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Nicht zuletzt geht es in diesem großen Roman um die blutig enttäuschten Träume und Irrtümer, die Charlotte und Wilhelm nur zufällig überlebten - und deren Drama jetzt hoffentlich viele berühren wird. Alexander Cammann Die Zeit 20191030
Acht Jahre nach dem Bestseller „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ begegnen wir Charlotte in Moskau wieder. Eugen Ruge schreibt seine persönliche Familiensaga fort, indem er ihren Anfang ergründet. Ruges Großmutter Charlotte und ihr zweiter Mann Wilhelm sind vor den Nazis in die Sowjetunion geflohen, sie arbeiten beim Nachrichtendienst Kommitern. Im Sommer 1936 liest Charlotte, dass ein guter Bekannter von ihr auf der Liste des ersten öffentlichen Prozesses gegen die Volksfeinde steht. Als sie pflichttreu ihrem Vorgesetzten davon berichtet, erhält das Paar kurze Zeit später die Anweisung, seine Wohnung zu räumen. Ihnen wird ein Zimmer im Hotel Metropol zugewiesen. Irritiert, aber beeindruckt von dem Glanz des prächtigen Jugendstil-Hotels, beziehen sie das Zimmer und warten. Tage, Wochen, Monate. Es ist eine bleierne Zeit der Ungewissheit, die sich in blanken Horror verwandelt, als immer mehr ihrer Kollegen ins Hotel „einziehen“ und nach und nach verschwinden. Ruge erzählt durch Introspektiven Charlottes ergänzt von zwei weiteren Perspektiven aus dem Dunstkreis von Stalins Machtzirkel. Die im Buch abgedruckte Kaderakte von Charlotte ist das Fundament dieses Romans, der zeigt, wie der politische Terror die Grundfesten der Mitmenschlichkeit erschütterte.

Schmerzhaft real: Ruge erzählt auf den Spuren seiner Großmutter Charlotte von den Stalinschen Säuberungen. 

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2019

Was Menschen glauben wollen

Ein Geschichtsroman besonderer Güte: Eugen Ruge schreibt mit "Metropol" viel mehr als nur ein Prequel zu "In Zeiten des abnehmenden Lichts".

Als vor acht Jahren Eugen Ruges Debütroman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" erschien, wurde er zum Sensationserfolg: Deutscher Buchpreis, entsprechend hunderttausendfach verkauft, Verfilmung mit keinem Geringeren als Bruno Ganz in einer Hauptrolle und viel, viel Kritikerlob. Dabei hatte Ruge nur das spätestens seit den "Buddenbrooks" gängige Schema des generationenübergreifenden Familienromans mit autobiographischer Grundlage ein weiteres Mal belebt, allerdings mit dem Reiz, das hier Einblicke in die Leben einer semiprominenten DDR-Intellektuellenfamilie gegeben wurden - vor und nach der Wende von 1989. Und man merkte besonders der Charakterisierung des Veteranenpaars Charlotte und Wilhelm Powileit an, dass dessen Romanbiographien noch weit mehr zu bieten hätten als jene vier letzten Jahrzehnte seit ihrer Rückkehr aus dem mexikanischen Exil, von denen "In Zeiten des abnehmenden Lichts" erzählt.

Nun wird tatsächlich mehr von Charlotte und Wilhelm erzählt, viel mehr sogar, der ganze neue Roman von Eugen Ruge gehört ihnen. Er hat fast haargenau die gleiche Seitenzahl wie der Vorgänger, deckt aber gerade einmal anderthalb Jahre ab, von September 1936 bis Januar 1938. Die Intensität der Porträts des Paars ist also eine ganz andere, als sie es angesichts des überbordenden Personals vor acht Jahren sein konnte, und war damals noch Wilhelm die fürs Buch bedeutsamere Figur, liegt diesmal ein besonderer Fokus auf Charlotte - aus ihrer Sicht werden nun die meisten Kapitel erzählt, dreizehn von zwanzig. Die übrigen sieben verteilen sich auf die Perspektiven zweier Nebenfiguren: Laima Zeraus alias Hilde Tal, eine lettische Revolutionärin und frühere Ehefrau von Wilhelm, und Wassili Wassiljewitsch Ulrich, der Vorsitzende Richter in den Moskauer Schauprozessen, mit denen Stalin sich seiner innenpolitischen Rivalen entledigte. Dazu kommt noch ein kurzer Prolog und ein umfangreicher Epilog, die jedoch nicht Teil der Romanhandlung sind.

