'Für wen hat Mata Hari wirklich spioniert? Was genau haben Kim Philby und die legendären Cambridge Five an Stalin verraten? Wie wurde der Atomspion Klaus Fuchs enttarnt? In seiner großen Geschichte des britischen Geheimdienstes MI 5 lässt Christopher Andrew, einer der führenden Experten, einschlägige Ereignisse und Personen der Geheimdienstgeschichte des 20. Jahrhunderts in neuem Licht erscheinen. Er offenbart die Identität zahlreicher Topspione und räumt mit hartnäckigen Mythen auf.
Am Anfang stand die Angst vor einer Invasion der "Hunnen". Doch spätestens im Ersten Weltkrieg hatte man die Spionageaktivitäten der Deutschen im Griff. Im Zweiten Weltkrieg gelang es dann mit hoher Effizienz, deutsche Spione umzudrehen und als Doppelagenten einzusetzen. Weit weniger effektiv war MI 5 gegenüber der sowjetischen Infiltration. Im Kalten Krieg kam die Abwehr von Technologie- und Wirtschaftsspionage hinzu, in der Gegenwart vor allem der Terrorismus der IRA und islamistischer Gruppen. Andrews Buch ist ein publizistisches Ereignis ohne Beispiel. Anlässlich des 100. Jahrestags seiner Gründung hat das MI 5 ihm exklusiv die Archive geöffnet. So war es möglich, erstmals umfassend und mit einer Fülle unbekannter Details Triumphe und Niederlagen dieser geheimnisumwitterten Institution zu schildern.
Am Anfang stand die Angst vor einer Invasion der "Hunnen". Doch spätestens im Ersten Weltkrieg hatte man die Spionageaktivitäten der Deutschen im Griff. Im Zweiten Weltkrieg gelang es dann mit hoher Effizienz, deutsche Spione umzudrehen und als Doppelagenten einzusetzen. Weit weniger effektiv war MI 5 gegenüber der sowjetischen Infiltration. Im Kalten Krieg kam die Abwehr von Technologie- und Wirtschaftsspionage hinzu, in der Gegenwart vor allem der Terrorismus der IRA und islamistischer Gruppen. Andrews Buch ist ein publizistisches Ereignis ohne Beispiel. Anlässlich des 100. Jahrestags seiner Gründung hat das MI 5 ihm exklusiv die Archive geöffnet. So war es möglich, erstmals umfassend und mit einer Fülle unbekannter Details Triumphe und Niederlagen dieser geheimnisumwitterten Institution zu schildern.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2010Mehr Licht
Die Geschichte des MI 5
Der Stoff, aus dem die Filme und die Romane sind: Christopher Andrew publiziert seit fast 30 Jahren über Geheimdienste - nicht nur über die britischen, sondern auch über die sowjetischen. Nun legt er zum 100. Jahrestag der Gründung des Security Service eine sachlich-nüchterne Überblicksdarstellung über den Zeitraum von 1909 bis 2009 vor, mit einem Anmerkungsapparat von 110 Seiten, der sich oft auf ein "Archiv des Security Service" - ohne nähere Angaben - beschränken muss. Immerhin hatte der Autor "praktisch ungehinderten Zugang zu den Akten des Nachrichtendienstes aus dem 20. Jahrhundert" sowie zu einer "begrenzten Anzahl von Aufzeichnungen aus dem 21. Jahrhundert". Als besonders schwierig habe sich "die Freigabe jener Erkenntnisse erwiesen, die andere Regierungsstellen betreffen". Ob er hier das Foreign Office meint? Dessen Staatssekretär von 1938 bis 1946, Sir Alexander Cadogan, hatte Folgerungen der Entscheidungsträger aus den Aktivitäten der Nachrichtendienste einmal als "missing dimension of most diplomatic history" bezeichnet.
