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Metternich - sein Name steht für das Zeitalter der Restauration, das monarchische Prinzip und den Versuch, den liberalen und nationalen Kräften des 19. Jahrhunderts Einhalt zu gebieten. Doch der Fürst, der rund vier Jahrzehnte lang zu den beherrschenden Gestalten Europas gehörte, war mehr als nur ein Reaktionär. Wolfram Siemann zeigt, dass der Gegenspieler Napoleons und Architekt der europäischen Friedensordnung nach dem Wiener Kongreß von 1815 mehr als bislang aus seiner Zeit heraus verstanden werden muss und in vielem moderner war als das bis heute gängige Bild von ihm vermuten lässt.

Produktbeschreibung
Metternich - sein Name steht für das Zeitalter der Restauration, das monarchische Prinzip und den Versuch, den liberalen und nationalen Kräften des 19. Jahrhunderts Einhalt zu gebieten. Doch der Fürst, der rund vier Jahrzehnte lang zu den beherrschenden Gestalten Europas gehörte, war mehr als nur ein Reaktionär. Wolfram Siemann zeigt, dass der Gegenspieler Napoleons und Architekt der europäischen Friedensordnung nach dem Wiener Kongreß von 1815 mehr als bislang aus seiner Zeit heraus verstanden werden muss und in vielem moderner war als das bis heute gängige Bild von ihm vermuten lässt.
Autorenporträt
Wolfram Siemann ist o. Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2016