In diesen beiden Rahmentexten erzählt Ruge vielmehr, wie das neue Buch entstand. Der Stoff war ursprünglich als Bestandteil von "In Zeiten des abnehmenden Lichts" gedacht, aber die Moskauer Jahre von Charlotte und Wilhelm erwiesen sich dann als zu großes Thema. Zumal Eugen Ruge sich vor 2011 noch nicht leisten konnte, was er aus Recherche- wie Inspirationszwecken für unabdingbar hielt: eine Nacht als Gast im Luxushotel Metropol, dort, wo seine Großmutter väterlicherseits und deren Mann, sein Stiefgroßvater, in jenen anderthalb Jahren gewohnt haben, von denen der neue Roman erzählt. Denn das Buch heißt "Metropol". Und das zu Recht.

Das Hotel erscheint als ein Mikrokosmos der damaligen repressiven Stimmung, und im räumlichen Nebeneinander von Auf- und Absteigern der sowjetischen Gesellschaft wird der Zufallsfaktor Schicksal deutlich, den keiner der Beteiligten zu erklären vermag, aber alle fürchten. Im Hotel Metropol residierte Richter Ulrich, aber dort hatte man auch die Mitarbeiter der bis heute geheimnisumwitterten sowjetischen Agentenorganisation OMS einquartiert, als diese Institution liquidiert wurde. Deren russische Abkürzung bezeichnet die "Abteilung für internationale Verbindungen" (ein Glossar ist dem Band beigegeben), und die OMS war dementsprechend vor allem mit ausländischen Kommunisten besetzt, darunter besonders vielen Deutschen, denn in deren Heimatland sollte die Weltrevolution sich nach Moskauer Plänen fortsetzen. Zu den deutschen Mitarbeitern zählten Eugen Ruges Großmutter und Stiefgroßvater, vor allem aber gehörten sie zu den wenigen OMS-Angehörigen, die die Stalin-Zeit überlebten.

Warum, das hat Ruge nicht in Erfahrung bringen können. Das ist einer der Gründe, warum die Handlung des Romans bis zum Januar 1938 reicht; danach erfolgte das Wunder einer Ausreiseerlaubnis nach Frankreich für das Paar, das sich schließlich auch noch vor den Nazis nach Mexiko retten konnte. Und im September 1936 setzt das Buch deshalb ein, weil es Ruge nicht geglückt ist, den früheren Standort der OMS zu besuchen; noch heute ist unklar, wo er sich genau befand. Zur Ethik des Schreibens von Eugen Ruge zählt die Wahrhaftigkeit; die Geschehnisse des Romans sind aufwendig recherchiert, Imagination betrifft allein die nicht überlieferten Dialoge. Einen Ort zu beschreiben, von dem es keine Anschauung oder nicht wenigstens eine authentische Beschreibung aus anderer Feder gibt, war für Ruge offenbar nicht möglich. Zum "Punkt 2", dem ominösen Hauptquartier der OMS, macht der Roman nur einen kurzen Abstecher; erst sind Wilhelm und Charlotte auf Reisen, danach geht's ins Hotel.

Das Metropol wird dann umso lebendiger heraufbeschworen, vom Speisesaal mit seiner Gäste-Hierarchie bis zum gläsernen Aufzug und zur Deckenbemalung des Zimmers, in dem die Powileits leben. Deren aus "In Zeiten des abnehmenden Lichts" vertrauter Nachname fällt übrigens in "Metropol" kein einziges Mal, es ist nur von "Charlotte" und "Wilhelm" die Rede, bisweilen auch unter deren (realem) Tarnfamiliennamen "Germaine", und im neuen Buch sind die beiden wie auch ihre beiden Söhne Werner und Kurt ein paar Jahre früher geboren, als sie es im Vorgängerroman waren. Ruge hatte seinerzeit kein Hehl daraus gemacht, dass er die Lebensdaten seiner Angehörigen für die Fiktion verändert hatte, nun führt es sein Erzählen wieder an die Wirklichkeit heran. "Metropol" ist eindeutig weniger fiktional als "In Zeiten des abnehmenden Lichts".