Am Anfang des Security Service stand die Angst vor einer Invasion der "Hunnen". Bei Kriegsbeginn 1914 stieg die Zahl der Mitarbeiter von 17 auf 40 Personen. 65 deutsche Agenten wurden während des Ersten Weltkriegs verhaftet und interniert oder verurteilt. Außerdem überprüfte der MI 5 britische Staatsbürger, die des "Pazifismus und Antimilitarismus" verdächtig waren. Bei Kriegsende verzeichnete eine "Schwarze Liste" 13 500 Namen, die als "Vorbeugender Index" bis 1925 auf 25 250 Personen anwuchs. In den dreißiger Jahren konnte die Spionageabwehr durch vielfältige Informationen aus und über Deutschland zwar ein vernichtendes Urteil über die Appeasementpolitik der Regierung Chamberlain fällen. Jedoch vermochte der MI 5 es nicht, das Vordringen von "Stalins Engländern" - den in Cambridge rekrutierten Spionen Blunt, Burgess, Cairncross, Maclean und Philby - in einflussreiche Stellen zu verhindern. Im Kalten Krieg befasste sich der MI 5 auch mit der Abwehr von Technologie- und Wirtschaftsspionage, während in der Gegenwart der Terrorismus der IRA und islamistischer Gruppen im Mittelpunkt steht. In diesem Zusammenhang konstatiert Andrew "Symptome einer verkürzten Aufmerksamkeitsspanne mit Blick auf die Geschichte". Daher müsse der MI 5 die eigene Geschichte in Langzeitperspektive kennen, um mit neuen Herausforderungen fertig zu werden. Das gilt sicher in gleichem Maß für die deutschen Dienste, die ebenfalls ihre Ursprünge und Entwicklungen aufarbeiten lassen sollten.
RAINER BLASIUS
Christopher Andrew: MI 5. Die wahre Geschichte des britischen Geheimdienstes. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Enrico Heinemann und Norbert Juraschitz. Verlag Propyläen, Berlin 2010. 912 S., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Geschichte des MI 5
Der Stoff, aus dem die Filme und die Romane sind: Christopher Andrew publiziert seit fast 30 Jahren über Geheimdienste - nicht nur über die britischen, sondern auch über die sowjetischen. Nun legt er zum 100. Jahrestag der Gründung des Security Service eine sachlich-nüchterne Überblicksdarstellung über den Zeitraum von 1909 bis 2009 vor, mit einem Anmerkungsapparat von 110 Seiten, der sich oft auf ein "Archiv des Security Service" - ohne nähere Angaben - beschränken muss. Immerhin hatte der Autor "praktisch ungehinderten Zugang zu den Akten des Nachrichtendienstes aus dem 20. Jahrhundert" sowie zu einer "begrenzten Anzahl von Aufzeichnungen aus dem 21. Jahrhundert". Als besonders schwierig habe sich "die Freigabe jener Erkenntnisse erwiesen, die andere Regierungsstellen betreffen". Ob er hier das Foreign Office meint? Dessen Staatssekretär von 1938 bis 1946, Sir Alexander Cadogan, hatte Folgerungen der Entscheidungsträger aus den Aktivitäten der Nachrichtendienste einmal als "missing dimension of most diplomatic history" bezeichnet.
Am Anfang des Security Service stand die Angst vor einer Invasion der "Hunnen". Bei Kriegsbeginn 1914 stieg die Zahl der Mitarbeiter von 17 auf 40 Personen. 65 deutsche Agenten wurden während des Ersten Weltkriegs verhaftet und interniert oder verurteilt. Außerdem überprüfte der MI 5 britische Staatsbürger, die des "Pazifismus und Antimilitarismus" verdächtig waren. Bei Kriegsende verzeichnete eine "Schwarze Liste" 13 500 Namen, die als "Vorbeugender Index" bis 1925 auf 25 250 Personen anwuchs. In den dreißiger Jahren konnte die Spionageabwehr durch vielfältige Informationen aus und über Deutschland zwar ein vernichtendes Urteil über die Appeasementpolitik der Regierung Chamberlain fällen. Jedoch vermochte der MI 5 es nicht, das Vordringen von "Stalins Engländern" - den in Cambridge rekrutierten Spionen Blunt, Burgess, Cairncross, Maclean und Philby - in einflussreiche Stellen zu verhindern. Im Kalten Krieg befasste sich der MI 5 auch mit der Abwehr von Technologie- und Wirtschaftsspionage, während in der Gegenwart der Terrorismus der IRA und islamistischer Gruppen im Mittelpunkt steht. In diesem Zusammenhang konstatiert Andrew "Symptome einer verkürzten Aufmerksamkeitsspanne mit Blick auf die Geschichte". Daher müsse der MI 5 die eigene Geschichte in Langzeitperspektive kennen, um mit neuen Herausforderungen fertig zu werden. Das gilt sicher in gleichem Maß für die deutschen Dienste, die ebenfalls ihre Ursprünge und Entwicklungen aufarbeiten lassen sollten.