Der schöne Galan war Pflichtmensch
„Mein Leben ist in eine abscheuliche Periode gefallen“: Wolfram Siemanns große Biografie Clemens von Metternichs
zeigt einen Friedenspolitiker im Zeitalter der nationalen Mobilisierungen. Bisweilen wirkt sie gespenstisch aktuell
VON GUSTAV SEIBT
Dass die Biografie Clemens von Metternichs ein erstrangiger Stoff der Geschichtsschreibung ist, hat nicht nur wissenschaftliche Gründe. Zwar ist die Renovierung eines Bildes, das zwischen nationalistischen und sozialdemokratischen Aburteilungen kaum noch schwankte, überfällig: Wenn Heinrich von Treitschke („Charakterlosigkeit“) und Hans-Ulrich Wehler („Perfidie“) übereinstimmen, dann stimmt etwas nicht. Wie falsch es ist, zeigte vor fünf Jahren eine kurze, der ausstehenden Materialbiografie vorgreifende Darstellung Wolfram Siemanns, die den deutschnational-sozialkritischen Muff herkömmlicher Metternich-Bilder mit energischem Schwung von der Schultafel wischte. Und jetzt ist das große Buch da. Seit dem völkisch-großdeutschen Historiker Heinrich Ritter von Srbik ist Siemann – Kenner des 19. Jahrhunderts und ein ausgewiesener Sozialhistoriker – der erste Forscher, der den heute in Prag liegenden Nachlass Metternichs systematisch ausgewertet hat. Er ging damit über die punktuelle Verwendung des Aktenmaterials der Außenministerien nach Art von Henry Kissingers brillanter Doktorarbeit zum Wiener Kongress weit hinaus.
  Zum ersten Mal hat man Gelegenheit, Metternichs unbestrittene Großleistung, die auf Feldzügen und Kongressen von 1813 bis 1815 im engen Kontakt mit den Monarchen und Ministern der europäischen Großmächte ausgehandelte europäische Friedensordnung, in den Zusammenhang seiner Biografie und seines Denkens zu stellen. Und zwar eines Denkens, das reflektiert und weitsichtig auf die Erfahrungen der Revolutionsepoche reagierte. Aus einem schlauen Kavalier wird ein verantwortungsethischer Staatsmann. Metternichs zwei Lebensleistungen, der Kampf gegen einen rechtsbrüchigen Diktator und die stabile Koordination einer völkisch aufgewühlten Staatenwelt, berühren aktuell wie schon lange nicht mehr.
  Da Metternich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Revolution von 1848 im österreichischen Staatsdienst tätig war, seit 1809 als unermüdlich lesender, schreibender und sammelnder Amtschef, kann der Biograf aus einem unglaublich reichen Quellenmaterial schöpfen. Die dabei erreichte Anschaulichkeit erlaubt es, Fremdes und Exemplarisches viel präziser als bisher zu trennen. Schon Details der diplomatischen Technik und Kommunikation, die Siemann ausbreitet, wie Metternichs auf mehrere Kutschen und Fahrzeuge verteiltes Feldbüro von 1813/14 sind unschätzbar: Außenpolitik war harte, gründliche Arbeit, oft als Gipfeldiplomatie in Schmutz und Kälte, von Tag zu Tag, im Zeitdruck der Schlachten und Krisen. Metternich, der schöne Galan, war vor allem ein penibel genauer Pflichtmensch.
  All das ist umso erregender, weil Metternich selbst ein ausgeprägtes Epochenbewusstsein hatte. 1820 schrieb er: „Mein Leben ist in eine abscheuliche Periode gefallen. Ich bin entweder zu früh oder zu spät auf die Welt gekommen; jetzt fühle ich mich zu nichts gut. Früher hätte ich die Zeit genossen, später hätte ich dazu gedient, sie wieder aufzubauen; heute bringe ich mein Leben zu, die morschen Gebäude zu stützen. Ich hätte im Jahre 1900 geboren werden und das 20. Jahrhundert vor mir haben sollen.“ So schreibt kein Reaktionär, der Metternich übrigens auch als fortschrittlicher Wein- und Stahlproduzent nicht war. Der von Siemann herausgearbeitete Abstand zur Klage preußischer Junker über die Kommerzialisierung des Grundbesitzes ist schlagend.
  Der 1773, vier Jahre nach Napoleon, geborene Metternich war ein Erbe des kosmopolitischen deutschen Reichsadels, der durch das Ende des Alten Reichs 1806 seine Stellung verlor. Als Sohn eines aufgeklärten Staatsdieners der damals durchaus reformbereiten habsburgischen Monarchie, als Schüler und Student in Straßburg und Mainz, dann als Besucher Englands kam der junge Reichsgraf schon bis 1794 mit allen maßgeblichen historischen Kräften seiner Zeit in Kontakt.
  Sein sanfter Hofmeister Johann Friedrich Simon verwandelte sich in einen rabiaten Pariser Jakobiner, der als Konventskommissar dem von den Franzosen eroberten Mainz 1793 die Republik gewaltsam oktroyierte; einer der Professoren Metternichs wurde Präsident des dortigen rheinisch-deutschen Nationalkonvents. Andere seiner akademischen Lehrer hingen dagegen den englisch-ständischen Freiheitsbegriffen an, die Edmund Burke schon 1790 in seinen „Betrachtungen zur Revolution in Frankreich“ gegen die totalitäre Logik der Pariser Revolution in Stellung brachte. Dass Metternich Burkes Schrift in der Erstausgabe erwarb und seinen Verfasser in London als Parlamentsredner bewunderte, beweist nicht nur eine lebenslange intellektuelle Wachheit, es lässt auch erkennen, dass Metternichs Vorbehalte gegen die Revolution gründlich reflektiert waren. Schon der Zwanzigjährige war, so Siemann, politisch „fertig“, und zwar als Kind der Aufklärung und als „konservativer Whig“. Burke-Leser konnten von der Bahn der Revolution in die Militärdespotie ebenso wenig überrascht sein wie von der napoleonischen Verachtung des Völkerrechts. Der große Zweikampf mit dem Kaiser der Franzosen hat einen prinzipiellen Zug.