Macht ihn das zum schlechteren Roman? Keineswegs, im Gegenteil. Die psychologische Zeichnung der Akteure ist beklemmend, gerade wegen der je unterschiedlichen Sicherheit, in der sie sich wähnen. Hilde Tals alles andere als jäher, aber von ihr eben nicht erwarteter Sturz ist ein erzählerisches Meisterstück, vergleichbar nicht nur des Themas wegen mit Julian Barnes' Schostakowitsch-Roman "Der Lärm der Zeit". Und noch überraschender als das Überleben von Charlotte und Wilhelm ist das des Richters, von dem man aber nur im Epilog erfährt. Er selbst sieht sich im Laufe des Romans mehrfach vor dem Fall, und man glaubt es ihm unbedingt.

Mit den anderen OMS-Angehörigen schafft Ruge ein Panoptikum des kommunistischen Exils in epigrammatisch kurzen, aber grandiosen Einzelepisoden. Ließ es das Figurenensemble von "In Zeiten des abnehmenden Lichts" an einer klaren Hierarchie fehlen, weil Ruge jeder der vier vertretenen Generationen Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte, glänzen nun vor den vier breit ausgemalten Charakteren die vielen nur anskizzierten durch ihre Prägnanz. Einzelne Schicksale sind herzzerreißend, gerade weil es sich oft nur um Zufallsbekanntschaften der Hauptakteure handelt, und da, wo Ruge ein weiteres großes Drama hätte bieten können, bei Charlottes Sohn Werner, von dem wir aus dem früheren Roman wissen, dass er im russischen Straflager sterben wird, nimmt er sich gerade zurück: Nur einmal tritt Werner in "Metropol" auf. Trotzdem spielt er dabei gegenüber seinem öfter im Roman präsenten Bruder Kurt, dem Alter Ego von Ruges Vater, die viel wichtigere Rolle, weil er als Älterer über mehr Selbstbewusstsein und Erfahrung verfügt - auf nur wenigen Seiten stellt Ruge einen freien Menschen vor. Im Wissen um dessen späteren Tod erhält diese Szene eine besondere Tragik, doch dazu muss man "In Zeiten des abnehmenden Lichts" gelesen haben. Ruge bleibt auch insoweit seinem Wahrhaftigkeitsideal verpflichtet, dass er sich innerhalb der Handlung von "Metropol" jeden Ausblick auf die Zukunft versagt.

Man entkommt dem Sog dieses Romans so wenig wie dessen meiste Akteure dem stalinistischen Vernichtungswillen, und obwohl man um den groben Verlauf der historischen Ereignisse weiß, ist die semifiktionale Geschichte immer wieder überraschend. Ruge nennt sie im Epilog eine Erzählung darüber, "was Menschen zu glauben bereit, zu glauben imstande sind". Das ist in der Tat unglaublich. Und das macht Eugen Ruges "Metropol" zu einem extrem lesenswerten Geschichtsroman.

ANDREAS PLATTHAUS

Eugen Ruge: "Metropol". Roman.

Rowohlt Verlag, Hamburg 2019. 431 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2019