RAINER BLASIUS
Christopher Andrew: MI 5. Die wahre Geschichte des britischen Geheimdienstes. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Enrico Heinemann und Norbert Juraschitz. Verlag Propyläen, Berlin 2010. 912 S., 24,95 [Euro].
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.06.2010Britische Schlapphüte
Ein sehr erfolgreicher Geheimdienst:
Christopher Andrews Geschichte des „MI 5“
Um Geheimdienste rankt sich ein Schleier von Mythen und Ängsten. Wer sich nicht mit Vermutungen zufrieden geben will, dem sei das Buch von Christopher Andrew über den britischen Inlandsgeheimdienst, genannt MI 5, empfohlen. Selten wird die Tätigkeit von Geheimdiensten so offen gelegt.
Der MI 5 konnte vergangenes Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiern. Das war Anlass, Christopher Andrew von der Universität Cambridge und Fachmann auf dem Gebiet der Geheimdienste, exklusiven Zugang zu den Archiven des MI 5 zu geben. Es sollte eine offizielle Geschichte des MI 5 entstehen. Daraus ist ein über weite Strecken spannendes Buch geworden.
Aus Sicht des britischen Geheimdienstes wird das vergangene Jahrhundert erzählt: Die Geschichte erstreckt sich vom deutschen Kaiserreich über den Ersten Weltkrieg, die russische Revolution, Hitlers Aufstieg, den Zweiten Weltkrieg, die Entwicklung der Atombombe, die Auflösung des britischen Empire, den Kalten Krieg, den Zerfall des Ostblocks bis zum islamistischen Terrorismus.
Codename „Soehnchen“
Der Leser erfährt von den verschiedensten Facetten nachrichtendienstlicher Tätigkeiten, also: wie Dienste tatsächlich im Alltag arbeiten. Aufregende Erfolge, etwa beim Einsatz von Doppelagenten, der erfolgreichen Täuschung Hitlers über den genauen Ort der Invasion in der Normandie oder der Entschlüsselung des deutschen und des russischen Nachrichtenverkehrs gehören dazu, dann auch: schlimme Niederlagen wie die erst späte Enttarnung für den KGB arbeitender Spitzenspione, fatale Fehleinschätzungen etwa bei der dreimaligen erfolglosen Sicherheitsüberprüfung des Atomspions Fuchs, seltene Anerkennung und oft langweilige Büroarbeit. Unnötige eifersüchtige Konkurrenz zwischen den Diensten oder gegenüber der Polizei gibt es auch. Vieles ist somit typisch für die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten ganz generell.
Der Leser erfährt über politische Vorurteile und konservative Einstellungen im MI 5, die beispielsweise lange zu einer milden Bewertung von Sir Oswald Mosley führten, dem Anführer der Britischen Union der Faschisten. Von Antisemitismus und Xenophophie war auch der MI5 nicht ganz frei: In den 20er Jahren existierte eine „nach Rassen geordnete Liste“ gefährlicher Personen.
