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Mevlido, ein melancholischer Polizist um die 50, lebt inmitten von Kriegsruinen, in einer heruntergekommenen Wohnung voller Spinnen. Riesige Vogelmutanten, Flüchtlinge aus Lagern und Gulags bevölkern die Ghettos der Stadt. Mevlidos über alles geliebte Frau ist vor fünfzehn Jahren, im Krieg aller gegen alle, von Kindersoldaten gefoltert und ermordet worden. Eines Tages wird Mevlido von den "Organen" seiner Partei mit einer besonderen Mission beauftragt. Dafür muß er in ein "Zwischenreich" eindringen. Die Eintrittskarte in dieses Reich sind sein gewaltsamer Tod und eine qualvolle Wiedergeburt.…mehr

Produktbeschreibung
Mevlido, ein melancholischer Polizist um die 50, lebt inmitten von Kriegsruinen, in einer heruntergekommenen Wohnung voller Spinnen. Riesige Vogelmutanten, Flüchtlinge aus Lagern und Gulags bevölkern die Ghettos der Stadt. Mevlidos über alles geliebte Frau ist vor fünfzehn Jahren, im Krieg aller gegen alle, von Kindersoldaten gefoltert und ermordet worden.
Eines Tages wird Mevlido von den "Organen" seiner Partei mit einer besonderen Mission beauftragt. Dafür muß er in ein "Zwischenreich" eindringen. Die Eintrittskarte in dieses Reich sind sein gewaltsamer Tod und eine qualvolle Wiedergeburt. Jene, die er in seinem früheren Leben gekannt hat, kann er nun zuweilen sehen, ohne aber von ihnen gesehen zu werden; in ihre Träume kann er sich einschleichen, ohne daß größere Nähe möglich wäre. In seinem neuen Leben findet Mevlido seine Frau wieder. Aber auch ihr kann er sich nicht bemerkbar machen.
"Mevlidos Träume" ist das Buch eines Visionärs. In furiosen Bildern komponiert Antoine Volodine eine schwindelerregende, höchst beunruhigende Anderswelt. Alles uns Bekannte ist ins Alptraumhafte verzerrt. Aber Ironie und kohlrabenschwarzer Humor lassen daran zweifeln, daß diese Anderswelt Volodines letztes Wort ist.
Autorenporträt
Volodine, Antoine
Antoine Volodine, Russischlehrer, Übersetzer russischer Literatur, Schriftsteller, lebt in Orléans. Übersetzungen seiner Werke erschienen in Portugal, Japan, Italien, der Türkei, den Niederlanden und den USA.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2011

Bericht aus den Ruinen der Zukunft

Antoine Volodine entführt den Leser mit seiner Negativutopie "Mevlidos Träume" in ein schillerndes Zwischenreich der Phantastik und politischen Kritik.

Hier muss sich keiner tot stellen, hier tut man so, als wäre man am Leben. Wir befinden uns am Ende der Geschichte: Die Kriege gegen die Reichen sind verloren, alle Revolutionen sind gescheitert, alle Aufstände niedergeschlagen, und der sogenannte Schwarze Krieg hat die Welt vor langer Zeit in Schutt und Asche gelegt. Die namenlosen Organe seiner Partei schicken Mevlido, den Titelhelden, als Agenten mitten hinein in dieses menschliche Tohuwabohu, in dem die politischen Utopien der Vergangenheit nur noch ein Schatten ihrer selbst sind. Dafür muss er in einem fremden Körper wiedergeboren werden und zunächst sterben, um später wiederum als schwermütiger Polizist in der Hoffnung auf Rückkehr auf seinen nächsten Tod zu warten.

Mevlido tritt eine Reise durch ein Zwischenreich an, durch eine "unternatürliche, unterwirkliche" Umgebung, die ihn sein Gedächtnis und seine Identität kosten wird. Nur in seinen Träumen scheint sein früheres Dasein ab und an auf.

Willkommen im düsteren Paralleluniversum des Antoine Volodine, das von der ersten Seite an so faszinierend ist, dass es einen bis zur letzten Silbe nicht mehr loslässt. Es wird bevölkert von Vogelmutanten, terroristischen Netzwerken und bolschewistischen Bettlerinnen, von Schamanen, Geisteskranken und ehemaligen Kindersoldaten, die einst Mevlidos Frau zur Strecke gebracht haben, weswegen er auf Rache sinnt. Das amerikanische Englisch zählt inzwischen zu den toten Sprachen, absurde Parolen hallen durch zerfallene Häuserschluchten, und über allem schwebt die Melodie der Vernichtung. Ideologien kehren wieder als sinnentleertes, pervertiertes Gebet, und dennoch scheint jeder für irgendeine Organisation zu arbeiten, deren Name und Programm er nicht kennt.

Was auf den ersten Blick als futuristischer Weltuntergangskitsch missverstanden werden könnte, ist tatsächlich ein surrealer, parabel- und fabelhafter Abgesang auf die von Massenmord und Genozid geprägte Geschichte des 20. Jahrhunderts - und noch viel mehr: eine tiefgründige und aberwitzige Reflexion über den Tod und das Sterben, die sich inhaltlich und strukturell auf das Tibetische Totenbuch bezieht, ein schwarzhumoriges Traktat über Liebe und Vergeltung, Realität und Fiktion, das im Vorbeigehen auch noch Bulgakows "Der Meister und Margarita" auf die Schippe nimmt.