Die Farbe des Lippenstifts
Eugen Ruge dramatisiert die Lücken in seiner Familiengeschichte
Ein „Doppelzüngler“ zu sein, der Verdacht wiegt schwer im Moskau des Jahres 1937, und eigentlich genügt auch schon der Verdacht des Verdachts. Hat der oder die Angeklagte sich abfällig über den Genossen Stalin geäußert, hat sie oder er „feindliche Gedanken gehabt, die Sie nicht geäußert haben“? Im Hotel Metropol, dem Belle Époque-Gebäude gegenüber dem Bolschoi-Theater, hat sich die Paranoia eingenistet. Hierher hat man vor Kurzem die deutschen Kommunisten Charlotte und Wilhelm verbracht, zusammen mit anderen Genossen vom jetzt aufgelösten „Punkt Zwei“ der OMS, dem Nachrichtendienst der Komintern. Die Säuberungen haben nun auch die Treuesten der Treuen erreicht, im Frühstückssaal wird es immer leerer, und Charlotte hat allen Grund zu glauben, dass sie als nächste abgeholt wird. Die deutsche Genossin Hilde Tal hat sie denunziert: Charlotte habe, so die schriftliche Mitteilung, mit ihrem Mann „bei dem trotzkistischen Banditen EMEL“ verkehrt.
Eugen Ruges „Hotel Metropol“ trägt nach, was sein berühmt gewordener Mehrgenerationenroman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von 2011 aussparte oder aussparen musste: Charlotte, seine Großmutter, und Wilhelm, ihr zweiter Mann, haben nach ihrer Rückkehr aus dem mexikanischen Exil in die DDR über die Moskauer Erfahrungen nie gesprochen. Man weiß, dass diese Erfahrungen die Betroffenen entweder zu „Renegaten“ haben werden lassen oder dass sie „Loyalisten“ geblieben sind. Charlotte und Wilhelm haben, wie viele Gläubige der Weltrevolution, Stalin lebenslang die Treue bewahrt. Auch Charlottes Sohn, Wolfgang Ruge, der Jahre im Gulag verbrachte und dann einer der führenden Historiker der DDR wurde, blieb dem Kommunismus treu, schrieb dann aber kurz vor seinem Tod, unterstützt von seinem Sohn, erstmals offen über seine Zeit in Stalins „Gelobten Land“. Wird man das Geheimnis dieser Treue womöglich aus Charlottes Moskauer Akten erfahren?
Im „Russischen Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte“ konnte Eugen Ruge vor einigen Jahren die beklemmende Kaderakte von „Charlotte Germaine“, wie seine Großmutter bei der OMS hieß, einsehen. Die 246 Seiten mit Briefen und Mitteilungen, in denen es vornehmlich um Charlottes und Wilhelms Rechtfertigung geht, bilden das Gerüst von Ruges Tatsachenroman, der sich, um Roman sein zu können, einige Freiheiten herausnehmen muss.
Real ist das Hotel Metropol, mit seiner unwahrscheinlichen Mischung von Gästen, mit den in einem gespenstischen Wartestand verharrenden OMS-Kadern, mit internationalen Stars wie dem Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der auf sanften Druck über Stalins Schauprozesse Freundliches schreiben wird, und mit Stützen des Systems wie Wassili Wassiljewitsch Ulrich, dem obersten Militärrichter der UdSSR, einem mitleidlosen Zyniker, der Todesurteile wie am Fließband verfasst.
Dieser Ulrich leidet, jedenfalls bei Ruge, an Verdauungsbeschwerden, die ihm jeden Gerichtstag zur Qual werden lassen. Das Mittel, mit dem Ruge seine Leser aus der Kaderaktenwelt in die Fülle der Wirklichkeit hinausführt, ist meist die erlebte Rede. Auf diese Weise ist er an seinen Figuren so nahe dran, wie es die bloße Auswertung seiner Recherchen niemals ermöglicht hätte.
Man versteht gut, dass Ruge erfinden muss, dass er die äußeren Fakten mit einem selbst nicht dokumentierten inneren Erleben anreichern möchte. So lässt er etwa die Genossin Hilde Tal über ihre Ehe wie folgt ins Grübeln geraten: „Keine Eifersucht, nein, es ist etwas anderes. Es ist diese, wie soll man es nennen, Verbundenheit. Sie hat tatsächlich geglaubt, dass es Dinge gäbe, die für immer verbinden. Was wäre das? Die Erfahrung, dass man zu sterben bereit ist.“ Ruge beherrscht diese Technik der Einfühlung in die Herzen und Hirne seiner Figuren gut, und wahrscheinlich ist es auch diese Kunstfertigkeit, die den Roman so lesbar und packend macht. Natürlich ist das, was der Roman sich an literarischer Gestaltung erlaubt, durch keine Aktenlage abgesichert.