Geheimdienste werden mit ihren Erkenntnissen oft nicht ernst genommen, zumal, wenn die Erkenntnisse mit irgendwelchen Vorurteilen nicht übereinstimmen. So hat der MI 5 vergeblich versucht, die verantwortlichen Politiker auf Gefahren frühzeitig aufmerksam zu machen, wie etwa auf die aggressive Außenpolitik Hitlers in der Sudetenkrise 1938.
Die Warnung eines im deutschen diplomatischen Dienst tätigen britischen Agenten „Wenn sie Hitler jetzt nachgeben, lässt er sich nicht mehr aufhalten“ verfehlte ihre Wirkung im britischen Außenministerium und bei Premier Chamberlain. Der britische Auslandsgeheimdienst SIS, genannt MI 6, sah die Dinge weniger gefährlich und fand leider mehr Gehör: Einige von Deutschlands Kolonien, die nach dem Krieg beschlagnahmt worden waren, sollten zurückgegeben werden.
Selbst präzise Vorhersagen des MI 5, wie die auf den bevorstehenden deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei im März 1939, verhallten bei der britischen Regierung ungehört. Ein anderes Beispielist die bevorstehende italienische Invasion in Albanien. Chamberlain hatte noch am 19. Februar 1939 notiert, dass alle Information in Richtung Frieden zu deuten scheine.
Auch der MI 5 blieb von erfolgreicher Gegenspionage nicht verschont. Erinnert sei an die „Cambridge Five“, die wohl fähigsten KGB-Spione in Großbritannien. Einer von ihnen, Kim Philby, war sogar hochrangiger Mitarbeiter des britischen Auslandsgeheimdienstes. Philby erhielt merkwürdigerweise den deutsch lautenden Codenamen „Soehnchen“. Sein erstes Treffen mit seinem sowjetischen Führungsoffizier fand, wie man das vom Kino her zu kennen glaubt, in einem Park statt.
Ob der Leser aber über seine ersten Sex-Erfahrungen im Schnee erfahren muss oder über die sexuellen Vorlieben der anderen Mitglieder dieser Gruppe, darüber mag man streiten. Wie sich auch an anderen Stellen immer wieder zeigt, dass sexuelle Eskapaden von Mitarbeitern, eigenen und gegnerischen Agenten über die Jahrzehnte hinweg offensichtlich detailliert in den Akten des MI 5 notiert wurden. Da scheinen sich viele Geheimdienste zu ähneln. Dass der ebenfalls zur Gruppe gehörende KGB-Spion Anthony Blunt als Mitarbeiter des MI 5 die monatlichen Kurzfassungen der MI 5-Berichte für Churchill schrieb und wohl dafür sorgte, dass Stalin eher besser als Churchill über die britischen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse unterrichtet war, ist besonders pikant.
Der Leser erfährt auch so manches Detail, das selbst bedeutungsschwere Weltpolitik menschlich macht: Dass Chamberlain nicht amüsiert war, als er über den MI 5 erfuhr, dass Hitler ihn in kleinem Kreise als A…loch bezeichnete und in Anspielung auf sein Markenzeichen, den Regenschirm, „begeistert Witze über den Schirm-Pazifismus“ des einst so imposanten britischen Weltreichs riss.
Dass Premier Churchill rauchend im Bett inmitten von Papieren und Zigarrenkisten Mitarbeiter des MI 5 empfing, während Premierminister MacDonalds Abneigung gegen alle Geheimdienste so ausgeprägt war, dass er ein Gespräch mit einem Offizier des MI 5 nur von einem benachbarten Zimmer aus über einen Staatssekretär führte, der im Türrahmen zwischen den beiden Räumen postiert war.
In den 20er Jahren lieferten Beamte von Scotland Yard, dem Sinnbild der Unbestechlichkeit, gegen 20 Dollar die Woche – damals ein schöner Geldbetrag – dem sowjetischen Nachrichtendienst Insiderinformationen: So war die Sowjetunion über jeden Schritt von Scotland Yard auf dem laufenden. Mussolini wurde damals vom MI 5 als „Einflussagent“ geführt und fürstlich entlohnt.