  Metternich begriff die Revolution als sozialen Umbruch, der die klassische Trennung von Innen- und Außenpolitik aufhob und damit die Staatenbeziehungen insgesamt umwälzte. Auf die europäische Landkarte blickte er mit dem Interesse am Erhalt einer kosmopolitischen europäischen Gesellschaft. Der angebliche Ordnungsfanatiker war vor allem ein moderner Sicherheitspolitiker und pazifistischer Verächter des Krieges. Und er hat den Krieg gekannt, nicht nur das Elend auf den Schlachtfeldern, sondern auch die Verheerungen im Hinterland bis zur endemischen sexuellen Gewalt, die ihm, dem empfindsamen Liebling der Frauen, unerträglich war.
  Napoleon war das Gewalterzübel, mit dem Europa nicht zur Ruhe kommen konnte. Siemann kann zeigen, dass Metternichs Politik von Anfang an auf den Sturz des Kaisers hinarbeitete, auch wenn er jahrelang mit Kompromissen Zeit kaufte. Falsch sei, so Siemann, die Ansicht, Metternich habe Napoleon im Endkampf von 1813/14 noch retten wollen – die taktischen Friedensangebote, die Napoleon erwartungsgemäß ausschlug, dienten zwei Zwecken: den eigenen Kaiser, der zum Schwiegervater Napoleons geworden war, bei der Stange zu halten, und, wichtiger, Napoleon von der französischen Nation zu trennen. Der Krieg sollte gegen den Tyrannen geführt werden, nicht gegen sein Volk.
  Dass der in Wien 1815 ausgearbeitete Friede so haltbar wurde, ist mehr als das Resultat von Geschicklichkeit. Siemann zeigt, dass Metternichs Ablehnung vor allem preußisch-nationaler Konzeptionen der Einsicht in die zerstörerischen Potenziale des Nationalprinzips entsprang. „Zwei Elemente sind in der Gesellschaft aufgetaucht“, schrieb Metternich 1848, „welche geeignet sind, ihre Ruhe bis in den Grund zu erschüttern. Als diese Elemente bezeichne ich die Ausdehnung des Grundbegriffs der Nationalität auf das Gebiet des politischen Besitzstandes und dessen Bezeichnung durch die Sprache.“ Die „Dreieinigkeit“ von Nation, Sprache und Territorium galt Metternich als „kriegstreibend“. Welcher Kleinstaat war noch sicher, wenn es nur noch große Nationen geben sollte?
  Daher war ein europäisch verankerter Bund mit den beiden aufeinander angewiesenen Hegemonen Preußen und Österreich für Metternich die einzige verträgliche Lösung der deutschen Frage. Dass die Westverschiebung Preußens an den Rhein 1815 eine bedrohliche Saat für die Zukunft legte, ist eine der wenigen vernachlässigten Gesichtspunkte, die man Siemann ankreiden kann. Dass Metternich keineswegs der Unterdrückung einzelner Nationalitäten das Wort redete, gehört wieder zu den grundlegenden Neuigkeiten dieser Biografie: Metternich, der auf seinem eigenen böhmischen Landsitz das Tschechische gleichberechtigt behandelte, hätte auch die polnische Teilung von 1772 am liebsten rückgängig gemacht. Der spätere Fehler einer deutsch-ungarischen Hegemonie mit Zurücksetzung aller anderen Nationalitäten in der österreichischen Monarchie wäre ihm nicht unterlaufen. Nationalitäten sollten innerhalb der Staaten frei sein, aber nicht als Staaten regieren.
  Heute wird die EU gelegentlich spaßhaft und etwas abschätzig mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation verglichen. Bei Siemann kann man lernen, dass es dabei um mehr als eine Analogie, nämlich um einen Zusammenhang von Problemen geht, für den Metternich ein wichtiges Bindeglied darstellt. Denn die angelsächsisch-liberalen Begriffe von subsidiärer Staatlichkeit stellten für ihn die beste Alternative zum volkssouveränen Nationalismus dar, der heute im Europa der Abstimmungen einzelner Völker über gemeinsame Fragen wiederkehrt.
  Gespenstisch berührt die Darstellung der Gewaltwelle, die um 1820 durch den Kontinent ging und im Mord am Dichter Kotzebue ihren berühmtesten Fall fand. Siemann analysiert den Nationalismus junger Männer, die ihrem Opfer Kotzebue (darin den heutigen Salafisten ähnlich) auch die erotische Freizügigkeit zum Vorwurf machten, als Symptom der verarmten Nachkriegsgesellschaft, die unter den postnapoleonischen Schuldenbergen ächzte. Ja, der alternde österreichische Staatskanzler reagierte darauf alarmiert, ohne die sonst gewohnte Gelassenheit, aber doch mit scharfer Wahrnehmung des kommenden Humanitätsbruchs. Es hat etwas Symbolisches, dass der 1848 zum Teufel gejagte Metternich 1859 während der italienischen Einigungskriege starb.
Der große Zweikampf mit
dem Kaiser der Franzosen hat
einen prinzipiellen Zug
  
  
  
Wolfram Siemann:
Metternich. Stratege und Visionär. Eine Biographie. Verlag C.H. Beck,
München 2016.
983 Seiten, 34,95 Euro.
E-Book: 29,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gustav Seibt ist ganz gerührt, wenn er an Metternich und dessen Schicksal denkt. Begeistert zeigt er sich angesichts einer Art Vorabveröffentlichung aus einer neuen wissenschaftlichen Metternich-Biografie des Historikers Wolfram Siemann. Das frischt nicht nur die trostlose Metternich-Biografik auf, wie Seibt zu verstehen gibt, das lässt auch den "Originalton des Jahrhunderts" hören. So, wenn aus den von Siemann erschlossenen Quellen der Briefeschreiber und Zeitschriftsteller Metternich spricht und Napoleon zitiert ("Ein Mensch wie ich scheißt auf das Leben von einer Million Menschen."). Als Mann des Alten Reiches zeichnet der Autor den Staatsmann laut Seibt und verschafft dem Rezensenten aufregende Lektürezeit durch "ideengeschichtliche Durchblicke" auf Staatstheorie a la Metternich, Schleger und Gentz.

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