude über das Kind größer und blödsinniger sein als alles andere. „Unser Sohn hat begriffen, dass er hier der Star ist, denn als ich auf ihn deute, legt er erst mal eine Kunstpause ein. Mäh, sagt er dann feierlich. Mein Freund fasst nach meiner Hand. Mäh, sagen wir im Chor. Wir schauen unseren Sohn an, ganz verzaubert angesichts seiner Reise in das Land der Vokale.“
Sprache ist etwas Wunderbares, geben wir ihr doch einfach Raum zur Entfaltung, lassen wir sie so sein, wie sie will und erwarten nicht, dass sie immer in gleicher Währung zurückgezahlt wird. Das ist die schlichte Botschaft dieses gar nicht schlichten Romans. „Wir sind aus Velling, wir sind aus Velling, olé, olé-olé-olé, brüllen wir über den Fjord, der mit einem gemächlichen Seufzen antwortet.“
Ob ein Kind, das hier aufwächst,
jemals etwas anderes sagen wird
als „Muh“? Oder reicht das?
„Hygge“ könnte eine Atmosphäre
sein, die verschiedene Sichtweisen
und Temperamente zulässt
Keine Vertraulichkeiten, keine direkten Fragen: In Jütland herrscht ein Sprachregime strenger Kargheit.
Foto: Eric Dricoch/mauritius images
Stine Pilgaard:
Meter pro Sekunde.
Aus dem Dänischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Kanon, Berlin 2022.
256 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.2022

Erwartungen an junge Mütter
Stine Pilgaards Roman "Meter pro Sekunde"

Dies ist ein Buch, in dem nahezu jeder Satz als Zitat dienen könnte, egal, ob die Protagonistin gerade eine Fahrstunde absolviert, ihr Kind bei der Tagesmutter abholt oder anderen Menschen als Kummerkasten Rat gibt - alles klingt poetisch, wortmalerisch: "Liebe Ratlose. Schau zu, dass du auf deiner eigenen Bahn bleibst, schau zu, dass du dich von Seen fernhältst. Die Natur ist nicht neutral, sie hat einen Willen, und die dänischen Seen bestehen aus blauen Montagstränen voll Mascara und aufgelöstem Puder. Sie kokettieren mit ihrer Reinheit, damit, dass sie von der Welt unberührt wären, aber wir wissen ja genau, die meisten von ihnen sind künstlich angelegt worden." Das ist nur ein Beispiel für die zahlreichen Metaphern, mit denen die Protagonistin versucht, die Wirklichkeit zu erklären - sich selbst oder denen, die Rat bei ihr suchen.

Stine Pilgaard lässt in ihrem Roman "Meter pro Sekunde" eine namenlose Protagonistin sprechen. Die erzählt alles für uns nach, und ans Nacherzählen ohne jegliche Anführungszeichen bei wörtlicher Rede muss man sich zunächst einmal gewöhnen. Die stilbewusste Übersetzung aus dem Dänischen stammt von Hinrich Schmidt-Henkel, der sogar im Roman vorkommende dänische Lieder ins Deutsche übersetzt und dem Leser Vergleichsmelodien an die Hand gegeben hat. Gewöhnt man sich daran, dass Pilgaard eine subjektive Wirklichkeit aus den Augen ihrer Hauptfigur schafft - denn die indirekte Rede aller anderen Figuren wird von der Protagonistin bewertet -, liest sich das Buch sehr leicht.

Es bleibt eine Geschichte ohne großen Knall. Grob gesprochen, geht es darum, dass die Protagonistin mit ihrem Liebsten und dem gemeinsamen kleinen Sohn - auch die beiden bleiben namenlos - in ein dänisches Dorf zieht, in dem jeder jeden kennt. Ihr Liebster ist Lehrer, sie selbst versucht, endlich ihren Führerschein zu machen, und arbeitet nebenbei in der "Orakelindustrie", wie sie selbst ihr Geschäftsmodell als Kummerkasten für die lokale Zeitung nennt. Die an sie gerichteten Briefe und ihre Antworten darauf durchsetzen die Kapitelfolge - eine angenehme Abwechslung, weil mit den Leserbriefen doch weitere Perspektiven geboten werden, und sie dienen auch dazu, die Protagonistin besser kennenzulernen. Denn die betont zwar in ihren Antworten immer, es gehe gar nicht um sie, sondern um die Probleme des jeweiligen Lesers, und doch erzählt sie immer zuerst ein recht persönliches Beispiel. Das tut ihrer Rolle als Kummerkasten keinen Abbruch, im Gegenteil: Meist sind die Antworten komisch, und der Ratschlag ist unvorhersehbar.

Dennoch zeichnet Pilgaard nicht das Bild einer reinen guten Seele. Vielmehr geht es ihr auch darum, dass die Erzählerin gerade eine junge Mutter geworden ist und mit dieser Rolle erst einmal klarkommen muss. In jenen Kapiteln, in denen sie nicht als Orakel Tipps und Antworten gibt, erhält sie selbst immer wieder Anregungen, wie man mit einem Kleinkind umgehen soll, wie Erziehung richtig funktioniert.

In "Meter pro Sekunde" tritt auf diese Weise eine Erwartungshaltung an junge Mütter zutage, laut derer diese immer stark sein müssen und möglichst wenig Fehler machen sollen. Von ihnen wird verlangt, dass pures Mutterglück nach der Geburt zu herrschen habe - als ob sie kein Recht hätten, ihrem alten Leben hinterherzutrauern oder gar depressiv zu werden, weil sich mit dem Kind der Alltag grundlegend geändert hat.

Die depressive Stimmung der Protagonistin wird verstärkt durch die Fremde, in die sie sich begeben hat. Sie und ihr Partner sind um die dreißig, er ist etwas jünger als sie. Da er Lehrer ist, wird sie von allen stets gefragt, ob sie nicht Angst um seine Liebe habe, wo er doch den ganzen Tag mit jungen Frauen zu tun habe. Und diese Angst bekommt die Erzählerin schließlich auch, zwar recht subtil - wie alles in diesem Roman -, aber doch als regelrechte Panik, verlassen zu werden.

Ein paar Gespräche mehr, vor allem mit ihrem Liebsten, hätten der Sache gutgetan (auch dem Buch selbst übrigens). Aber ernste Themen, das lernt man hier, können unter Verwendung blumiger Metaphern in einem Leserbrief oder während der vierzigsten Fahrstunde besprochen werden. ANNA FLÖRCHINGER

Stine Pilgaard:

"Meter pro Sekunde". Roman.

Aus dem Dänischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Kanon Verlag, Berlin 2022. 255 S., geb. 23,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Das Buch des Jahres. Ein absolut sagenhafter Roman darüber, sich im Nirgendwo auf die Mitte des Lebenseinzulassen.« Jyllands-Posten
»Man lacht, man möchte sich die besten Sätze anstreichen oder laut vorlesen: Meter pro Sekunde gehört zu jenen Büchern, die man immer wieder hervorholen möchte.« Freundin