Noch nach Beginn des Zweiten Weltkriegs betonte der britische Luftfahrtminister, dass es „nicht in Frage“ komme, die deutschen Munitionsfabriken im Ruhrgebiet zu bombardieren, da sie Privateigentum seien. Tatsächlich fiel bis zur Ablösung von Chamberlain durch Churchill keine einzige britische Bombe auf Deutschland.
„Müller“ wurde gestohlen
Mit den getürkten Berichten an den deutschen Nachrichtendienst im ersten Weltkrieg im Namen eines enttarnten deutschen Spions, der Müller hieß, erhielt der britische Dienst von den von der „Qualität“ ihres vermeintlichen Agenten überzeugten Deutschen so viel Geld, dass er sich ein Auto kaufen konnte. Dieses wurde „Müller“ genannt. Dass unrecht Gut nicht gedeiht, zeigte sich Jahre später, als der vor dem Hauptgebäude des MI 5 geparkte Wagen gestohlen wurde.
Das Buch hat einzelne, aber letztlich vernachlässigbare Schwächen. So gerät es in manchen Passagen zum mehr innerbehördlichen und geschwätzigen Tätigkeitsbericht und es schimmert der ursprüngliche Auftrag durch, einen internen Jubiläumsbericht zu schreiben. Doch als Resümee bleibt: Der MI 5 ist ein alles in allem sehr erfolgreicher Geheimdienst, und das Buch über ihn ist wirklich lesenswert. HANSJÖRG GEIGER
CHRISTOPHER ANDREW: MI 5. Die wahre Geschichte des Britischen Geheimdienstes. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Enrico Heinemann und Norbert Juraschitz. Propyläen, Berlin 2010. 912 Seiten, 24, 95 Euro.
Der Jurist Hansjörg Geiger war u.a. Stellvertreter von Joachim Gauck bei der BStU, Verfassungsschutzpräsident, Präsident des BND und Staatssekretär im Bundesjustizministerium.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Ein sehr erfolgreicher Geheimdienst:
Christopher Andrews Geschichte des „MI 5“
Um Geheimdienste rankt sich ein Schleier von Mythen und Ängsten. Wer sich nicht mit Vermutungen zufrieden geben will, dem sei das Buch von Christopher Andrew über den britischen Inlandsgeheimdienst, genannt MI 5, empfohlen. Selten wird die Tätigkeit von Geheimdiensten so offen gelegt.
Der MI 5 konnte vergangenes Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiern. Das war Anlass, Christopher Andrew von der Universität Cambridge und Fachmann auf dem Gebiet der Geheimdienste, exklusiven Zugang zu den Archiven des MI 5 zu geben. Es sollte eine offizielle Geschichte des MI 5 entstehen. Daraus ist ein über weite Strecken spannendes Buch geworden.
Aus Sicht des britischen Geheimdienstes wird das vergangene Jahrhundert erzählt: Die Geschichte erstreckt sich vom deutschen Kaiserreich über den Ersten Weltkrieg, die russische Revolution, Hitlers Aufstieg, den Zweiten Weltkrieg, die Entwicklung der Atombombe, die Auflösung des britischen Empire, den Kalten Krieg, den Zerfall des Ostblocks bis zum islamistischen Terrorismus.
Codename „Soehnchen“
Der Leser erfährt von den verschiedensten Facetten nachrichtendienstlicher Tätigkeiten, also: wie Dienste tatsächlich im Alltag arbeiten. Aufregende Erfolge, etwa beim Einsatz von Doppelagenten, der erfolgreichen Täuschung Hitlers über den genauen Ort der Invasion in der Normandie oder der Entschlüsselung des deutschen und des russischen Nachrichtenverkehrs gehören dazu, dann auch: schlimme Niederlagen wie die erst späte Enttarnung für den KGB arbeitender Spitzenspione, fatale Fehleinschätzungen etwa bei der dreimaligen erfolglosen Sicherheitsüberprüfung des Atomspions Fuchs, seltene Anerkennung und oft langweilige Büroarbeit. Unnötige eifersüchtige Konkurrenz zwischen den Diensten oder gegenüber der Polizei gibt es auch. Vieles ist somit typisch für die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten ganz generell.