"Post-Exotismus" hat Volodine diesen unvergleichlichen Erzählkosmos ironisch genannt, um sich anderen Zuschreibungen zu entziehen. Augenzwinkernd hat er ihn in seiner 1998 veröffentlichten programmatischen Schrift "Le Post-exotisme en dix leçons, leçon onze" ausgerufen. Der im französischen Chalon-sur-Saône geborene Autor, dessen erste Romane in einer Science-Fiction-Reihe erschienen, entwirft dabei eine Poetik der Unschärfe, die mit dem Verwischen von Gegensätzen spielt, mit dem Fragmentarischen und der apokalyptischen Tendenz von metafiktionaler Literatur. Sie ist quasi ort- und zeitlos, in einer unbestimmbaren Zukunft angesiedelt, die durch den Zerrspiegel der Phantastik auf unsere Gegenwart blickt.

Dem manisch produktiven Schriftsteller Volodine gelingt das Kunststück, dem Leser immer wieder den Boden unter den Füßen wegzuziehen, ihm jegliche Sicherheit zu rauben und ihn dennoch immer tiefer in die jenseitigen Seelenqualen und Hirngespinste seiner Hauptfigur hineinzuziehen. In seiner labyrinthischen Prosa, die Stilelemente des magischen Realismus zu erkennen gibt, verliert man sich nur allzu gern, da sie einen suggestiven Sog und ein hohes Suchtpotential entwickelt.

Die Sprache, deren Eigentümlichkeit die glänzende Übersetzung von Holger Fock und Sabine Müller prägnant ins Deutsche überträgt, ist präzise und vieldeutig zugleich. Einmal stellt sie sich in den Dienst sinnlich greifbarer und anschaulicher Szenarien, ein andermal verleiht sie dem Unfassbaren auf glaubhafte Weise Ausdruck. Wenn wir meinen, unmittelbar durch Mevlidos Augen zu blicken, spricht uns alsbald ein anonym bleibender Erzähler direkt als Leser an; irgendwann ist außerdem von einem Berichterstatter die Rede, einem mageren Grafomanen, der monatelang nichts als den "zweifelhaften Duft der Wörter" einatmet, hinter dem sich gut und gerne der Autor selbst verbergen mag.

Obwohl Volodines Schaffen in mehrfacher Hinsicht von Fluchtbewegungen gekennzeichnet ist, kommt er ohne die üblichen Taschenspielertricks der Postmoderne aus. Ebenso geheimnisvoll wie sein umfangreiches OEuvre gibt sich der Schöpfer selbst. Hieß es noch in "Dondog", seinem zuletzt auf Deutsch erschienenen Roman, er sei 1950 zur Welt gekommen, gibt der Klappentext des neuen Buches nun an, er habe 1949 das Licht der Welt erblickt, das aus seiner Perspektive vermutlich rasch zu einem Dunkel wurde. Kaum verwunderlich, dass Antoine Volodine nur ein Heteronym von vielen ist, hinter denen der Verfasser in Deckung geht. Ich ist nicht nur im Roman ständig ein anderer. In Frankreich, wo seine Arbeiten bereits als Grundlage von musikalischen Kompositionen und Theaterinszenierungen dienten, publiziert Volodine zudem unter den Namen Manuela Draeger, Elli Kronauer und Lutz Bassmann. Letzterem ist sogar eine eigene Homepage gewidmet.

"Mevlidos Träume" lädt dazu ein, ein weitverzweigtes literarisches Universum zu entdecken, das - obgleich zunächst eher scherzhaft - nicht ganz zu Unrecht für sich ein eigenes Genre beansprucht. Denn in dieser paradoxen Form, die genauso tiefenscharf wie schleierhaft, so spannend wie gedankenschwer erscheint, ist Volodines dystopischer Roman in der Tat einzigartig.

Es bleibt allerdings zu wünschen, dass man auch hierzulande bald wird mehr lesen können von diesem ungewöhnlichen und ideenreichen Autor. Nur so wird man sich ein genaueres Bild von ihm und seinem irrlichternden Post-Exotismus machen können.

ALEXANDER MÜLLER

Antoine Volodine: "Mevlidos Träume". Roman. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 446 S., geb., 26,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als großer Fan der fantastischen Erzählwelten Antoine Volodines gibt sich Alexander Müller zu erkennen und auch Volodines jüngstes Werk in deutscher Übersetzung hat ihn tief in den Bann geschlagen, wie er bekennt. Der Roman spielt in einer unbestimmten Zukunft nach dem "sogenannten Schwarzen Krieg", in der alle Ideologien gescheitert sind, erfahren wir. Im Mittelpunkt steht der von einer unbekannten Organisation ausgesandte, in einen fremden Körper wiedergeborene Mevlidos, der Rache für die Ermordung seiner Frau sucht. Volodine, der auf ein breites Oeuvre zurückblicken kann, entwirft hier eine Dystopie, die im Kern allerdings ein eindrucksvoller "Abgesang" auf die Verwerfungen des letzten Jahrhunderts ist, meint der Rezensent beeindruckt. Zugleich bewundert Müller in dem Roman eine "tiefgründige und aberwitzige Reflexion über den Tod und das Sterben", eine Parodie auf Bulgakows "Meister und Margarita", eine Verarbeitung des "Tibetischen Totenbuchs" und bitterbösen Humor über Liebe und Rache, Fiktion und Wirklichkeit. Dass dann auch noch die Übersetzung ins Deutsche in seinen Augen außerordentlich gelungen ist, macht seine Begeisterung perfekt.

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