Recht häufig geht es in „Metropol“ um Sex, ehelichen und außerehelichen, was nicht verwundert, wenn man sich Sex als eine Ressource vorstellt, die auch in Zeiten der sonstigen Mangelwirtschaft einigermaßen ausreichend zur Verfügung steht. So gesehen, hat Sex in „Metropol“ den Realismus an seiner Seite. Für die psychologischen und politischen Facetten des sozialistischen Sexuallebens hat Ruge ein offenes Ohr. Der oberste Richter Ulrich etwa, den seine Ehefrau nur noch gelegentlich „ranlässt“ (ein Wort wie aus frühen Arno-Schmidt-Romanen), sucht und findet Abwechslung bei verzweifelten Ehefrauen seiner Angeklagten. Charlotte, die zeitweilig Anstellung in der „Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter“ gefunden hat, lässt sich auf eine wilde Büro-Affäre mit ihrem Chef ein, während sie Wilhelm, dem erotisch erloschenen Ehemann, nur noch sporadisch und auf dessen sanfte Bitte „Gutes tut“. Dies und vieles andere Private wird von Ruge fein beschrieben, hat einige Wahrscheinlichkeit für sich und liest sich oft geradezu süffig. In der Kaderakte steht so etwas natürlich nicht. Was wüsste man aus ihr über Charlottes Lippenstift, über ihre heimlichen Besuche an der Kuchentheke, und vor allem, über ihre alltägliche und -nächtliche Angst, als nächste abgeholt und exekutiert zu werden? Dass Ruge diese extremen Stimmungslagen zwischen Lebenslust und Todesangst greifbar, nachvollziehbar macht, ist seine literarische Leistung. Dass er, indem er aus Charlotte Literatur macht, in gewisser Weise dem Schweigen seiner Großmutter untreu wird, ist der Preis, der bei dem gewählten literarischen Verfahren zu entrichten war.
Viel ist zuletzt geschrieben worden über Moskau 1937 und den großen Terror. Sein Buch habe „der Stalinismus-Forschung nichts hinzuzufügen“, bemerkt Ruge im „Epilog“ seines Romans, dem vielleicht interessantesten Teil seines Buches. Man kann ihm zustimmen: „Metropol“ fügt weniger der Stalinismus-Forschung etwas hinzu als der Familiengeschichte der Ruges. Weder darf man von „Metropol“ erwarten, dass in ihm die unbeirrte Gefolgschaft seiner Figuren zum Stalinismus aufgeklärt würde, noch findet hier eine first hand-Abrechnung mit Stalins Terror statt, wie sie literarische Zeitzeugen von Koestler bis Jiri Weil aufs Eindrucksvollste geliefert haben.
Charlotte und Wilhelm, waren, anders als etwa der „trotzkistische Bandit EMEL“ keine Intellektuellen, keine Ideologen, sondern eher nur die Sachbearbeiter und Mitläufer der Weltrevolution. An Abenteuern hat es in ihren Leben weiß Gott nicht gefehlt, aber man würde gerne noch besser verstehen, wie es eine ganze Generation von Kommunisten geschafft hat, sich das eigene Denken von einer Partei verbieten zu lassen, die immer Recht hatte. Tiefer als Charlotte und Wilhelm im Hotel Metropol 1937 kann man nicht in den Malstrom des Stalinismus geschaut haben. Der Schrecken muss so groß gewesen sein, dass sie ihn fortan aus ihren Leben verbannten. Statt für „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“, um Freuds Begriffe zu verwenden, haben sich die Beiden verständlicherweise für die Verdrängung entschieden. Aber von diesem Nichterzählenwollen kann auch der beste Erzähler schwer erzählen.
CHRISTOPH BARTMANN
Die Figuren sind keine
Intellektuellen, eher Mitläufer
der Weltrevolution
Eugen Ruge: Metropol. Roman. Rowohlt Verlag, Hamburg 2019.
432 Seiten, 24 Euro.
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