Der Leser erfährt über politische Vorurteile und konservative Einstellungen im MI 5, die beispielsweise lange zu einer milden Bewertung von Sir Oswald Mosley führten, dem Anführer der Britischen Union der Faschisten. Von Antisemitismus und Xenophophie war auch der MI5 nicht ganz frei: In den 20er Jahren existierte eine „nach Rassen geordnete Liste“ gefährlicher Personen.
Geheimdienste werden mit ihren Erkenntnissen oft nicht ernst genommen, zumal, wenn die Erkenntnisse mit irgendwelchen Vorurteilen nicht übereinstimmen. So hat der MI 5 vergeblich versucht, die verantwortlichen Politiker auf Gefahren frühzeitig aufmerksam zu machen, wie etwa auf die aggressive Außenpolitik Hitlers in der Sudetenkrise 1938.
Die Warnung eines im deutschen diplomatischen Dienst tätigen britischen Agenten „Wenn sie Hitler jetzt nachgeben, lässt er sich nicht mehr aufhalten“ verfehlte ihre Wirkung im britischen Außenministerium und bei Premier Chamberlain. Der britische Auslandsgeheimdienst SIS, genannt MI 6, sah die Dinge weniger gefährlich und fand leider mehr Gehör: Einige von Deutschlands Kolonien, die nach dem Krieg beschlagnahmt worden waren, sollten zurückgegeben werden.
Selbst präzise Vorhersagen des MI 5, wie die auf den bevorstehenden deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei im März 1939, verhallten bei der britischen Regierung ungehört. Ein anderes Beispielist die bevorstehende italienische Invasion in Albanien. Chamberlain hatte noch am 19. Februar 1939 notiert, dass alle Information in Richtung Frieden zu deuten scheine.
Auch der MI 5 blieb von erfolgreicher Gegenspionage nicht verschont. Erinnert sei an die „Cambridge Five“, die wohl fähigsten KGB-Spione in Großbritannien. Einer von ihnen, Kim Philby, war sogar hochrangiger Mitarbeiter des britischen Auslandsgeheimdienstes. Philby erhielt merkwürdigerweise den deutsch lautenden Codenamen „Soehnchen“. Sein erstes Treffen mit seinem sowjetischen Führungsoffizier fand, wie man das vom Kino her zu kennen glaubt, in einem Park statt.
Ob der Leser aber über seine ersten Sex-Erfahrungen im Schnee erfahren muss oder über die sexuellen Vorlieben der anderen Mitglieder dieser Gruppe, darüber mag man streiten. Wie sich auch an anderen Stellen immer wieder zeigt, dass sexuelle Eskapaden von Mitarbeitern, eigenen und gegnerischen Agenten über die Jahrzehnte hinweg offensichtlich detailliert in den Akten des MI 5 notiert wurden. Da scheinen sich viele Geheimdienste zu ähneln. Dass der ebenfalls zur Gruppe gehörende KGB-Spion Anthony Blunt als Mitarbeiter des MI 5 die monatlichen Kurzfassungen der MI 5-Berichte für Churchill schrieb und wohl dafür sorgte, dass Stalin eher besser als Churchill über die britischen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse unterrichtet war, ist besonders pikant.
Der Leser erfährt auch so manches Detail, das selbst bedeutungsschwere Weltpolitik menschlich macht: Dass Chamberlain nicht amüsiert war, als er über den MI 5 erfuhr, dass Hitler ihn in kleinem Kreise als A…loch bezeichnete und in Anspielung auf sein Markenzeichen, den Regenschirm, „begeistert Witze über den Schirm-Pazifismus“ des einst so imposanten britischen Weltreichs riss.
Dass Premier Churchill rauchend im Bett inmitten von Papieren und Zigarrenkisten Mitarbeiter des MI 5 empfing, während Premierminister MacDonalds Abneigung gegen alle Geheimdienste so ausgeprägt war, dass er ein Gespräch mit einem Offizier des MI 5 nur von einem benachbarten Zimmer aus über einen Staatssekretär führte, der im Türrahmen zwischen den beiden Räumen postiert war.
In den 20er Jahren lieferten Beamte von Scotland Yard, dem Sinnbild der Unbestechlichkeit, gegen 20 Dollar die Woche – damals ein schöner Geldbetrag – dem sowjetischen Nachrichtendienst Insiderinformationen: So war die Sowjetunion über jeden Schritt von Scotland Yard auf dem laufenden. Mussolini wurde damals vom MI 5 als „Einflussagent“ geführt und fürstlich entlohnt.
Noch nach Beginn des Zweiten Weltkriegs betonte der britische Luftfahrtminister, dass es „nicht in Frage“ komme, die deutschen Munitionsfabriken im Ruhrgebiet zu bombardieren, da sie Privateigentum seien. Tatsächlich fiel bis zur Ablösung von Chamberlain durch Churchill keine einzige britische Bombe auf Deutschland.
„Müller“ wurde gestohlen
Mit den getürkten Berichten an den deutschen Nachrichtendienst im ersten Weltkrieg im Namen eines enttarnten deutschen Spions, der Müller hieß, erhielt der britische Dienst von den von der „Qualität“ ihres vermeintlichen Agenten überzeugten Deutschen so viel Geld, dass er sich ein Auto kaufen konnte. Dieses wurde „Müller“ genannt. Dass unrecht Gut nicht gedeiht, zeigte sich Jahre später, als der vor dem Hauptgebäude des MI 5 geparkte Wagen gestohlen wurde.
Das Buch hat einzelne, aber letztlich vernachlässigbare Schwächen. So gerät es in manchen Passagen zum mehr innerbehördlichen und geschwätzigen Tätigkeitsbericht und es schimmert der ursprüngliche Auftrag durch, einen internen Jubiläumsbericht zu schreiben. Doch als Resümee bleibt: Der MI 5 ist ein alles in allem sehr erfolgreicher Geheimdienst, und das Buch über ihn ist wirklich lesenswert. HANSJÖRG GEIGER
CHRISTOPHER ANDREW: MI 5. Die wahre Geschichte des Britischen Geheimdienstes. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Enrico Heinemann und Norbert Juraschitz. Propyläen, Berlin 2010. 912 Seiten, 24, 95 Euro.
Der Jurist Hansjörg Geiger war u.a. Stellvertreter von Joachim Gauck bei der BStU, Verfassungsschutzpräsident, Präsident des BND und Staatssekretär im Bundesjustizministerium.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Der britische Geheimdienst wird hundert und belohnt sich mit der autorisierten, vom Historiker Christopher Andrew geschriebenen Geschichte "MI5". Bestens unterhalten fühlt sich Rezensentin Sylvia Staude nach der Lektüre der 900 "spannenden, lustigen und lehrreichen" Seiten, die einige Aktionen des Geheimdienstes preisgeben. So gelang es den Briten im Zweiten Weltkrieg beispielsweise, den Deutschen einen falschen Landepunkt für eine Invasion der Alliierten zu suggerieren, indem sie eine mit fingierter Identität und scheinbar brisanten Papieren ausgestattete Leiche an der spanischen Küste antreiben ließen. Weniger "heiter" findet die Rezensentin die Kapitel über die Gegenwart des MI5, wenn Andrew unter anderem erzählt, wie versucht wurde, indiskretes Wissen gegen die Politik auszuspielen. Dass der Autor selbst nicht ganz glücklich mit den Eingriffen des Geheimdienstes vor der Veröffentlichung ist und eine Prüfung durch den parlamentarischen Nachrichtendienstausschuss fordert, stört die Rezensentin nicht weiter, weiß sie doch gar nicht, was sie nicht wissen soll.
© Perlentaucher Medien GmbH
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